Jurisprudentiedatabank
Leitsätze:
1) „Antritt der Reise" ist im Sinne von § 559 Abs. 2 HGB der Beginn der Frachtreise der einzelnen Ladung.
2) Dem Schiff fehlt die Reisetüchtigkeit, wenn Güter unter Verstoß gegen Verladungsvorschriften bezüglich des Transports gefährlicher Güter so gestaut werden, daß die Schiffssicherheit gefährdet ist.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 14. Dezember 1972
II ZR 88/71
(Landgericht Hamburg; Oberlandesgericht Hamburg)
Zum Tatbestand:
Das Motorschiff B der Beklagten hatte, von Hamburg kommend, in Bremerhaven zum Teil bei Regen Ladung, darunter 54 Fässer mit Natriumperoxyd in Luke IV im Spardeck übernommen. Auf der Fahrt nach Antwerpen bei Windstärken von 9 bis 10 brach unter explosionsartigen Begleiterscheinungen Feuer aus. Die Chemikalien aus einem oder mehreren schadhaft gewordenen Fässern hatten die in dem Laderaum befindlichen feuchten Sägespäne entzündet.
Die Klägerin als Transportversicherin behauptet, das Schiff sei schon bei Reiseantritt see- und ladungsuntüchtig gewesen, die Fässer mit Natriumperoxyd seien vorschriftswidrig in einem Raum untergebracht worden, dessen Boden mit feuchten Sägespännen bedeckt gewesen sei. Der zur Oberwachung des Stauens eingesetzte Kapitän hätte diese Mängel erkennen können, so daß die Beklagte aus eigenem Verschulden hafte. Der Wert der in Bremerhaven verladenen und auf der Fahrt beschädigten oder vernichteten Güter und die darauf entfallenen Havarie-Grosse-Beiträge ergäben ca. 26000,- DM, der Wert der bereits in Hamburg verladenen Güter und die auf sie entfallenden Havarie-Grosse-Beiträge ca. 162000,- DM. Die Klägerin verlangt Zahlung von insgesamt 188000,- DM und insoweit die Duldung der Zwangsvollstreckung in das Schiff sowie die Feststellung, daß die Beklagte alle weiteren Schäden und Havarie-Grosse-Beiträge zu ersetzen habe, welche sie anläßlich der Havarie erstattet habe oder noch erstatten müsse.
Die Beklagte behauptet, daß der Schaden auf einem nicht von ihr verschuldeten Feuer beruhe. Die Ladung sei ordnungsgemäß gestaut und gesichert gewesen. Wahrscheinlich sei ein Faß mit Natriumperoxyd infolge der Schiffsbewegung während des Sturmes aufgesprungen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht hat ihr dem Grunde nach stattgegeben. Auf die Revision der Beklagten wurde nur der Anspruch wegen der Schäden an den in Bremerhaven verladenen Gütern für gerechtfertigt erklärt.
Aus den Entscheidungsgründen:
„Das Berufungsgericht leitet die Haftung der Beklagten aus einer von ihr nach § 559 HGB zu vertretenden See- und Ladungstüchtigkeit des Schiffes her. Der Verfrachter haftet nach dieser Bestimmung nur für die sogenannte anfängliche See- und Ladungstüchtigkeit. Diese muß bei Reiseantritt gegeben sein. Für diesen Zeitpunkt gilt nach den Haager Regeln eine strengere Haftung des Verfrachters. Wird das Schiff später see- oder ladungsuntüchtig, so scheidet § 559 HGB aus. Die Pflichten zur Erhaltung der See- und Ladungstüchtigkeit sind dann in der Pflicht zur Ladungsfürsorge (§§ 606 ff HGB) enthalten. Unter „Antritt der Reise" ist der Beginn der Frachtreise der einzelnen Ladung zu verstehen, nicht der Antritt der Schiffsreise. Das ist für das deutsche Recht und auch darüber hinaus im Geltungsbereich der Haager Regeln anerkannt (Schaps/Abraham, Das deutsche Seerecht, 3. Auflage, § 559 Anm. 4).
Deshalb ist es für die Haftung des Verfrachters nach § 559 HGB ohne Bedeutung, ob der Ladehafen nur einer „Zwischenlandung" dient oder ob von ihm aus die „eigentliche" Reise beginnen soll. Darauf kann, wie auch ein Blick auf die Trampfahrt zeigt, nicht abgestellt werden. Entscheidend ist vielmehr, daß der Verfrachter seiner gegenüber dem Betrachter bestehenden grundlegenden Pflicht zur Gestellung eines anfänglich tauglichen Schiffs nur in dem Hafen nachkommen kann, in dem er das Ladungsgut des Befrachters übernommen hat. Hat er diese Pflicht erfüllt und verliert das Schiff später seine See- und Ladungstüchtigkeit, so kann es sich, unabhängig davon, ob das Schiff inzwischen einen oder mehrere Häfen angelaufen hat und wieweit der Verfrachter dort etwa auf das Schiff hätte einwirken können, für die Befrachter der vorher an Bord genommenen Güter nur um eine nachträgliche See- und Ladungstüchtigkeit handeln. Es ist darum auch unwesentlich, ob das Schiff später auf See oder in einem Hafen see- oder ladungsuntüchtig geworden ist. In beiden Fällen handelt es sich für die schon an Bord befindlichen Güter um eine nachträglich eingetretene See- oder Ladungsuntüchtigkeit. Diese unterschiedliche Haftung findet ihren Grund weiter in dem Kompromißgedanken der Haager Regeln, nach denen der Verfrachter zwar zwingend für die Anwendung der gebotenen Sorgfalt bei der Herstellung der See- und Ladungstüchtigkeit und für das kommerzielle Verschulden der Besatzung haftet, nicht aber für das nautisch-technische Verschulden der Besatzung bei der Führung und sonstigen Bedienung des Schiffes sowie bei Feuer (BGHZ 56, 300, 303; Wüstendörfer, Neuzeitliches Seehandelsrecht 2. Aufl. S. 267).
Das Berufungsgericht berücksichtigt, wie die Revision zutreffend rügt, diese Rechtslage nicht. Ein großer Teil der beschädigten oder verlorengegangenen Güter ist bereits in Hamburg geladen worden. Gegen die See- und Ladungstüchtigkeit von MS B beim Antritt der Frachtreise dieser Güter in Hamburg sind keine Bedenken erhoben worden.
Für die von der Klägerin wegen der in Bremerhaven geladenen Güter geltend gemachten Schäden kommt dagegen die Haftung der Beklagten nach § 559 HGB für anfängliche See- und Ladungsuntüchtigkeit in Frage. Zu Unrecht zieht allerdings das Berufungsgericht eine fehlende Ladungstüchtigkeit in Betracht. Nur soweit das Schiff nicht geeignet ist, andere Transportgefahren als Seegefahren durch eine entsprechende Einrichtung abzuwenden, liegt „Ladungsuntüchtigkeit" vor (Schaps/Abraham aaO § 513 Anm. 3: 559 Anm. 2; vgl. auch BGH Hansa 1960 S. 904). Hier steht nicht die Gefährdung der Ladung durch Mängel des Schiffsraums in Frage, sondern die Gefährdung des ganzen Schiffes und damit auch der Ladung. In diesem Fall fehlt dem Schiff zwar nicht die Seetüchtigkeit im engeren Sinn (Tauglichkeit des Schiffskörpers), wohl aber die Reisetüchtigkeit (Schaps/Abraham aaO § 559 Anm. 2).
Das Berufungsgericht, das eine Haftung der Beklagten wegen der dem Schiff bei dem Verlassen Bremerhavens fehlenden Reisetüchtigkeit bejaht, geht von folgendem Sachverhalt aus: Nach Ansicht des Berufungsgerichts folgt aus diesen Tatsachen, daß die anfängliche Reiseuntüchtigkeit des Schiffes bei dem Auslaufen aus Bremerhaven die Schäden verursacht habe. Die Re¬vision hält diese Auffassung für fehlerhaft, kann damit aber nicht durchdringen.
Die Unterbringung der 54 Fässer Natriumperoxyd verstieß nach den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen gegen die Vorschriften der Verordnung über gefährliche Seefrachtgüter vom 4. Januar 1960 (BGBI. II S. 9).
Natriumperoxyd gehört zu den entzündend (oxydierend) wirkenden Stoffen, die bei Zutritt von Wasser explosionsartig unter starker Hitzeentwicklung Sauerstoff abgeben und dabei in der Nähe befindliche organische Stoffe in Brand setzen (vgl. auch Rotermund/ Koch, Die Ladung, 4. bis 6. Auflage, S. 212). Es ist deshalb in der Anlage zu § 1 Abs. 2 der Verordnung über gefährliche Seefrachtgüter in der, soweit es die hier interessierenden Bestimmungen betrifft, Fassung vom 1. August 1964 (BGBI. II S. 1037, 1126) in die Gefahrenklasse III c bei den entzündend wirkenden Stoffen unter B II 9 a Rz. 371 aufgenommen. Nach den zur Verordnung gehörenden Verladungsvorschriften - C 1 Abs. 1 und 6 Rz. 389 - darf es nur in gründlich gereinigten und trockenen Räumen ver¬laden werden, die frei von organischen Stoffen, wie z. B, pflanzlichen Faserstoffen sind; nach C 111 4 / Rz. 390 der Verladungsvorschriften ist bei der Unterbringung von Natriumperoxyd ferner darauf zu achten, daß es im Gemenge mit Holz besonders leicht Brände hervorrufen kann.
Aufgrund dieser Sachlage mußten nach § 1 Abs. 2 der Verordnung über gefährliche Seefrachtgüter alle Vorkehrungen getroffen werden, um Schäden für Menschenleben, Schiff oder Ladung nach Möglichkeit auszuschließen.
Das Natriumperoxyd mußte danach in einem trockenen, gründlich gereinigten Raum untergebracht werden. Das ist entgegen der Auffassung der Revision nicht der Fall gewesen. Der Boden der Luke IV war unstreitig in dem 119 qm großen Lukenbereich zum Teil mit feuchten Sägespänen bedeckt. Die Fässer mit dem Natriumperoxyd waren zwar, wie das Berufungsgericht zugunsten der Beklagten unterstellt, außerhalb des Lukenbereiches an einer trockenen Stelle des Raums untergebracht worden. Entgegen der Meinung der Revision entfällt damit aber nicht der Verstoß gegen die Verordnung über gefährliche Seefrachtgüter. Dem Sinn der genannten Verordnung wird nur entsprochen, wenn der gesamte Raum trocken ist, in dem die entzündend wirkenden Stoffe gelagert werden. Sonst können die gefährlichen Seefrachtgüter auch bei normalen Seegefahren mit Feuchtigkeit in Berührung kommen, wenn z. B. Behälter im Seegang aufspringen oder sonst schadhaft werden. Gerade solchen, auch bei richtiger Verpackung und Sicherung möglichen Transportgefahren sollen die Verladungsvorschriften entgegenwirken. Die geringfügige Menge Sägespäne (das Berufungsgericht unterstellt zugunsten der Beklagten, daß es nicht mehr als der Inhalt eines Sackes war) brauchte das Berufungsgericht nicht als ausschlaggebend anzusehen. Auch eine solche Menge konnte sich unter Einwirkung des Natriumperoxyds mit explosionsartigen Erscheinungen entzünden und dann das Feuer weiterverbreiten. Die Randnote Nr. 389 der Verordnung über gefährliche Seefrachtgüter sieht daher vor, daß der Raum von allen brennbaren Resten, wie Papier, Stroh usw. gereinigt sein muß. Wegen ihrer besonderen Brandgefährlichkeit stellt die Verordnung über gefährliche Seefrachtgüter auf organische Stoffe, ab, die in trockenem Zustand leicht brennen, wie z. B. Sägespäne. Deshalb kommt es nicht darauf an, wie die Beklagte meint, daß in der Stückgutladung noch weitere organische Stoffe vorhanden waren. Auch steht deren Feuchtigkeitsgrad nicht fest.
Der Revision ist auch nicht zu folgen, wenn sie meint, von Reiseuntüchtigkeit könne nicht gesprochen werden, weil die Nässe im Schiff die Folge üblicher Beladungen sei, die in norddeutschen Häfen in dieser Jahreszeit auch bei Regen vorgenommen würden. Das mag für viele Güter zutreffen.
Es mag auch üblich sein, daß Sägespäne gestreut werden, um den regenfeuchten, aus glatten Eisenteilen bestehenden Lukenboden griffig zu machen. Das Berufungsgericht brauchte sich gleichwohl nicht mit der unter Beweisantritt gestellten Behauptung der Beklagten auseinanderzusetzen, das Vorhandensein von Sägespänen in einer Luke widerspreche nicht den Pflichten eines ordentlichen Verfrachters. Gerade bei feuchtem Wetter drohen bei entzündend wirkenden Stoffen besondere Gefahren schon beim Einladen. Wenn z. B. ein Faß dabei schadhaft wird und sein Inhalt ganz oder teilweise auf den mit feuchten Sägespänen bedeckten Boden fällt, kann es sogleich zu einer Explosion und zu einem Feuer kommen. Die Einhaltung der auch im Interesse der Schiffsbesatzung erlassenen Verordnung über gefährliche Seefrachtgüter war deshalb gerade schon beim Einladen wichtig. Das Berufungsgericht hat danach die Anforderungen an die Reisetüchtigkeit eines Schiffes nicht überspannt. Bei der Gefährlichkeit zahlreicher Güter, die auf See befördert werden, können scheinbare „Kleinigkeiten" genügen, um unabsehbare Schäden zu verursachen. Bei allem Bestreben, Reiseverzögerungen zu vermeiden, muß die Schiffssicherheit durch genaue Beachtung der Verladungsvorschriften der Verordnung über gefährliche Seefrachtgüter gewahrt bleiben.
Bereits die Stauung von Gütern der Klasse III c der Verordnung über gefährliche Seefrachtgüter in eine Luke, in die es hineingeregnet hatte, war ein Verstoß gegen die Vorschrift, daß nur in trockenen Räumen gestaut werden darf. Blieben dann noch feuchte Sägespäne auf dem Boden des Laderaumes liegen, so steigerte sich die Feuersgefahr derart, daß die Reisetüchtigkeit des Schiffs entfiel. Das Berufungsgericht hat danach fehlerfrei die Reise untüchtigkeit des Schiffes ab Bremerhaven bejaht.
Es war Sache der Beklagten darzutun, daß die Schiffsführung, für deren Handeln sie im Rahmen der Haftung nach § 559 HGB einzutreten hat, bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt nicht imstande war, den Mangel der Stauung in einem feuchten Raum mit Resten organischer Stoffe richtig einzuschätzen (vgl. Gramm, Das neue deutsche Seefrachtrecht § 559 Anm. II 1 b). Dafür war nichts vorgebracht worden. Die Fässer waren vorschriftsmäßig als Güter der Klasse II c gekennzeichnet. Die schon erwähnten Bestimmungen der Verordnung über gefährliche Seefrachtgüter konnten zu Rate gezogen werden. Daraus ergab sich ohne weiteres die Gefährlichkeit des Vorhandenseins von leicht brennbaren organischen Stoffen und der Feuchtigkeit in der Luke IV.
Veröffentlicht in ZfB 1973, S. 226, ZfB 1973, 226