Jurisprudentiedatabank
Leitsätze:
1) Zur Frage der Erkennbarkeit der Lade- und Fahruntüchtigkeit des Schiffes.
2) Ein abhängiges Dispache-Verfahren hindert den Transportversicherer der beschädigten Ladung nicht, im ordentlichen Verfahren vor dem Schiffahrtsgericht die mangelnde Berechtigung des Schiffseigners an der Havarie-Grosse-Vergütung feststellen zu lassen.
Urteil des Oberlandesgerichts - Schiffahrtsobergerichts - Karlsruhe
vom 12. Mai 1987
U 1/85 BSch
(Schifffahrtsgericht Mannheim)
Revision gemäß Beschluß des BGH vom 7.12.1987 - II ZR 197/87 - nicht angenommen
Zum Tatbestand:
Mit dem den Beklagten gehörenden MS K (1504t groß) war von den Badischen Stahlwerken im Hafen eine Partie Walzdraht (1495t) zur Beförderung nach Deventer übernommen worden. Auf der am 28.3.1983 gegen 17.30 Uhr begonnenen Talreise bemerkte der Schiffsführer H. in Höhe von Stollhofen eine leichte Backbordschlagseite, die sich im Verlauf der weiteren Talreise vergrößerte und schließlich im Oberwasser der Schleuse Iffezheim zum Sinken des Schiffes führte. Schiff und Ladung wurden später geborgen. Den an der Ladung entstandenen Schaden hat die Klägerin als Transportversicherin der Eigentümerin, nämlich den Badischen Stahlwerken, ersetzt. Bezüglich der an Schiff und Ladung entstandenen Schäden von 463000,- DM wurde vom Dispacheur W. eine Dispache erstellt, nach welcher der zur großen Haverei gehörige Anteil der Ladung ca. 368000,- DM und der Anteil des Schiffes ca. 77 000,- DM betrug. Ein vom Schiffsführer H. eingeleitetes Dispachebestätigungsverfahren ruht. Die Klägerin verlangt von den Beklagten Ersatz des durch den Unfall an der Ladung entstandenen Schadens in Höhe von angeblich 291875, - DM, weil das Schiff bei Antritt der Fahrt fahruntüchtig gewesen sei. Ferner beantragt die Klägerin, die gegenüber den Kaskoversicherern der Beklagten mit FS vom 15.4.1983 die Übernahme der auf die Ladung entfallenden Havarie-GrosseBeiträge - nach einer rechtmäßig aufgemachten und geprüften Dispache - bestätigt hatte, die Feststellung, daß die Beklagten zur Forderung einer Havarie-GrosseVergütung nicht berechtigt seien. Die Beklagten bestreiten, daß ihr Schiff bei Fahrtantritt untüchtig gewesen sei; der Feststellungsantrag sei unzulässig und im Dispachebestätigungsverfahren zu entscheiden.
Das Schiffahrtsgericht hat der Schadensersatzklage dem Grunde nach und auch der Feststellungsklage stattgegeben. Das Schiffahrtsobergericht hat auf Berufung der Beklagten die Klage in vollem Umfang kostenpflichtig abgewiesen. Der Bundesgerichtshof hat die Annahme der Revision abgelehnt (Beschluß vom 7.12.1987 - 11 ZR 197/87 - ).
Aus den Entscheidungsgründen:
„....
I.
Die Beklagten können von der Klägerin nicht mit Erfolg gemäß § 58 BSchG, §§ 823 Abs. 1, 398 BGB in Anspruch genommen werden. Die Beklagten haben für den Untergang des Schiffes am 28.3.1983 nicht einzustehen. Die Haftung der Beklagten ist ausgeschlossen, da der zum Untergang des Schiffes führende mangelnde Zustand des Schiffes auch bei Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen Schiffs- und Frachtführers nicht zu entdecken gewesen war, § 58 Abs. 2 BSchG.
1. Der Senat geht von folgenden Feststellungen aus:
Das MS K ist in der Zeit nach dem Schiffsattest der Schiffsuntersuchungskommission Mannheim vom 27.10.1980 baulich nicht verändert worden. Das ist unter den Parteien unstreitiu. Die vom Schiffahrtsgericht angestellten Erwägungen zu diesem Punkt treffen nicht zu. Das Schiffsattest ist bis zum 26.10.1986 erteilt worden. Das Schiff lag vom 25.2. bis 4.3.1983 auf der Schiffswerft Neckarsulm auf Helling. Dabei wurden eine Leckage am Vorschiff beseitigt und weitere Abdichtungsarbeiten im Bereich des Achterschiffes und an der Außenhaut vorgenommen.
Der Leerverlust des Schiffes - das ist der zusätzliche Tiefgang, den ein Schiff im entladenen Zustand infolge von Wasser oder sonstigen Rückständen im Schiff hat - betrug bei den letzten Eichaufnahmen
8.3.1983 64 t
11.3.1983 51 t
17.3.1983 91 t
21.3.1983 112 t
24.3.1983 51 t
Das Schiff lag von Samstag (26.3.1983) nachmittags bis Montag (28.3.1983) 17.30 Uhr im Hafen Kehl, von Samstag 22.00 Uhr an der Ladestelle der Badischen Stahlwerke. In der Nacht von 0.00 Uhr bis 6.00 Uhr wurde das Schiff mit Walzstahl beladen. Die Angaben hierzu sind unterschiedlich, 150 bis 200t oder bis zu 900t. Von Montag morgen 6.00 Uhr bis gegen 17.00 Uhr wurde das Schiff mit der Restmenge - insgesamt 1495 t - beladen. Nur während des Ladevorgangs am Montag wurde gelenzt. Beim Anlegen des Schiffes an der Ladestelle verfing sich der Vorausdraht unter Wasser und mußte mit Hilfe des Krans durchgeholt werden. Die Böschung an der Beladestelle wurde und wird üblicherweise nicht abgestreift.
2. Bei dem gehobenen Schiff wurde festgestellt, daß sich auf der Steuerbordseite ca. 5 m hinter dem mittleren Eichbalken an der Unterseite der Kimmplatte eine längsverlaufende Einrillung von ca. 3 m Länge befand. Schleifspuren an dieser Rille waren nicht erkennbar. Im Bereich dieser Rille gibt es starke Einbeulungen. Das Eisen ist dort nach innen aufgerissen und an der Seitenwand nach oben aufgeplatzt.
3. Der Senat sieht in Übereinstimmung mit den sachverständigen Feststellungen der genannten Gutachter vom 29.4.1983, denen auch der gerichtlich bestellte Sachverständige E. folgt, in dieser Schadensstelle die Ursache für das Sinken des Schiffes. Jedenfalls liegt hierin die wesentliche Ursache, ohne deren Vorhandensein das Schiff nicht gesunken wäre. Der Senat ist davon überzeugt, daß diese Schadensstelle vor dem Beladen des Schiffes nicht vorhanden war und erst am Ende der Beladung oder bei Verlassen der Ladestelle eingetreten sein kann. Die Feststellungen, welche die Sachverständigen W. und Z. treffen - der Experte Ei. teilt die Festlegung des Zeitpunkts für den Eintritt der Leckage nicht - werden von dem gerichtlich bestellten Gutachter E. bestätigt. Der gerichtliche Gutachter belegt in überzeugender Weise, daß bei Vorhandensein der Leckage bei Löschungsbeginn Samstag das Schiff nicht mit 1495 t auf Eiche hätte abgeladen werden können. Der Sachverständige legt nachvollziehbar und überzeugend dar, daß bei einer Ladung sowohl von 200 t (im Gutachten S. 7) und erst recht von 900 t (Nachtragsgutachten S.
4) von Samstag auf Sonntag durch eine Leckage bei den vorhandenen Leckstellen im Laderaumboden Wasser in den Laderaum hätte einlaufen müssen und nicht nur dort, sondern auch wegen des Eintauchens des Schiffes insgesamt auch vom Ladepersonal hätte bemerkt werden müssen. Keiner der Beteiligten hat aber dahingehend Feststellungen getroffen.
Der von der Klägerin beauftragte Gutachter S. trägt hierzu vor, das gerichtliche Gutachten berücksichtige nicht hinreichend, daß bei dem gesunkenen Schiff von einem Leerverlust von ca. 112 t auszugehen sei, wie der Eichschein vom 21.3.1983 ausweise. Leerverlust und Ladung, deren Gewicht einem Tiefgang von 2,79m entspreche, zusammenrechnet ergäben, daß das Freibord an ungüstiger Stelle nunmehr 1,5 cm betragen habe, so daß das Schiff bei Erreichen der Rheinwellen zum Untergang verurteilt gewesen sei.
Mit diesem Sachvortrag will die Klägerin ersichtlich darlegen, daß der verantwortliche Schiffsführer sehenden Auges über das zulässige Maß hinaus geladen habe. Eine dahingehende Feststellung läßt sich jedoch aufgrund der im Verklarungsverfahren und im Ermittlungsverfahren festgehaltenen Tatsachen, die sich der Senat zu eigen macht, nicht treffen. Sie beruhen zudem auf der rein hypothetischen und abseitigen Erwägung, der bei der Eichaufnahme vom 21.3.1983 festgestellte Leerverlust von 11,7t sei im Zeitpunkt der Anlandung des Schiffes im Kehler Hafen vorhanden gewesen und beibehalten worden. Der Eichverlust steht in Abhängigkeit zum zuvor geladenen Gut und ist deshalb nicht gleichbleibend. Zudem läßt die Darstellung der Klägerin unberücksichtigt, daß sowohl bei der unmittelbar vorausgegangenen wie bei der nachfolgenden Eichaufnahme der Leerverlust erheblich niedriger lag. Es ist deshalb auch nicht die weitere These der Klägerin zulässig, aus dem in der Eichaufnahme vom 21.3.1983 festgestellten Leerverlust sei auf eine vorhandene, die Fahruntüchtigkeit des Schiffes belegende Leckage zu schließen. Der Sachverständige E. hat in seinem Nachtragsgutachten zudem überzeugend dargelegt, daß aus dem Lenzen während des Ladevorgangs am Montag nicht auf eine vorhandene Leckage geschlossen werden könne. Da das Ladegut an Land vermessen wurde, konnte auf Eiche geladen werden. Dazu war erforderlich, das aus vorgängigem Transport vorhandene Wasser weitgehend zu lenzen. Da die einzelnen Segmente gelenzt werden mußten, kann nicht ohne weiteres angenommen werden, es habe eine auffallend große Menge Wasser gelenzt werden müssen.
Der Einwand der Klägerin, der Sachverständige habe keine exakte Angabe zu der gelenzten Wassermenge gemacht, seine Schlußfolgerung sei deshalb unbrauchbar, ist nicht begründet. Genauere Berechnungen hierzu lassen sich schon deshalb nicht anstellen, weil die Zeit der Inbetriebnahme der mehrfach versetzten Lenzpumpe nicht genau festzustellen ist; dies ist auch nicht erforderlich. Entscheidend ist, daß bei Vorhandensein des schadensursächlichen Lecks in der Zeit des Stilliegens vor der Ladestelle Samstag-Montag ein ungewöhnlicher Wassereinbruch hätte bemerkt werden müssen, aber nicht bemerkt wurde. Der Senat ist deshalb in Übereinstimmung mit den übrigen Ausführungen des Sachverständigen der Auffassung, daß die Leckage erst am Ende der Beladung entstanden ist. In Anbetracht der übrigen unstreitigen Tatumstände, keine Schleifspuren an der Leckstelle, Verhaken des Vorausdrahtes unter Wasser, kein Abschleifen der Löschstelle, ist es eine für den Senat naheliegende Schadensursache, daß das Schiff während des Beladens auf einen in den Unterboden eindrückenden Gegenstand unbemerkt aufgesessen ist. Mit der Feststellung sind die Beklagten entlastet im Sinne des § 58 Abs. 2 BSchG, ohne daß es der konkreten Feststellung bedürfte, wie im einzelnen die Schadensursache beschaffen sein mochte.
Mit dieser Feststellung schließt der Senat zugleich andere Schadensursachen aus, welche die Klägerin in einem allgemeinen desolaten Zustand des Schiffes sieht, der auch wegen der ungewöhnlichen Belastung des Schiffes mit Walzdrahtrollen zu einem Aufbrechen des Schiffs an der Kimmplatte habe führen müssen. Der Sachverständige E. hat in der letzten mündlichen Verhandlung überzeugend erwidert, daß die Art der Bruchstelle an der Kimmplatte die Feststellung einer solchen Schadensursache nicht zulasse; er befindet sich damit in Übereinstimmung mit den Sachverständigen des Verklarungsverfahrens.
II.
Der von der klagenden Transportversicherung verfolgte Antrag 2, festzustellen, daß die Beklagten nicht berechtigt seien, HavarieGrosse-Vergütung zu fordern, ist zulässig. Die Klägerin ist als Transportversicherer grundsätzlich nicht Havariebeteiligter. Havariebeteiligte sind der Schiffseigner und die Ladungsbeteiligten, gegebenenfalls auch der Frachtführer, § 85 BSchG in Verbindung mit §§ 715, 723 Abs. 2 und HGB. Der Transportversicherer kann deshalb auch keinen Antrag auf Dispache stellen § 87 BSchG, § 153 FGG. Dies hat die Klägerin auch nicht getan, wie aus dem Protokoll über die Verhandlung beim Amtsgericht Rastatt vom 16.11.1984 zu ersehen ist. Schon weil die Klägerin am Dispacheverfahren nicht beteiligt ist, kann dieses nicht als anderweit rechtshängige Sache entgegengehalten werden. Das Dispache-Verfahren, das den Verteilungsplan zur Schadensauseinandersetzung betrifft, ist für die aus übergegangenem Recht der Ladungsinteressentin klagende Transportversicherung auch nicht vorgreiflich. Das gemäß § 878 ZPO eingeleitete Widerspruchsverfahren vor dem Landgericht Baden-Baden ruht. Das rechtliche Interesse der Klägerin, festgestellt zu wissen, daß die Beklagten nicht berechtigt seien, Havarie-Grosse-Vergütung zu fordern, rührt daher, daß sie sich als Transportversicherer bereit erklärt hat, die auf die Ladung entfallenden „Havariegrosbeiträge zu übernehmen", Fernschreiben vom 15.4.1983. Sie hat deshalb ein erhebliches eigenes Interesse daran, daß die Beklagten bei der Havarieverteilung gemäß § 78 Abs. 2 BSchG ausscheiden. Der Feststellungsantrag der Beklagten ist aber unbegründet. Die Beklagten als Schiffseigner nehmen zu Recht an der HavarieGrosse-Vergütung teil. Der Tatbestand des § 79 Abs. 2 BSchG, wonach ein Beteiligter Vergütung der ihm entstandenen Schäden nicht verlangen kann, dem ein Verschulden an der großen Havarie zur Last fällt, ist, wie sich aus dem zu 1 Gesagten ergibt, bei den Beklagten nicht gegeben.
....“
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1988 - Nr.3 (Sammlung Seite 1226 f.); ZfB 1988, 1226 f.