Jurisprudentiedatabank
Leitsätze:
1) Zu den Grenzen des Fahrwassers auf der Unterweser.
2) Zur Pflicht der Bundesrepublik Deutschland, den durchgehenden Schiffsverkehr auf der Unterweser gegenüber einem aus dem Flußgrund herausragenden Steinbuckel zu sichern, der sich nur wenige Meter außerhalb eines an das Fahrwasser angrenzenden Bereichs befindet, den der Verkehr wie das Fahrwasser selbst nutzt.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 4. Juli 1977
II ZR 69/75
(Landgericht Bremen, Oberlandesgericht Bremen)
Zum Tatbestand:
Die Klägerinnen zu 1 und 2 als Versicherer des TMS F und seiner Ladung machen Havarieschäden von ca. 530000,- DM bzw. Ladungsschäden von ca. 115000,- DM gegen die beklagte Bundesrepublik wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht geltend. Das Schiff war auf der Unterweserbergfahrt bei km 24,906 zwischen den Tonnen „H" und „J" gegen den steinigen Vorsprung einer Endmoräne gestoßen, wodurch mehrere Tanks aufgerissen wurden und ein Teil der Ladung verlorenging.
Die Klägerinnen meinen, daß die Beklagte den ihr aus 3 früheren Grundberührungen bekannten Vorsprung abtragen oder den Verlauf der nur 8 m hiervon entfernten Grenze der Fahrrinne ausreichend kennzeichnen und die Lotsen unterrichten müssen, zumal die Schiffe regelmäßig der an dieser Stelle verlaufenden Kurve über den Rand der Fahrrinne hinaus folgten und die Biegung voll ausgefahren werde.
Nach Ansicht der Beklagten sind die Fahrzeuge verpflichtet, die Grenze des Fahrwassers zu beachten, die allein von den geraden Linien zwischen den Tonnen und anderen Fahrwasserzeichen bestimmt werde.
Das Landgericht hat beide Klageansprüche dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Das Oberlandesgericht hat den Anspruch der Klägerin zu 1 nur zu 1/3 und denjenigen der Klägerin zu 2 dem Grunde nach voll für gerechtfertigt erklärt. Die Revision der Klägerin zu 1 wurde zurückgewiesen. Auf die Revision der Beklagten wurde die Sache zur anderweiten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Aus den Entscheidungsgründen:
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Nach den Ausführungen des Berufungsgerichts hat die Beklagte auf der Unterweser für die Großschiffahrt eine Fahrrinne ausgebaggert, deren Breite mit mindestens 120 m und deren Tiefe mit 8,15 unter Seekartennull (SKN) garantiert werde. Die Sollgrenzen dieser Baggerrinne, die den natürlichen Biegungen der Wasserstraße folge, seien in den vorgelegten Flußkarten verzeichnet. Für diese Rinne obliege der Beklagten die Verkehrssicherungspflicht auch insoweit, als sie in den Flußkrümmungen teilweise außerhalb der geraden Verbindungslinie („Tonnenstrich") zwischen zwei Fahrwasserbegrenzungstonnen (hier: den Tonnen „H" und „J") verlaufe. Dem stehe entgegen der Ansicht der Beklagten der in § 3 Abs. 1 SeeSchStrO a. F. beschriebene Begriff des „Fahrwassers" nicht entgegen. Diese Definition könne da nicht gelten, wo nach der Anlage der Schiffahrtsstraße erkennbar sei, daß sie zum Teil - beispielsweise in Kurven - seitlich über den Tonnenstrich hinausrage.
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Diesen Ausführungen des Berufungsgerichts kann nicht gefolgt werden. Seiner Annahme, zum Fahrwasser der Unterweser, das die Beklagte im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren zu sichern hat (BGHZ 37, 69, 70/71), gehöre wegen der Anlage und des Verlaufs der Baggerrinne sowie wegen der - offensichtlich fehlerhaften - Betonnung in einzelnen Kurveninnenseiten jeweils auch der Teil der Rinne, der außerhalb des Tonnenstrichs liegt, steht jedenfalls für den Unfallzeitpunkt die klare und eindeutige Regelung des § 3 Abs. 1 Satz 1 SeeSchStrO in der bis zum 30. Oktober 1971 geltenden Fassung (vgl. § 67 Abs. 1 Nr. 1 der Seeschiffahrtsstraßenordnung vom 3. Mai 1971 - BGBI. 1 641 ff.) entgegen, wonach ein betonntes Fahrwasser durch die geraden Verbindungslinien zwischen jeweils zwei Tonnen begrenzt wird. Auch ist in diesem Zusammenhang § 35 Abs. 7 SeeSchStrO a. F. von Bedeutung, der besagt, daß „die Schiffahrt außerhalb des Fahrwassers (§ 3 Abs. 1 und 2) mit unbezeichneten Untiefen und unbezeichneten Schiffahrtshindernissen rechnen muß" und „daher bei der Benutzung des nicht als Fahrwasser geltenden Teils einer Seeschiffahrtsstraße besondere Vorsicht geboten ist." Diese Vorschrift, die im Blick auf die Verkehrssicherungspflicht der Beklagten geschaffen worden ist (vgl. Lampe/Marienfeld, Seeschiffahrtsstraßenordnung § 35 Anm. 6 sowie Schaps/Abraham, Das deutsche Seerecht 3. Aufl. Bd. III § 35 SeeSchStrO Anm. 7), verdeutlicht, daß ein Fahrzeug, das außerhalb der in § 3 Abs. 1 und 2 SeeSchStrO a. F. beschriebenen Fahrwassergrenzen seinen Weg nahm, das auf eigenes Risiko tat.
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Eine andere Frage ist es, ob der Teil der Baggerrinne, der sich - zu diesem Zeitpunkt - in der Farger Kurve außerhalb des Tonnenstrichs befand, aus folgenden Gesichtspunkten dem Bereich der Verkehrssicherungspflicht der Beklagten zuzurechnen ist:
Die Tonnen „H" und „J" waren etwa 1120 m voneinander entfernt. Dieser große Abstand bewirkte bei dem gekrümmten Flußverlauf, daß ein nicht unerheblicher Teil der Baggerrinne außerhalb des Tonnenstrichs lag, während der innerhalb des Tonnenstrichs verbliebene Teil der Rinne nicht unerheblich schmaler als auf der geraden Flußstrecke war. Damit verengte sich das Fahrwasser gerade dort, wo die Schiffahrt wegen der Flußbiegung mehr Platz als bei einem geraden Streckenverlauf benötigt. Das hat nach dem Vorbringen der Klägerinnen die weseraufwärts fahrenden Schiffe, insbesondere bei Begegnungen, veranlaßt, die Baggerrine in der Farger Kurve über den Tonnenstrich hinaus bis an den westlichen Rand der Rinne so zu nutzen, wie wenn das Fahrwasser bis dorthin reichte. Dadurch kann es zu einer Ausdehnung der Verkehrssicherungspflicht der Beklagten gekommen sein. Allerdings kann die Schiffahrt allein durch eine bestimmte Fahrweise das eigentliche Fahrwasser - und damit den Bereich der Verkehrssicherungspflicht - nicht erweitern (vgl. BGH aaO). Beruht ihr Verhalten jedoch auf Gegebenheiten, die die Beklagte selbst geschaffen hat, und nimmt diese die Fahrweise über einen längeren Zeitraum hin, ohne durch zusätzliche Maßnahmen, beispielsweise eine engere Betonnung, deutlich aufzuzeigen, daß sie mit einer Ausdehnung des der durchgehenden Schiffahrt als Verkehrsweg zur Verfügung gestellten Teils einer Wasserstraße auf einen angrenzenden Bereich nicht einverstanden ist, so kann darin ihre duldende Zustimmung zur Nutzung dieses Bereichs als Schiffahrtsweg insbesondere dann liegen, wenn sie, wie das hier der Fall gewesen zu sein scheint, diesen Teil der Wasserstraße in der gleichen Weise wie das Fahrwasser selbst unterhält.
Da das Berufungsgericht die Sache unter den vorstehend aufgezeigten Gesichtspunkten bisher nicht weiter geprüft hat, ist für die Revisionsinstanz zugunsten der Klägerinnen zu unterstellen, daß der in der Farger Kurve außerhalb des Tonnenstrichs gelegene Teil der Baggerrinne zur Unfallzeit von der Verkehrssicherungspflicht der Beklagten mitumfaßt wurde. Für diesen Fall ist dem Berufungsgericht dahin beizutreten, daß die Beklagte die Grundberührung des TMS F verschuldet hat. Hierzu hat das Berufungsgericht näher ausgeführt:
Der - inzwischen beseitigte - Endmoränenvorsprung sei von dem westlichen Rand der Baggerrinne nur 8 m entfernt gewesen.
Er habe sich in der Höhe (bis etwa 6 m unter SKN) und in der Beschaffenheit (Steine von erheblicher Größe) markant von dem übrigen Grund der westlichen Wasserseite abgehoben. Damit habe er schon bei einem geringfügigen Überfahren des westlichen Rands der Baggerrinne eine besondere Gefahr für die Schiffahrt gebildet. Ein derartiges überfahren sei bei den im Bereich der Nordseeküste zu erwartenden Wind- und Wetterverhältnissen auch bei einem größeren und mit modernen Navigationsgeräten ausgestatteten Fahrzeug nicht völlig unwahrscheinlich gewesen. Daraus habe sich für die Beklagte zumindest die Pflicht ergeben, den Verlauf der „Fahrwassergrenze" im Bereich des ihr seit Ende 1959 bekannten Endmoränenvorsprungs so zu kennzeichnen, daß ein „unbemerktes" Uberfahren der Grenze für den mit der erforderlichen Sorgfalt steuernden Schiffer nicht ausgeschlossen gewesen sei. Diese Pflicht habe um so mehr bestanden, als die fragliche Untiefe weder in den Flußkarten verzeichnet noch aus den Peilplänen ersichtlich gewesen sei.
Die Revision der Beklagten wendet sich gegen diese in erster Linie auf tatsächlichem Gebiete liegenden Ausführungen ohne Erfolg. Richtig ist allerdings, daß der Beklagten grundsätzlich keine Verkehrssicherungspflicht für den Teil einer Wasserstraße obliegt, der nicht zum Fahrwasser - oder einem diesem gleich zu behandelnden angrenzenden Bereich - gehört. Im allgemeinen ist sie daher nicht gehalten, Maßnahmen zum Schutze des Schiffsverkehrs vor Untiefen zu treffen, die sich außerhalb des Fahrwassers - oder eines solchen Bereichs - befinden. Jedoch kann der Fall unter besonderen Umständen anders liegen, beispielsweise wenn eine unmittelbar neben der Grenze des Schifffahrtswegs vorhandene und der Beklagten bekannte Untiefe leicht auch den an sich diesen Weg benutzenden Schiffen gefährlich werden kann. Dann ist die Beklagte im Interesse einer sicheren Verkehrsabwicklung verpflichtet, dieser Gefahr - sei es durch Kennzeichnung oder Beseitigung der Untiefe oder durch genaue Bezeichnung der Grenze des Verkehrswegs - zu begegnen. Derartige Umstände waren hier, wie das Berufungsgericht rechtlich einwandfrei festgestellt hat, gegeben.
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Nach Ansicht des Berufungsgerichts trifft die Führung des TMS F und den sie beratenden Lotsen ein - zu Lasten der Klägerin zu 1 gehendes - Mitverschulden. Das Schiff sei mit einem Tiefgang von 9,15 m auf die Baggerrinne angewiesen gewesen. Mit Rücksicht darauf habe es die Sorgfalt eines ordentlichen Nautikers geboten, den Kurs des TMS F so zu wählen, daß das Fahrzeug keinesfalls über die Grenze der Baggerrinne hätte hinausgeraten können.
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Zweifellos war die Führung des TMS F wegen des großen Tiefgangs ihres Fahrzeugs zu dessen Sicherheit gehalten, den Kurs so zu wählen, daß das Schiff nicht außerhalb der Baggerrinne gelangen konnte, die sie in ihrer ganzen Breite als Fahrwasser angesehen hat. Ferner trifft es nicht zu, daß eine solche Kurswahl der Schiffsführung nicht möglich gewesen sein soll, weil die westliche Grenze der Baggerrinne wegen der besonderen Gegebenheiten des Falles nicht genau zu erkennen oder zu orten war. Denn sie konnte sich mit ihrem Fahrzeug so weit zur Mitte der Baggerrinne halten, daß mit Sicherheit ein geringes Oberfahren des westlichen Randes der Rinne ausgeschlossen war. Auch hätte sie ihren Kurs an dem Verlauf des Tonnenstriches ausrichten können, der jederzeit auszumachen war. Ohne Bedeutung ist für das Verschulden der Führung und des Lotsen des TMS F, daß aus den Querpeilungen der Beklagten für den Lotsen der hier interessierende Endmoränenvorsprung nicht ersichtlich war.
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Geht man zugunsten der Klägerin zu 1 davon aus, daß die Beklagte ein Verschulden an der Grundberührung gemäß den vom Berufungsgericht angenommenen Gründen trifft, so läßt die Abwägung ihres Verschuldens und das der Führung und des Lotsen von TMS F im Rahmen des § 254 BGB durch das Berufungsgericht keinen Rechtsfehler erkennen.
Demnach ist die Revision der Klägerin zu 1 unbegründet. Hingegen bedarf die Sache, soweit das angefochtene Urteil zum Nachteil der Beklagten erkannt hat, aus den dargelegten Gründen noch weiterer Prüfung durch das Berufungsgericht.
...“