Jurisprudentiedatabank
Leitsatz:
Zur Frage, ob der Eigentümer einer Motorjacht grobfährlässig handelt, wenn er das Fahrzeug längere Zeit mit offenen Seeventilen liegen läßt.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 2. Juli 1979
II ZR 88/78
(Landgericht Oldenburg, Oberlandesgericht Oldenburg)
Zum Tatbestand:
Die bei der Beklagten versicherte Motorjacht D des Klägers war im März 1976 im Winterhafen von Bernkastel-Kues gesunken, wo sie schon seit September 1975 gelegen hatte.
Der Kläger verlangt die Auszahlung einer Versicherungssumme von ca. 58800,- DM als Teilbetrag eines Gesamtschadens von fast 70800,- DM, weil in das Fahrzeug auf nicht mehr feststellbare Weise Wasser eingedrungen sei.
Die Beklagte behauptet, daß das Fahrzeug undichte Stellen gehabt und deshalb kein Schiffsunfall gemäß Ziffer 1 der „Bedingungen für die Versicherung von Booten und Effekten" (BVBE) vorgelegen habe. Außerdem seien entgegen Ziffer 11 BVBE wegen grober Fahrlässigkeit die Seeventile offengelassen und wegen mangelhafter Wartung des Schiffes die Schlauchklemme an der Abgasleitung abgerostet, ein Entlüftungshähnchen an einem Seefilter nicht vollständig geschlossen und eine Stopfbuchse an der Backbordwelle undicht gewesen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht hat sie dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Auf die Revision wurde dieses Urteil aufgehoben und die Sache zur anderweiten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Aus den Entscheidungsgründen:
„...
1. Nach Ziff. 1 BVBE (in der vorliegend anzuwendenden Fassung) hat die Beklagte „gegen Bezahlung der Prämie den Schaden (Verlust oder Beschädigung) zu ersetzen, den die in der Police näher bezeichneten Gegenstände durch Schiffsunfall erleiden". Was unter einem „Schiffsunfall" zu verstehen ist, besagen die BVBE nicht.
...
Indes scheint das Berufungsgericht lediglich deutlich machen zu wollen, daß es einen allgemein gültigen Begriff des „Unfalls" gibt (a. M. Bruck/Möller, VVG 8. Aufl. §§ 179-185 Anm. G 4; ferner Prölls/Martin, VVG 21. Aufl. § 180a Anm. 1) und dieser auch im Rahmen einer Schiffskaskoversicherung gilt (ebenso KG, Juristische Rundschau für die Privatversicherung 1939, 254; vgl. auch Senatsurteil v. 15. 6. 70 - II ZR 108/691), VersR 1970, 753/754). Ob dem zuzustimmen ist, kann offen bleiben. Denn unabhängig davon, was unter einem „Schiffsunfall" im allgemeinen zu verstehen sein mag, ergibt sich im Streitfall jedenfalls aus Sinn und Zweck des zu beurteilenden Versicherungsverhältnisses, daß das Sinken der Motorjacht D einen „Schiffsunfall" im Sinne von Ziff. 1 BVBE darstellt.
Die BVBE sind auf die Kaskoversicherung von Sport- und Vergnügungsbooten zugeschnitten. Derartige Fahrzeuge liegen oft ohne Bordwache über längere Zeiträume still, insbesondere während der Wintermonate. Sie können dann unbemerkt und leicht sinken, wenn Wasser durch eine undichte Stelle in den Bootskörper eindringt. Da das in der Regel zu ganz erheblichen Schäden am Boot sowie an der maschinellen oder sonstigen Einrichtung des Fahrzeugs führt, haben die Versicherungsnehmer ein offenbares Interesse, sich hiergegen im Rahmen der Kaskoversicherung abzusichern. Das war und ist der Beklagten nicht unbekannt. Besonders deutlich macht das die Neufassung von Ziff. 1 BVBE, worin es nunmehr heißt, daß als „Schiffsunfall" insbesondere das Stranden, Kentern, Sinken sowie der Zusammenstoß mit festen, schwimmenden oder fliegenden Gegenständen gelten. Damit ist sie einer Betrachtungsweise - auch ausdrücklich - gerecht geworden, wie sie schon immer der Interessenlage bei Abschluß einer Kaskoversicherung für ein Sport- oder Vergnügungsboot entsprach. Deshalb ist der in der früheren Fassung von Ziff. 1 BVBE - ohne nähere Beschreibung - verwendete Begriff „Schiffsunfall" dahin auszulegen, daß er jedenfalls auch das Sin¬ken eines Bootes auf einem Liegeplatz infolge Eindringen von Wasser durch eine Undichtigkeit des Fahrzeugs umfaßt. Dem Berufungsgericht ist daher zuzustimmen, daß die Beklagte an sich nach Ziff 1 BVBE (dem Grunde nach) verpflichtet ist, den streitigen Deckungsanspruch zu erfüllen.
2. Nicht zu beanstanden ist das angefochtene Urteil auch insoweit, als das Berufungsgericht ausgeführt hat, das Sinken der Motorjacht D sei nicht durch eine mangelhafte Wartung verursacht worden. Mit Recht hat es angenommen, daß von einer solchen Wartung nicht gesprochen werden kann, wenn der Eigentümer das Fahrzeug in angemessenen Abständen „überholen läßt".
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3. Nicht zu folgen ist dem Berufungsgericht hingegen, soweit es meint, in dem Offenlassen der Seeventile könne kein grobfahrlässiges Handeln des Klägers gesehen werden. Insoweit hat es nur einen Teil des Tatsachenstoffes berücksichtigt. Sicher ist es richtig, daß Außen-Wasser durch ein geöffnetes Seeventil nur dann in den Bootskörper gelangen kann, wenn im Seewasserkreislauf unterhalb des Außenwasserspiegels Undichtigkeiten vorhanden sind. Auch mag es sein, daß die von dem Zeugen E. bekundeten Mängel im Seewasserkreislauf der Motorjacht D für den Kläger nicht naheliegend gewesen zu sein brauchten. Indes ist hier weiter zu beachten, daß die letzten Überholungsarbeiten an dem Fahrzeug im Dezember 1974 stattgefunden hatten, es sodann den darauf folgenden Sommer in Fahrt gewesen ist und danach ohne vorherige fachmännische Untersuchung auf etwaige Undichtigkeiten über einen längeren Zeitraum stilliegen sollte. Zumindest in einem solchen Falle ist die Möglichkeit von Undichtigkeiten im Seewasserkreislauf nicht auzuschließen. Dann leuchtet es aber jedem verständigten Bootseigentümer ohne weiteres ein, daß ein solches Fahrzeug nicht mit offenen Seeventilen liegen gelassen werden kann, zumal wenn jedwede Wache an Bord fehlt. Der Kläger handelte deshalb grobfahrlässig, als er bei einer Besichtigung von D im Februar 1976 die Seeventile offen ließ. Da es jedoch zwischen den Parteien streitig ist, ob diese Nachlässigkeit das Sinken der Jacht verursacht hat und Feststellungen des Berufungsgerichts zu diesem Punkt fehlen, bedarf die Sache insoweit erneuter tatsächlicher Prüfung.
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