Jurisprudentiedatabank
Leitsätze:
1) Kollidiert ein norwegisches Küstenmotorschiff mit einem in der Bundesrepublik Deutschland beheimateten Binnenschiff auf der deutschen Rheinstrecke, so beurteilt sich die Ersatzpflicht wegen des den Schiffen zugefügten Schadens nach den Vorschriften des Internationalen Übereinkommens zur einheitlichen Feststellung von Regeln über den Zusammenstoß von Schiffen vom 23. September 1910 (IUeZ).
2) Die Anforderungen, die an den Bau und die Ausrüstung eines Fahrzeugs zu stellen sind, das den Rhein befährt, ergeben sich grundsätzlich aus der Untersuchungsordnung für Rheinschiffe. Nach Art. 21 Nr. 1 S. 2 RheinSchUO ist es deshalb zu beurteilen, ob ein Fahrzeug, dessen elektrische Ruderanlage bei einer Stromunterbrechung nicht auf Handsteuerung umgestellt werden kann, den Rhein befahren darf.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 29. März 1973
(Rheinschifffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort; Rheinschifffahrtsobergericht Köln)
Zum Tatbestand:
Der der Klägerin gehörende Kahn „K" fuhr im Anhang des Bootes „Geri" auf dem Rhein zu Tal. Unterhalb Wesel gab diesem Schleppzug das bergwärts fahrende von der Beklagten zu 1 bereederte und vom Beklagten zu 2 geführte Küstenmotorschiff „F" Weisung zur Backbordbegegnung. Auf KMS „F" fiel jedoch bei der Annäherung die elektrische Ruderanlage wegen Stromunterbrechung aus, so dass das Schiff nach Backbord ausscherte und mit dem Steven gegen das Backbordvorschiff von Kahn „K" stieß.
Die Klägerin verlangt Ersatz des Schadens an diesem Schiff in Höhe von ca. 65000,- DM, u.a. mit der Begründung, dass „F" keinen Heckanker und kein „Hilfs- bzw. Notruder" besessen habe und daher den Rhein nicht habe befahren dürfen.
Die Beklagten meinen, KMS „F" sei auch ohne diese Gegenstände für die Fahrt auf dem Rhein ordnungsmäßig ausgerüstet gewesen.
Das Rheinschifffahrtsgericht hat den Anspruch dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Das Rheinschifffahrtsobergericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Revision der Klägerin ist das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen worden.
Aus den Entscheidungsgründen:
Die Bundesrepublik Deutschland und Norwegen gehören zu den Vertragsstaaten des Internationalen Übereinkommens zur einheitlichen Feststellung von Regeln über den Zusammenstoß von Schiffen vom 23. September 1910 (Brüsseler Übereinkommen; IUeZ) - RGBI. 1913, 49 (vgl. auch BGH, Urt. v. 22. 3. 1962 - II ZR 94/60, VersR 1962, 414, 415). Im Falle eines Zusammenstoßes von Seeschiffen oder von See- und Binnenschiffen der beiden Staaten bestimmt sich deshalb die Ersatzpflicht wegen des den Schiffen zugefügten Schadens nach den Vorschriften dieses Übereinkommens (Art. 1 und 12), und zwar ohne Rücksicht darauf, in welchen Gewässern der Zusammenstoß stattgefunden hat, also auch auf Flussstrecken (Schaps/Abraham, Das deutsche Seerecht 3. Aufl. Bd. II Anm. 20 vor § 734 HGB). Der Klageanspruch gegen die Beklagte zu 1 ist deshalb nicht nach den Vorschriften des Binnenschifffahrtsgesetzes, sondern nach denjenigen des Brüsseler Übereinkommens zu beurteilen. Danach obliegt nach einem Schiffszusammenstoß, der durch das Verschulden eines der Schiffe herbeigeführt worden ist, der Ersatz des Schadens dem Schiffe, dem das Verschulden zur Last fällt (Art. 3). Das bedeutet, dass der Reeder für das Verschulden der Besatzung seines Schiffes einzustehen hat (vgl. auch § 735 HGB, dessen Fassung auf Art. 3 IUeZ beruht). Eine Haftung der Beklagten zu 1 für den der Klägerin entstandenen Kollisionsschaden kommt daher nach Art. 3 IUeZ dann in Betracht, wenn der Beklagte zu 2 die Kollision zwischen SK „K" und KMS „F" schuldhaft verursacht hat. Dabei sind für den Umfang einer etwaigen Haftung der Beklagten zu 1 wegen des in Art. 10 IUeZ vereinbarten Vorbehalts § 486 Abs. 1 Nr. 3 und § 774 HGB heranzuziehen.
Die Revision meint, das angefochtene Urteil könne deshalb keinen Bestand haben, weil KMS „F" den Rhein nur dann mit einer elektrischen Ruderanlage habe befahren dürfen, wenn diese bei einer Stromunterbrechung sofort auf Handsteuerung umzustellen gewesen sei. Denn mit dem Ausfall einer elektrischen Ruderanlage infolge einer Stromunterbrechung müsse stets gerechnet werden.
Nach § 10 Nr. 1 RheinSchPolVO 1954 müssen Fahrzeuge so gebaut und ausgerüstet sein, dass jede Gefahr für die an Bord befindlichen Personen und für die Schifffahrt vermieden wird und dass die Verpflichtungen aus dieser Polizeiverordnung erfüllt werden können. Nach § 10 Nr. 2 RheinSchPolVO 1954 gilt die Bestimmung der Nr. 1 als erfüllt, soweit Fahrzeuge mit einem amtlichen Zeugnis versehen sind und Bau und Ausrüstung dessen Angaben entsprechen. Bei dem Zeugnis handelt es sich um das in Art. 22 der Revidierten Rheinschifffahrtsakte vom 17. Oktober 1868 vorgesehene und nach der Untersuchungsordnung für Rheinschiffe zu erteilende Schiffsattest (Kählitz, Verkehrsrecht auf Binnenwasserstraßen Anm. 4 zu § 10 RheinSchPolVO; vgl. auch § 1.08 Nr. 3 RheinSchPolVO 1970). Dieses wird bei Seeschiffen, die, wie KMS „F", kein Rheinschiffsattest besitzen, durch ein von einer Behörde oder einer anerkannten Körperschaft ausgestelltes Zeugnis ersetzt, das ihre Tauglichkeit zur See- und Küstenschifffahrt bescheinigt, allerdings nur unter der Bedingung, dass die Anzahl und das Gewicht ihrer Anker den Angaben der Anlage E der Untersuchungsordnung für Rheinschiffe entspricht (Art. 4 Nr. 1 RheinSchUO). Da KMS „F" entgegen den Bestimmungen dieser Anlage keinen Heckanker führte, kann weder die von den norwegischen Behörden für dieses Schiff ausgestellte Fahrbescheinigung noch das von einer norwegischen Klassifikationsgesellschaft erteilte Klassifikationszeugnis das Rheinschifffahrtsattest ersetzen. Deshalb greift § 10 Nr. 2 RheinSchPolVO 1954 zu Gunsten der Beklagten nicht ein.
Die Bedeutung der Vorschrift des § 10 Nr. 2 RheinSchPolVO 1954 erschöpft sich jedoch nicht darin, dass sie dem Schiffer lediglich den Nachweis für die Fahrtüchtigkeit seines Schiffes erleichtert. Vielmehr zeigt sie ganz allgemein, dass sich die Anforderungen, die an den Bau und die Ausrüstung eines Fahrzeugs zu stellen sind, das den Rhein befährt, grundsätzlich aus der Untersuchungsordnung für Rheinschiffe ergeben. Diese enthält allerdings für die Steuereinrichtung eines Schiffes keine ins einzelne gehenden Bestimmungen. Vielmehr schreibt sie insoweit lediglich vor, dass die Einrichtung zuverlässig sein muss (Art. 21 Nr. 1 S. 2 RheinSchUO). Damit stellt sich die Frage, ob die elektrische, bei einer Stromunterbrechung nicht auf Handsteuerung umstellbare Ruderanlage des KMS „F" als zuverlässig im Sinne der Untersuchungsordnung für Rheinschiffe angesehen werden kann. Das Berufungsgericht hat die Frage bejaht. Es hat sich hierbei im Wesentlichen auf eine gutachtliche Stellungnahme des Wasser- und Schifffahrtsamts Duisburg-Rhein vom 8. April 1970 gestützt. Darin heißt es, bisher sei im Rahmen des Art. 21 Nr. 1 S. 2 RheinSchUO „eine Forderung nach einer Hilfsruderanlage nicht gestellt worden, so dass eine elektrische Ruderanlage als ausreichend für die Fahrt eines Fahrzeugs angesehen wird".
Weiter ist in der Stellungnahme ausgeführt, bei Binnenschiffen sei „bisher überwiegend eine elektrische Ruderanlage zu einer vorhandenen Handruderanlage später eingebaut worden, so dass in der Regel in der Binnenschifffahrt eine elektrische Ruderanlage mit einer Hilfsruderanlage vorhanden" sei.
Mit diesen Ausführungen, die nach ihrem Zusammenhang wohl auch den Fall umfassen, dass die elektrische Ruderanlage eines Fahrzeugs bei einer Stromunterbrechung nicht auf Handsteuerung umgestellt werden kann, ist die Frage der Zuverlässigkeit der Ruderanlage des KMS „F" nicht erschöpfend behandelt. Abgesehen davon, dass die gutachtliche Stellungnahme des Wasser- und Schifffahrtsamts Duisburg-Rhein weder klar erkennen lässt, ob Rheinschiffsatteste überhaupt schon für Fahrzeuge erteilt worden sind, die keine auf Handsteuerung umstellbare elektrische Ruderanlage besitzen, und sie weiter nicht hinreichend deutlich macht, wie die verantwortlichen Kreise in der Rheinschifffahrt selbst und im Schiffsbau über die Zuverlässigkeit einer derartigen Anlage denken (vgl. auch Art. 3 Nr. 2 Buchstaben b) und c) RheinSchUO), bezieht sich die Stellungnahme auf Fahrzeuge, deren sonstige Ausrüstung nicht zu beanstanden ist. Hier liegt es jedoch so, dass KMS „F" bei seiner Fahrt auf dem Rhein vorschriftswidrig keinen Heckanker führte. Ein solcher ist aber für eine sichere Befahrung auf dem Rhein, wie die Anlage E der Untersuchungsordnung für Rheinschiffe zeigt, unerlässlich, zumal in Notfällen auch das Setzen des Heckankers eine stabilisierende Wirkung für ein Fahrzeug haben und damit zum Ausgleich der Folgen eines Ruderausfalls mit beitragen kann. Hier hätte deshalb das Berufungsgericht auch prüfen müssen, ob die elektrische Ruderanlage eines Fahrzeugs zumindest nicht dann nach der Vorschrift des Art. 21 Nr. 1 S. 2 GRheinSchUO auf Handsteuerung umstellbar sein muss, wenn das Fahrzeug den Rhein ohne den vorgeschriebenen Heckanker befährt. Sollte das zu bejahen sein, so wird das Berufungsgericht nunmehr auch auf die - bisher nicht abschließend erörterte - Frage eingehen müssen, ob das Fehlen einer nicht auf Handsteuerung umstellbaren Ruderanlage auf KMS „F" für die Kollision ursächlich war.