Jurisprudentiedatabank

II ZR 6/71 - Bundesgerichtshof (-)
Datum uitspraak: 28.09.1972
Kenmerk: II ZR 6/71
Beslissing: Urteil
Language: Duits
Rechtbank: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Afdeling: -

Leitsätze:

1) Wird ein Rheinlotse für einzelne Lotsungen angenommen, so leistet er im Rahmen dieses Dienstverhältnisses keine abhängige Arbeit im Betrieb des Schiffseigners und ist daher nicht Arbeitnehmer.

2) Er ist auch nicht arbeitnehmerähnliche Person. Für Streitigkeiten über Ansprüche des Schiffseigners gegen einen solchen Lotsen wegen Ausgleichs von Schäden aus einem Schiffszusammenstoß während der Lotsung sind die Rheinschifffahrtsgerichte zuständig.

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 28. September 1972

II ZR 6/71

(Rheinschifffahrtsgericht St. Goar; Rheinschifffahrtsobergericht Köln)

Zum Tatbestand:

Der Beklagte war als Lotse oberhalb St. Goar auf einer Bergfahrt des der Klägerin gehörenden MS „R 135" tätig. Zwischen dem anhängenden Bagger und dem Anhangkahn eines Talschleppzuges kam es auf dieser Fahrt zu einer Kollision. Die Klägerin ersetzte später gemäß einem Grundurteil dem Kahneigner den Unfallschaden. Nunmehr fordert sie vom Beklagten die Hälfte der gezahlten Beträge, weil dieser den Unfall mindestens zur Hälfte mitverschuldet habe.
Der Beklagte hat die Zahlung des verlangten Betrages von 11 000,- DM verweigert, weil das angerufene Rheinschifffahrtsgericht unzuständig sei. Zuständig sei allein das Arbeitsgericht, weil er als Lotse in einem Arbeitsverhältnis zur Klägerin gestanden habe.
Das Rheinschifffahrtsgericht hat nach abgesonderter Verhandlung die Einrede der Unzuständigkeit des Gerichts verworfen. Die hiergegen eingelegte Berufung wurde vom Rheinschifffahrtsgericht zurückgewiesen. Auch die zugelassene Revision blieb erfolglos.

Aus den Entscheidungsgründen:

Nach Art. 34 Nr. II c der Mannheimer Akte sind die Rheinschifffahrtsgerichte „kompetent" für zivilrechtliche Klagen „wegen Beschädigungen, welche Schiffer ... während ihrer Fahrt oder beim Anlanden anderen verursacht haben". Über den Wortlaut dieser Bestimmung hinaus gehören zur Zuständigkeit der Rheinschifffahrtsgerichte auch Klagen wegen Schäden, welche Besatzungsmitglieder oder Lotsen bei ihrer nautischen Tätigkeit anderen zugefügt haben (BGH LM Nr. 4 zu § 14 BinnSchVerfG; Wassermeyer, Der Kollisionsprozess in der Binnenschifffahrt 4. Aufl. S. 10; von Traut, Die Zentralkommission für die Rheinschifffahrt und ihre Rechtsprechung von 1832-1911 S. 85). Das zieht auch die Revision nicht in Zweifel. Sie meint jedoch, vorliegend gehe es nicht um Schäden, welche der Beklagte bei seiner Tätigkeit als Lotse auf MS „R 135" anderen verursacht habe; vielmehr sei Gegenstand des Rechtsstreits ein Ausgleichsanspruch nach § 426 Abs. 1 BGB; ein solcher Anspruch entstehe aber allein durch die Begründung eines Gesamtschuldverhältnisses und stelle eine selbständige Verpflichtung des Mitschuldners dar. Dabei übersieht die Revision, dass die Klägerin ausdrücklich erklärt hat, sie stütze den Klageanspruch auf § 840 in Verbindung mit § 426 Abs. 2 Satz 1 BGB.
Im Übrigen würde sich hier an der Zuständigkeit der Rheinschifffahrtsgerichte nichts ändern, wenn die Klägerin den Klageanspruch zusätzlich oder ausschließlich auf § 426 Abs. 1 BGB stützen würde. Denn Ausgleichsansprüche, die nach einem Schiffsunfall zwischen mehreren dafür verantwortlichen Personen oder den für das Verhalten dieser Personen nach §§ 3 und 4 BinnSchG haftenden Schiffseignern geltend gemacht werden, wurzeln - ebenso wie der Schadensersatzanspruch des Geschädigten - in diesem Unfall und gehören schon deshalb, aber auch mit Rücksicht auf die von Art. 34 Nr. II c der Mannheimer Akte gewollte einheitliche Beurteilung eines Schiffsunfalls zur Zuständigkeit der Rheinschifffahrtsgerichte (BGH VersR 1956, 430; BGH LM Nr. 4 zu § 14 BinnSchG).
Nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 ArbGG sind, soweit die Bestimmung hier interessiert, die Arbeitsgerichte ausschließlich zuständig für bürgerliche Streitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern aus dem Arbeitsverhältnis sowie für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten aus unerlaubten Handlungen, soweit diese mit dem Arbeitsverhältnis im Zusammenhang stehen. Als Arbeitnehmer gelten auch Personen, die wegen ihrer wirtschaftlichen Unselbständigkeit als arbeitnehmerähnliche Personen anzusehen sind (§ 5 Abs. 1 Satz 2 ArbGG).
Vorweg ist zu bemerken, dass die Beziehungen der Parteien nicht über den üblichenregelmäßig stillschweigend geschlossenen - Lotsvertrag hinausgegangen sind. Zwar kann das Verhältnis zwischen einem Lotsen und einem Schifffahrtsunternehmen auch abweichend von dem üblichen Lotsvertrag gestaltet werden, etwa in der Weise, dass der Lotse während einer bestimmten Zeitdauer verpflichtet ist, allein oder vorzugsweise für dieses Unternehmen tätig zu sein, wobei das Unternehmen den Zeitpunkt und die Art seines Einsatzes nach seinem Ermessen bestimmt. In dieser Richtung haben die Parteien aber nichts vorgetragen. Davon muss auch die Revision ausgehen. Sie gründet deshalb ihre Ansicht, zwischen den Parteien hätten besondere, auf Dauer angelegte Vertragsbeziehungen bestanden, im Wesentlichen auf den Umstand, dass der Beklagte regelmäßig auch Fahrzeuge der Klägerin gelotst hat. Daraus allein kann aber nicht schon geschlossen werden, dass den einzelnen Lotsungen, die der Beklagte für die Klägerin ausgeführt hat, nicht, wie üblich, jeweils eine besondere Vereinbarung, sondern ein einheitliches, nach Ansicht der Revision als Dauerarbeitsverhältnis zu qualifizierendes Vertragsverhältnis zugrunde gelegen hat.
Für das Bestehen besonderer, von dem üblichen Lotsvertrag abweichender Vertragsbeziehungen der Parteien spricht entgegen dem Vorbringen der Revision auch nicht, dass die Klägerin dem Beklagten nach dem Schiffsunfall vom 3. August 1963 mitgeteilt hat, er dürfe in Zukunft nicht mehr für sie tätig sein. Die Mitteilung besagte lediglich, dass die Klägerin den Beklagten fortan nicht mehr als Lotsen für ihre - übrigens nicht in geringer Zahl auf dem Rhein verkehrenden - Fahrzeuge annehmen werde und dies bei dessen Einteilung durch die Lotsenstation beachtet werden sollte.
Der Lotsvertrag, der üblicherweise die Beratung der Schiffsführung durch den Lotsen gegen Entgelt zum Gegenstand hat, ist in seinen wesentlichen Zügen Dienstvertrag (BGHZ 27, 79, 81) oder beinhaltet zum mindesten ein dienstvertragsähnliches Verhältnis (BGHZ 50, 250, 255). Ob er auch ein Arbeitsverhältnis zwischen dem Lotsen und dem Schiffseigner begründet, hängt davon ab, ob der Lotse mit dem Abschluss des Lotsvertrages seine persönliche Selbständigkeit verliert, in den Betrieb des Schiffseigners eingegliedert wird und bei der Ausübung der Lotstätigkeit dessen Weisungen unterliegt (vgl. BGH LM Nr. 21 zu § 611 BGB; Hueck/ Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts 7. Aufl. S. 41 ff). Das ist zu verneinen.
Die Stellung, die der Rheinlotse im Rahmen des üblichen Lotsvertrages gegenüber dem Schiffseigner einnimmt, ist von den Vorschriften geprägt, die auf Grund des Vorbehalts in Art. 26 der Mannheimer Akte über den Dienst der Lotsen und die von denselben zu erhebenden Gebühren für das inländische Stromgebiet ergangen sind. Von Bedeutung ist hier in erster Linie das - in einzelnen Punkten auch derzeit noch in Kraft befindliche - Preußische Gesetz vom 17. März 1870 betr. die Ausführung der Revidierten Rheinschifffahrtsakte vom 17. Oktober 1868 (PrGS S. 187) in Verbindung mit dem Preußischen Regulativ vom 23. März 1870 (abgedruckt in den von der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt herausgegebenen Rheinurkunden Zweiter Teil Nr. 369). Darin heißt es, dass der Lotse einen selbständigen konzessionspflichtigen Gewerbebetrieb ausübt und für seine Tätigkeit amtlich festgesetzte Gebühren erhält; ferner wird hierin bestimmt, dass er dem Verlangen eines Schiffsführers nach einem Lotsen zu folgen hat und - auf weiteres Verlangen - den Befehl über die Mannschaft und das Steuerruder übernehmen muss. Entsprechende Regelungen finden sich für die ehemals hessischen, badischen und bayrischen Rheinstrecken.
Diese Betrachtung hat allerdings in neuerer Zeit einen Wandel dahin erfahren, dass in dem Rheinlotsen nicht mehr ein Gewerbetreibender, sondern ein freiberuflich Tätiger erblickt wird, dessen Entgelt weiterhin amtlich festgesetzt werden kann (§ 3 a Abs. 1 des Gesetzes über die Aufgaben des Bundes auf dem Gebiete der Binnenschifffahrt vom 15. Februar 1956 in der Fassung des Gesetzes vom 21. Juni 1965 - BGBI. II 873) und für die Mittelrheinlotsen seit 1965 auch festgesetzt wird (zuletzt durch die Verordnung der Wasser- und Schifffahrtsdirektion Mainz über die Entgelte für die Leistungen der Binnenlotsen auf dem Rhein zwischen Bingen und St. Goar vom 26. Mai 1972 - veröffentlicht im BAnz. Nr. 104 vom 8. Juni 1972). Grund für diesen Wandel war in erster Linie die Neufassung des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EinkStG durch das Steueränderungsgesetz 1960 vom 30. Juli 1960 (BGBI. 1 616), worin festgelegt worden ist, dass die Lotsen eine freiberufliche Tätigkeit ausüben (für die Seelotsen vgl. außerdem § 25 Abs. 1 des Gesetzes über das Seelotswesen vom 13. Oktober 1954 - BGBI. 11 1035). Damit ist zwar ihre Gewerbesteuerpflicht entfallen (Blümich/Boyens./Steinbring/Klein, Gewerbesteuergesetz 7. Aufl. Anm. 54 zu § 2). Hingegen unterliegen ihre Entgelte weiterhin der Umsatzsteuerpflicht (Knauerhahn, Umsatzsteuer in ,Der Wirtschafts-Kommentator" 1967 Anm. 5 zu § 2 UmsStG).
Das deutet bereits darauf hin, dass sich durch den erwähnten Meinungswandel an der Beurteilung der Stellung eines Rheinlotsen als der eines selbständig Tätigen nichts geändert hat.
Das zeigt außerdem deutlich der Inhalt der bereits erwähnten Lotsenordnung für den Rhein zwischen Basel und Mannheim/Ludwigshafen. Danach ist der Lotse Berater des Schiffsführers, hat diesen bei der Führung des Fahrzeuges zu unterstützen, ihn ferner auf alle Besonderheiten der zu durchfahrenden Strecke aufmerksam zu machen und ihm weiter die etwa zu treffenden Maßnahmen zu empfehlen; wenn er außerdem - wie schon früher - auf ausdrückliches Verlangen des Schiffsführers den Befehl über die Mannschaft und das Steuerruder übernehmen muss, so wird er dadurch nicht Mitglied der -unbestritten in einem Arbeitsverhältnis stehenden - Schiffsmannschaft.
Entgegen den Darlegungen der Revision kann man den Lotsen, der das Steuer des von ihm gelotsten Fahrzeuges übernimmt, auch nicht etwa deshalb als Arbeitnehmer des Schiffseigners ansehen, weil der Schiffsführer ihm jederzeit die Führung des Steuers entziehen kann. Da es auf dem Rhein keine Zwangslotsen gibt (Art. 26 Abs. 2 der Mannheimer Akte), steht es jedem Schiffsführer frei, ob und wie lange er sich von einem Lotsen beraten und ihm hierbei das Steuer seines Fahrzeuges überlassen will. Entzieht er ihm das Steuer, so macht er von dieser Freiheit und nicht von den Weisungsbefugnissen eines Arbeitgebers gegenüber einem Arbeitnehmer Gebrauch. Gerade der Umstand, dass der Schiffer zwar die Beratung durch einen Lotsen jederzeit annehmen oder ablehnen, diesem jedoch für die Ausübung der Lotsentätigkeit selbst keine Weisungen erteilen kann, zeigt, dass der Lotse kein Arbeitnehmer des Schiffseigners ist. Das lässt sich auch nicht, wie die Revision noch ausgeführt hat, aus § 3 BinnSchG herleiten. Wenn diese Bestimmung bis zu ihrer Neufassung (durch Art. 2 Nr. 1 des Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 15. März 1960 zur Vereinheitlichung einzelner Regeln über den Zusammenstoß von Binnenschiffen sowie zur Änderung des Binnenschifffahrtsgesetzes und des Flößereigesetzes vom 30. August 1972 - BGBI. II 1005) den Lotsen der Schiffsbesatzung zurechnete, so handelte es sich insoweit lediglich um eine Fiktion, mit der die Haftung des Schiffseigners für bestimmte schadensverursachende Handlungen der Besatzung auf die Tätigkeit des Lotsen ausgedehnt wurde. Hingegen sollte damit nicht zum Ausdruck gebracht werden, dass der Lotse auch tatsächlich zur Schiffsbesatzung gehört.
Mit Recht hat das Berufungsgericht schließlich angenommen, dass der Rheinlotse, der mit einem Schiffseigner den üblichen Lotsvertrag abschließt, auch nicht als arbeitnehmerähnliche Person im Sinne des § 5 ArbGG anzusehen ist. Der Lotse leistet nicht, wie der Begriff der arbeitnehmerähnlichen Person voraussetzt, für andere in wirtschaftlich abhängiger Stellung Arbeit (vgl. Hueck/ Nipperdey aaO S. 59). Er ist in der Regel zwar wirtschaftlich schwächer als die Eigner der von ihm gelotsten Fahrzeuge, jedoch schon mit Rücksicht auf die Vielzahl seiner Auftraggeber wirtschaftlich nicht unselbständig. Das gilt im Allgemeinen auch dort, wo er die Fahrzeuge eines bestimmten Schiffseigners regelmäßig belotst. Der Fall kann allerdings anders liegen, wenn die Lotstätigkeit auf den Fahrzeugen eines bestimmten Schiffseigners für den Lotsen tatsächlich so umfangreich und wirtschaftlich so bedeutungsvoll ist, dass er dadurch in wirtschaftliche Abhängigkeit von diesem Eigner gerät. Dafür, dass es im Streitfall so lag, ist aber nichts dargetan."