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Leitsätze:
1) Auch ein Rudergänger, der nicht zugleich verantwortlicher Schiffsführer ist, kann Fahrzeugführer im Sinne des § 316 I und II StGB sein. Das Tatbestandsmerkmal, Führen eines Fahrzegues, kann nur eigenhändig verwirklicht werden, maßgeblich ist, wer die Verantwortung für die Bewegung des Fahrzeuges hat und dieses mit Blick auf den Bewegungsvorgang faktisch betätigt.
2) Die Vorstellung des Rudergängers, mit Fahrzeugführer im Sinne des § 316 I StGB sei nur der verantwortliche Schiffsführer gemeint, ist ein vermeidbarer Verbotsirrtum und kann daher die Tat nicht entschuldigen.
Urteil des Schiffahrtobergerichtes Karlsruhe
vom 09. November 2020
Az.: Ns Rv 22 Ss 311/20
Die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts – Schifffahrtsgericht
– Mannheim vom 2. März 2020 wird als unbegründet verworfen.
Der Angeklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Angewandte Vorschriften: §§ 316 Abs.1 und 2, 40 StGB
Aus den Gründen:
Der Angeklagte wurde durch Urteil des Amtsgerichts – Schifffahrtsgericht – Mannheim vom 2.3.2020 wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 100 € verurteilt. Hiergegen legte er form und fristgemäß Berufung mit dem Ziel eines Freispruchs ein.
Das Rechtsmittel blieb ohne Erfolg.
… III. Der Angeklagte ist … Inhaber des Sportbootführerscheins und Eigentümer des motorisierten Sportboots‚ amtliches Schiffskennzeichen XY mit Liegeplatz beim BC Lampertheim. Am Abend des 16.8.2019 fuhren der Angeklagte und sein Begleiter, der Zeuge A vom Restaurant beim MCP Kiefweiher zurück nach Lampertheim, wobei der Angeklagte das Sportboot steuerte und den Gashebel betätigte, obwohl er – wie er hätte erkennen können und müssen – aufgrund des vorangegangenen Alkoholkonsums fahruntüchtig war.
Gegen 20.55 Uhr sollte das Sportboot von den Zeugen PHM B und PK C von der Wasserschutzpolizei Mannheim wegen angesichts der einbrechenden Dämmerung erforderlicher, am Sportboot jedoch fehlender Beleuchtung kontrolliert werden. Der Angeklagte rangierte das Sportboot entsprechend der Aufforderung durch den Zeugen PHM B längsseits an das Polizeiboot, während der Zeuge A die Leinen für das Anlegemanöver bereitlegte und diese am Polizeiboot festmachte. Da die Polizeibeamten beim Angeklagten
Alkoholgeruch feststellten, forderten sie ihn auf, ihnen zur nahegelegenen Wasserschutzpolizeistation zu folgen. Die am 16.8.2019 um 22.00 Uhr entnommene Blutprobe ergab eine BAK von 1,26 % …
Der Angeklagte legte dar, er sei mit seinem langjährigen Bekannten, dem Zeugen A am frühen Abend des 16.8.2020 mit seinem Sportboot, amtliches SchiffskennzeichenXY vom Liegeplatz beim BC Lampertheim zum MCP Kiefweiher gefahren. Im dortigen Restaurant hätten sie gegessen und Alkohol getrunken, wobei vereinbart gewesen sei, dass der A, der ebenso wie er selbst im Besitz eines Sportbootführerscheins sei, keinen oder nur wenig Alkohol trinken werde. Jedenfalls habe er das Boot – trotz seines Alkoholkonsums – auf der gesamten Fahrt gesteuert, gelenkt und den Gashebel betätigt. Allerdings hätten er und der Zeuge A vor Fahrtantritt vereinbart, dass dieser als Schiffsführer fungiere. Sie hätten beide gedacht, es genüge, wenn sich an Bord eine nüchterne, fahrtüchtige Person befinde, auch wenn eine alkoholisierte Person – vorliegend er selbst – das Boot fahre. Der Zeuge A habe auch den sog. Quickstopp am Arm gehabt, durch den der Motor des Bootes beispielsweise bei Mann über Bord sofort ausgeschaltet werde …
Diese Einlassung des Angeklagten wurde in weiten Teilen vom Zeugen A bestätigt … Auch die Zeugen PHM B und die PK C, die die Kontrolle am 16.8.2019 gegen 20.55 Uhr durchgeführt haben, bestätigten glaubhaft, dass der Angeklagte bereits zu dem Zeitpunkt, als ihnen das unbeleuchtete Boot in einer Entfernung von ca. 50 – 100 m aufgefallen sei, am Steuer gesessen sei, der Zeuge A die Leinen fertiggemacht habe, der Angeklagte das Anlegemanöver am Polizeiboot durchgeführt und dabei Steuerrad und Gashebel betätigt habe …
Nach alldem war der Senat von dem oben festgestellten Sachverhalt unter Ziffer III. überzeugt. Sowohl der Angeklagte als auch die Zeugen, PHM B und PK C gaben übereinstimmend an, dass der Angeklagte das Boot bei der Annäherung an das Polizeiboot und nach der Kontrolle in den Hafen gesteuert und den Gashebel betätigt und das Anlegemanöver am Polizeiboot sowie am Steiger vor der Polizeidienststelle selbständig durchgeführt habe.
Soweit der Angeklagte in Übereinstimmung mit dem Zeugen A allerdings behauptet hat, man habe vor der Abfahrt beim MCP Kiefweiher vereinbart, dass zwar er das Boot lenken und steuern, der Zeuge aber als Schiffsführer fungieren solle, konnte der Senat dem keinen Glauben schenken ...
Der Angeklagte hat somit fahrlässig im Verkehr ein Fahrzeug geführt, obwohl erinfolge des Genusses alkoholischer Getränke nicht in der Lage war, das Fahrzeug sicher zu führen.
Es handelt sich um ein Vergehen der fahrlässigen Trunkenheit im Verkehr, strafbar gem. § 316 Abs. 1 und 2 StGB.
Ein Fahrzeug – hierunter fällt auch ein Sportboot – führt, wer es unter bestimmungsgemäßer Anwendung der Antriebskräfte unter eigener Alleinoder Mitverantwortung in Bewegung setzt, es unter Handhabung seiner technischen Vorrichtungen während der Fahrbewegung lenkt und sich hierbei aller wesentlichen Einrichtungen des Fahrzeugs bedient, die für dessen Fortbewegung bestimmt sind. Maßgeblich ist, wer die Verantwortung für die Bewegung des Fahrzeugs hat und diese mit Blick auf den Bewegungsvorgang faktisch betätigt (Fischer, StGB, 67. Aufl., Rdn. 4 zu § 315 a und Rdn. 3 a zu § 315c; BeckOK-Kudlich, StGB, Stand 1.5.2020, Rdn. 10 zu § 315c; Schönke/Schröder-Hecker, StGB, 30. Aufl., Rdn. 19 zu § 316; LK-König, StGB, 12. Aufl., Rdn. 6ff. zu § 315a; BGHSt 35, 390 und 59, 311). Dies war vorliegend der Angeklagte, der das Boot unter seiner Verantwortung eigenhändig – nicht nur von Kiefweiher in Richtung Lampertheim bis zur Kontrolle, sondern auch danach bis in den Mühlauhafen – gesteuert und den Gashebel bedient hat. Der Angeklagte war nach Überzeugung des Senats auch der Schiffsführer, weil er den Zeugen A angewiesen hat, die Leinen fertig zu machen (nach seinen eigenen Angaben ein typisches Kommando eines Schiffsführers) und sich gegenüber den kontrollierenden Polizeibeamten als Schiffsführer bezeichnet hat.
Selbst wenn der Angeklagte – wie von ihm eingewendet – lediglich der Rudergänger gem. § 1.09 RheinSchPV gewesen wäre, würde dies nichts an seiner strafrechtlichen Verantwortung gem. §316 StGB ändern. Das Merkmal des Führens eines Fahrzeugs kann nur eigenhändig verwirklicht werden (Fischer, a.a.O., Rdn. 2 zu §315c; BeckOK, a.a.O., Rdn. 11 zu § 315c; Schönke/Schröder, a.a.O., Rdn. 20 zu §316; LK-König, a.a.O., Rdn. 7 zu § 315a). Auch der Rudergänger verwirklicht das Merkmal des Führens eines Fahrzeugs in vollem Umfang, so dass er als Täter anzusehen ist. Ob es sich dabei um eine nautisch erfahrene oder unerfahrene Person handelt und inwieweit sieweisungsgebunden tätig wird, kann keine Rolle spielen (LK-König, a.a.O., Rdn. 9 zu § 315a). Nach dem Willen des Gesetzgebers soll § 316 StGB der abstrakten Gefahr entgegenwirken, die dem Verkehr daraus erwächst, dass der Fahrzeugführer sein Fahrzeug nicht zu beherrschen vermag (BGHSt 35, 390). Der Zeuge A hat vorliegend – im Gegensatz zum Angeklagten – weder die Lenk- noch Antriebsvorrichtungen des Sportbootes bedient und es somit auch nicht geführt. Auch der Einwand des Angeklagten, der Zeuge A habe ihn einmal auf einen im Wasser schwimmenden Ast hingewiesen und ihm geraten, er solle diesen umfahren, ändert nichts an der eigenhändigen Führung des Sportboots durch den Angeklagten, denn auch dieses Ausweichmanöver wurde von ihm in eigener Verantwortung durchgeführt.
Aufgrund seiner Alkoholisierung war der Angeklagte nicht mehr in der Lage, das Sportboot sicher zu führen.
Der Senat ist – unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung (Senat, Justiz 2001, 221) – in Übereinstimmung mit der mittlerweile in Rechtsprechung und Literatur überwiegend vertretenen Meinung der Auffassung, dass der für das Führen von Kraftfahrzeugen im Straßenverkehr allgemein anerkannte Grenzwert von 1,1 ‰ für eine alkoholbedingte absolute Fahruntüchtigkeit auch für die motorisierte Schiffahrt anzuwenden ist (Schifffahrtsobergericht Brandenburg, VRS 115, 302; Schönke/Schröder-Hecker, a.a.O., Rdn. 3 zu § 315a; LK-König, StGB, 12. Aufl., Rdn. 14 zu § 315a; Leipold/Tsambikakis/Zöller-Krumm, Anwaltskommentar StGB, 3. Aufl., Rdn. 6 zu § 315a).Aufgrund verkehrsmedizinischer Untersuchungen (Kaatsch, Blutalkohol 2006, 192) zur alkoholbedingten Fahrtuntüchtigkeit hat sich neuerdings mit Recht die Auffassung durchgesetzt, dass die Anforderungen, die an die Konzentrations-, Navigations- und Reaktionsfähigkeit eines Schiffsführers gestellt werden müssen, nicht anders zu beurteilen sind als beim Kraftfahrzeugverkehr (Escherich, Blutalkohol 2006, 207). Auch wenn im Schiffsverkehr in der Regel deutlich niedrigere Geschwindigkeiten vorherrschen werden, werden vom Schiffsführer eine hohe individuelle Reaktionsfähigkeit und ein hohes Maß an planender Vorausschau und Konzentrationsfähigkeit verlangt: Er muss wegen der langsameren Reaktion des Schiffes auf eingeleitete Manöver erheblich weiter voraus denken, unterschiedliche Strömungsverhältnisse beachten und darüber hinaus umfangreiches Regelwissen verarbeiten (AG Rostock, NZV 1996, 124 mit Anmerkung Reichart).
Bei der Strafzumessung war der Strafrahmen des § 316 Abs. 1 StGB zugrunde zu legen, der Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr vorsieht.
Zunächst hat der Senat geprüft, ob sich der Angeklagte in einem unvermeidbaren Verbotsirrtum i.S.v. § 17 Satz 1 StGB befunden hat, weil er rechtsirrig der Auffassung war, sich nicht strafbar zu machen, wenn eine andere, nüchterne und ebenfalls im Besitz eines Sportbootführerscheins befindliche Person an Bord war, oder ob es sich um einen vermeidbaren Verbotsirrtum i. S. v. § 17 Satz 2 StGB gehandelt hat, aufgrund dessen ggf. eine Strafrahmenverschiebung gem. § 49 Abs. 1 StGB zu erfolgen hat.
Nach Auffassung des Senats handelte es sich vorliegend lediglich allenfalls um einen vermeidbaren Verbotsirrtum. Sein Vorhaben hätte dem Angeklagten zum Zeitpunkt der Tat unter Berücksichtigung seiner Fähigkeiten und Kenntnisse Anlass geben müssen, über dessen mögliche Rechtswidrigkeit nachzudenken oder sich zu erkundigen. Vermeidbar ist der Verbotsirrtum, wenn sich der Täter – wie vorliegend – nicht informiert hat (Fischer, a.a.O., Rdn. 7 f. zu § 17) …
Mitgeteilt durch Rechtsanwalt Martin Hoffmann, Mannheim
Anmerkung der Redaktion:
Die vorliegende Entscheidung ist nicht nur für die Sportbootschifffahrt, sondern auch für die gewerbliche Schifffahrt von Interesse. Sehr häufig führt auch auf gewerblichen Schiffen ein Rudergänger das Ruder, der nicht zugleich verantwortlicher Schiffsführer ist. Der Rudergänger muss auch nicht Inhaber eines Patentes sein, sondern lediglich älter als 16 Jahre und geeignet zur Bedienung des Ruders. Die Auslegung des Begriffs „Führen eines Fahrzeuges“ im Sinne des § 316 StGB durch das Schiffahrtsobergericht Karlsruhe führt deshalb zu einem begrifflichen Widerspruch zwischen der RheinSchPV und dem StGB: „unter der Führung einer hierfür geeigneten Person“ im Sinne des §1.02 RheinSchPV wird nur der Schiffsführer verstanden und nicht etwa der Rudergänger im Sinne des §1.09 Rhein-
SchPV. Während also ein einfaches Besatzungsmitglied sich nicht nach §316 StGB strafbar machen kann, wenn es alkoholisiert ist, kann dies ein Rudergänger nach Auffassung des Schiffahrtsobergerichtes sehr wohl, auch wenn er nicht Schiffsführer ist.
Rechtsanwalt Dr. Martin Fischer,
Frankfurt am Main
ZfB 2020 - Nr.1 (Sammlung Seite 2688 f..); ZfB 2020, 2688 f.