Jurisprudentiedatabank
Leitsätze:
1) Von einem Rheinschiffahrtsobergericht, das in Kollisionsstreitigkeiten die Frage nach dem nautisch richtigen Verhalten eines Bootes und seiner Anhänge und der möglichen Auswirkung eines Rudermanövers des öfteren zu beurteilen hat, kann angenommen werden, daß es auf Grund seiner langjährigen Tätigkeit in Schiffahrtssachen über besondere Erfahrungen auf diesem Gebiet verfügt.
2) Die Vorlage eines Privatgutachtens nötigt ein solches Gericht nicht schon deshalb zur Erhebung eines Sachverständigengutachtens, weil das Privatgutachten von einem anerkannten Fachmann erstellt worden ist und das Gericht dessen Ausführung, nicht folgen will. Es genügt die sachkundige Auseinandersetzung mit dem Inhalt des Privatgutachtens und die Darlegung der gegenteiligen Auffassung des Gerichts im Urteil.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 2. März 1970
II ZR 63/68
(Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort, Rheinschiffahrtsobergericht Köln)
Zum Tatbestand:
Das den Beklagten zu 3 und 4 gehörende Boot I schleppte rheinabwärts auf mindestens 50 m langem Strang 2 nebeneinander gemehrte, mit den Köpfen gleichauf liegende beladene Schiffe, nämlich Kahn S (steuerbords - den Klägern gehörend) und Tankkahn Sa (backbords - dem Beklagten zu 1 gehörend, vom Beklagten zu 2 geführt).
Als der Schleppzug die Straßenbrücke Düsseldorf-Oberkassel passierte, kam S mit dem Steuerbordschiff gegen den rechten Pfeiler der für die Talfahrt vorgesehenen Brückenöffnung, schlug leck und sank.
Die Kläger verlangen Ersatz des Schadens an S. Das Schleppboot sei beim Durchfahren der oberhalb gelegenen Linksbiegung zu weit nach rechtsrheinisch geraten und habe die Köpfe der Kähne vor' der Brücke nicht genügend nach Backbord abgezogen. Tankkahn Sa, der über die weitaus überwiegende Steuerkraft der beiden Anhänge verfügt habe, habe nicht richtig nachgesteuert.
Die Beklagten bestreiten ein schuldhaftes Verhalten der Führungen des Bootes und des Tankkahns.
Beide Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Auch die Revision blieb erfolglos.
Aus den Entscheidungsgründen:
Das Berufungsgericht hält die Behauptung der Kläger, die Führung des TSK Sa habe nicht richtig nachgesteuert, nicht für bewiesen. Zu dem Verhalten der Führung des Bootes hat es ausgeführt, diese haben keinen nautischen Fehler begangen. Seine Auffassung gründet das Berufungsgericht auf folgende Feststellungen:
Der Schleppzug sei in Höhe des Düsseldorfer Pegels (rund 650 m oberhalb der Brücke) mindestens 50 m aus dem rechten Ufer gefahren. Während der weiteren Annäherung an die Brücke und während der Durchfahrt durch die für die Talfahrt vorgesehene Öffnung (85 m breit) habe das Boot voll nach Backbord abgezogen. Es habe einen Kurs eingehalten, der den Anhängen bei ordnungsgemäßem Nachsteuern ohne weiteres ermöglicht hätte, die Brücke trotz ungünstiger Wasser- und Windverhältnisse (eine kräftige Strömung und ein starker Wind standen auf das rechte Ufer) gefahrlos zu passieren. Die Anhänge hätten zunächst auch gut für die Durchfahrt gelegen, ihre Mitte habe noch etwa 60 m oberhalb der Brücke auf das über der Mittel der Öffnung angebrachte Durchfahrtszeichen hingewiesen. Erst ungefähr 50 m oberhalb der Brücke seien die Köpfe der Anhänge plötzlich nach Steuerbord abgegangen, wahrscheinlich deshalb, weil das Ruder auf SK S nach Steuerbord ausgedreht worden sei. Hingegen habe die Beweisaufnahme keinen Anhalt dafür erbracht, daß auch auf TSK Sa nicht richtig nachgesteuert worden sei.
Die Revision wendet sich gegen die Ausführung des Berufungsgerichts mit zahlreichen Verfahrensrügen. Sie vermag aber keinen entscheidungserheblichen Verfahrensfehler aufzuzeigen. Einer Begründung bedarf es insoweit nach Art 1 Nr. 4 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen vom 15. August 1969 nicht. Jedoch erscheint folgende Bemerkung zu der in erster Linie erhobenen Rüge, das Berufungsgericht habe nicht ohne die Zuziehung eines Sachverständigen entscheiden dürfen, angebracht:
1. In Kollisionsstreitigkeiten ist die Frage nach dem nautisch richtigen Verhalten eines Bootes und seiner Anhänge oder nach der möglichen Wirkung eines Rudermanövers nicht selten zu beurteilen. Daß dem Berufungsgericht, das auf Grund seiner langjährigen Tätigkeit in Schiffahrtssachen über eine besondere Erfahrung auf diesem Gebiet verfügt, die hierfür erforderliche Sachkunde gefehlt haben soll, läßt sich weder den Erwägungen des angefochtenen Urteils noch den Darlegungen der Revision entnehmen.
2. Das Berufungsgericht war auch nicht, wie die Revision meint, im Hinblick auf das von den Klägern überreichte Privatgutachten gehalten, ein Sachverständigengutachten einzuholen. Die Revision beachtet in diesem Zusammenhang nicht, daß der Privatgutachter der Kläger von anderen Feststellungen als das Berufungsgericht über das Verhalten der Führung des Bootes, insbesondere über den von dieser eingehaltenen Kurs ausgegangen ist. Sie berücksichtigt ferner nicht, daß sich der Privatgutachter der Kläger überhaupt nicht zu der Frage geäußert hat, welche Wirkung das Ausdrehen des Ruders auf SK S nach Steuerbord unter Berücksichtigung der auf das rechte Ufer stehenden kräftigen Strömung und des dorthin gerichteten starken Windes auf den Kurs der Anhänge haben konnte. Im übrigen nötigt die Vorlage eines Privatgutachtens in Fällen der vorliegenden Art nicht schon deshalb zu der Erhebung eines Sachverständigengutachtens, weil das Privatgutachten von einem anerkannten Fachmann erstattet worden ist und das Rheinschiffahrtsobergericht dessen Ausführungen nicht folgen will. Vielmehr genügt es, wenn es sich mit dem Inhalt des Privatgutachtens sachkundig auseinandersetzt und hierbei die Gründe für seine gegenteilige Auffassung näher darlegt."