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Leitsatz:
Ob neues tatsächliches Vorbringen die Erledigung des Rechtsstreits verzögert, ist allein nach der Lage zu beurteilen, in der sich der Rechtsstreit zur Zeit dieses Vorbringens befindet; das gilt auch, wenn anzunehmen ist, daß dieses Vorbringen in der Vorinstanz wegen der abweichenden Rechtsansicht dieses Gerichts nicht berücksichtigt worden wäre.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 7. Februar 1974
II ZR 65/73
(Landgericht Hamburg; Oberlandesgericht Hamburg)
Zum Tatbestand:
Die Beklagte beförderte mit ihrem Motorschiff elektrische Meß- und Regelgeräte von Hamburg nach Helgoland, die sie auf Kai löschte. Beim Abtransport mit Lkw der Fa. D., einer Streithelferin der Beklagten, stürzten 2 Karton-Paletten beim Anheben mit einem Gabelstapler ins Wasser. Die Güter gingen verloren oder waren unbrauchbar geworden.
Die Klägerin verlangt als Ladungsversicherin Ersatz des erstatteten Schadens in Höhe von mehr als 45000,- DM mit der Begründung, daß die Karton-Paletten vertragswidrig auf Deck befördert seien und nach dem Löschen ungeschützt auf dem Kai im Regen gestanden hätten, so daß sie durchweicht und beim Anheben in sich zusammengebrochen seien.
Die Beklagte behauptet, die Paletten unter Deck befördert und auf dem Kai mit einer Plane abgedeckt zu haben. Sie seien nur wegen unsachgemäßer Handhabung des Gabelstaplers ins Wasser gefallen.
Die Klage blieb in allen 3 Instanzen erfolglos.
Aus den Entscheidungsgründen:
Nach Ansicht des Berufungsgerichts war die Behauptung der Klägerin, die Beklagte habe die Karton-Paletten auf Deck befördert und sie nach dem Löschen ungeschützt auf dem Kai im Regen stehen lassen, so daß sie durchweicht und sodann beim Anheben mit dem Gabelstapler in sich zusammengebrochen seien, nach § 529 Abs. 2 ZPO nicht zuzulassen. Da außerdem das erstinstanzliche - im wesentlichen nur den unstreitigen Sachverhalt wiedergebende - Vorbringen der Klägerin nicht genüge, um den Klageanspruch schlüssig darzutun, sei die Klage abzuweisen gewesen. Gegen beide Punkte wendet sich die Revision ohne Erfolg.
Zunächst kann der Revision nicht gefolgt werden, soweit sie meint, die Klägerin habe den vom Berufungsgericht als verspätet angesehenen Vortrag bereits in der Klageschrift „hilfsweise in Erwägung gezogen für den Fall, daß die ihr zur Verfügung stehenden Unterlagen nicht den von ihr behaupteten Schadenvorgang richtig auswiesen".
Daraus ergibt sich jedoch nichts für die Annahme der Revision, die Klägerin habe bereits in der ersten Instanz den Klageanspruch auch darauf gestützt, daß die Beklagte die Partie auf Deck befördert habe und deren Kartonumhüllung dabei wie auch später auf dem Kai vom Regen durchweicht worden sei.
Nicht beigetreten werden kann außerdem der Ansicht der Revision, daß das vom Berufungsgericht nach § 529 Abs. 2 ZPO zurückgewiesene Vorbringen der Klägerin im Falle seiner Zulassung eine Erledigung des Rechtsstreits nicht verzögert hätte. Dabei mag es zutreffen, daß das Landgericht über dieses Vorbringen, wenn es bereits in der ersten Instanz erfolgt wäre keinen Beweis erhoben hätte, weil es - im Gegensatz zum Berufungsgericht - eine Haftungsfreizeichnung der Beklagten in ihren Konnossementsbedingungen für durchgreifend angesehen und in erster Linie deshalb die Klage abgewiesen hat. Jedoch berücksichtigt die Revision zu diesem Punkt nicht hinreichend, daß es im Rahmen des § 529 Abs. 2 ZPO nicht darauf ankommt, ob die Unterlassung eines bestimmten Vorbringens im erstinstanzlichen Verfahren die Erledigung eines Rechtsstreits insgesamt verzögert hätte. Vielmehr ist entscheidend, ob, wie es hier der Fall gewesen wäre, durch das Eingehen auf ein neues Vorbringen der Abschluß des Rechtsstreits in der Lage, in der er sich zur Zeit dieses Vorbringens befindet, verzögert wird (RG Recht 1926 Nr. 2537; vgl. auch BGH LM Nr. 1 zu § 286 (F) ZPO). Das folgt aus dem Gedanken, daß die Vorschrift des § 529 Abs. 2 ZPO eine Konzentration des Tatsachenvortrages auf die erste Instanz im Interesse einer zügigen Prozeßerledigung bewirken will und dem Erreichen dieses Ziels dadurch entsprechend Nachdruck zu verschaffen sucht, daß neues tatsächliches Vorbringen im Berufungsrechtszug beim Vorliegen bestimmter Voraussetzungen nicht zuzulassen ist.
Ohne Erfolg greift die Revision die Ausführungen des Berufungsgerichts zu § 529 Abs. 2 ZPO auch insoweit an, als dieses angenommen hat, es beruhe auf einer groben Nachlässigkeit der Klägerin, daß sie den zurückgewiesenen Vortrag nicht bereits in der Ersten Instanz gebracht habe.
Der Verfrachter haftet nach § 606 S. 2 HGB für den Schaden, der durch Verlust oder Beschädigung der Güter in der Zeit von der Annahme bis zur Ablieferung entsteht, es sei denn, daß der Verlust oder die Beschädigung auf Umständen beruht, die durch die Sorgfalt eines ordentlichen Verfrachters nicht abgewendet werden konnten. Eine Anwendung dieser Vorschrift setzt demnach voraus, daß die Güter in der Zeit verloren gegangen oder beschädigt worden sind, in welcher sie sich in der Obhut des Verfrachters befunden haben. Hier liegt es nun aber so, daß die beiden Karton-Paletten bei ihrem Anheben mit einem Gabelstapler der Fa. D., die nach dem übereinstimmenden Vortrag der Parteien von der Ladungsempfängerin mit dem Weitertransport der Partie beauftragt war, ins Wasser gestürzt sind, somit erst nach ihrer Ablieferung durch die Beklagte. Das würde allerdings die Haftung des Verfrachters nicht ausschließen, wenn dieser Sturz die Folge einer Beschädigung (Durchweichung) der beiden Karton-Paletten vor ihrer Ablieferung gewesen wäre. Das hat die Klägerin jedoch erst - verspätet - im Berufungsrechtszug behauptet.
Nun meint die Revision, bei der Beurteilung der Frage, ob die Klägerin einen Anspruch aus § 606 S. 2 HGB schlüssig dargetan habe, dürfe jedenfalls nicht außer Betracht bleiben, daß es - nach dem übereinstimmenden und deshalb zu keiner Verzögerung des Rechtsstreits im Berufungsrechtszug führenden Vorbringen der Parteien - geregnet habe, während die Karton-Paletten auf dem Kai gestanden hätten. Das ändert nichts daran, daß jeder rechtzeitige Vortrag der Klägerin dahin fehlt, die Karton-Paletten seien von dem Regen durchweicht worden, deshalb beim Anheben mit dem Gabelstapler in sich zusammengebrochen und dabei ins Wasser gestürzt. Insoweit kommt der Klägerin auch kein Anscheinsbeweis zu Hilfe.
Ebenso kann der Revision nicht gefolgt werden, soweit sie ausgeführt hat, die Beweislastregelung des § 606 S. 2 HGB umfasse auch noch den Fall, bei welchem die „erste Abnahmehandlung" zu einer Beschädigung oder Zerstörung der Güter geführt habe, Denn mit einer solchen Handlung des Empfängers oder seiner Vertreter endet die Obhutspflicht des Verfrachters, weil damit die Güter bereits abgeliefert sind.