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Leitsätze:
1) Werden nach einem Schiffsunfall wechselseitige Ansprüche in zwei selbständigen Parallel-Verfahren verfolgt und ist nur eines der in diesen Verfahren ergehenden Berufungsurteile revisibel, während das andere in Rechtskraft erwächst, so stellt jenes, wenn es in der Revision aufgehoben wird, kein Urteil i.S.d. § 580 Nr. 6 ZPO dar, auf welches das nicht revisible Urteil „gegründet" ist.
2) Denn erforderlich ist eine Kausalität der aufgehobenen für die mit der Restitutionsklage angegriffene Entscheidung.
Urteil des Oberlandesgerichts (Rheinschiffahrtsobergerichts) Karlsruhe
vom 07. 09. 1993
U 1/93 RhSch
(rechtskräftig)
(Rheinschiffahrtsgericht Mannheim)
Zum Tatbestand:
Der Restitutionsklage geht ein Vorprozeß beim Rheinschiffahrtsgericht Mannheim und dem Rheinschiffahrtsobergericht Karlsruhe voraus, in welchem die Klage der jetzigen Beklagten in der Berufungsinstanz dem Grunde nach in vollem Umfange für gerechtfertigt erklärt wurde. Dieses Senatsurteil vom 25. 06. 1991 ist rechtskräftig, da eine Revision mangels Erreichens der notwendigen Beschwerde gemäß § 546 ZPO nicht zulässig war.
Damals war ein Parallelverfahren umgekehrten Betreffs beim Rheinschiffahrtsobergericht anhängig. Beide Verfahren betrafen denselben Schiffsunfall und abgesehen von der Vertretung durch ihre Versicherer dieselben Prozeßparteien. In beiden Verfahren wurde zu demselben Zeitpunkt verhandelt und entschieden: Mit Senatsurteil vom 25. 06. 1991 wurde die Klage in jenem Verfahren abgewiesen. Hiergegen hat die Klägerin Revision eingelegt. Mit Urteil des Bundesgerichtshofs vom 09. 11. 1992 wurde das Senatsurteil vom 25. 06. 1991 aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (auch über die Kosten des Revisionsverfahrens) an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Die Klägerin ist der Auffassung, der Restitutionsgrund des § 580 Nr. 6 ZPO sei gegeben: Ein anderweitiges rechtskräftiges Urteil sei durch das Revisionsurteil aufgehoben.
Aus den Entscheidungsgründen:
„Die Restitutionsklage war gemäß § 589 Abs. 1 Satz 2 ZPO als unzulässig zu verwerfen.
1. Die Klagefrist des § 586 Abs. 1 ZPO ist eingehalten. Der Kläger hat glaubhaft gemacht, daß sein Prozeßbevollmächtigter des Revisionsverfahrens am 18. 12. 1992 Kenntnis vom BGH-Urteil vom 09. 11. 1992 erhielt. Die Restitutionsklage ging beim Rheinschiffahrtsobergericht am 14. 01. 1993 ein. Sie enthält auch alle wesentlichen Erfordernisse gemäß § 587 ZPO.
2. Die Klage ist jedoch unzulässig, da sie keinen schlüssigen Vortrag eines Wiederaufnahmegrundes enthält. Die schlüssige Behauptung eines derartigen Anfechtungsgrundes gehört jedoch zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Restitutionsklage (KG OLGZ 69, 114, 121 m.w.N.).
Entgegen der Auffassung des Restitutionsklägers stellt das Senatsurteil vom 25. 06. 1991 in der Parallelsache, welches durch Revisionsurteil des Bundesgerichtshofs vom 09. 11. 1992 aufgehoben wurde, kein Urteil i.S.d. § 580 Nr. 6 ZPO dar, „auf welches" das Senatsurteil vom 25. 06. 1991 „gegründet ist". Zwischen beiden Senatsurteilen besteht kein „präjudizielles Verhältnis" (vgl. BGH NJW 1988, 1914, 1915).
a) Die Restitutionsklage soll es ermöglichen, daß rechtskräftige Urteile überprüft werden, wenn ihre Grundlagen für jedermann erkennbar in einer für das allgemeine Rechtsgefühl unerträglichen Weise erschüttert sind. Eine solche Erschütterung der Urteilsgrundlagen liegt nur vor, wenn zwischen dem Restitutionsgrund und der Vorentscheidung ein ursächlicher Zusammenhang besteht. Dem angegriffenen Urteil muß durch den Restitutionsgrund eine der Grundlagen, auf denen es beruht, entzogen werden (BGH a.a.O. m.w.N.). Das angefochtene Urteil muß „irgendwie auf dem aufgehobenen Urteil beruhen" (BGH VersR 1984, 455). Nicht ausreichend ist beispielsweise die bloße Erwähnung der aufgehobenen Entscheidung im Tatbestand des angefochtenen Urteils. Zwar ist eine Bindungswirkung nicht erforderlich (KG OLGZ 69, 114, 121). Ausreichen kann die Miteinbeziehung des aufgehobenen Urteils in die Beweiswürdigung der angefochtenen Entscheidung (BGH VersR 1984, 455). In jedem Falle erforderlich ist indessen eine Kausalität der aufgehobenen Entscheidung für die angegriffene Entscheidung.
b) Hieran mangelt es im vorliegenden Fall. Beiden Entscheidungen liegt derselbe Schiffsunfall zugrunde, zu dem ein Verklarungsverfahren und ein Ermittlungsverfahren durchgeführt wurden. Beide streitige Zivilrechtsverfahren wurden jedoch in beiden Instanzen weder verbunden noch nacheinander durchgeführt noch bauten sie inhaltlich oder prozessual aufeinander auf. Vielmehr wurden sie selbständig parallel durchgeführt, auch wenn in beiden Verfahren jeweils zu Beweiszwecken dieselben Akten des Ermittlungs- und des Verklarungsverfahrens verwertet wurden. Mit keinem Wort wird in den Entscheidungsgründen der selbständigen Entscheidung vom 25. 06. 1991 etwa auf Beweisergebnisse im Parallelverfahren Bezug genommen.
c) Entgegen der Auffassung des Restitutionsklägers verstößt die Unbeachtlichkeit einer anderen Entscheidung in einem Parallelverfahren für das rechtskräftig abgeschlossene Verfahren auch nicht gegen das Rechtsstaatsprinzip bzw. die Wertungen der Zivilprozeßordnung. Die Restitutionsklage ist ein außerordentlicher Rechtsbehelf. Die Rechtssicherheit verbietet seine Anwendung in anderen als den besonders angeordneten Fällen (Baumbach/Lauterbach/Hartmann ZPO 51. Aufl. § 580 Rdnr. 1 m.w.N.).
Wenn der Gesetzgeber die Erstreckung einer Revisionsentscheidung zugunsten einer Person auf eine andere Person wünscht, obwohl diese selbst nicht Revision eingelegt hat, so kann und muß er dies ausdrücklich anordnen. Dies ist beispielsweise in § 357 StPO geschehen. Danach findet unter bestimmten Voraussetzungen eine Erstrekkung einer Revisionsentscheidung zugunsten von Angeklagten statt, die selbst nicht Revision eingelegt hatten. Allerdings setzt diese Durchbrechung der Rechtskraft im Strafverfahren auch voraus, daß durch dasselbe Urteil Beschwerdeführer und Nichtrevident verurteilt wurden (vgl. Kleinknecht/Meyer StPO 39. Aufl. § 357 Rdnr. 12 m.w.N.). Werden zwei selbständige (Parallel-) Verfahren durchgeführt, findet diese Vorschrift auch keine Anwendung.
Den Parteien war im Hinblick auf den Streitwert und die Beschwer klar, daß eines der Verfahren bis in die Revisionsinstanz gelangen konnte, während das andere mangels Revisibilität mit dem Urteil des Rheinschiffahrtsobergerichts seinen Abschluß finden werde. Die Parteien hätten entweder durch eine Absprache, daß die Entscheidung des revisiblen Verfahrens auch für das nichtrevisible Parallelverfahren maßgeblich sein soll - wie dies etwa bei „Musterprozessen" der Fall ist (vgl. dazu Rosenberg/Schwab/Gottwald ZPR 15. Aufl. 1993 S. 941 m.w.N.) - oder durch Geltendmachung von Ansprüchen im Wege der Widerklage die Maßgeblichkeit auch für die nichtrevisiblen Ansprüche erzielen können. Sie hätten schließlich auch bis zur letzten mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren das Ruhen des Verfahrens beantragen können.
3. Da die Restitutionsklage als unzulässig zu verwerfen war, war über ihre Begründetheit und auch über die Begründetheit des geltend gemachten Rückzahlungsanspruches nicht zu entscheiden......... "
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1994 - Nr.1, 2 (Sammlung Seite 1457 f.); ZfB 1994, 1457 f.