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II ZR 97/74 - Bundesgerichtshof (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Datum uitspraak: 07.11.1974
Kenmerk: II ZR 97/74
Beslissing: Urteil
Language: Duits
Rechtbank: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Afdeling: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Leitsatz:

Klagen wegen Schäden, die eine französische Pionierfähre bei einer Dienstfahrt auf der deutschen Rheinstrecke infolge fehlerhafter Navigation an einem anderen Fahrzeug verursacht haben soll, können vor den Gerichten der Bundesrepublik Deutschland (gegen diese) verfolgt werden. Sie fallen jedoch nicht in die Zuständigkeit der Rheinschiffahrtsgerichte.

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 7. November 1974

II ZR 94/74

(Rheinschiffahrtsgericht Mannheim, Rheinschiffahrtsobergericht Karlsruhe)

Zum Tatbestand:

Als ein Fahrzeugverband der französischen Streitkräfte auf dem Rhein, darunter als letztes Fahrzeug die Pionierfähre A, im Oktober 1970 einen Talschleppzug unterhalb Karlsruhe überholte, brach der in dessen Anhang befindliche, der Klägerin gehörende Schleppkahn F im Bereich von Raum 6 durch und sank.
Die Klägerin verlangt von der beklagten Bundesrepublik Deutschland Ersatz des durch den Schiffsunfall entstandenen Schadens von ca. 174 000,- DM, weil die Pionierfähre mit überhöhter Geschwindigkeit und zu geringem Seitenabstand den Schleppzug überholt habe.
Die Beklagte führt das Knicken des Kahnes darauf zurück, daß es sich um ein altersschwaches Fahrzeug gehandelt habe, das außerdem unsachgemäß beladen gewesen sei.

Das Rheinschiffahrtsgericht hat die Klage abgewiesen, das Rheinschiffahrtsobergericht hat den Anspruch dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Auf die Revision sind beide Vorurteile wegen fehlender sachlicher Zuständigkeit aufgehoben und der Rechtsstreit an das Schiffahrtsgericht Mannheim verwiesen worden.

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Klägerin leitet den von ihr geltend gemachten Schadenersatzanspruch aus der fehlerhaften Navigation einer in Ausübung ihres Dienstes erlaubterweise die deutsche Rheinstrecke befahrenden Pionierfähre der französischen Streitkräfte her. Sie meint in Übereinstimmung mit den Vorinstanzen, sie könne diesen Anspruch - der nach den Bestimmungen des Völkergewohnheitsrechts an und für sich vor den französischen Gerichten zu verfolgen wäre, weil kein Staat die Gerichtsbarkeit über hoheitliche Tätigkeiten eines anderen Staates besitzt (vgl. Wengler, Völkerrecht Bd. 11 S. 949 ff. sowie Seidl-Hohenvelden, Völkerrecht 2. Aufl. S. 236 ff.) - nach dem Abkommen zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrages über die Rechtsstellung ihrer Truppen vom 19. Juni 1951 (NATO-Truppenstatut; BGBI. 1961 II 1190) in Verbindung mit dem Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut vom 3. August 1959 (BGBI. 1961 II 1218) und dem Gesetz zum NATO-Truppenstatut und zu den Zusatzvereinbarungen vom 18. August 1961 (BGBI. 11 1183) vor den Gerichten der Bundesrepublik Deutschland gegen diese geltend machen. Insoweit ist zunächst richtig, daß nach Art. VIII Abs. 5 des NATO-Truppenstatuts in Verbindung mit Art. 41 Abs. 1 des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut und Art. 12 Abs. 1 und 2 des Gesetzes zum NATO-Truppenstatut und zu den Zusatzvereinbarungen u. a. diejenigen Ansprüche vor den Gerichten der Bundesrepublik Deutschland gegen diese zu verfolgen sind, die sich daraus ergeben, daß durch Handlungen oder Unterlassungen einer Truppe (eines der Entsenderstaaten) in Ausübung des Dienstes im Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland einem Dritten, mit Ausnahme einer der Vertragsparteien, Schaden zugefügt worden ist. Jedoch gilt diese Regelung nach Art. VIII Abs. 5 Buchst. h) des NATO-Truppenstatuts nicht für Ansprüche „aus oder im Zusammenhang mit der Navigation oder dem Betrieb eines Schiffes oder dem Verladen, der Beförderung oder dem Entladen einer Schiffsladung, es sei denn, daß es sich um Ansprüche wegen Todes oder Körperverletzung handelt" (vgl. hierzu Palandt, BGB 33. Aufl. Anm. la zu NTS Art. VIII Abs. 5 sowie Rieger, Stationierungsschädenrecht 5.128).

Maßgebend für die Auslegung des NATO-Truppenstatuts sind allein der englische und der französische Vertragstext; lediglich sie sind nach Art. XX des Statuts (gleichermaßen) verbindlich. Von ihnen verwendet der englische Text in Art. VIII Abs. 5 Buchst. h) das Wort „ship" (... the provisions of this paragraph shall not applyto any Claim arising out of or in connexion with the navigation or Operation of a ship ...), was sowohl Seeschiff (seegoing ship) als auch Binnenschiff (inland navigation ship), aber auch beides bedeuten kann. Ähnlich verhält es sich mit dem französischen Wortlaut der Vorschrift ... Klarheit über diese Frage gewinnt man hingegen, wenn man bei der Auslegung des Art. VIII Abs. 5 Buchst. h) des NATO-Truppenstatuts den Sinn und Zweck der allgemein in Art. VIII Abs. 5 getroffenen Regelung berücksichtigt. Diese Vorschrift will dem Umstand Rechnung tragen, daß es infolge der Aufnahme von Truppen eines Entsendestaates (worunter nach Art. 1 Abs. 1 des Statuts das Personal der Land-, Seeund Luftstreitkräfte zu verstehen ist) vielfach tagtäglich zu Berührungen zwischen ihnen und der Bevölkerung des Aufnahmestaats kommen und dabei dieser auch Schaden entstehen kann. Um ihr die sonst oft schwierige Verfolgung von Enschädigungsansprüchen zu erleichtern, sieht Art. VIII Abs. 5 des NATO-Truppenstatuts unter Buchstabe a) vor, daß „die Geltendmachung, Prüfung und außergerichtliche Regelung der Entschädigungsansprüche oder die gerichtliche Entscheidung über sie gemäß den Gesetzen und Bestimmungen des Aufnahmestaats erfolgt, die insoweit für seine eigenen Streitkräfte gelten". Damit soll erreicht werden, daß die Bevölkerung des Aufnahmestaats bei Schäden, die ihr durch Mitglieder der Truppe eines Entsendestaats zugefügt werden, grundsätzlich so gestellt ist, wie wenn es sich bei diesen um Streitkräfte des Aufnahmestaats gehandelt hätte. Diesem Zweck würde es aber widersprechen, wenn man die Ausnahmeregelung des Art. VIII Abs. 5 Buchst. h) des NATO-Truppenstatuts weit auslegen und darin auch Binnenschiffe einbeziehen würde. Abgesehen davon, daß - ähnlich wie im Straßenverkehr - in der Binnenschiffahrt die Berührungspunkte zwischen der Truppe eines Entsendestaats und der Bevölkerung des Aufnahmestaats besonders zahlreich sein können und schon deshalb eine unterschiedliche Behandlung gegenüber dem Straßenverkehr durch die Vertragschließenden nicht anzunehmen ist, haben diese bei der Absprache der genannten Bestimmung offensichtlich dem Gedanken Rechnung getragen, daß im Seerecht Staats-, insbesondere Kriegsschiffe besonders behandelt werden (vgl. z. B. Art. 11 des Internationalen Ubereinkommens zur einheitlichen Feststellung von Regeln über den Zusammenstoß von Schiffen vom 23. September 1910 - RGBI. 1913, 49; Art. 3 § 1 des Internationalen Abkommens zur einheitlichen Feststellung von Regeln über die Immunitäten der Staatsschiffe vom 10. April 1926 - RGBI. 1927 II 484; Art. 5 des Internationalen Übereinkommens zur Vereinheitlichung von Regeln über die zivilgerichtliche Zuständigkeit bei Schiffszusammenstößen vom 10. Mai 1952 - BGBI. 1972 II 663) und daran durch Art. VIII Abs. 5 des NATO-Truppenstatuts nichts geändert werden soll.
Beide Vorinstanzen haben ihre sachliche Zuständigkeit ersichtlich nach § 14 Abs. 2 BinnSchVerfG, Art. 34 Nr. II c der Revidierten Rheinschiffahrtsakte vom 17. Oktober 1868 (Mannheimer Akte) bejaht. Ob dies rechtlich zutreffend ist, hat der Senat von Amts wegen nachzuprüfen, da insoweit § 295 Abs. 1, § 528 ZPO nicht anwendbar sind, sondern § 295 Abs. 2 ZPO gilt (BGHZ 45, 237, 242; BGH, Urt. v. 24. 5. 1971 - II ZR 128/69, LM Nr. 4 zu § 14 BinnSchVerfG = VersR 1971, 816) ...
... Das bedeutet, daß der Streitfall so zu behandeln ist, als ob es sich um die Dienstfahrt einer Pionierfähre der Bundeswehr gehandelt hätte. In einer solchen Fahrt ist aber die Ausübung hoheitlicher Tätigkeit zu sehen (vgl. BGHZ 3, 321, 328 ff. sowie die Anmerkung von Lindenmaier zu dieser Entscheidung in LM [Nr. 1 ] § 839 [E] BGB; vgl. außerdem BGHZ 42, 176 ff.; 49, 267 ff). Die Beurteilung einer derartigen Tätigkeit wird aber von der sachlichen Zuständigkeit der Rheinschiffahrtsgerichte nicht umfaßt, weil die Vertragsstaaten der Mannheimer Akte ihr hoheitliches Handeln deren Gerichtsbarkeit nicht unterworfen haben (BGHZ 45, 237, 245). Hinzu kommt, daß die Vertragsstaaten des NATO-Truppenstatuts zwar die gerichtliche Entscheidung über Entschädigungsansprüche Dritter wegen der in Art. VIII Abs. 5 beschriebenen Handlungen und Unterlassungen von Mitgliedern der Truppe eines Entsendestaates den Gerichten des Aufnahmestaats übertragen haben, jedoch kein Anhaltspunkt dafür besteht, daß damit zugleich auch der Rechtsweg vor einem internationalen Gericht - wie der Berufungskammer der Rheinzentralkommission - eröffnet werden sollte, auf dessen Zusammensetzung sie keinen oder - wie bei der genannten Berufungskammer - nur einzelne von ihnen Einfluß haben.
An dieser Beurteilung kann sich entgegen der Ansicht der Klägerin nichts ändern, wenn man mit dem Reichsgericht (RGZ 149, 167 ff.) und Vortisch/Zschucke (Binnenschiffahrts- und Flößereirecht 3. Aufl. BSchG § 1 Anm. 5 c und § 3 Anm. 2 a) davon ausgeht, daß der Schadensersatzanspruch eines Dritten wegen Verstoßes gegen Verkehrsvorschriften bei der Dienstfahrt einer Pionierfähre der Bundeswehr neben Art. 34 GG, § 839 BGB auch die §§ 3, 4, 92 BinnSchG gestützt werden kann. Denn letztlich geht es im Rahmen dieser Bestimmungen ebenfalls nur um die Frage, ob der Führer der Pionierfähre bei Ausübung seiner hoheitlichen Tätigkeit eine Amtspflicht verletzt hat.
Demnach haben beide Vorinstanzen zu Unrecht ihre sachliche Zuständigkeit bejaht.