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U 1/91 BSch - Oberlandesgericht (Schiffahrtsobergericht)
Datum uitspraak: 04.02.1992
Kenmerk: U 1/91 BSch
Beslissing: Urteil
Language: Duits
Rechtbank: Oberlandesgericht Karlsruhe
Afdeling: Schiffahrtsobergericht

Leitsatz:

Zwar spricht dann, wenn ein erwiesenermaßen ordnungsgemäß befestigter Stillieger im zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit der vorschriftswidrigen Vorbeifahrt eines Schiffes abgerissen wird, ein Beweis des ersten Anscheins für ein Verschulden des Führers des vorbeifahrenden Schiffes. Bricht bei der Vorbeifahrt von Talfahrern eine Leine des Schiffes, so spricht dieses andererseits im Normalfall dafür, daß der Stillieger nicht gehörig festgemacht war. Gegenüber einem an Land befindlichen Dritten kann der Stillieger den gegen ihn sprechenden Anscheinsbeweis nicht mit dem bloßen Hinweis auf vorbeifahrende andere Schiffe entkräften.

Urteil des Oberlandesgerichts (Schiffahrtsobergerichts) Karlsruhe

vom 4.2.1992

U 1/91 BSch

(rechtskräftig)

(Schiffahrtsgericht Mainz)

Zum Tatbestand:

Der Kläger verfolgt mit der Klage materiellen und immateriellen Schadensersatz sowie Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten wegen Verletzungen, die er sich bei einem Schiffsunfall am 28.3.1989 in Eddersheim zugezogen hat. Der Kläger ist Eigentümer der Motoryacht „K". Die Beklagte zu 1 ist Schiffseignerin, der Beklagte zu 2 ist Schiffsführer des MS „M".

Der Kläger befuhr zusammen mit seiner Ehefrau und dem Zeugen H. den Main. Gegen 20.00 Uhr wurde die Motoryacht gemeinsam mit dem vorausfahrenden MS „M" in der Schleuse Eddersheim zu Berg geschleust. Nach der Schleusung ging MS „M" im Oberwasser der Schleuse am Trenndamm auf südlicher Seite bei und wurde von der Besatzung festgemacht. Dies geschah in der Weise, daß der Beklagte zu 2 zunächst als Laufdraht ein schwarzes 40 mm Polyestertau setzte. Anschließend befestigte er das Schiff mit einem 24 mm Stahldraht als Vorausdraht und schließlich am Heck mit einem 22 mm Stahldraht als Achterdraht, Die Motoryacht des Klägers, deren Besatzung ebenfalls dort übernachten wollte, fuhr um den Trenndamm herum und ging an der dem MS „M" gegenüberliegenden nördlichen Seite des Trenndammes bei.
Der Kläger betrat den Trenndamm, um seine Yacht an einem Poller festzumachen. Als er sich dort aufhielt, brach das Kunststofftau von MS „M", schnellte auf den Kläger zu und brachte ihm schwere Verletzungen am linken Unterschenkel bei. Deswegen nimmt er die Beklagten in Anspruch. Das Schifffahrtsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung hatte Erfolg.

Aus den Entscheidungsgründen

„Die Berufung ist zulässig und insoweit begründet, als ihr durch Teil- und Grundurteil und Zurückverweisung der Sache entsprochen werden konnte.

1. Da bei einer Leistungsklage ein feststellendes Teilurteil unzulässig, bei einem unbezifferten Feststellungsantrag jedoch ein Grundurteil unzulässig ist (vgl. OLG Karlsruhe Die Justiz 1988, 154) war ... durch Teilendurteil zu entscheiden.

2. Anspruchsgrundlagen sind die §§ 823 Abs. 1 und Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 1.04 und 7.01 BschSO, 847 BGB. Die Beklagte zu 1 haftet als Schiffseignerin gemäß §§ 3, 4, 92, 92 b, 114 BschG dinglich mit MS „M" und beschränkt persönlich, da sie MS „M" in Kenntnis der erhobenen Ansprüche erneut auf Reise entsandte.

a) Bei Abriß eines Taues oder Drahtes ohne Fremdeinwirkung spricht der Beweis des ersten Anscheines für ein Verschulden der Schiffsführung. Ein Stillieger muß ordnungsgemäß befestigt werden, wobei bei Art und Weise der Befestigung auch der von anderen Fahrzeugen bei der Vorbeifahrt entstehende Sog bzw. Wellenschlag, der selbst bei einer den Anforderungen des 6.20 BschSO entsprechenden Fahrweise entstehen kann, berücksichtigt werden muß. Zwar spricht dann, wenn ein erwiesenermaßen ordnungsgemäß befestigter Stillieger im zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit der vorschriftswidrigen Vorbeifahrt eines Schiffes abgerissen wird, ein Beweis des ersten Anscheins für ein Verschulden des Führers des vorbeifahrenden Schiffes (vgl. BGH VersR 1969, 1090). Bricht bei der Vorbeifahrt von anderen Talfahrern eine Leine des Schiffes, so streitet dieses andererseits im Normalfall dafür, daß der Stillieger nicht gehörig festgemacht war.
Gegenüber einem an Land befindlichen Dritten kann der Stillieger den gegen ihn sprechenden Anscheinsbeweis nicht mit dem bloßen Hinweis auf vorbeifahrende andere Schiffe entkräften. Jedenfalls obliegt es dem Stillieger, darzulegen und gegebenenfalls nachzuweisen, daß die zum Festmachen verwendeten und gebrochenen Leinen von Abmessung und Material her die im Schiffsattest festgelegte Mindestbruchlast aufwiesen, die benutzten Leinen sich zum Zeitpunkt ihrer Verwendung zum Festmachen in ordentlichem Zustand befanden und daß die Anzahl der zum Festmachen verwendeten Drähte und Leinen und die Art und Weise ihrer Ausbringung aus Sicht eines sorgsam handelnden Schiffsführers als genügend angesehen werden durfte, um den auf das Schiff unter Berücksichtigung seiner Größe, seiner Beladung und des Liegeplatzes einwirkenden Kräften wie Wasserstandsschwankungen, Strömung, Sog und Wellenschlag bei der Vorbeifahrt anderer Schiffe unter Beachtung von § 6.20 BSchUO zu begegnen und daß die Leinen rack standen.
b) Unstreitig ist das schwarze Lauftau mit einem Durchmesser von 40 mm gebrochen. Es handelt sich hierbei um Polypropylentauwerk. In dem von den Beklagten vorgelegten Schiffsattest ist für die weiteren Drähte, die durch Tauwerk ersetzt werden können, eine Mindestbruchlast von 22 800 kg vorgeschrieben. Diese Bruchfestigkeit wies das beim Festmachen verwendete Polypropylentau nicht auf. Aus der gutachterlichen Stellungnahme des Sachverständigen K. ergibt sich, daß die Bruchlast eines Polypropylentaues mit einem Durchmesser von 40 mm 20 100 kp aufweist und mithin nicht die vorgeschriebenen 22 800 kg. Nach dem unbestrittenen Vortrag der Beklagten ergab eine von ihnen eingeholte Auskunft der Herstellerfirma des Taues, daß ein derartiges Tau eine Bruchfestigkeit von nur 19 400 kp hat. Die Festsetzungen im Schiffsattest sind verbindlich, § 11 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BSchUO. Hierfür sind sowohl der Schiffsführer als auch der Schiffseigner verantwortlich, § 11 Abs. 1 und 4 BSchUO, vgl. ferner § 20 Abs. 1 BSchUO i.V.m. § 7.02 Nr. 1 Buchst. c RhSch-UO. MS „M" war daher nicht mit den für das Schiff vorgeschriebenen Drähten und Tauwerk festgemacht. Der Anscheinsbeweis spricht für die Ursächlichkeit der Verwendung des nicht der vorgeschriebenen Mindestbruchlast entsprechenden Polypropylentaues für dessen Bruch. Diesen vermochten die Beklagten nicht zu entkräftigen. Eine etwaige Untersuchung des gebrochenen Taues durch einen Sachverständigen kann nicht mehr erfolgen, nachdem das Tau nach dem unstreitigen Vorbringen der Beklagten nicht mehr vorhanden ist.
Auf die weiteren vom Kläger den Beklagten zur Last gelegten Umstände, insbesondere ein mangelndes Rackstehen der Leinen, kommt es danach nicht mehr an.
3. Da das Schiffahrtsgericht - aus seiner Sicht folgerichtig - Feststellungen zur Höhe des geltend gemachten materiellen und immateriellen Schadens noch nicht getroffen hat, war nur über den Grund zu entscheiden und die Sache zur Verhandlung über die Höhe an das Schiffahrtsgericht zurückzuverweisen ...


Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1993- Nr.12 (Sammlung Seite 1427 f.); ZfB 1993, 1427 f.