Jurisprudentiedatabank
Leitsätze:
1) Wird eine Schiffsladung, über die ein Orderkonnossement ausgestellt ist, nicht durch Inbesitznahme desselben, sondern durch Pfändung des Herausgabeanspruchs gepfändet und gibt der Verfrachter daraufhin die Ladung an einen Gerichtsvollzieher heraus, dann ist eine solche Pfändung zwar fehlerhaft, aber nicht wirkungslos und nichtig.
2) Eine gerichtliche Herausgabeanordnung nach § 847 ZPO ist eine behördliche Anweisung. Der Verfrachter kann sich von Haftungsfolgen, die entstehen können, wenn er behördlichen Anweisungen nachkommt, in Allgemeinen Konnossementsbedingungen freizeichnen.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 21. Mai 1980
VIII ZR 284/79
(Landgericht Kiel; Oberlandesgericht Schleswig)
Zum Tatbestand:
Die Beklagte zu 1 hatte an die Fa. LSM in Tripoli Stahlknüppel verkauft, die am 19. 12. 1974 auf das Frachtschiff „B" der Beklagten zu 2 verladen wurden. Die Bezahlung erfolgte am 20. 12. 1974 bei der X-Bank in Düsseldorf durch ein von der Klägerin, einer Bank in Rom, auf Antrag der LSM gestelltes Akkreditiv in Höhe des Kaufpreises von ca. 5,5 Mill. DM Zug um Zug gegen Übergabe der üblichen Dokumente, u. a. eines blanco indossierten Orderkonnossements. Am gleichen Tage verhängte das Landgericht Kiel auf Antrag der Beklagten zu 1 gegen die LSM wegen angeblicher, nicht mit dem Kauf in Zusammenhang stehender Schadensersatzansprüche von etwa 4 Mill. DM einen dinglichen Arrest, aufgrund dessen der Rechtspfleger des Landgerichts am 27. Dezember 1974 einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluß erließ, durch den „der Anspruch" der LSM gegen die Beklagte zu 2 und den Kapitän der „B" auf Herausgabe der Ladung Stahlknüppel gepfändet und der Beklagten zu 1 überwiesen wurde. Der „Drittschuldner" wurde darin verpflichtet, die gepfändeten Güter an einen von der Beklagten zu 1 zu benennenden Gerichtsvollzieher herauszugeben, was der Kapitän nach Rückfrage bei der Beklagten zu 2 auch tat. Als die von der X-Bank übernommenen Dokumente am 30. 12. 1974 bei der Klägerin eingegangen waren, verweigerte die LSM die Bezahlung des für das Akkreditiv gewährten Kredits mit der Begründung, daß die Dokumente nicht mehr das Eigentum an den gepfändeten Gütern repräsentierten.
Die Klägerin behauptet, daß das ihr zur Sicherung des vorfinanzierten Akkreditivbetrages eingeräumte Pfandrecht an der durch das Konnossement belegten Ladung durch die Pfändung erloschen sei. Diese sei rechtswidrig von der Beklagten zu 1 veranlaßt worden, die gewußt habe, daß sich das Konnossement nicht in Händen der LSM befinde. Die Beklagte zu 2 habe zur Verletzung des Pfandrechts durch freiwillige Herausgabe der Ladung beigetragen. Die Klägerin könne jedenfalls vorzugsweise Befriedigung aus der Verwertung der Stahlknüppel fordern. Sie verlangt neben verschiedenen Hilfsanträgen in erster Linie die gesamtschuldnerische Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von 4,6 Mill. DM und zur Feststellung, daß auch der über diesen Betrag hinausgehende Schaden infolge der Anweisung zur freiwilligen Herausgabe der Ladung zu ersetzen sei.
Beide Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Soweit die Klage gegen die Beklagte zu 1 abgewiesen war, ist die Sache auf Revision der Klägerin zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen worden.
Aus den Entscheidungsgründen:
Bei Prüfung der Ansprüche gegen die Beklagte zu 1 unterstellt das Berufungsgericht, daß die Klägerin ein Pfandrecht an der durch die Dokumente beschriebenen Schiffsladung hatte. Es meint aber, die Klägerin habe keinen Schaden erlitten; denn die Zwangsvollstreckungsmaßnahmen seien rechtlich wirkungslos gewesen. Für eine wirksame Pfändung wäre es nämlich notwendig gewesen, daß der Gerichtsvollzieher das an Order lautende Konnossement nach den Regeln der Sachpfändung in Besitz genommen hätte (§§ 831, 808 Abs. 1 ZPO). Der durch das Konnossement verkörperte Herausgabeanspruch auf die Ladung habe nicht gesondert nach den Vorschriften der §§ 829 ff ZPO gepfändet werden können. [...]Die Pfändung eines Gutes, bei dem der Herausgabeanspruch gegen einen Dritten durch ein indossables kaufmännisches Orderpapier verkörpert wird, erfolgt durch körperliche Inbesitznahme des Papiers durch den Gerichtsvollzieher und Herausgabe des Gutes selbst an diesen (§§ 808, 831, 847 ZPO; Stein/Jonas, ZPO, 19. Aufl. § 831 Anm. 1 und III, 847 Anm. 11 1; Baumbach/Lauterbach, ZPO, 38. Aufl. § 831 Anm. 2 und § 847 Anm. 2 B und C; Zöller, ZPO, 12. Aufl. § 831 Anm. 1, 2 a; Thomas/Putzo, ZPO, 10. Aufl. § 831 Anm. 1). Eine Mitwirkung des Gerichts findet nur bei der Verwertung des Gutes, die nach §§ 835 ff ZPO zu erfolgen hat, statt. Daß die Pfändung hier fehlerhaft war, weil der Gerichtsvollzieher das Orderkonnossement, das den Herausgabeanspruch auf die Ladung verkörperte, nicht in Besitz genommen hat, ergibt sich aus dem Gesetz.
Nicht gefolgt werden kann der Meinung des Berufungsgerichts, ein Pfandrecht der Klägerin an der Ladung habe hier durch die Zwangsvollstreckungsmaßnahmen nicht beeinträchtigt werden können; denn die Zwangsvollstreckungsmaßnahmen seien wirkungslos und nichtig gewesen und hätten der Beklagten zu 1 kein Pfändungspfandrecht verschafft, weil ein wirksamer Pfändungsakt nicht vorgelegen habe.
a) Nach § 930 Abs. 1 ZPO ist für die Pfändung einer Forderung das Arrestgericht als Vollstreckungsgericht ausschließlich (§ 802 ZPO) zuständig. Das gilt auch für Pfändungen von Herausgabeansprüchen, die grundsätzlich nach §§ 846, 857 ZPO zu bewirken sind (Baumbach/Lauterbach aaO. § 930 Anm. 2 A). Arrestgericht und damit auch Vollstreckungsgericht war das Landgericht, und zwar dessen Rechtspfleger (§ 20 Nr. 16 RpfIG). Wäre kein Konnossement für die Ladung ausgestellt gewesen, dann wäre für die hier vom Rechtspfleger des Landgerichts angeordnete Pfändung des Herausgabeanspruchs dieser ausschließlich zuständig gewesen. Den hier unnötigen Pfändungsbeschluß hatte also ein für den Erlaß solcher Entscheidungen zuständiges Vollstreckungsorgan erlassen.
b) Unstreitig hat der Gerichtsvollzieher aufgrund des zu Unrecht ergangenen Pfändungsbeschlusses und der nach § 847 Abs. 1 ZPO erfolgten Herausgabe der Ladung durch die Beklagte zu 2 Besitz an der Ladung erlangt. Da bei der Pfändung § 831 ZPO nicht beachtet wurde, ist diese fehlerhaft; unwirksam, nichtig und gänzlich wirkungslos, wie das Berufungsgericht ausführt, ist sie nicht; denn der Gerichtsvollzieher hätte auch noch später das Konnossement in Besitz nehmen können, womit der Mangel der Pfändung behoben worden wäre (vgl. BGHZ 66, 79, 82). Eine von einem zuständigen Vollstreckungsorgan in den Grenzen seiner Amtsbefugnisse vorgenommene Vollstreckungshandlung ist als staatlicher Hoheitsakt grundsätzlich wirksam, auch wenn die Vollstreckungshandlung bei richtiger Sachbehandlung hätte unterbleiben müssen. Ihre Fehlerhaftigkeit führt lediglich dazu, daß sie auf entsprechenden Rechtsbehelf oder von Amts wegen wieder aufzuheben ist (BGHZ 30, 173, 175; BGH Urteil vom 6. April 1979 - V ZR 216/77 = WM 1979, 730, 731 m. w. Nachw.; Baumbach/Lauterbach aa0. Grundzüge vor § 704 Anm. 8B). Solange die Fehlerhaftigkeit nicht durch die dafür zuständige Stelle festgestellt ist, müssen die in Vollmacht und im Namen des Staates getroffenen Entscheidungen beachtet und befolgt werden (BGHZ 66, 79, 81). [...] Diese Pfändung, die wegen der Herausgabebereitschaft (§ 809 ZPO) des Kapitäns der Beklagten zu 2 zum Erfolg führte, war also fehlerhaft, aber nicht unwirksam und nichtig. Soweit in der Literatur bei der Pfändung von Forderungen aus indossablen Papieren die Meinung vertreten wird, ein entgegen § 831 ZPO ergangener Pfändungsbeschluß sei wirkungslos (Baumbach/Lauterbach; Stein/Jonas; Thomas/Putzo aaO.; Zöller aaO., sämtliche zu § 831), vermag dem der Senat jedenfalls für den Fall nicht zu folgen, daß die fehlerhafte Pfändung zum Erfolg führt und eine Pfändungsverstrickung am Gut - wie hier - eintritt. [...]
In diesem Zusammenhang hat das Berufungsgericht festgestellt, daß in dem fehlerhaften Pfändungsbeschluß eine im Arrestverfahren an sich unzulässige Oberweisung des Herausgabeanspruchs an die Beklagte zu 1 zur Einziehung ausgesprochen war und damit ein erster Schritt zur Verwertung der Pfandsachen vollzogen war, weshalb ein Pfandgläubiger seine Rechte aus § 805 ZPO geltend machen könne. Das ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
c) Daß ein - im Revisionsverfahren entsprechend den Feststellungen des Berufungsgerichts zu unterstellendes - Pfandrecht der Klägerin an der streitigen Ladung ein „sonstiges Recht" im Sinne von § 823 Abs. 1 BGB ist, dessen Verletzung oder Gefährdung Schadensersatzansprüche auslösen kann, ist in der Rechtsprechung anerkannt (Senatsurteil vom 31. Mai 1965 - VIII ZR 302/63 = WM 1965, 700, 704; RGZ 98, 345, 346; 119, 265, 267). Eine Beeinträchtigung des vom Berufungsgericht unterstellten Pfandrechts der Klägerin ist hier auch in rechtswidriger Weise erfolgt; denn die Klägerin hatte ein „die Veräußerung hinderndes Recht an dem Gegenstand der Zwangsvollstreckung" (§ 771 ZPO), weil sie im Besitz des die Ladung verkörpernden Orderkonnossements war (vgl. BGHZ 55, 20, 26; 58, 207, 213; Senatsurteil vom 8. Dezember 1976 - VIII ZR 108/75 = WM 1977, 76, 77 = NJW 1977, 384, 385). Dieses Recht, die Herausgabe der Ladung als Besitzerin des Konnossements verlangen zu können, hat sie verloren. Hinsichtlich der subjektiven Voraussetzungen einer solchen Schadensersatzpflicht der Beklagten zu 1 ist zu berücksichtigen, daß ihr die Ausstellung des Konnossements über die streitige Ladung bekannt war, weil sie selbst als Abladerin das Konnossement erhalten und dieses mit ihrem Blanko-Indossament der als Korrespondenzbank tätigen X-Bank zwecks Einlösung des Akkreditivs der Klägerin übergeben hatte. Die Klägerin hat als Schaden geltend gemacht, daß sie nicht dazu imstande war, die streitige Ladung - ihr Pfandrecht hieran wiederum mit dem Berufungsgericht unterstellt - nach Belieben zu verwerten, nachdem die LSM den bei ihr für die Akkreditivgestellung in Anspruch genommenen Kredit nicht zurückbezahlt hat. Das Berufungsgericht hat hierzu Feststellungen nicht getroffen. Das wird es nachzuholen haben. [...] Ansprüche gegen die Beklagte zu 2 hat das Berufungsgericht verneint, weil diese, bzw. den Kapitän des Schiffes „B", kein Verschulden treffe. [...] Trotz der §§ 648, 653 BGB habe die Herausgabe der Ladung für die Beklagte zu 2 unbedenklich sein können, weil sie entsprechend dem staatlichen Befehl an einen Gerichtsvollzieher und nicht an eine andere Person erfolgt sei. Dies sei auch durch Nr. 16 der Konnossementsbedingungen der Beklagten zu 2 gedeckt gewesen. [...]
Nach Nr. 16 ihrer Konnossementsbedingungen waren der Kapitän und der Verfrachter, die Beklagte zu 2 also, berechtigt, alle Befehle, Anweisungen oder Empfehlungen in Verbindung mit der Beförderung nach diesem Vertrage zu befolgen, welche von einer Regierung, Behörde oder irgend einer Person gegeben werden, die für diese Regierung oder Behörde tätig wird oder vorgibt tätig zu sein. Entgegen der Meinung der Revision ist auch eine von einem staatlichen Gericht erlassene Herausgabeanordnung nach § 847 ZPO ein Befehl oder eine Anweisung einer Behörde im Sinne der Konnossementsbedingungen, die vom Gerichtsvollzieher präsentiert wurde. Selbst wenn die Beklagte zu 2 erkannt hätte, daß die Herausgabeanordnung nicht unmittelbar gegen sie durchgesetzt werden konnte, weil hierzu erst ein weiterer Titel gegen sie notwendig gewesen wäre (Baumbach/Lauterbach aaO. § 847 Anm. 2 C; Thomas/Putzo aaO. § 847 Anm. 2 b), dann bestand doch für sie die unmittelbare Gefahr, daß auch gegen sie eine einstweilige Verfügung wegen des für die Beklagte zu 1 gepfändeten Herausgabeanspruchs ergehen konnte. Bei dieser Sachlage hat das Berufungsgericht mit Recht ein schuldhaftes Verhalten der Beklagten zu 2 bei der (freiwilligen) Herausgabe der Ladung an den Gerichtsvollzieher verneint.“