Jurisprudentiedatabank
Leitsatz:
Zur Haftung einer Werft nach französischem Recht und dem Mitverschulden der Schiffsbesatzung, wenn ein Schubverband in einer Schleuse mit Hilfe der Spannvorrichtung abstoppt und dabei ein nicht hinreichend an der Trommel befestigter Draht von der Winde läuft.
Urteil des Oberlandesgerichts (Schiffahrtsobergerichts) Karlsruhe
vom 23.11.1993
U 14/92 BSch
rechtskräftig
(Schiffahrtsgericht Mannheim)
Zum Tatbestand:
Die Klägerin, die Schubschiffahrt betreibt, nimmt die Beklagte, eine französische Schiffswerft , auf Ersatz von Schäden aus einem Unfallereignis vom 01. 12. 1983 in der Mainschleuse G in Anspruch, und zwar auf Ersatz des Schadens an ihrem Schubleichter sowie des gezahlten Schleusenschadens.
Aufgrund eines Werkvertrages der Parteien lieferte die Beklagte im August 1983 den Schubleichter „W" (76,5 m lang, 11,4 m breit, 2317 t groß) einschließlich Deckausrüstung aus. Das Schiff war mit vier „Spannvorrichtungen für Seilverbindungen von Schubverbänden" der Firma H ausgerüstet, für die die Beklagte eine Zugkraft von mindestens 10 t und eine Haltekraft von mindestens 30 t garantierte. Aufgrund einer Beanstandung der Klägerin wechselte der Zeuge C, ein Mitarbeiter der Beklagten, am 12. 09. 1983 in D die ursprünglich montierten Drähte gegen andere aus, die eine Länge von jeweils 30 m hatten.
Am 01.12.1983 gegen 6.15 Uhr fuhr das im Eigentum der Klägerin stehende abgeladene MS „E" (1950 t groß, 95,5 m lang, 11 breit, 900 PS stark) mit dem vorgespannten, mit etwa 1800 t Kies beladenen SL „W" in die Mainschleuse G zu Berg ein. Wie bei der Klägerin üblich, wurde das Auge des Drahtes der steuerbords auf dem Vorschiff des Leichters montierten Spannvorrichtung in den drittletzten Poller vor dem Mitteltor der Schleuse eingehängt. Der Steuermann sollte den von der Winde laufenden Draht und dadurch den Verband mit der Spannvorrichtung unter Verwendung der Fußbremse für das Handrad abstoppen. Dies gelang indessen nicht, vielmehr lief der Draht von der Windentrommel. Der Schubverband stieß gegen das Mitteltor der Schleuse, das ebenso wie der Leichter beschädigt wurde.
Die Klägerin hat im ersten Rechtszug vorgetragen, der Anstoß an das Schleusentor beruhe darauf, daß der Draht auf der Windentrommel durch den Mitarbeiter der Beklagten nicht ordnungsgemäß befestigt worden sei. Deshalb sei er abgelaufen. Es sei üblich und im Vergleich zu früherer Praxis auch wesentlich ungefährlicher, einen Schubverband in der Schleuse mit Hilfe der Winde ständig zu machen. Die Beklagte hat bestritten, daß der Draht auf der Winde nicht ordnungsgemäß befestigt worden sei. Im übrigen sei die Spannvorrichtung zum Abstoppen von Schubverbänden untauglich und dürfe dafür nicht verwendet werden.
Der Unfall sei allein auf das unsachgemäße Manöver der Schiffsbesatzung zurückzuführen. Das Schiffahrtsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung hatte teilweise Erfolg.
Aus den Entscheidungsgründen:
„… 1. Für die vertraglichen Beziehungen der Parteien gilt das französische Werkvertragsrecht. Der Schwerpunkt des Werkvertrages über die Herstellung und Lieferung des SL „W" lag in Frankreich. Für den aus der mangelhaften Errichtung des Werkes sich ergebenden Mangelfolgeschaden haftet die Beklagte (vgl. Ferid/Sonnenberger, Französisches Zivilrecht, 2. Aufl. Rn. 2 K 124, 2 K 127, 2 K 128), wobei sie sich analog Art. 1797 code civil auch das Verschulden ihres Gehilfen zurechnen lassen muß. Auf die Kenntnis des Mangels kommt es nicht an. Art. 1645 code civil gilt nur für das Kaufrecht. Im Werkvertragsrecht reicht Fahrlässigkeit als Verschuldensform aus. Die Haftung der Beklagten ergibt sich im übrigen auch aus Deliktsrecht. Hier gilt deutsches Recht, denn die von der Klägerin behauptete unerlaubte Handlung wurde in Dahlhunden/Deutschland begangen. Eine Akzessorietät des Deliktstatuts zu einem bestehenden Sonderverbindungsstatut - hier Werkvertrag - kennt die deutsche Rechtsprechung nicht. Es gilt vielmehr die getrennte Anknüpfung von Delikts- und Vertragsansprüchen (BGH VersR 1961, 518; JR 1977, 19). Die Beklagte haftet aus §§ 823, 831 BGB. Da beide Parteien der Bundesrepublik Deutschland wegen der Beschädigung des Schleusentors gemäß §§ 823, 840 BGB als Gesamtschuldner haften, steht der Klägerin, soweit sie die Ansprüche der Bundesrepublik erfüllt, auch ein Ausgleichsanspruch zu, § 426 BGB...
2. Das haftungsbegründende Verhalten der Beklagten liegt darin, daß der Mitarbeiter und Zeuge C der Beklagten die Schrauben der Drahtbefestigung nicht so fest angezogen hat, wie dies möglich und erforderlich gewesen wäre. Dies stellt einerseits einen von der Beklagten zu vertretenden Mangel ihrer werkvertraglichen Leistung dar, der geeignet war, den konkreten Schaden am Schiff und am Schleusentor auszulösen. Zugleich erfüllt dieser Tatbestand die Voraussetzungen des § 823 Abs. 1 BGB. Der im Verklarungsverfahren vom Schiffahrtsgericht zugezogene Sachverständige J hat bei der Besichtigung einen Tag nach dem Unfall festgestellt, daß der abgelaufene Draht im Endbereich keinerlei Quetschspuren aufwies, wie dies nach seiner Ansicht der Fall hätte sein müssen, wenn das Drahtende mit maximaler Kraft an der Befestigung angebracht worden wäre. Diese Schlußfolgerung hat er auch bei seiner Anhörung bestätigt. Er hat überzeugend ausgeführt, daß an den übrigen Spannvorrichtungen auf dem Leichter die Drähte deutlich sichtbar gequetscht waren und daß dies in jedem Fall Spuren auf dem Draht hinterläßt....
Das der Beklagten anzulastende Verhalten des Mitarbeiters C und der daraus folgende Werkvertragsmangel war für den Eintritt des Unfalles ursächlich. Kausalität besteht nicht nur im Sinne der Äquivalenztheorie, vielmehr war der Werkmangel für den eingetretenen Schaden auch adäquat kausal.
3. Die Klägerin hat sich jedoch ein Mitverschulden anrechnen zu lassen. § 254 BGB gilt gegenüber allen Schadensersatzansprüchen, gleich auf welchem Rechtsgrund sie beruhen, also gegenüber vertraglichen und deliktischen Schadensersatzansprüchen. Die Sonderregelung in § 92 c BinSchG findet vorliegend keine Anwendung, da es nicht um den Zusammenstoß von zwei Schiffen geht.
Im französischen (Werkvertrags-) Recht wird das Mitverschulden des Gläubigers eines Schadensersatzanspruches (Geschädigten) in einer der deutschen Regelung des § 254 BGB im Ergebnis entsprechenden Weise berücksichtigt (vgl. Keller, Mitverschulden als Generalklausel und als Spezialkorrektur von Einzelhaftungsnormen im deutschen, schweizerischen und französischen Recht, Diss. 1965 S. 43, 57,73 m.w.N. ) Als „Mitverschulden" gilt ein „Verschulden gegen sich selbst". Maßstab ist diejenige Sorgfalt, die ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Vermeidung eigenen Schadens anzuwenden pflegt. Welche Handlungsweise dem Geschädigten als Mitverschulden anzurechnen ist, unterliegt der Beurteilung im Einzelfall unter Berücksichtigung von Treu und Glauben, § 242 BGB, und insbesondere der Zumutbarkeit. Das Vorliegen objektiver Umstände, die auf seiten des Geschädigten zur Herbeiführung des Unfalles mitgewirkt haben, reicht zur Anwendung des § 254 BGB für sich gesehen zunächst nicht aus. Vielmehr muß ein Verschulden festgestellt werden. Danach ist nach dem Maß der Verursachung abzuwägen. Eine Gefährdungshaftung besteht für den hier in Frage stehenden Bereich des Binnenschiffsverkehrs nicht.
Der Klägerin ist zur Last zu legen, daß die Schiffsführung und Besatzung des Schubverbandes bestehend aus MS „E" und dem SL „W" bei Durchführung der Schleusung am 01.12.1983 in der Mainschleuse G nicht die erforderliche Sorgfalt obwalten ließ. Sie hätte sich darüber vergewissern müssen, wie lang der Draht auf den Winden war, den sie zum Abstoppen in der Schleuse verwendete. Dies war nicht geschehen. Der Schiffsführer und der Steuermann hatten nur unbestimmte und unrichtige Vorstellungen von der Länge des Drahtes, die tatsächlich nur 30 m betrug. Nach dem Ergebnis der durchgeführten umfangreichen Beweisaufnahme steht fest, daß es in der Schubschiffahrt inzwischen üblich ist, Verbände mit den Spannvorrichtungen zu stoppen, jedenfalls festzumachen. Es besteht auch keine Vorschrift, die ein solches Manöver ausdrücklich untersagen würde. § 6.28 Nr. 8 BinSchStr0 bestimmt nur, daß das Fahrzeug durch Belegen der Polier oder Haltekreuze mit Trossen oder Tauen auch ohne Maschinenkraft rechtzeitig muß angehalten werden können. Wie dies im einzelnen zu geschehen hat, ist nicht festgelegt; geregelt ist, daß ein Anhaltemanöver so vorzubereiten und durchzuführen ist, daß ein Schiff auch ohne Einsatz der Maschine ständig gemacht werden kann.
Indessen hat die Besatzung bei der Verwendung der Spannvorrichtung zu berücksichtigen, daß deren Aufgabe darin besteht, die Elemente eines Schubverbandes fest zu verbinden und während der Fahrt zusammenzuhalten . Die Winde wird in erster Linie dazu benötigt, durch Einholen des Drahtes eine feste Verbindung herzustellen. Der Betrieb mit ausgebendem Draht, auf den massive Kräfte eines laufenden Verbandes einwirken, gehört dazu nicht und bedarf deshalb besonderer Vorsicht. Eine Schiffsbesatzung, die ihren Verband auf diese Weise in einer Schleuse zum Stillstand bringen will, hat zu bedenken, daß Manöver in einer Schleusenanlage in hohem Maße gefahrträchtig sind und daß deshalb bei der Einfahrt in eine Schleuse die äußerste Sorgfalt anzuwenden ist (BGH VersR 1973, 541). Sie hat deshalb auch zu beachten, daß die Drahtbefestigung auf der Spannvorrichtung nicht dazu dienen kann, notfalls die Kräfte zu verbrauchen, die auf sie einwirken, wenn der Verband noch Vorausfahrt hat und nicht gestoppt ist, bevor der Draht ausgezogen ist. Sie muß insbesondere dafür sorgen, daß der Draht keinesfalls bis zu seiner vollen Länge ausgegeben werden darf und daß auf der Windentrommel so viele Drahtwindungen verbleiben, daß eine Sicherheitsreserve zur Verfügung steht und die Endbefestigung nicht beansprucht wird, falls der Verband noch vorausläuft oder zusätzlich Vorausfahrt aufnimmt.
Die Besatzung des Schubverbandes „W" hat diese Sorgfaltspflicht verletzt indem sie die besondere Gefahrenträchtigkeit nicht beachtete. Auch wenn das Unfallereignis in seinen Abläufen im einzelnen nicht vollständig aufgeklärt werden kann, steht doch fest, daß der Verband für die Besatzung überraschend nicht langsamer wurde, sondern einen Schub vorausmachte. Dies hatte zur Folge, daß er mit der Spannvorrichtung nicht gestoppt werden konnte. Ob die Beschleunigung durch ein fehlerhaftes Verhalten des Schiffsführers oder durch eine reflektierende Welle in der geschlossenen Schleuse verursacht wurde, kann letztlich dahinstehen. Auch wenn man davon ausgeht, daß die Vorausfahrt auf einer durch das Schließen des Schleusentores verursachten Welle beruht, was nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr.-Ing. M durchaus wahrscheinlich ist, so muß einer erfahrenen Schiffsbesatzung doch dieses Phänomen bekannt sein. Sie hat sich darauf einzustellen und darf den Draht nur so zum Abstoppen verwenden, daß er nicht in voller Länge oder nahezu zur Gänze ausgegeben werden muß.
Wenn die Besatzung nicht wußte, daß der Draht nur 30 m lang war und damit die Gefahr bestand, daß er von der Winde lief, hätte dafür gesorgt werden müssen, daß der Verband gegebenenfalls mit Maschine oder durch Pollerschläge per Hand abgestoppt werden konnte. Zu diesem Zweck hätte die Schiffsbesatzung bereits früher als geschehen versuchen müssen, mit dem zusätzlich an Bord befindlichen P-Draht den Verband weiter abzustoppen. Der Sachverständige Dr.-Ing. M hat bei seiner Anhörung ausdrücklich erklärt, es stehe fest, daß das Seil von der Winde abgelaufen ist, weil es nicht lang genug war.
Bei der gemäß § 254 BGB zu beantwortenden Frage, ob ein dem Kläger entstandener Schaden vorwiegend von ihm selbst oder vom Beklagten verursacht worden ist, ist darauf abzustellen, ob die Handlungsweise der einen Partei den Eintritt des Schadens in wesentlich höherem Maße wahrscheinlich gemacht hat als das Verhalten anderer. Für die Gewichtung der Verursachungsbeiträge der Parteien ist weder ihre zeitliche Reihenfolge noch der Umstand von Bedeutung, daß der Geschädigte dem verletzten Rechtsgut räumlich näher steht als der Schädiger (BGH BGHR BGB § 254 Abs. 1 „Abwägung 1").
Die Abwägung der Schadensursachen führt zu einem Mithaftungsanteil der Klägerin in Höhe von 2/3, denn das ihr zuzurechnende Fehlverhalten der Schiffsbesatzung hat zu einem wesentlichen Beitrag zur Entstehung des gesamten Schadens geführt, während die fehlerhafte Werkleistung der Beklagten nur für einen geringeren Teil des Gesamtschadens ursächlich wurde. Dabei war u.a. auch zu berücksichtigen, daß entgegen der mit der Berufung vorgetragenen Auffassung der Klägerin der Beklagten nicht angelastet werden kann, daß der Draht nur 30 m lang war. Der Auftrag über den Bau des Leichters enthielt hierzu keine Vorgaben. Da Drähte mit 30 m Länge auf den Spannvorrichtungen unstreitig üblich und für ihren Zweck auch ausreichend sind, war die Beklagte von sich aus nicht gehalten, hiervon abweichende Überlegungen anzustellen. Sie war insbesondere auch nicht gehalten zu prüfen, ob die Klägerin etwa die Spannvorrichtungen für andere Manöver als der eigentlichen Zweckbestimmung entsprechend einsetzen wollte und die Klägerin hierzu zu befragen. Es ist auch nicht ersichtlich, daß schon damals Abstoppmanöver mit Hilfe der Spannvorrichtungen in der Schubschiffahrt weitgehend üblich waren, daß die Beklagte dies wußte und die Praxis der Klägerin kannte. Es gab keine Obliegenheit, im Rahmen des Werkvertrages über die Herstellung des Leichters sich dahingehend zu erkundigen oder die Klägerin zu beraten.
Danach war es Sache der Klägerin, hinsichtlich der Länge der Drähte eindeutige Vorgaben zu machen, den Leichter mit ausreichend langen Drähten auszurüsten und dafür zu sorgen, daß die Schiffsbesatzung sich beim Einsatz der Drähte über deren Länge bewußt war …"
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1995 - Nr.1 (Sammlung Seite 1509 f.), ZfB 1995, 1509 f.