Jurisprudentiedatabank
Leitsätze:
1) Für den Beweis des ersten Anscheins einer schuldhaftverursachten Kollision ist kein Raum, wenn ein auf Verschulden hindeutender Geschehensablauf unstreitig nicht feststeht.
2) Auch eine vorübergehend zu anderen Arbeiten eingesetzte „Pontonfähre" kann ein Schiff i.S.v. § 118 BinSchG sein.
Urteil des Oberlandesgerichts (Rheinschiffahrtsobergerichts) Karlsruhe
vom 23.4.1991
U6/90 RhSch
(Rheinschiffahrtsgericht Mannheim)
Zum Tatbestand:
Die Klägerin ist Eigentümerin einer „12Tonnen-Pontonfähre", die zum Gerätebestand ihrer nicht rechtsfähigen Anstalt „T" gehört. Es handelt sich um ein auf dem Landwege zum Einsatzort transportierbares Gerät, das im Bedarfsfall aus vier sogenannten Leichtmetall-Halbpontons und zwei zerlegbaren Stahlträgern sowie weiteren Bauteilen zusammengesetzt wird und, angetrieben mit Außenbordmotoren, zum Fährverkehr eingesetzt werden kann. Dieses Gerät wurde im Zuge des Neubaus der Diffené-Brücke im Mannheimer Industriehafen als Arbeitsplattform eingesetzt, von der aus über ein täglich auf- und abgebautes Gerüst Anstricharbeiten an der Brücke ausgeführt wurden.
Am 3.12.1987 lag das Gerät - vom Industriehafen aus gesehen - am linken Rand der Durchfahrtsöffnung der zu diesem Zeitpunkt für den Schiffsverkehr mit Ausnahme des Baustellenverkehrs gesperrten Brücke vertäut. Am rechten Ufer lag, etwas mehr in Richtung des Industriehafens, der Kabelleger „Barbara" der Firma „R". Vom Heck des Kabellegers aus war ein schräg über die gesamte Brückenöffnung verlaufender Draht zu einem im Altrhein auf der gegenüberliegenden Seite stehenden Dalben ausgebracht, der durchgeholt war. Im Bereich der Durchfahrtsöffnung der Brücke verlief der Draht unter Wasser.
Am Unfalltag beabsichtigte der Beklagte 2 als Schiffsführer des zu Bauarbeiten im Brückenbereich eingesetzten Kranschiffes „Glück Auf", dessen Eignerin, zumindest Ausrüsterin, die Beklagte 1 ist, die Brückenöffnung zu passieren. Bevor der Beklagte 2 die Durchfahrt vornahm, begab er sich an Bord von „Barbara", um sich zu erkundigen, ob Drähte von diesem Fahrzeug aus über die Durchfahrtsöffnung gespannt seien. Seine Frage wurde vom Gesamtbaustellenleiter verneint. Nachfolgend fuhr der Beklagte 2 mit dem Kranschiff „Glück Auf" an „Barbara" vorbei, verfing sich in der Brückenöffnung an dem dort unter Wasser verlaufenden Draht und stieß mit dem Gerät der Klägerin zusammen, das dadurch beschädigt wurde.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat die Schadensersatzklage abgewiesen. Die Berufung hatte keinen Erfolg. Die Revision wurde nicht angenommen.
Aus den Entscheidungsgründen:
„ .. der Sachvortrag der Klägerin erlaubt es nicht, von einem für den Schadenseintritt ursächlich gewordenen Fehlverhalten des Beklagten 2 auszugehen. Zwar entspricht es der Rechtssprechung, daß in den Fällen, in denen ein in Bewegung befindliches Schiff gegen einen Stillieger gerät, regelmäßig der Beweis des ersten Anscheins dafür spricht, daß die Führung dieses Schiffes die Kollision verschuldet hat (BGH, Versicherungsrecht 1982, 491). Für die Anwendung dieser Regel ist jedoch dann kein Raum, wenn ein nicht auf ein Verschulden der Schiffsführung des fahrenden Schiffes hindeutender Geschehensablauf feststeht, wie dies hier unstreitig der Fall war.
So hatte der Beklagte 2 zum Durchfahren der ca. 26 m breiten Brückenöffnung, in der - von seinem Fahrzeug aus gesehen - an Backbordseite die ca. 8,8 m breite „Pontonfähre" lag, mit seinem ca. 6 m breiten Fahrzeug einen Kurs gewählt und gehalten, bei dem ein Ankommen gegen das Gerät der Klägerin ausgeschlossen war. Den ... Akten der Staatsanwaltschaft Mannheim ist zu entnehmen, daß der Beklagte 2 mit seinem Fahrzeug etwa die Mitte des vorhandenen Freiraumes der Brückenöffnung angehalten hat, . . . Unstreitig geriet der Beklagte 2 dann jedoch im Zuge der Durchfahrt durch die Brückenöffnung mit seinem Fahrzeug gegen den von „Barbara" ausgebrachten, quer über die gesamte Brückenöffnung gespannten und dort unter der Wasseroberfläche befindlichen Draht, wodurch sein Fahrzeug infolge des Vorausganges nach backbord versetzt wurde und gegen die „Pontonfähre" anstieß.
Mit diesem quer durch die Durchfahrtsöffnung der Brücke gespannten und unter der Wasseroberfläche verlaufenden Draht mußte der Beklagte 2 bei der Vorbeifahrt jedoch nicht rechnen. Er hat sich vor Durchführung der Brückenpassage in gebotener Weise danach erkundigt, ob das Durchfahren der Brückenöffnung möglich sei, insbesondere ob die Durchfahrtsöffnung frei von ausgebrachten Drähten oder Leinen war. Unstreitig hat er nicht nur die Mitarbeiter der auf der Pontonfähre tätigen Malerfirma gefragt, sondern auch den Bauleiter der Firma „R", der an Bord von „Barbara" stand, unter Hinweis auf die beabsichtigte Durchfahrt befragt, ob von diesem Fahrzeug ausgehende Drähte gespannt seien.
Diese Frage wurde von (dem Bauleiter) verneint, der ... davon ausgegangen war, daß der ihm unterstellte Schiffsführer des Kabellegers entsprechend einer ihm erteilten Weisung den Draht um den Brückenpfeiler gespart hatte, was jedoch nicht der Fall war.
Der Senat vermag die Ansicht der Klägerin nicht zu teilen, daß der Beklagte 2 auf diese vom Bauleiter der Firma „R" erteilte Auskunft nicht hat vertrauen dürfen, sondern Erkundigungen bei dem ihm unterstellten Schiffsführer hätte einholen müssen. Eine solche Rückfrage wäre allenfalls für den Bauleiter geboten gewesen. Auf die Auskunft des Verantwortlichen der Firma ,,R’ an deren Baustelle konnte der Beklagte vertrauen, zumindest kann dies dem Beklagten 2 nicht zu einem Verschulden gereichen .. .
Soweit die Klägerin meint, den Beklagten 2 treffe ein Verschulden an der Anfahrung weil er nach der ersten Drahtberührung nicht sofort seine Fahrt unterbrochen und zurückgeschlagen habe, sondern sich durch die eigene Fortbewegung des Schiffes vor dem Draht in Richtung auf die Arbeitsplattform habe ziehen lassen, ist ihr Vorwurf nicht nachvollziehbar . . . Hiernach ist der Sachvortrag der Klägerin nicht geeignet, das für eine Schadensersatzverpflichtung der Beklagten erforderliche Verschulden des Beklagten 2 zu begründen, so daß schon deshalb die Klage abzuweisen war.
Es kam deshalb auf die weitere Frage, ob die Verjährungseinrede gegenüber dem geltend gemachten, aber unschlüssigen Schadensersatzanspruch durchgreifen würde, nicht entscheidend an, wenngleich der Senat die Auffassung des Rheinschiffahrtsgerichts, es habe sich bei der vorübergehend zu Malerarbeiten eingesetzten Pontonfähre um kein Schiff im Sinne des § 118 BSchG gehandelt, nicht zu teilen vermag.
Unter einem Schiff wird im Rechtssinne je des schwimmfähige, mit einem Hohlraum versehene Fahrzeug von nicht ganz unbedeutender Größe verstanden, dessen Zweckbestimmung es mit sich bringt, daß es auf dem Wasser bewegt wird (BGH, NJ11 1952, 1135). Dabei wird zur Abgrenzung üblicherweise noch auf die Fähigkeit und Bestimmung, Personen oder Sachen zu tragen, abgehoben. Ein nur vorübergehender Verlust einzelner Merkmale des Schiffsbegriffs berührt dabei die Schiffseigenschaft nicht wie beispielsweise die zeitweilige Außerdienststellung oder vorübergehende Verwendung als Hotel- oder Lagerschiff (vgl Prüßmann/Rabe, Seehandelsrecht, 2 Aufl., 1983, S. 14).
Berücksichtigt man, daß es sich bei den aus vier mittels zwei Stahlträgern miteinander verbundenen, als Halbpontons bezeichne ten Leichtmetall-Nachen mit einer Länge von je 8,8 m um einen Schwimmkörper vor nicht unbedeutender Größe handelt, des mit seinen weiteren Teilen aufgrund seiner Zweckbestimmung als Fähre zur Beförderung von Personen oder Sachen bestimmt ist, was es zwangsläufig mit sich bringt, daß die ..12-Tonnen-Pontonfähre" auf dem Wasser durch die dazu gehörenden Außenbordmotoren bewegt wird, so handelt es sich bei der Pontonfähre um ein Schiff im Rechtssinne. Dem steht auch nicht entgegen, daß die Pontonfähre außerhalb der Einsatzzeiten in die Bestandteile zerlegt und an Land gelagert wird, wie dies auch bei Sportjachten oder anderen Kleinfahrzeugen nicht selten der Fall ist. Daß hier die Pontonfähre vorübergehend zu einem anderen Zweck, nämlich als Arbeitsplattform für Malerarbeiten, eingesetzt wurde, berührt die Schiffseigenschaft nicht.
Deshalb hat es sich bei der stattgefundenen Kollision um einen Zusammenstoß von Binnenschiffen im Sinne von § 92 Abs. 1 BSchG gehandelt. Die nunmehr gültige Fassung des § 92 BSchG, in der im Abs. 3 ausdrücklich erwähnt wird, daß als Schiffe im Sinne des Abs. 1 auch Kleinfahrzeuge anzusehen sind und daß den Schiffen bewegliche Teile von Schiffsbrücken gleichstehen, geht auf das ratifizierte Übereinkommen zur Vereinheitlichung einzelner Regeln über den Zusammenstoß von Binnenschiffen vom 15.3.1960 zurück. Die in Art. 1 Abs. 4 des Übereinkommens enthaltene Definition der Bezeichnung „Schiff" im Sinne des Übereinkommens hat der Gesetzgeber zwar bei der Neufassung des § 92 BSchG nicht wörtlich übernommen. Hierzu bestand, wie die Denkschrift zu dem Übereinkommen (BTDrucks. VI/2432, S. 14) zeigt, kein Anlaß, weil die in dem Übereinkommen enthaltene Begriffsbestimmung mit Ausnahme der angeführten Kleinfahrzeuge und beweglichen Teile von Schiffsbrücken nur das umfaßte, was schon bisher im deutschen Recht unter einem Schiff verstanden wurde. Dabei wird ausdrücklich hervorgehoben, daß das Übereinkommen keine Anwendung findet auf Zusammenstöße von Schiffen mit festen Anlagen. Dementsprechend wird auch in der Begründung zu dem Entwurf des Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 15.3.1960 zur Vereinheitlichung einzelner Regeln über den Zusammenstoß von Binnenschiffen sowie zur Änderung des Binnenschifffahrtsgesetzes und des Flößereigesetzes (BT-Drucks. VI/2432, S. 4) zur vorgeschlagenen Neufassung des § 92 Abs. 3 ausgeführt, daß die Erstreckung auf Kleinfahrzeuge und bewegliche Teile von Schiffsbrücken zur Ausführung von Art. 1 Abs. 4 des Übereinkommens erforderlich war, da nach dem gegenwärtigen Rechtszustand die Vorschriften des Binnenschiffahrtsgesetzes auf Kleinfahrzeuge sowie auf Schiffsbrücken nicht angewendet werden. Durch diese Vorschrift wurde mithin nur klargestellt, daß in Vollzug des Übereinkommens nun auch die bisher nicht vom Schiffsbegriff im Sinne des Binnenschiffahrtsgesetzes umfaßten Kleinfahrzeuge erfaßt und diesen auch die beweglichen Teile von Schiffsbrücken gleichgestellt werden sollen.
Demnach gilt für die Verjährung der von der Klägerin verfolgten Ersatzansprüche § 118 Abs. 1 BSchG, wonach Verjährung mit Ablauf von zwei Jahren seit dem Ereignis eintritt .. ."
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1992- Nr.14 (Sammlung Seite 1382 f.); ZfB 1992, 1382 f.