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Leitsatz:
Werden die Akten des Verklarungsverfahrens in Binnenschiffahrtssachen zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung im Rechtsstreit gemacht, so können die Zeugenaussagen im Verklarungsverfahren im Rechtsstreit von den Parteien ebenso benutzt werden, wie wenn diese Beweise in einem vorausgegangenen Beweiserhebungsverfahren erhoben worden wären. Die erneute Vernehmung der Zeugen im Rechtsstreit ist eine wiederholte, die nach § 398 ZPO im Ermessen des Gerichts steht.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 2. November 1964
(Rheinschiffahrtsgericht St. Goar/ Rheinschiffahrtsobergericht Köln)
Zum Tatbestand:
Das bei der Klägerin versicherte MS „A" stieß auf der Talfahrt bei St. Goar mit dem der Beklagten zu 1 gehörenden und vom Beklagten zu 2 geführten, auf der Bergfahrt befindlichen MS „B" zusammen und sank.
Die Klägerin verlangt Ersatz des von ihr erstatteten Schadens mit der Behauptung, daß „B" dem „A" den Weg an der Backbordseite gewiesen habe, dann aber plötzlich nach Backbord abgegangen sei. Obwohl „A" versucht habe, nach Steuerbord auszuweichen, sei „B" in die Backbordseite von „A" hineingefahren.
Die Beklagten meinen, daß „A" zu weit im linksrheinischen Fahrwasser im Kurse der Bergfahrt gefahren sei. Auf MS „A", das sich im Zeitpunkt der Kollision in Schräglage befunden habe, sei zuwenig Maschinenkraft eingesetzt worden. Rheinschiffahrtsgericht und Rheinschiffahrtsobergericht haben die Klage dem Grund nach für gerechtfertigt erklärt. Die Revision der Beklagten wurde zurückgewiesen.
Aus den Entscheidungsgründen:
"Den rechtlichen Schlußfolgerungen des Berufungsgerichts aus dem von ihm festgestellten Sachverhalt ist insoweit zuzustimmen, als es annimmt, „B" habe entgegen dem Verbot des § 37 Nr. 3 RhSchPVO den nach § 38 Nr. 2 dieser Verordnung festgelegten Kurs zur Vorbeifahrt an Backbord geändert und der Schiffsführer von „B" habe es schuldhafterweise unterlassen, den Lotsen auf die schwere Steuerbarkeit des Schiffes hinzuweisen.
Die Revision rügt, das Berufungsgericht habe es unterlassen festzustellen, ob die Schiffe in Strommitte, im rechtsrheinischen oder im linksrheinischen Fahrwasser zusammengestoßen seien. Die Rüge ist unbegründet. Die Begegnung ist, soweit nicht Sondervorschriften bestehen, nach § 37 Nr. 1 RhSchPVO überall gestattet, wo das Fahrwasser unter Berücksichtigung aller örtlichen Umstände und des übrigen Verkehrs unzweifelhaft hinreichenden Raum für die Vorbeifahrt gewährt. Sofern diese Voraussetzungen gegeben sind, kann sich auch die Backbordbegegnung an einer Stelle vollziehen, die sich für eines der begegnenden Schiffe als linke Seite seines Fahrwassers darstellt.
Die Revision meint weiter, schon der Beweis des ersten Anscheins spreche für einen nautischen Fehler der Schiffsführung von „A", weil „A" quer zum Strom auf „B" zugetrieben und es dadurch zur Kollision gekommen sei. Nach der Feststellung des Berufungsgerichts war MS „A" wegen der Kursweisung und der Fahrweise des Bergfahrers gezwungen, immer weiter nach Steuerbord auszuweichen, so daß es schließlich in Schräglage befindlich von „B" angefahren worden sei. Schon nach dieser Feststellung scheidet die Anwendung von Grundsätzen des Anscheinsbeweises aus, da die Schräglage von „A" durch einen nautischen Fehler der Schiffsführung von „B" herbeigeführt worden ist.
Unrichtig ist die Ansicht der Revision, die in den Strafakten enthaltenen Vernehmungsprotokolle hätten überhaupt nicht verwendet werden dürfen. Nachdem die Strafakten auf Antrag der Klägerin beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung: gemacht worden waren, konnte und mußte das Berufungsgericht die in diesen Akten enthaltenen Aussagen der Zeugen urkundenbeweislich würdigen (RGZ 105, 219, 221 ; BGH 7, 116, 121 ; RG JW 1935, 2953). Die Aussagen im Verklarungsverfahren (dessen Akten auf Antrag beider Parteien zum Gegenstand der Verhandlung gemacht worden waren) können im Prozeß ebenso von den Parteien benutzt werden, wie wenn diese Beweise im Rechtsstreit selbst aufgenommen worden wären. Das Verklarungsverfahren in Binnenschifffahrtssachen (§§ 11 ff BSchG) mit seinen rechtsstaatlichen Garantien mul3 dem Beweissicherungsverfahren (§ 493 Abs. 1 ZPO) gleichgestellt werden. Die Vernehmung eines Zeugen im Verklarungsverfahren schließt ebenso wenig wie die Vernehmung eines Zeugen im Rechtsstreit aus, die Protokolle über die Aussagen dieses Zeugen in einem anderen Verfahren im Wege des Urkundenbeweises zu benutzen (Stein - Jonas - Schönke - Pohle, ZPO). Das Berufungsgericht hat sich im Rahmen seiner freien Beweiswürdigung gehalten, wenn es den am Unfalltage gegenüber der Wasserschutzpolizei gemachten Aussagen mehr Glauben schenkte als den späteren Aussagen im Verklarungsverfahren. Was insbesondere die Aussage des Lotsen „C" betrifft, so stellt das Berufungsgericht ausdrücklich fest, daß seine Bekundung vor der Wasserschutzpolizei unstreitig korrekt zustande gekommen ist. Auf diese Aussage, aus der sich das Verfallen von „B" klar ergibt, hat das Berufungsgericht besonderen Wert gelegt; es hat sie durch unbeteiligte Zeugen für bestätigt angesehen. Das Berufungsgericht ist in eingehender Begründung zu der Überzeugung gekommen, die Besatzungsmitglieder von „B" hätten ihre Aussagen vor dem Richter im Verklarungsverfahren abgestimmt. Diesen Schlug konnte das Berufungsgericht aus der von ihm festgestellten zum Teil wörtlichen Übereinstimmung der Aussagen in wesentlichen Punkten in Verbindung mit der ganz anderen Darstellung der Ereignisse durch dieselben Personen am Tage vorher ziehen; es war nicht gehalten, hierwegen die Besatzungsmitglieder zu vernehmen; denn selbst bei Vernehmung eines Zeugen steht es im Ermessen des Richters, inwieweit er die Glaubwürdigkeit des Zeugen betreffende Fragen stellen will (§ 395 Abs. 2 ZPO).
Die Revision rügt weiter, daß "C", Schiffsführer "D" und Matrose "E" im Rechtsstreit nicht vernommen worden seien. Diese Personen sind im Verklarungsverfahren vernommen worden. Ihre erneute Vernehmung im Rechtsstreit wäre eine wiederholte gewesen, die nach § 398 ZPO im Ermessen des Gerichts stand (vgl. RG LZ 1933, 946)."