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Leitsätze:
1) Bei den in § 21 Abs. 1 BSchVG genannten „Entgelten für Verkehrsleistungen" handelt es sich um die von den Frachttenausschüssen festgesetzten Einzelentgelte, von denen verschiedene im Gesetz beispielhaft aufgezählt sind. Kleinwasserzuschläge (KWZ) gehören zu den „sonstigen mit der Schiffsbeförderung zusammenhängenden Nebenleistungen".
2) Da Tarife ihrer Natur nach schematisierende und von vornherein auf die Regelung zahlreicher gleichliegender Einzelfälle abgestellte Preisvorschriften sind, müssen an ihre Klarheit und Unmißverständlichkeit erhöhte Anforderungen gestellt werden.
Oberlandesgericht Karlsruhe – Rheinschiffahrtsobergericht
05. Februar 1975
1 U 185/74
Zum Tatbestand:
Zwischen der nach § 31 Abs. 3 BSchVG auf Zahlung von etwa 7250,- DM klagenden Wasser- und Schiffahrtsdirektion und der Beklagten geht der Streit darum, ob eine Kleinwasserberechnung nach Maxauer oder Mannheimer Pegel erfolgen mußte, und zwar im Zusammenhang mit einer FTB-Bestimmung: „Für Verladungen ab Ladestellen oberhalb Sondernheim (einschließlich) gilt anstelle des Mannheimer Pegels der Maxauer Pegel."
Nach Ansicht der Klägerin habe die Beklagte zu hohe Kleinwasserzuschläge nach Maxauer Pegel berechnet, weil die hier in Betracht kommenden Verladeorte unterhalb von Sondernheim gelegen seien und daher die niedrigeren KWZ nach Mannheimer Pegel hätten berechnet werden müssen.
Die Beklagte hält die obige Bestimmung nicht für eindeutig genug, da Sondernheim auf der linken Flußseite liege und sich die Verladestellen auf der rechten Seite im Bereich der „Sondernheimer Schwelle" befänden.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben, das Oberlandesgericht hat sie abgewiesen.
Aus den Entscheidungsgründen:
Tarife sind ihrer Natur nach schematisierende und von vornherein auf die Regelung zahlreicher gleichliegender Einzelfälle abgestellte Preisvorschriften. Um so höher sind deshalb die an ihre Klarheit und Unmißverständlichkeit zu stellenden Anforderungen, insbesondere wenn - wie hier nach § 31 Abs. 3 BSchVG - an Tarifverstöße strafähnliche, konfiskatorische Sanktionen geknüpft werden. Unklarheiten eines Tarifes müssen deshalb grundsätzlich zu Lasten dessen gehen, der aus Tarifverstößen Rechte abzuleiten sucht. Vor allem richtet sich aber auch bei objektivem Tarifverstoß die Beurteilung der Frage, ob Vorsatz oder welcher Grad der Fahrlässigkeit dem Tarifunterworfenen zur Last fällt, danach, wie klar oder unklar die Tarifbestimmungen gefaßt sind.
Hierbei sind bei der Festlegung des Inhalts der vorliegend in der Form einer Rechtsnorm erlassenen Tarifbestimmungen die für Rechtsnormen geltenden Auslegungsgrundsätze heranzuziehen. Eine Rechtsnorm ist unter Feststellung ihres Sinnes auszulegen, d. h. die für § 133 BGB in Schrifttum und Rechtsprechung entwickelten Grundsätze sind anzuwenden (vgl. Palandt, BGB, 33. Aufl., Einleitung V 2 a vor § 1 BGB und Anm. 7 zu § 133 BGB, BGHZ 2, 176, 184).
In Anwendung dieser Rechtsgrundsätze erlaubt der im FTB für die Berechnung der Kleinwasserzuschläge verwendete Begriff „oberhalb Sondernheim (einschließlich)" nach der Beurteilung des Senats keine eindeutige Festlegung und damit auch keine sichere Auslegung.
Es findet sich im FTB kein Hinweis, daß sich die Lagebezeichnungen allgemein oder insbesondere die Ladebezeichnung „oberhalb Sondernheim (einschließlich)" nach den Angaben im westdeutschen Schiffahrts- und Hafenkalender (WESKA) richteten. Der WESKA enthält keine verbindlichen amtlichen Festlegungen, sondern er ist ein von dem privatrechtlichen Verein zur Wahrung der Rheinschiffahrtsinteressen herausgegebenes Schriftenwerk, dessen Einbeziehung als Basis der tariflichen Festlegungen in den Tarif zwar nicht unzulässig gewesen wäre, wobei es jedoch bei solcher Absicht zur Klarstellung für die Tarifunterworfenen eines besonderen Hinweises im Tarif selbst bedurft hätte.
Ob etwa der Frachtenausschuß für den Rhein dem von ihm erstellten Tarifwerk die Angaben im WESKA zugrunde legen wollte, ist als unerklärt gebliebener innerer Wille für den Tarifunterworfenen ohne Belang. Auch ist von der Klägerin substantiiert nichts dafür dargetan oder bewiesen, daß sich in Schiffahrtskreisen eine Verkehrssitte des Inhalts herausgebildet habe, daß dem Tarifwerk des FTB auch ohne besonderen Hinweis die Angaben im WESKA für die Begrenzung der Tarifgebiete zugrundezulegen seien. Noch weniger hat die Klägerin etwas dafür vorgetragen, daß etwa in Schiffahrtskreisen eine Verkehrssitte dahin bestehe, unter der Lagebezeichnung „oberhalb Sondernheim (einschließlich)" lediglich den Bereich bis zum Rheinstromkilometer 380,60 zu verstehen.
Selbst wenn man aber entgegen der Auffassung des Senats mit der Klägerin die Angaben im WESKA als Grundlage der Festlegungen im Tarifwerk ansehen wollte, wäre keine größere Klarheit zu gewinnen, wie auch bereits das Landgericht zutreffend angenommen hat. Denn einmal befindet sich die Ortsbezeichnung „Sondernheim (einschließlich)" nicht in WESKA. Der Ort Sondernheim ist dort - linksrheinisch - bei Stromkilometer 380,60 aufgeführt, während andererseits die „Orderstation" Sondernheim bei Stromkilometer 381,10 verzeichnet ist und sich als nächste Positionen unterhalb der - linksrheinisch gelegenen - Orderstation Sondernheim die „Eisenbahnbrücke Germersheim" bei Stromkilometer 383,91 und sodann - linksrheinisch - der Ort Germersheim bei Stromkilometer 384,00 finden. Da Sondernheim aber ein sich über eine gewisse Rheinstrecke hinziehender Ort, nicht aber ein auf Stromkilometer 380,60 begrenzter Rhein-Uferpunkt ist, bleibt auch danach nicht hinreichend deutlich, was unter der im WESKA nicht enthaltenen Formulierung „Sondernheim (einschließlich)" verstanden werden soll. Zwar ist es durchaus denkbar, daß der Frachtenausschuß für den Rhein diesen Begriff nur bis zu Rheinkilometer 380,60 verstanden wissen sollte, es ließe sich aber ebenso damit die Auffassung der Beklagten vereinbaren, die Ortsbestimmung „Sondernheim (einschließlich)" bis zu Beginn des nächsten Bereiches, nämlich des Bereiches Germersheim und damit wenigstens bis zum Stromkilometer 383,91 (Germersheimer Brücke) zu erstrecken. Unter Zugrundelegung der letztgenannten Möglichkeit befänden sich aber beide - zudem rechtsrheinisch gelegenen - Ladestellen der Beklagten (Stromkilometer 380,750 und 383,300) noch „oberhalb Sondernheim (einschließlich)" im Sinne der Tarifbestimmungen für Kleinwasserzuschläge (KWZ).
Anstelle der sonach unklaren Festlegung der für die verschiedenen Tarifzonen der KWZ zugrunde zu legenden Pegel (Maxauer oder Mannheimer Pegel) wäre eine eindeutige Fixierung im Tarif auf der Basis der jeweils in Betracht kommenden Stromkilometer ohne weiteres möglich gewesen, wie die Beklagte zu Recht vorträgt.
Grobe Fahrlässigkeit könnte nur dann angenommen werden, wenn die Beklagte die nach § 276 Abs. 1 Satz 2 BGB anzuwendende, verkehrserforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hätte (vgl. RGZ 141, 129, 131; BGHZ 10, 14, 16f; 10, 69, 74), nämlich nicht das beachtet hätte, was im gegebenen Falle jedem einleuchten mußte und schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt hätte (RGZ 163, 106). Hierbei sind auch subjektive, in der Individualität des Handelnden begründete Umstände zu berücksichtigen (BGHZ 10, 14, 17; BGH in LM Nr. 3 zu § 277 BGB und in VersR 1969, 848).
Unter Berücksichtigung dieser Kriterien ist der Senat der Überzeuqung, daß die Vertragsparteien (Beklagte und Fa. X.) angesichts der Unklarheit der Abgrenzung der Tarifzonen ein derart schwerwiegender, nicht entschuldbarer Verstoß geqen die Anforderungen verkehrserforderlicher Sorgfalt nicht trifft, selbst wenn man entgegen Bedenken des Senats unter den gegebenen Umständen der Beklagten ansinnen wollte, beim Tarifhersteller (Frachtenausschuß für den Rhein) Rückfrage zu halten, und bei Unterlassung wegen der bei der Beklagten bestehenden Zweifel die gewöhnliche Fahrlässigkeit bejahen wollte. Immerhin ist es auch für die Beurteilung des Grades einer der Beklagten allenfalls anzulastenden Fahrlässigkeit entgegen der Auffassung der Klägerin nicht belanglos, daß die der Wasser- und Schiffahrtsdirektion Duisburg von der Beklagten über das gesamte Jahr 1971 übersandten Frachtrechnungen hinsichtlich der KWZ bis zur Betriebsprüfung im Jahre 1972 unbeanstandet geblieben sind.