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II ZR 94/69 - Bundesgerichtshof (Berufungsinstanz Schiffahrt)
Datum uitspraak: 18.03.1971
Kenmerk: II ZR 94/69
Beslissing: Urteil
Language: Duits
Rechtbank: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Afdeling: Berufungsinstanz Schiffahrt

Leitsatz:

Zwischen dem Kapitän als solchem und dem Empfänger der Güter besteht ein gesetzliches Schuldverhältnis, aus dem diesem Ansprüche auf Ersatz eines Vermögensschadens unabhängig vom Erwerb des Eigentums an den Gütern erwachsen können.

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 18. März 1971

II ZR 94/69

(Landgericht Hamburg; Oberlandesgericht Hamburg)

Zum Tatbestand:

Die Firma A. in Göteborg hatte von der Firma H. in Deutschland 250t Wasserglas bei „Kasse gegen Dokumente" gekauft. Die Befrachtungsagentin Firma Sch. hatte daraufhin der im Auftrag der Verkäuferin tätigen Speditionsfirma C. eine „Abschlußbestätigung" aufgrund der Deutgencon-Charter erteilt, worauf Firma C. für den Beklagten, den Eigentümer und Kapitän des Küstenmotorschiffs T, einen „Ladeschein" ausstellte, in welchem Firma A. als Empfängerin bezeichnet wurde, an die die Ware gegen Vorlage der Urkunde auszuliefern sei. Auf der Reise nach Göteborg wurde in einem dänischen Zwischenhafen am 4.-5. April 1966 eine weitere im Schiff befindliche Ladung Schwefel gelöscht, wobei Schwefel aus beschädigten Papiersäcken auf die nicht genügend abgedeckte Partie Wasserglas geriet, die hierdurch unbrauchbar wurde. Der „Ladeschein" wurde am 4. April 1966 vormittags bei der Bank in Göteborg von Firma A. eingelöst.

Die Klägerin verlangt als Transportversicherin nunmehr vom Beklagten u. a. Ersatz des erstatteten Schadens in Höhe von ca. DM 70 000,-.

Der Beklagte beantragt Klageabweisung, weil er die Partien genügend abgedeckt und von einander getrennt habe, Ansprüche aus dem Frachtvertrag wegen § 612 HGB nicht fristgemäß geltend gemacht seien, eine Haftung aus unerlaubter Handlung nicht in Betracht komme, weil Firma A. bei der Löschung der Partie Schwefel nicht Eigentümerin der Partie Wasserglas gewesen sei, und schließlich weil er durch Nr. 2 der Deutgencon-Charter, die auch für sein Verhältnis zur Empfängerin A. gelte, freigezeichnet sei.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht hat ihr stattgegeben. Die Revision des Beklagten blieb erfolglos.

Aus den Entscheidungsgründen:

Der Kapitän steht als solcher mit den Ladungsbeteiligten in einem gesetzlichen Schuldverhältnis, das ihn insbesondere auch mit dem Empfänger der Güter verbindet (§ 512 HGB). Der Empfänger braucht nicht die Schädigung seines Eigentums nach § 823 Abs. 1 BGB oder eines dringlichen Anwartschaftsrechts (vgl. BGH LM BGB § 823 [Ad] Nr. 1) an den Gütern geltend zu machen, um den Kapitän wegen einer Beschädigung der Güter in Anspruch nehmen zu können. Dem Kapitän obliegen gegenüber den Ladungsbeteiligten gesetzliche Sorgfaltspflichten, deren Verletzung ihn für jeden durch sein Verschulden daraus entstehenden Schaden haftbar macht (§ 511 Satz 2 HGB). Bereits vor dem etwaigen Erwerb des Eigentums durch den Empfänger und unabhängig von diesem hat der Kapitän die Verpflichtung, die für den Empfänger bestimmten Güter sorgfältig zu behandeln und einen durch sein Verschulden diesem entstehenden Schaden, der mit dem Schaden des Eigentümers nicht identisch zu sein braucht, zu ersetzen. Insbesondere hat der Kapitän im Interesse des Empfängers die Güter während der Beförderung mit der Sorgfalt eines ordentlichen Schiffsführers zu behandeln. Anders als im Falle des § 823 Abs. 1 BGB kommt es auf das Eigentum des Ladungsbeteiligten bei der schädigenden Handlung nicht an. Es genügt, daß die Pflicht zur ordnungsmäßigen Behandlung gegenüber dem Empfänger verletzt worden ist, das heißt gegenüber demjenigen, an den nach dem Frachtvertrag oder dem Konnossement die Güter abzuliefern sind (§ 592 HGB).

Diese geschichtlich zu erklärende „quasi-vertragliche" Haftung des Kapitäns (vgl. Wüstendörfer, Neuzeitliches Seehandelsrecht 2. Aufl. S. 193) soll gerade dem Ladungsbeteiligten unabhängig von einer Verletzung seines etwaigen Eigentums Ansprüche auf Schadensersatz wegen der Nichterfüllung der Sorgfaltspflicht bei der Wahrnehmung der Dienstverrichtungen durch den Kapitän gegen diesen gewähren, um ihn zur äußersten Sorgfalt anzuhalten (vgl. Schaps/ Abraham, Das deutsche Seerecht, 3. Aufl. § 512 Anm. 1). Seine Haftung geht über die sich aus §§ 823 ff BGB ergebende außerkontraktliche Haftung hinaus und ist sogar strenger als die des Verfrachters und Reeders, da er unbeschränkt für den ganzen Schaden persönlich gemäß §§ 249 ff BGB haftet. Das Internationale Abkommen über die beschränkte Reederhaftung von 1956, das seine Haftung wie die des Reeders beschränkt, ist noch nicht ratifiziert. Die Haftung des Kapitäns wird auch nicht dadurch beeinflußt, daß er gleichzeitig Reeder ist (Schaps/Abraham aa0 § 486 Anm. 36).

Mit Recht hat das Berufungsgericht im „Ladeschein" vom 25. März 1966 ein wirksames Konnossement im Sinne der §§ 642 ff HGB gesehen, nach dem die Güter an die aus der Urkunde legitimierte Person als Empfänger abzuliefern waren. Das ist die Firma A. in Göteborg, an deren Order die Urkunde lautet. An sie hat auch der Beklagte die Güter gegen ihre Vorlage ausgeliefert. Dieser Firma gegenüber war mithin der Beklagte als Kapitän gemäß § 512 HGB zur sorgfältigen Behandlung der Güter während des Transportes verpflichtet.

Die Empfängerin konnte hiernach als ihren Schaden geltend machen, daß die für sie bestimmten, von ihr gekauften und bezahlten Güter ihr im total beschädigten Zustand ausgeliefert worden sind. Darauf, ob sie im Augenblick der Beschädigung bereits Eigentümerin war, kommt es nicht an.
Zutreffend ist auch das Berufungsgericht zu dem Ergebnis gelangt, daß die Klausel Nr. 2 der Deutgencon-Charter, die dem Hauptfrachtvertrag zugrunde liegt, den Klageanspruch schon aus tatsächlichen Gründen nicht ausschließen kann. Es handelt sich um eine typische Klausel, deren Auslegung der unbeschränkten Nachprüfung durch das Revisionsgericht unterliegt. Die Klausel schließt die Haftung für Schäden aus, die durch das Zusammenstauen verschiedenartiger Güter im gleichen Raum entstehen (sog. Kontaktschäden; vgl. Puchta, Die Gencon-Charter S. 71). Hier ist der Schaden unstreitig dadurch hervorgerufen worden, daß der Kapitän beim Löschen des Schwefels nicht genügend durch Abdeckung dafür gesorgt hat, daß kein Schwefel aus mehreren beschädigten Papiersäcken über das Wasserglas verstreut worden ist, das gegen Verunreinigungen sehr empfindlich ist. Das Berufungsgericht nimmt daher in enger Auslegung der Freizeichnungsklausel mit Recht an, daß nicht unsachgemäße Stauung, sondern mangelnde Fürsorge für das Ladungsgut während des Löschens anderer Güter in einem Zwischenhafen vorliegt."