Jurisprudentiedatabank
Leitsätze:
1. Die Arbeitsverträge der Besatzung eines unter Schweizer Flagge fahrenden Schiffes, dessen Reeder seinen Sitz in Basel hat, unterliegen nach dem im Arbeitsrecht geltenden Territorialitätsprinzip ausschließlich dem Schweizer Recht.
2. Das nautische Personal sowie das Service- und Gastronomiepersonal an Bord eines Fahrgastschiffes benötigt für seine Tätigkeit auf dem Rhein keine (deutsche) Arbeitserlaubnis, wenn das Schiff unter Schweizer Flagge fährt.
Urteil des Sozialgerichts Nürnberg
vom 30. Juni 1999
Vorschriften:
§ 107 SGB IV, §§ 304 ff. SGB III; § 9 Nr. 3 und 4 ArGV
Im vorliegenden Rechtsstreit geht es im Kern um die Frage, ob das Besatzungspersonal (einschl. Personal im Hotel- und Gastronomiebereich) von Binnenschiffen, die keine EU-Flagge führen, für den Transitverkehr über deutsche Wasserstraßen eine deutsche Arbeitsgenehmigung benötigt.
Tatbestand:
Die Klägerin ist ein Schweizer Personenschifffahrtsunternehmen, das mit seinen sieben Flusskreuzfahrtschiffen auf Rhein und Donau verkehrt. Der Geschäftssitz ist Basel. Für das gesamte nautische Personal sowie für das Personal im Hotel- und Gastrobereich liegen unstreitig gültige Schweizer Arbeitsverträge vor. Die Genehmigung zur Befahrung der Wasserstraßen wurde vom Bundesministerium für Verkehr erteilt. Am 20.04.1998 gegen 8.00 Uhr betraten drei Mitarbeiter der Beklagten der Bearbeitungsstelle zur Bekämpfung illegaler Beschäftigung beim Arbeitsamt Pf. sowie drei uniformierte Beamte der Wasserschutzpolizei P das Fahrgastschiff „H.H.", das auf seinem Weg von Köln nach Budapest in Passau angelegt hatte und übergaben eine Prüfungsverfügung, welche unter Berufung auf § 107 SGB IV, 304 SGB III den Kapitän verpflichtete, Prüfungen durch das Arbeitsamt zu dulden. Der Prüfungsverfügung war ein Hinweisblatt zu den genannten §§ beigefügt. Es wurde festgestellt, dass 19 Arbeitnehmer keine Aufenthaltsgenehmigung für Deutschland und 18 keine Arbeitsgenehmigung für Deutschland besäßen, obwohl eine Arbeitserlaubnispflicht für das Bedienungspersonal auf Binnenschiffen bestünde. Es wurden Bußgelder bis zu 500.000,- DM angedroht. Zu weiteren Maßnahme kam es jedoch nicht. Gegen diese Prüfungsverfügung legte die Klägerin am 11.05.98 Widerspruch ein, zu dessen Begründung sie im wesentlichen darauf hinwies, dass es sich beim dem Fahrgastschiff „H.H." um ein Schiff handle, welches unter Schweizer Flagge fahre, eine Überprüfung durch Beamte der Bundesanstalt daher nicht rechtens wäre.
Mit Bescheid vom 18.06.98 wurde der Widerspruch der Klägerin zurückgewiesen. Gegen den zurückweisenden Widerspruchsbescheid wandte sich die Klägerin mit der am 18.09.98 erhobenen Klage. Zur Begründung ließ sie vortragen, dass ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der bereits durch Zeitablauf erledigten Prüfungsverfügung bestünde. Die Prüfungsverfügung verstoße gegen die Vorschriften der Rheinschifffahrtsakte vom 17.10.68 (sog. Mannheimer Akte), welche ein Durchfahrtsrecht von Rhein und Donau für Anrainerstaaten vorsehe. Darüber hinaus unterstünde die Rheinschifffahrt gern. Art. 11 Abs. 1 des Übereinkommens vom 30.11.79 über die Soziale Sicherheit der Rheinschifffahrt in Verbindung mit dem Gesetz vom 19.09.83 (Bundesgesetzblatt II 1983 S. 593 ff.) den Rechtsvorschriften nur einer Vertragspartei des Übereinkommens, das im Hoheitsgebiet der Vertragsparteien für alle Personen gilt, die den Rechtsvorschriften einer oder mehrerer Vertragsparteien als Rheinschiffer unterstehen. U.a. sind Deutschland und Schweiz als Signatarstaaten dieses Abkommens genannt. Es bestünde daher keine Berechtigung des deutschen Arbeitsamts, die Arbeitserlaubnisse des Hotel- und Gastronomiepersonals auf einem Passagierschiff zu überprüfen.
Die Klägerin beantragt festzustellen, dass die Prüfungsverfügung vom 20.04.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.06.1998 rechtswidrig war und die Klägerin in ihren Rechten verletze. Die Beklagte beantragt Klageabweisung, u.a. mit der Begründung, unter Schweizer Flagge auf dem Rhein verkehrende Schiffe seien nicht exterritorial. Es bestünde daher grundsätzlich die Möglichkeit einer Überprüfung nach § 304 SGB III. Konkreter Verdachtsmomente bedürfte es nicht. Das Sozialgericht Nürnberg hat der Klage mit der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Prüfungsverfügung vom 20.04.1998 in Gestalt des Widerspruchsbescheids stattgegeben.
Aus den Entscheidungsgründen:
Im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung sah das Gericht ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der durch Zeitablauf erledigten Prüfungsverfügung vom 20.04.1997 als gegeben an. Dieses ergab sich nach Auffassung des Gerichts aus einem Rehabilitationsinteresse, aus der Gefahr der Wiederholung der rechtswidrigen Prüfung sowie aus der Möglichkeit eines nachfolgenden Amtshaftungsprozesses.
Die Klägerin wurde durch die Prüfungsverfügung in ihrem Ansehen beeinträchtigt, da für die Passagiere durch die vom Arbeitsamt Pf. vorgenommene Prüfung unter Zuhilfenahme uniformierter Beamter der Wasserschutzpolizei der Eindruck entstehen musste, „an Bord stimme etwas nicht", bei der Firma T. handle es sich nicht um eine seriöse Firma, die Rechtsvorschriften wären vermutlich nicht eingehalten worden. Darüber hinaus bejahte das Gericht eine Wiederholungsgefahr, nachdem die Beklagte auch im Gerichtsverfahren noch davon ausgegangen sei, dass ihr grundsätzlich ein Überprüfungsrecht gern. § 304 SGB III in Bezug auf Schweizer Rheinschiffer zustünde. Außerdem sei nicht auszuschließen gewesen, dass der Klägerin durch die Prüfung und den Umstand, dass das Schiff dadurch mehrere Stunden in Passau aufgehalten wurde, ein Schaden entstanden ist, welcher in einem Amtshaftungsprozess geltend gemacht werden soll.
Zur Begründetheit der Klage verwies das Gericht auf das Fehlen der Voraussetzungen für eine Prüfung nach § 304 SGB III. Gegenstand der Prüfung war ganz offensichtlich, ob die im Hotel- und Gastrobereich beschäftigten Arbeitnehmer des unter Schweizer Flagge fahrenden Fahrgastschiffs „H.H." im Besitz einer Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung für die BRD waren. Dementsprechend wurde auch auf dem Prüfbericht vermerkt, dass 19 Arbeitnehmer keine Arbeitsgenehmigung besessen hätten.
Da es sich bei dem Fahrgastschiff „H.H." jedoch um ein unter Schweizer Flagge fahrendes Schiff handelte, dessen Reeder seinen Sitz in Basel hatte, unterlagen nach dem im Arbeitsrecht geltenden Territorialitätsprinzip die Arbeitsverträge der auf dem Fahrgastschiff „H.H." tätigen Mitarbeiter ausschließlich Schweizer Recht. Wenn jedoch der Arbeitsvertrag Schweizer Recht unterliegt, besteht für die Bundesanstalt keine Berechtigung, für dieses Arbeitsverhältnis eine Arbeitsgenehmigung zu erteilen. Der deutsche Arbeitsmarkt ist durch das nach Schweizer Recht geschlossene Arbeitsverhältnis nicht tangiert. Zwar enthalten die §§ 304 ff., insbesondere 305 und 306 SGB III nicht den Hinweis, dass unter Arbeitgeber lediglich der inländische Arbeitgeber bzw. ein ausländischer Arbeitgeber, der im Inland einen Betrieb unterhält, gemeint sein kann. Der in § 11 Arbeitsgenehmigungsverordnung geregelten Zuständigkeit ist jedoch auch zu ent-nehmen, dass zuständig für die Erteilung der Arbeitsgenehmigung eben das Arbeitsamt ist, an dem sich der Sitz des Betriebes oder die Niederlassung befindet. Bei Beschäftigung mit wechselnden Arbeitsstätten gilt der Sitz der für die Lohnabrechnung zuständigen Stelle als Beschäftigungsort. Damit ist zweifelsohne Beschäftigungsort des Hotel- und Gaststättenpersonals auf dem Fahrgastschiff „H.H." der Geschäftssitz der Klägerin, also Basel. Dass für die Erteilung von Arbeitserlaubnissen für den Beschäftigungsort Basel kein deutsches Arbeitsamt, insbesondere nicht das Arbeitsamt Ph. zuständig sein kann, versteht sich von selbst.
Soweit in § 9 Nr. 4 ArGB von der Arbeitserlaubnisfreiheit der Besatzung von Seeschiffen und Binnenschiffen sowie Luftfahrzeugen gesprochen wird, kann dies auch nur für die Besatzung von deutschen Seeschiffen und Binnenschiffen gelten. Es kann also aus dieser Vorschrift nicht der Schluss gezogen werden, dass lediglich die Besatzungen von ausländischen Binnenschiffen arbeitserlaubnisfrei wären, wohingegen Hotel- und Gaststättenpersonal der unter ausländischer Flagge fahrenden Schiffe der Arbeitserlaubnispflicht unterliegt. Es ist vielmehr so, dass die unter fremder Flagge auf Rhein und Main verkehrenden Schiffe aus arbeitsrechtlicher Sicht exterritorial sind.
Alle Arbeitsverträge unterliegen dem Recht des Landes, unter dessen Flagge die Schiffe fahren. Die Genehmigung für derartige Arbeitsverhältnisse können von der Bundesanstalt nicht erteilt werden. Dementsprechend kann auch kein Prüfungsrecht nach § 304 Abs. 1 Nr. 2 bestehen. Zwar wurde von der Beklagten eingeräumt, dass die Arbeitnehmer im Gastro- und Hotelbereich keiner deutschen Arbeitserlaubnis bedürften. Zu diesem Ergebnis gelangte die Beklagte aufgrund einer Analogie zu § 9 Nr. 3 Arbeitsgenehmigungsverordnung. Danach ist das fahrende Personal im grenzüberschreitenden Personen- und Güterverkehr bei Arbeitgebern mit Sitz im Ausland arbeitserlaubnisfrei, wenn das Fahrzeug im Ausland zugelassen ist. Sämtliche Regelungen in § 9 Arbeitsgenehmigungsverordnung setzen eine an sich bestehende Pflicht zur Beantragung einer Arbeitsgenehmigung voraus, normieren also Ausnahmen von dieser Pflicht. Im vorliegenden Fall geht es aber gar nicht darum, dass ursprünglich einmal eine Pflicht zur Erteilung einer Arbeitsgenehmigung bestanden hätte, von der im Wege der Analogie auch die Rheinschifffahrtsunternehmen befreit werden könnten, sondern es geht darum, dass deutsche Arbeitsämter überhaupt keine Berechtigung haben, für die auf ausländischen Schiffen beschäftigten Arbeitnehmer Arbeitsgenehmigungen zu erteilen. Insoweit müssen auch keine Ausnahmen von einer bestehenden Genehmigungspflicht statuiert oder im Wege der Analogie gefunden werden. § 9 Nr. 3 ArGV ist im Übrigen zwischenzeitlich eine vollkommen sinnenthöhlte Vorschrift. Einen Sinn hatte sie lediglich bis zum Jahre 1996, bevor aufgenommen wurde, dass die Fahrer im grenzüberschreitenden Verkehr nur dann noch arbeitserlaubnisfrei sind, wenn sie bei einem ausländischen Arbeitgeber beschäftigt und auf ausländischen Fahrzeugen eingesetzt sind. Bis zum 30.09.1996 war man zumindest davon ausgegangen, dass der Einsatz ausländischer Fahrer mit ausländischem Arbeitsvertrag auf deutschen LKWs arbeitserlaubnisfrei wäre. Bis 1993 konnten die ausländischen Arbeitnehmer sogar bei einem deutschen Arbeitgeber auf deutschen Wagen arbeitserlaubnisfrei im grenzüberschreitenden Verkehr eingesetzt werden. Nur bis 1996 hatte daher § 9 Nr. 3 ArGV im Sinne einer Ausnahmevorschrift überhaupt eine Bedeutung. Dass ausländische im grenzüberschreitenden Verkehr tätige Fahrer eines ausländischen Arbeitgebers auf einem ausländischen Fahrzeug keiner deutschen Genehmigung bedürfen, bedürfte nämlich keiner Ausnahmeregelung mehr. Eine Analogie zu dieser Vorschrift, um die Arbeitserlaubnisfreiheit im vorliegenden Fall zu begründen, verbietet sich mithin. Da die unter Schweizer Flagge fahrenden Rheinschiffe der Klägerin, welche ihren Sitz in Basel hat, nach hier vertretener Ansicht als exterritorial anzusehen sind, kommen Prüfungen nach den §§ 304 ff. SGB III nicht in Betracht. Zu einer Prüfung nach § 304 Abs. 1 Satz 1 SGB III bestand für das Gericht keine Veranlassung. Das wäre nur dann der Fall gewesen, wenn auf einem Schweizer Rheinschiff ein Arbeitnehmer tätig gewesen wäre, der deutsches Arbeitslosengeld bezogen hätte. Da unstreitig die Beklagte bei der im Streit stehenden Prüfung nicht den unberechtigten Bezug von Sozialleistungen durch Arbeitnehmer der Klägerin, sondern den Besitz deutscher Arbeitsgenehmigungen überprüfen wollte, würde die Behauptung, es sei überprüft worden, ob Sozialleistungen nach dem SGB III zu Unrecht bezogen werden, ein unzulässiges Nachschieben von Gründen bedeuten. Im Ergebnis kommt das Gericht zu der Feststellung, dass sowohl das nautische Personal als auch das Personal des Hotel- und Gaststättenbereichs für seine Tätigkeit auf Passagierschiffen auf dem Rhein keine Arbeitserlaubnis benötigt, wenn das Schiff unter Schweizer Flagge fährt. Folglich konnten keine Prüfungen in Betracht kommen; die am 20.04.98 vorgenommen Prüfung war daher rechtswidrig. Eine Grundrechtsverletzung, wie sie von der Klägerin gerügt worden war, vermochte das Gericht nicht zu erkennen. Dagegen sind die Rechte aus der Mannheimer Akte verletzt. Gem. Art. 2 Abs. 3 Nr. 22 Mannheimer Akte benötigt ein zur Rheinschifffahrt gehöriges Schiff ein Schiffsattest und einen Flaggennachweis. Liegen diese Voraussetzungen vor, gestehen sich die Signatarstaaten, zu denen auch die BRD gehört, gegenseitig zu, Rheinschiffe eines anderen Staates wie eigene Rheinschiffe zu behandeln, so dass der Schifffahrtsunternehmer die Gewissheit hat, mit Erfüllung der Vorschriften in einem Signatarstaat zugleich den Vorschriften der anderen Signatarstaaten zu genügen (Art. 4 Abs. 3 Mannheimer Akte).
Das Urteil ist infolge der Rücknahme der Berufung seitens der Beklagten auf Grund des Verlaufs eines Erörterungstermins vor dem Bayerischen Landessozialgericht rechtskräftig.
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 2003 - Nr. 11 (Sammlung Seite 1902 ff.); ZfB 2003, 1902 ff.