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II ZR 61/73 - Bundesgerichtshof (Berufungsinstanz Schiffahrt)
Datum uitspraak: 17.01.1974
Kenmerk: II ZR 61/73
Beslissing: Urteil
Language: Duits
Rechtbank: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Afdeling: Berufungsinstanz Schiffahrt

Leitsatz:

1) Zur Bedeutung der Unfallvorschriften einer Berufsgenossenschaft.

2) Bei der Beurteilung der Verpflichtung eines Kapitäns, für ein unfallfreies Begehen und Verlassen eines Schiffes durch einen Lotsen zu sorgen, ist zu berücksichtigen, daß Lotsen aufgrund ihrer beruflichen Ausbildung und Tätigkeit mit Schiffen und der Benutzung ihrer Einrichtungen, auch bei Dunkelheit, regelmäßig vertraut sind.

Urteil des Bundesgerichtshofes vom 17. Januar 1974 

II ZR 61/73

(Oberlandesgericht Hamburg)

Zum Tatbestand:

Der Kläger wollte gegen 1 Uhr nachts als Lotse nach seiner Ablösung durch einen anderen Lotsen von Bord gehen, wobei er - statt einen normalen Weg zu gehen - das unbeleuchtete Windendeck betrat und über einen dort zur Befestigung der Ladebäume in Kniehöhe gespannten sogenannten Faulenzerdraht stürzte.
Der Kläger und die Klägerin als Lotsenbrüderschaft, die dem Kläger einen Teil des Verdienstausfalls ersetzt hat, verlangen wegen der erlittenen Körperverletzung des Klägers Ersatz der Kosten für Krankenhausaufenthalt und des Verdienstausfalls sowie ein angemessenes Schmerzensgeld. Der Kapitän hätte dem Kläger eine Begleitung stellen oder ihm wenigstens den Weg zur Jakobsleiter beschreiben müssen, zumal das Schiff nicht ausreichend beleuchtet gewesen sei.
Die Beklagte meint, daß der Kläger den Unfall selbst verschuldet habe. Der Kläger sei nicht verpflichtet gewesen, den Weg zu weisen, weil er habe annehmen können, daß der Kläger den ihm bekannten Weg wählen würde.

Das Landgericht hat die Klage dem Grunde nach zur Hälfte für gerechtfertigt erklärt, das Oberlandesgericht hat sie abgewiesen. Die Revision blieb erfolglos.

Aus den Entscheidungsgründen:

Die auf Grund der §§ 708, 850 RVO von der Seeberufsgenossenschaft bundeseinheitlich erlassenen Unfallverhütungsvorschriften sind revisibles Recht. Die Seeberufsgenossenschaft hat sie im Rahmen der ihr verliehenen Satzungsgewalt mit Wirksamkeit gegenüber ihren Mitgliedern und den Versicherten erlassen. Sie zählen daher zu den Rechtsnormen (so auch Wannagat, Lehrbuch des Sozialversicherungsrechts Bd. 1, S. 184; Wolff, Verwaltungsrecht III, 3. Aufl., S. 198). Solches über den Bezirk eines Oberlandesgerichts hinaus geltendes Satzungsrecht ist nach § 549 ZPO im Revisionsrechtszug nachprüfbar.Unfallverhütungsvorschriften geben wieder, welche Maßnahmen nach der Erfahrung in dem betreffenden Beruf zum Schutz vor Arbeitsunfällen geboten (BGH, Urt. v. 7. 12. 67 - III ZR 178/65, LM Nr. 9 BGB § 839 (Cb]) und daher sowohl auf Grund der Fürsorgepflicht nach § 618 BGB als auch auf Grund der Verkehrssicherungspflicht nach § 823 BGB erforderlich (§ 276 BGB) sind. Nach § 7 Abs. 8 UVV muß „das An- und Vonbordgehen des Lotsen oder anderer Personen ... bei in Fahrt befindlichen Schiffen unter Aufsicht eines Schiffsoffiziers oder eines seemännisch erfahrenen Mannes erfolgen". Das Berufungsgericht begründet seine Ansicht, daß damit über die Sicherung des Lotsen auf seinem Weg von der Brücke bis zur Jakobsleiter nichts ausgesagt wird, damit, sie betreffe schon nach der Überschrift des gesamten § 57 „Zugang zum Schiff", insbesondere aber nach ihrem Sinn, allein den Zeitraum, in dem sich der Lotse auf der Jakobsleiter befinde und die Reling übersteige. Nur diese Vorgänge seien bei einem in Fahrt befindlichen Schiff besonders gefährlich und müßten deshalb von einem seemännisch erprobten Besatzungsmitglied überwacht werden, damit etwa notwendig werdende Hilfsmaßnahmen sofort und sachkundig eingeleitet werden könnten. Dagegen setzte die regelmäßig ungefährliche Benutzung der Gänge und Treppen auf einem Schiff nur Ortskenntnis, aber keine seemännische Erfahrung voraus.Diesen auch nach dem sonstigen Inhalt von § 57 Abs. 1 bis 7 und 9 UVV zutreffenden Ausführungen ist lediglich anzufügen, daß Lotsen nach ihrer Ausbildung stets im Umgang mit Schiffen erfahren sind, und auch aus diesem Grund keinen Anlaß dafür zu erkennen ist, in § 57 Abs. 8 UVV vorzusehen, Lotsen allgemein für ihnen unbekannte Wege auf einem Schiff einen seemännisch ausgebildeten Begleiter zu stellen. Das Berufungsgericht hat somit ohne Rechtsirrtum einen Verstoß des Kapitäns gegen § 57 Abs. 8 UVV verneint.Da Unfallverhütungsvorschriften nicht abschließend bestimmen, welche Sorgfalt gegenüber einem Lotsen im Einzelfall zu wahren ist, hätte es jedoch aus anderen Gründen erforderlich (§ 276 BGB) sein können, den Kläger auf dem Weg von der Brücke zur Jakobsleiter begleiten zu lassen oder ihm wenigstens diesen Weg zu beschreiben. Das Berufungsgericht hat jedoch beides als unnötig angesehen, weil die zum Hauptdeck führenden unmittelbar untereinander liegenden Treppen für einen Lotsen bei dein hellen Mondschein zur Zeit des Lotsenwechsels ohne weiteres zu finden gewesen seien. Der Kapitän habe auch nicht damit zu rechnen brauchen, daß der Kläger, nachdem er die vom Kapitänsdeck weiter nach unten führende Treppe nicht gefunden habe. auf dem nicht zum Verkehr bestimmten dunklen Windendeck herumirren werde, statt zurückzukehren und nach dem Weg zu fragen, oder durch die unmittelbar neben der Treppe liegende Tür den Innengang aufzusuchen, dessen Beleuchtung durch ein Fenster in der Tür zu erkennen gewesen sei.Bei der Frage, ob die erforderliche Sorgfalt gewahrt worden ist, muß zwar ein objektiver Maßstab angelegt werden. Die für eine Berufsgruppe typischen Kenntnisse und Erfahrungen sind aber zu berücksichtigen, weil sie Anhaltspunkte für das Maß der zu fordernden Sorgfalt gewähren können (BGHZ 39, 281, 283 m.w.N.), bei Lotsen also, daß sie auf Grund ihrer beruflichen Ausbildung und Tätigkeit mit Schiffen und der Benutzung ihrer Einrichtungen, auch bei Dunkelheit und Seegang, regelmäßig vertraut sind. Das Berufungsgericht hat deshalb ohne Rechtsirrtum den Umfang der vom Kapitän zu erfüllenden Pflichten danach bestimmt, welches Verhalten der Kapitän vom Kläger als Lotsen erwarten durfte. Diesem war der Weg über die Außentreppen zwar unbekannt. Da das Berufungsgericht aber anhand der von ihm dargelegten örtlichen Verhältnisse festgestellt hat, der Kapitän habe annehmen dürfen, der Kläger werde diesen für ein mit Schiffen vertraute Person unschwer zu erkennen und direkt zum Hauptdeck führenden Weg ungefährdet zurücklegen, konnte es besondere Maßnahmen zum Schutz des Klägers unter diesem Gesichtspunkt als unnötig ansehen.