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Leitsatz:
Der Vorwurf einer fahrlässigen Tötung an Bord eines brennenden Tankschiffes ist eine Schifffahrtsstrafsachen, zuständig ist das örtlich für den Havarieort zuständige Schiffahrtsgericht.
Urteil des Landgerichts Würzburg
vom 23.03.2010
1. Entscheidung
Beschluss der 1. Strafkammer als Beschwerdekammer des Landgerichtes Würzburg vom 23. März 2010 (Aktenzeichen 1 Qs 71/2010 LG Würzburg).
Gründe
I. Die Staatsanwaltschaft erhob am 23.02.2009 gegen die drei Beschwerdeführer Anklage zum Amtsgericht – Strafrichter – Gemünden am Main wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung.
Der Anklage liegt folgender Sachverhalt zu Grunde:
Am 02.07.2008 brach auf dem Tankmotorschiff T gegen 09:30 Uhr auf dem Main bei Karlstadt ein Brand aus. Bei diesem wurde der Matrose M so schwer verletzt, dass er am 13.07.2008 seinen Verletzungen erlag. Die Angeklagten E1 und E2 sind Eigner des Schiffes, der Angeklagte A war zur Tatzeit Schiffsführer.
Die Staatsanwaltschaft wirft den Angeklagten als den für Ausrüstung und Besatzung des Schiffes Verantwortlichen vor, durch die Verletzung schifffahrtspolizeilicher Vorschriften den Tod des Matrosen M fahrlässig verursacht zu haben, da sie gewusst haben, dass der Treibstoff des Schiffes in einem nicht verschlossenen Tank gelagert wurde und dies für den Brand ursächlich gewesen sei.
Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf den Anklagesatz verwiesen.
Mit Beschluss vom 07.10.2009 ließ das Amtsgericht Gemünden am Main die Anklage zur Verhandlung zu und eröffnete das Hauptverfahren gegen die drei Angeklagten vor dem Amtsgericht – Strafrichter – Gemünden am Main.
In der Hauptverhandlung am 17.11.2009 machten alle Angeklagten lediglich Angaben zu ihrer Person und ihren wirtschaftlichen Verhältnissen, jedoch keine Angaben zur Sache.
Im Anschluss hieran rügte der Verteidiger des Angeklagten E1 und E2 die sachliche Zuständigkeit des Gerichts und führte aus, dass es sich gem. § 2 Abs. 3 Binnenschifffahrtsgesetz um eine Schifffahrtssache handele, für die das Schiffahrtsgericht zuständig.
Lt. Protokoll beantragten die Verteidiger der beiden Angeklagten E1 + E2 die Abgabe des Verfahrens an das Schiffahrtsgericht, ferner rügte der Verteidiger des Angeklagten A auch die örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts Gemünden am Main.
Das Amtsgericht Gemünden am Main beschloss in der Verhandlung die Aussetzung der Hauptverhandlung.
Mit Verfügung vom 16.12.2009 teilte das Amtsgericht den Verteidigern mit, dass es beabsichtige, das Verfahren gemäß § 225 a Abs. 1, Abs. 4 StPO an das Amtsgericht – Schiffahrtsgericht – Würzburg zu verweisen und gab Gelegenheit zur Stellungnahme.
Alle Verteidiger wendeten sich gegen die Verweisung des Verfahrens, da die gesetzlichen Voraussetzungen nicht vorlägen, regten an, das Verfahren wegen der sachlichen Unzuständigkeit des Amtsgerichts Gemünden am Main nach § 206 a StPO oder § 260 Abs. 3 StPO einzustellen.
Mit Verfügung vom 04.02.2010 beantragte die Staatsanwaltschaft Würzburg die Verweisung des Verfahrens an das Amtsgericht – Schiffahrtsgericht – Würzburg.
Mit Beschluss vom 16.02.2010 erklärte sich das Amtsgericht Gemünden am Main für sachlich und örtlich unzuständig und verwies das Verfahren an das Amtsgericht – Schiffahrtsgericht – Würzburg.
Auf die Begründung dieser Entscheidung wird verwiesen:
Entscheidung
Beschluss des Amtsgericht Gmünden am Main vom 16. Februar 2010, Aktenzeichen 5 Ds 912 Js 19910/08:
Gründe:
Nach §§ 1, 3 Abs. 3, 5 Abs. 1 i.V.m. 4 Abs. 1 S. 1 BinSchGerG i.V.m. § 35 Nr. 6 GZVJu ist das Amtsgericht Würzburg als Schifffahrtsgericht zur Entscheidung berufen, da es sich vorliegend um eine Binnenschifffahrtssache i.S.d. § 2 Abs. 3a BinSchGerG handelt.
Denn der Schwerpunkt der vorliegenden Strafsache liegt in der Verletzung von schifffahrtspolizeilichen Vorschriften (insbesondere der Gefahrgutverordnung Binnenschifffahrt (GGVBinSch) i.V.m. der Verordnung über die Beförderung gefährlicher Güter auf dem Rhein (ADNR)).
Eine Zuständigkeit des Amtsgerichts Gemünden a. Main – Strafrichter ist auf Grund der o.g. vorrangigen Regelung nicht gegeben. Die Zuständigkeit wurde von Verteidigerseite im Rahmen der Hauptverhandlung am 17.11.2009 vor der Vernehmung zur Sache ordnungsgemäß gerügt, woraufhin die Hauptverhandlung mit Beschluss vom 17.11.2009 ausgesetzt wurde. Die Staatsanwaltschaft (bei dem Schifffahrtsgericht) Würzburg erhielt ebenso wie die Angeklagten Gelegenheit zur Stellungnahme und trat der beabsichtigten Verweisung nicht entgegen. Die Verteidigerseite vertritt dagegen die Auffassung, dass lediglich eine Einstellung des Verfahrens nach §§ 16, 206a StPO auf Grund fehlender (örtlicher) Zuständigkeit in Betracht komme.
Das BinSchGerG regelt die sachliche Zuständigkeit bezüglich Binnenschifffahrtssachen abschließend. Dies ergibt sich bereits aus dem Sinn und Zweck des Gesetzes, eine umfassende Verfahrensregelung für die Spezialmaterie des Schifffahrtsrechts im Bereich der ordentlichen Gerichtsbarkeit zu schaffen, und wird in den von den allgemeinen strafprozessualen Verfahrensvorschriften abweichenden Regelungen (vgl. §§ 10, 11 BinSchGerG) deutlich. Erst der auf § 4 BinSchGerG gestützte § 35 GZVJu ist eine weitere, nun örtliche, Zuständigkeitsverschiebung, der durch § 2 Abs. 3a BinSchGerG bereits begründeten sachlichen Zuständigkeit.
Nach Aussetzung der bereits begonnenen Hauptverhandlung war das Verfahren daher gemäß § 225a Abs. 1, Abs. 4 StPO entsprechend an das zuständige Amtsgericht Würzburg – Schifffahrtsgericht zu verweisen (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 52. Aufl. 2009, § 225a StPO, Rn. 4 m.w.N.). Die (doppelt) analoge Anwendung des § 225a StPO ist im vorliegenden Fall auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BGH (vgl. BGH, Beschl. v. 27.02.1998, NStZ-RR 1998, 367; Beschl. v. 20.04.1993, NStZ 1993, 546 m.w.N.) geboten, da eine Verfahrenseinstellung wegen sachlicher Unzuständigkeit dem Strafverfahren fremd ist.
Fortsetzung 1. Entscheidung
Gegen den Beschluss legte der Verteidiger des Angeklagten A mit Schriftsatz vom 23.02.2010 der Verteidiger des Angeklagten E1 mit Schriftsatz vom 26.02.2010 und der Verteidiger der Angeklagten E2 mit Schriftsatz vom 01.03.2010 Beschwerde ein.
Das Amtsgericht Gemünden am Main half den Beschwerden mit Verfügung vom 10.03.2010 nicht ab.
Die Staatsanwaltschaft Würzburg beantragte am 12.03.2010 die Beschwerden gegen den Beschluss des Amtsgerichts Gemünden am Main vom 16.02.2010 als unzulässig zu verwerfen.
II.
1. Die Kammer ist mit dem Amtsgericht Gemünden am Main und allen Verteidigern der Auffassung, dass es sich bei dem Gegenstand der Anklage um eine Binnenschifffahrtssache im Sinne des § 2 Abs. 3 a BinSchGerG handelt und daher die sachliche Zuständigkeit des Amtsgerichts Würzburg als Schiffahrtsgericht gegeben ist (§§ 1, 3 Abs. 3, 5 Abs. 1 i.V.m. 4 Abs. 1 S. 1 BinSchGerG i.V.m. § 35Nr. 6 GZVJu).
2. Die sachliche Zuständigkeit des Gerichts ist eine von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung (§ 6 StPO), deren Fehlen ein Verfahrenshindernis, das zur Verfahrenseinstellung durch Beschluss (§ 206 a StPO) oder Urteil (§ 260 Abs. 3 StPO) führt, wenn die Unzuständigkeit des Gerichts nicht durch Verweisung des Rechtsstreits an das zuständige Gericht behoben werden kann.
Die Strafprozessordnung sieht die Verweisung eines Rechtsstreits an ein höheres Gericht (§§ 225 a, 270 StPO) vor, lässt die Verweisung an ein Gericht niederer Ordnung hingegen nicht zu (§ 269 StPO).
Das Amtsgericht – Strafrichter – und das Amtsgericht als Schiffahrtsgericht sind Gerichte mit gleicher Strafgewalt und daher Gerichte gleicher Ordnung.
Eine Verweisungsvorschrift von einem allgemeinen Gericht zu einem spezielleren Gericht gleicher Ordnung sieht die Strafprozessordnung lediglich in §§ 225 a Abs. 4 Satz 1 i.V.m. § 6 a StPO für den Fall vor, dass ein Rechtsstreit von einer allgemeinen Strafkammer des Landgerichts an eine besondere Strafkammer (§§ 74 Abs. 2, 74 a, 74 c GVG) verwiesen wird.
3. Der Anwendung des § 225 a StPO steht es dabei vorliegend nicht entgegen, dass die Verhandlung in dem Termin am 17.11.2009 bereits begonnen hatte. Denn nach der erfolgten Aussetzung des Verfahrens am 17.11.2009 ist wieder der Zustand »vor einer Hauptverhandlung« eingetreten (vgl. Karlsruher Kommentar zur StPO, 6. Auflage, 2008, Bearbeiter: Gmel, § 225 a Rn. 3 StPO, Meyer-Goßner, StPO, 52. Auflage, 2009, § 225 a Rn. 4). Das bringt § 225 a Abs. 1 S. 1 StPO grammatisch dadurch zum Ausdruck, dass die Abgabe vor Beginn »einer« Hauptverhandlung zugelassen wird (Begr. BT-Drucks 8/976 S. 48), nicht hingegen nur vor Beginn der ersten Hauptverhandlung (Karlsruher Kommentar zu StPO, a.a.O.).
Soweit § 225 a StPO lediglich die Verweisung an ein höheres Gericht vorsieht, steht der analogen Rechtsanwendung durch das Amtsgericht Gemünden am Main im Ergebnis nichts entgegen.
Die Analogie ist im Strafprozessrecht grundsätzlich dann zulässig (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 52. Auflage 2009, Einl. Rn. 198 m.w.N.), wenn der vom Gesetz geregelte Fall und der gesetzlich nicht geregelte Fall miteinander vergleichbar und hierbei so ähnlich sind, dass die Anwendung der Rechtsfolgen des gesetzlich geregelten Falles auf den gesetzlich nicht geregelten Fall unter dem Aspekt der Gleichbehandlung geboten erscheint.
Sämtlichen Verweisungsvorschriften der Strafprozessordnung liegt der Gedanken der Prozessökonomie und Verfahrensbeschleunigung zu Grunde: das Verfahren soll durch Verweisung an das zuständige Gericht zügiger fortgeführt werden als durch Verfahrenseinstellung und anschließende erneute Anklageerhebung (Meyer-Goßner, StPO, 52. Auflage 2009, § 270 Rn. 1). Vor diesem teleologischen Hintergrund ist der Unterschied unerheblich, ob die Verweisung wie in dem gesetzlich geregelten Fall der §§ 225 a, 270 StPO von einem Gericht niedrigerer Ordnung an ein Gericht höherer Ordnung erfolgt, oder von einem Gericht allgemeiner Zuständigkeit (Amtsgericht) an ein anderes Gericht besonderer Zuständigkeit (Schiffahrtsgericht) gleicher Ordnung. Das Verhältnis Amtsgericht – Schiffahrtsgericht ist hierbei dem Verhältnis der allgemeinen Strafkammer zur Besonderen im Sinne der §§ 613, 225 13 Abs. 4 StPO, §§ 74 Abs. 2, 74 13, 74 c GVG vergleichbar, die sich lediglich in der sachlichen Zuständigkeit unterscheiden, nicht hingegen in der Strafgewalt.
Damit bestehen gegen die analoge Anwendung des § 225 13 Abs. 1 StPO keine durchgreifenden Bedenken.
Dem in der angegriffenen Entscheidung zitierten Beschluss des Bundesgerichtshofs (2 ARs 37/98 v. 27.02.1998, NStz-RR 1998, 367 f.) lag zwar ein etwas anders gelagerter Sachverhalt zu Grunde, der Entscheidung kann jedoch immerhin entnommen werden, dass der Bundesgerichtshof im Falle einer Anklageerhebung an das Amtsgericht bei Zuständigkeit des Schiffahrtsgerichts ein Verfahrenshindernis im Sinne des §§ 206 13, 260 Abs 3 StPO nicht als gegeben angesehen hat. Dem entspricht die in der Kommentarliteratur geäußerte Auffassung (vgl. Karlsruher Kommentar zur StPO, 6. Auflage, 2008, Bearbeiter: Schneider, § 206 a Rn. 9 StPO, Meyer-Goßner, StPO, 52. Auflage, 2009, Einl. 154), wonach die sachliche Unzuständigkeit zwar ein Verfahrenshindernis darstellt, welches allerdings nach der Eröffnung (bis dahin gilt § 209 StPO) nicht zur Einstellung des Verfahrens nach § 206 a bzw. § 260 Abs. 3 StPO führt, sondern gem. §§ 225, 270 StPO zur Vorlegung bei dem für zuständig erachteten Gericht bzw. zur Verweisung an dieses.
Soweit sowohl die Staatsanwaltschaft in ihrem Antrag vom 04.02.2010 als auch das Amtsgericht Gemünden am Main in seinem Beschluss vom 16.02.2010 von »Verweisung« an das Schiffahrtsgericht sprechen, handelt es sich um eine so nicht zutreffende Terminologie. Richtigerweise sind die Akten dem für zuständig erachteten Gericht gern. § 225 a StPO »vorzulegen«. Dies ist jedoch im Ergebnis unschädlich, weil der angegriffene Beschluss in seinen Gründen sich auf die Vorschrift des § 225 a StPO stützt. Damit wird hinreichend deutlich, dass es sich um eine Abgabe i.S.d. § 225 a StPO und nicht um eine (bindende) Verweisung gem. § 270 StPO handelt.
Soweit die Beschwerdeführer anführen, dass ihnen durch die Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Gemünden am Main am 17.11.2009 gesonderte Kosten entstanden sind, die bei Anklageerhebung vor dem Schiffahrtsgericht nicht entstanden wären, weist die Kammer darauf hin, dass dies im Ergebnis der Vorlage des Verfahrens an das zuständige Gericht nicht entgegensteht. Die Kosten würden im Fall einer Verurteilung gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 GKG nicht erhoben werden, im Fall eines Freispruchs der Staatskasse zur Last fallen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 StPO.
3. Entscheidung
Beschluss des Schiffahrtsgerichtes Würzburg vom 27. September 2010, Aktenzeichen 161 Ds 912 Js 19910/08
Beschluss
Auf die Gegenvorstellung des Angeklagten wird Ziffer 2 des Beschlusses des Amtsgerichts Würzburg vom 12.08.2010 aufgehoben und wie folgt neu gefasst:
Die Kosten des Verfahrens trägt die Staatskasse. Der Angeklagte A hat seine notwendigen Auslagen mit Ausnahme der infolge der Verfahrensanhängigkeit beim Amtsgericht Gemünden am Main entstandenen notwendigen Auslagen (infolge erfolgloser Einlegung von Rechtsmitteln entstandene notwendige Auslagen des Angeklagten A von der Ausnahme nicht umfasst) selbst zu tragen.
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 2010 - Nr.12(Sammlung Seite 2111 ff.); ZfB 2010, 2111 ff.