Jurisprudentiedatabank
Leitsatz:
Zur Frage der groben Fahrlässigkeit des Schiffers, wenn ein Schiff infolge zu hoher Decklast kentert.
Urteil des Bundesgerichtshofs
vom 15. Oktober 1959
Zum Tatbestand:
Der Kläger „A" als Eigner und Führer des Schiffes „C" klagt auf Feststellung, daß die Beklagte „B" als Versicherin verpflichtet ist, ihn von allen Schadensersatzansprüchen freizustellen, die wegen des Verlustes der Ladung (Waschmittel und Futtermittel) beim Untergang des Schiffes ,C" erhoben werden. Unstreitig ist der Untergang durch Kentern des Schiffes infolge unsachgemäßen Ladens verursacht. Streitig ist es, ob in der falschen Beladung des Schiffes eine grobe Fahrlässigkeit zu erblicken ist, da in einem solchen Falle die Beklagte nach den Allgemeinen Versicherungsbedingungen nicht erstattungspflichtig ist. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat die Berufung mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß sich die Freistellungspflicht der Beklagten auf Schadensersatzansprüche auf Grund des Binnenschiffahrtsgesetzes beschränkt.
Die Revision der Beklagten war erfolglos.
Aus den Entscheidungsgründen:
I. Grob fahrlässig ist nach feststehender Rechtsprechung (BGHZ 10, 14, 16 m. Nachw.; 10, 69, 74) ein Handeln, bei dem die erforderliche Sorgfalt nach den gesamten Umständen in ungewöhnlich hohem Maße verletzt worden ist und bei dem dasjenige unbeachtet geblieben ist, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Zu den Tatumständen, die hierbei zu würdigen sind, gehört der Verkehrskreis, dem der Täter angehört (RGZ 95, 16). Bei der Wertung des Versdzuldensmaßes eines Schiffers ist daher, worauf auch § 7 BSchG abstellt, zu prüfen, ob die an die Sorgfaltspflicht eines ordentlichen Schiffers zu stellenden Anforderungen in besonders hohem Maße verletzt worden sind (BGH VersR 1952, 117), und dabei von den Kenntnissen und Erfahrungen eines Durchschnittsschiffers auszugehen. Von diesem Rechtsbegriff der groben Fahrlässigkeit ist auch das Berufungsgericht ausgegangen.
II. Die Revision bemängelt, das Berufungsgericht habe zu Unrecht die Tatsachen, daß der Kläger im Zeitpunkt des Unfalles ein Rheinschifferpatent nicht besessen habe und an Bord nur ein Schiffsjunge statt eines Matrosen gewesen sei, nicht berücksichtigt. Das Berufungsgericht erachtet diese Umstände als für den Unfall nicht ursächlich. Den Ausführungen der Vorinstanzen, es sei nicht anzunehmen, daß der Kläger beim Vorhandensein eines Matrosen (mit dreijähriger Ausbildung) statt eines Schiffsjungen (mit etwa zweijähriger Ausbildung) das Schiff anders beladen hätte oder die Anwesenheit eines Matrosen den Unfall verhindert hätte, hat die Revision nichts Durchgreifendes entgegenzusetzen vermocht. Wenn das Berufungsgericht diese beiden Umstände nicht für unfallursächlich gehalten hat, so kann dies aus Rechtsgründen nicht beanstandet werden.
III. Das Berufungsgericht sieht ein unfallursächliches, aber nicht grob fahrlässiges Verschulden des Klägers darin, daß er mit zu hoher Decklast gefahren sei. Es führt aus: Der Hauptvorwurf gegenüber dem Kläger, er habe die schwerere Ware über der leichteren verstaut, habe sich als objektiv unberechtigt herausgestellt. Denn nach dem zutreffenden Gutachten des Sachverständigen „D" seien hinsichtlich der hier allein maßgeblichen Staugewichte die Futtermittel leichter als die Waschmittel gewesen; der Kläger habe daher richtig gehandelt, wenn er die Futtermittel über den Waschmitteln gestaut habe. Es bleibe daher nur der sekundär gegen den Kläger erhobene Vorwurf übrig, er habe zu hohe Decklast geladen. Dieser Vorwurf sei auch berechtigt; der Kläger habe zu hoch auf Deck geladen. Hierdurch sei das Kentern vom Kläger schuldhaft verursacht worden. Ein grobes Verschulden des Klägers ließe sich jedoch schon deshalb nicht feststellen, weil die Höhe der Decklast bei allen bisherigen Beurteilungen durch Sachverständige und Gerichte entweder nur in Verbindung mit der falschen Gewichtsverteilung oder überhaupt nicht für sich allein beanstandet worden sei. Angesichts der erheblich voneinander abweichenden Begutachtungen der Sachverständigen könne nicht festgestellt werden, daß der Kläger das nicht beachtet habe, was im gegebenen Fall jedem Schiffsführer habe einleuchten müssen.
Sachlich sind die Ausführungen des Berufungsgerichts unangreifbar. Stabilitätsfragen sind sehr schwierig zu beurteilen und können selbst bei genauer mathematisch-physikalischer Berechnung nicht immer einwandfrei geklärt werden. Der Binnenschiffer ist im wesentlichen auf seine Erfahrungen angewiesen, wenn er zu entscheiden hat, wie hoch er auf Deck unter Berücksichtigung der Staugewichte der Güter laden darf. Daß die Beladung am Unfalltag den Erfahrungen des Klägers widersprochen habe, ist nicht festgestellt. Eine offensichtliche, in die Augen springende zu hohe Beladung hat das Berufungsgericht mit zutreffenden Gründen verneint. Wenn in Grenzfällen es fraglich ist, ob so hoch auf Deck gestaut werden durfte, so kann sehr wohl eine Fahrlässigkeit des Schiffers in Frage kommen; eine grobe Fahrlässigkeit wird aber in der Regel nur anzunehmen sein, wenn weitere besondere Umstände auf die zu hohe Beladung hindeuten.
Ob das Verhalten des Klägers eine grobe Fahrlässigkeit darstellt, ist eine Rechtsfrage, über die das Gericht zu entscheiden hat, ohne an die Ansicht eines Sachverständigen gebunden zu sein. Es ist daher auch rechtlich nicht zu beanstanden, wenn das Berufungsgericht die Ansicht des Sachverständigen „D", der Kläger habe „unverantwortlich leichtsinnig", „höchst leichtsinnig" gehandelt, als ein der Begründung entbehrendes Werturteil ansieht. Entgegen der Ansicht der Revision wird ein solches Urteil nicht schon von der Begründung getragen, der Beklagte habe zu hoch geladen (1,45 m unter Wasser, 2,25 m über dem Wasserspiegel, davon 1,15 m über dem Tennebaum). Daß diese Höhe der Decklast nicht ohne weiteres als auf grob fahrlässigem Handeln beruhend angesehen werden kann, ergibt die entgegenstehende Beurteilung durch den Sachverständigen „E", nach dessen Meinung das Schiff bis zur eben noch zulässigen Grenze beladen war.