Jurisprudentiedatabank
Leitsatz:
Zur Verkehrssicherungspflicht eines Hafenbetriebes für den Zustand einer Kaimauertreppe.
Urteil des Oberlandesgerichts (Schiffahrtsobergerichts) Karlsruhe
vom 10.11.1992
U 6/92 BSch
(Schiffahrtsgericht Mannheim)
Zum Tatbestand:
Die Klägerin ist eine niederländische Krankenversicherungsgesellschaft. Bei ihr ist der Schiffer D. von MS „A" krankenversichert. Die Beklagte verwaltet in L. die Rheinhäfen, darunter auch den Stromhafen zwischen Rhein-km 419,7 und 431,8.
Die Klägerin macht auf sie übergegangene, auf Verletzung der Verkehrssicherungspflicht gestützte Schadensersatzansprüche ihres Versicherungsnehmers D. aus einem Sturz auf einer Kaimauertreppe bei Rheinkm 425,7 geltend.
Am 18.2.1989 gegen 12.45 Uhr wollte der Versicherungsnehmer der Klägerin diese Kaimauertreppe herabsteigen, um zu seinem Schiff zu gelangen. Er trug in der Hand einen Blumenstrauß. Es regnete leicht. Auf der Treppe kam er zu Fall und stürzte seitlich von der zur Wasserseite hin ungesicherten Treppe hinab. Dort blieb er verletzt auf der Kaimauer liegen.
Die Klägerin hat im ersten Rechtszug behauptet, auf den Treppenstufen habe sich noch Schlamm vom letzten Hochwasser befunden. Dies habe ihr Versicherungsnehmer nicht erkennen können. Nachdem er etwa drei bis vier Treppenstufen herabgestiegen sei, sei er ausgerutscht. Am Treppengeländer habe er sich nicht festhalten können, da dieses so eng mit der Kaimauer verbunden gewesen sei, daß man es mit den Fingern nicht habe umfassen können. Der Zustand der Stufen und des Treppengeländers seien nicht ordnungsgemäß gewesen.
Die Beklagte hat bestritten, daß sich Schlamm auf den Treppenstufen befunden habe. Die Treppenanlage sei auch ordnungsgemäß und regelmäßig überwacht gewesen. Der Handlauf habe lediglich an zwei Stellen von ca. 30 cm Länge, die unterhalb der behaupteten Absturzstelle gelegen seien, nicht vollständig umfaßt werden können. Das Schiffahrtsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung hatte keinen Erfolg.
Aus den Entscheidungsgründen:
„.......2. Für Wasserstraßen und Hafenanlagen gilt wie für Wege und Plätze der Grundsatz, daß derjenige, der dort einen Verkehr eröffnet hat oder andauern läßt, nach § 823 BGB für eine Gefahrenlage verantwortlich ist, die bei ordnungswidrigem Zustand der Verkehrsanlage entsteht. Er hat dafür zu sorgen, daß sich die Anlage in verkehrssicherem Zustand befindet und er haftet für Schäden, die einem Benutzer der Anlage aus deren ordnungswidriger Beschaffenheit entstehen, wenn er es aus Mangel an der von ihm im Verkehr zu erfordernden Sorgfalt verabsäumt hat, die Gefahrenquelle zu beheben (BGH VersR 1961, 218 f; OLG Karlsruhe - Rheinschiffahrtsobergericht - Urteil vom 13.10.1992 - U 7/92 RhSch -).
a) Die beklagte Gesellschaft, die die Rheinhäfen betreibt, trifft damit die Verkehrssicherungspflicht hinsichtlich der Unfallstelle, der Kaimauertreppe bei Rhein-km 425,7.
b) Inhalt der Verkehrssicherungspflicht ist es, daß jeder, der im Verkehr eine Gefahrenquelle schafft oder unterhält, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zum Schutze anderer zu treffen hat. In Rechtsprechung und Schrifttum besteht jedoch Einigkeit darüber, daß die Verkehrssicherungspflicht nicht mißverstanden werden darf als Pflicht zur völligen Gefahrloshaltung der Verkehrswege. Es ist unzulässig, allein daraus, daß die Beschaffenheit des Verkehrsweges einen Unfall u. U. mitverursacht hat, eine Haftung wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht herzuleiten. Vielmehr findet diese Pflicht dort ihre Grenze, wo die Vermeidung der Gefahr von Verkehrsteilnehmern selbst erwartet werden kann. Der Sicherungspflichtige kann sich grundsätzlich auf den sorgfältigen, aufmerksamen Benutzer von Anlagen einstellen (Rheinschiffahrtsobergericht aaO).
c) Gemessen an diesen Grundsätzen ist eine schuldhafte Verletzung der Verkehrssicherungspflicht der Beklagten vorliegend nicht festzustellen.
Bei der Beurteilung der Verkehrssicherheit einer Treppe in einer Hafenanlage, insbesondere an einer Kaimauer, ist zu berücksichtigen, daß die Verkehrserwartung eine völlig andere ist als gegenüber Treppenanlagen an Stellen, die der Allgemeinheit öffentlich zugänglich sind. Die Art der Benutzung durch einen eingegrenzten Benutzerkreis und die Witterungsverhältnisse führen regelmäßig zu einem stärkeren Verschleiß von Kaitreppenanlagen. Ihre Funktion bedingt häufig, daß die Treppen zur Wasserseite hin kein Geländer führen, um ein etwaiges Anlegen oder den Transport von Lasten zu ermöglichen. Der Zustand der Treppe sowie des Geländers, wie aus den Lichtbildern ersichtlich ist, führt zu keiner Haftung wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht. Denn eine besondere Verkehrssicherungspflicht beginnt erst dort, wo auch für einen aufmerksamen Benutzer eine Gefahrenlage entweder völlig überraschend eintritt oder nicht ohne weiteres erkennbar ist (vgl. BGH VersR 1980, 946; OLG Düsseldorf VersR 1992, 1150).
Dabei hat das Amtsgericht zu Recht offen gelassen, ob der Handlauf, soweit er an zwei Stellen jeweils etwa 30 cm lang an die Kaimauer gedrückt war und dort nicht vollständig mit der Hand umfaßt werden konnte, ebenfalls in vollem Umfange den Verkehrsanforderungen entsprach; denn daß gerade diese Stellen unfallursächlich wurden, steht auch zur Überzeugung des Senates nicht fest. Der Sturz auf einer Treppe begründet keinen Anscheinsbeweis für den verkehrswidrigen Zustand (vgl. Kuntz in Wussow. Unfallhaftungspflichtrecht 13. Aufl. T2 219; OLG Karlsruhe VersR 1956, 2281 Auch gibt es keinen Erfahrungssatz des Inhaltes, daß ein Betroffener, der auf einer Treppe beim Hinabsteigen stürzt, den Sturz ungeachtet der ihn auslösenden Umstände mit Hilfe eines Treppengeländers hätte ab. fangen oder entscheidend mildern können (BGH VersR 1974, 263). Ein Anscheinsbeweis würde jedenfalls die Feststellung voraussetzen, an welcher Stelle sich der Verunglückte befand, als er stürzte und welche Reaktionsmöglichkeiten für ihn bestanden (BGH VersR 1986, 916; OLG Köln VersR 1992, 512). Eine solche Feststellung ist aber im vorliegenden Falle nicht möglich. Der Versicherungsnehmer der Klägerin, der als einziger als Zeuge Angaben zum Unfallhergang machen konnte, hat bekundet, er habe den Handlauf zuvor nicht angefaßt; erst als er zu Fall gekommen sei, habe er versucht. nach ihm zu greifen. Die Stelle, an der er gestürzt ist, könne er nicht angeben, er konnte auch nicht sagen, ob das noch auf der Steintreppe oder bereits auf der Eisentreppe gewesen ist.
d) Selbst wenn man jedoch hinsichtlich dieser beiden Stellen des Handlaufes mit dem Kläger eine schuldhafte Verletzung der Verkehrssicherungspflicht annehmen würde, so wäre ein etwaiges Verschulden der Beklag ten im Vergleich zu dem Verschulden des Vesicherungsnehmers der Klägerin, das die sie sich anrechnen lassen muß, doch so gering, daß es bei der Haftungsabwägung nach § 254 BGB völlig zurücktritt. Denn angesichts der Tatsachen, daß dem Versicherungsnehmer der Klägerin der Zustand der Treppe dadurch bekannt war, daß er diene in den ein oder zwei Tagen, seit denen sein Schiff im Hafen lag, mehrfach benutzt hatte und es sich um einen erwachsenen Mann handelte, der in der rechten Hand etwas trug, war dieser verpflichtet, die Treppe sr sorgfältig zu benutzen, daß er auf ihr nicht zu Fall kam. Dazu hätte er die Stufen beoachten und, soweit erforderlich, vorbeugend mit seiner Hand am Handlauf entlarv; die Treppe herabgehen müssen. Dies gilt um so mehr, als die Gesamthöhe der Treppe immerhin ca. 4 m betrug. Als Schiffer war., dem Versicherungsnehmer der Klägerin auch bekannt, daß Treppen in Hafenanlagen häufig bei weitem nicht den Sicherheitsstandard aufweisen, der Treppen in anderen - der Öffentlichkeit zugänglichen - Anlagen eigen ist. Soweit ersichtlich bestehen auch keine rechtsverbindlichen Normen für die Ausgestaltung, sondern lediglich ein aus dem Jahre 1976 stammender „Vorentwurf" der Binnenschiffahrts-Berufsgenossenschaft für Richtlinien über Liegeplätze für Wasserfahrzeuge (vgl. beigezogene Ermittungsakte AS. 7 ff.). Die Empfehlungen des Arbeitsausschusses Ufereinfassungen .EAU - 1985" enthalten Richtlinien lediglich für die Anordnung und Ausbildung von Treppen in Seehäfen; entsprechende Normen für Hafenanlagen der Binnenschifffahrtsstraßen gibt es - soweit ersichtlich - nicht.
Dem Versicherungsnehmer der Klägerin war sicherlich - ebenso wie dem Senat - auch bekannt, daß zahlreiche Treppen in steilen Hafenböschungen und Kaianlagen
teilweise überhaupt nicht mit einem Geländer ausgerüstet sind; ferner war ihm sicher bekannt, daß die Rutschgefahr auf Treppen bei Nässe besonders hoch ist.
3. Es kann offenbleiben, ob zwischen dem Versicherungsnehmer der Klägerin und der Beklagten ein privatrechtliches Vertragsverhältnis über die Benutzung des Rheinhafens der Beklagten bestanden hat. Ein solches Verhältnis hätte ohne besondere Absprache - die unstreitig nicht erfolgt ist - keine weitergehenden Pflichten der Beklagten für die Sicherheit des Versicherungsnehmers der Klägerin bei der Benutzung des Hafens begründet, als ihr dies bereits aufgrund ihrer allgemeinen Verkehrssicherungspflicht oblegen hat. Auch stünde die Klägerin in einem solchen Falle beweismäßig nicht besser als hinsichtlich des geltend gemachten Anspruches wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht (vgl. BGH LM Nr. 118 zu § 823 BGB)....“
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1993- Nr.12 (Sammlung Seite 1425 f.); ZfB 1993, 1425 f.