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Leitsatz:
Ein Transportunternehmer kann sich nicht in Allgemeinen Geschäftsbedingungen von seiner Haftung für den durch den Untergang einer Schute mit wertvoller Ladung im Hamburger Hafen eingetretenen Schaden ganz oder teilweise freizeichnen, wenn der Untergang der Schute darauf beruhen kann, daß der Unternehmer seiner Pflicht zur ständigen Bewachung der Schute nicht nachgekommen ist.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 13. März 1969
II ZR 58/67
(Landgericht Hamburg, Oberlandesgericht Hamburg)
Zum Tatbestand:
Die Fa. T. beauftragte für Rechnung einiger Importfirmen die Beklagte mit dem Transport dreier Partien Rohkaffee (zusammen ca. 87 t) im Hamburger Hafen von Seeschiff zu einem Lager. Dem Transportvertrag lagen die Allgemeinen Bedingungen der Hafenfrachtschiffahrt betreibenden Firmen des Hafens Hamburg" (ABH) zugrunde. Nr. 19 dieser Bedingungen enthält einen Haftungsausschluß des Transportunternehmers u. a. für Schäden durch Einbußen und Verluste, die verursacht sind durch niedrigen oder rechtswidrige Handlungen, Nachlässigkeiten oder Fehler des Fahrzeugführers oder anderer Personen, deren sich der Transportunternehmer bedient, mitgewirkt haben. Nr. 24 der ABH enthält eine Beschränkung der Haftung des Transportunternehmers auf den Höchstbetrag von 10 000 DM für die gesamte Ladung des Fahrzeugs, soweit nicht eine Haftung nach den vorhergehenden Bestimmungen ausgeschlossen ist, und läßt diese Haftung nur dann eintreten, wenn ihm oder seinen Arbeitnehmern ein ursächliches Verschulden nachgewiesen wird.
Die vor dem 1. Weltkrieg gebaute, mit Holzboden versehene Schute der Beklagten wurde am Seeschiff beladen und von einem Schlepper der Beklagten zum Block Q am St. Annenufer geschleppt und dort vertäut. Statt einer ständigen Bewachung wurde eine Wachschiff-Gesellschaft mit der fliegenden Bewachung der Schute beauftragt. Bei einer Kontrollfahrt gegen Mitternacht wurde nichts Besonderes festgestellt. 4 Stunden später konnte die Wachschiffbarkasse wegen Niedrigwasser nicht in das Fleet einfahren. Um 6.20 Uhr wurde festgestellt, daß die Schute gesunken war. Nach der späteren Hebung und bei der Reparatur zeigte sich, daß der Holzboden undicht war.
Die Klägerin als Transportversicherin verlangt aufgrund übergangener und abgetretener Ansprüche Ersatz der Entschädigungszahlungen in Höhe von etwa 267 000,- DM, weil die Beklagte die Schute nicht ständig habe bewachen lassen und daher den Schaden durch ein grobes Organisationsverschulden verursacht habe. Hierfür könnten Haftungsausschlüsse und -beschränkungen nicht wirksam vereinbart werden.
Die Beklagten haben ein solches Verschulden bestritten und sich auf auf die ABH berufen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht hat ihr stattgegeben. Die Revision der Beklagten blieb erfolglos.
Aus den Entscheidungsgründen:
Das Berufungsgericht sieht es als grobes Organisationsverschulden an, daß die Beklagte ihrer Pflicht zur ständigen Bewachung der Schute mit wertvoller Ladung nicht nachgekommen ist, sondern sich mit der völlig unzureichenden fliegenden Bewachung der Schute begnügt hat. Dem kann angesichts der Kardinalpflicht des Frachtführers, das in seine Obhut zur Beförderung übergebene Gut dem Empfänger unversehrt auszuliefern, aus Rechtsgründen nicht entgegengetreten werden. Was die Revision dagegen vorbringt, kann zu keinem anderen Ergebnis führen. Es handelt sich weder um eine undurchführbare noch um eine wirtschaftlich unmögliche Maßnahme.
Die Revision hat das angefochtene Urteil mißverstanden, wenn sie ihm entnehmen will, das Berufungsgericht sei deshalb zu der Annahme eines groben Verschuldens der, Beklagten gekommen, weil sie es unterlassen habe, eine Änderung der Festentgelte für die von ihr übernommenen Leistungen herbeizuführen. Derartiges sagt das Berufungsgericht nicht. Es ist lediglich der Ansicht, es sei Sache der Beklagten und ihrer Berufsverbände, darauf hinzuwirken, daß die notwendigen Bewachungskosten mit einkalkuliert werden, wenn die Beklagte glaube, mit diesen Entgelten könne sie angesichts der Pflicht zur ständigen Bewachung nicht auf ihre Rechnung kommen. Es ist auch nicht richtig, daß die ABH, wie anscheinend die Revision mit ihrer Behauptung, die Beklagte sei an diese gebunden, meint, der Beklagten nur die Pflicht zur fliegenden Bewachung auferlegten. Die ABH geben zu der Frage, wie die Bewachung auszuführen ist, nichts her. Gebunden ist die Beklagte an die Festentgelte, an die ABH nur insoweit, als sie nicht geringere Leistungen erbringen darf, als in diesen Bedingungen vorgesehen sind.
Die Beweislast spielt hinsichtlich des groben Verschuldens keine Rolle, da das Berufungsgericht ohne Rechtsirrtum ein solches festgestellt hat.
Die ABH legen in Nr. 24 Abs. 1 dem Vertragsgegner des Transportunternehmers die Beweislast für ein ursächliches Verschulden des Unternehmers oder seiner Leute auf. Diese Bestimmung der ABH ist, wie das Berufungsgericht zutreffend annimmt, unwirksam, weil es sich bei den zu beweisenden Tatsachen um Vorgänge handelt, die sich im Verantwortungsbereich des Transportunternehmers abspielen, in dessen Obhut das Beförderungsgut steht (BGHZ 41, 151). Es gilt daher die gesetzliche Regelung des § 58 BSchG: Der Frachtführer muß sich entlasten.
Nun hat sich allerdings die Beklagte von einer Haftung für das Verschulden ihrer Erfüllungsgehilfen in Nr. 19 ABH in zulässiger Weise freigezeichnet. Da aber diese Freizeichnung eine Ausnahme von der gesetzlichen Regel der Entlastungspflicht des Frachtführers darstellt, muß die Beklagte beweisen, daß der Untergang der Schute und damit der Schaden an der Ladung allein auf eine der in Nr. 19 ABH genannten Ursachen und nicht auf das Unterlassen der ständigen Bewachung zurückzuführen ist. Soweit dem Urteil des Senats vom 14. Juli 1960 II ZR 220/58 (VersR 1960, 844) etwas anderes entnommen werden könnte, hält der Senat hieran nicht fest. Bereits in der Entscheidung BGHZ 41, 151, 156 hat der Senat zum Ausdruck gebracht, daß in solchen Fällen der Unternehmer die Voraussetzungen für einen Haftungsausschluß zu beweisen hat.
Die Unmöglichkeit der Aufklärung geht zu Lasten der Beklagten.
Vergebens berufen sich die Beklagten hinsichtlich der Hohe des Klageanspruchs auf eine Beschränkung ihrer Haftung. In Allgemeinen Geschäftsbedingungen kann sich ein Vertragspartner nicht von eigenem groben Verschulden oder dem groben Verschulden seiner leitenden Angestellten freizeichnen, auch insoweit seine Haftung nicht beschränken (BGHZ 38, 183). Das gilt auch dann, wenn die Allgemeinen Geschäftsbedingungen unter Mitwirkung der beiderseitigen Interessenverbände aufgestellt worden sind (BGHZ 20, 164, 167).
Unrichtig ist die Auffassung der Revision, die ABH hätten gesetzesvertretenden Charakter, weil sie Bestandteil eines für alle Beteiligten verbindlichen Tarifs seien. Gesetzeskraft könnten die in den ABH enthaltenen Bestimmungen nur haben, wenn eine bundesgesetzliche Ermächtigung zum Erlaß solcher von der Vorschrift des § 58 BSchG abweichenden Bestimmungen vorläge. Das ist nicht der Fall. Eine solche Ermächtigung enthält nicht die Ermächtigung zur Bestimmung von Festentgelten. Bei der Festsetzung solcher Entgelte sind die nach dem Gesetz demjenigen obliegenden Leistungen zu berücksichtigen, der das Entgelt zu fordern hat, nicht aber können die ihm obliegenden Leistungen abweichend vom Gesetz bestimmt und danach das Entgelt festgesetzt werden. Demnach kann es für die Gültigkeit der ABH keine Rolle spielen, inwieweit eine Behörde oder der Frachtenausschuß bei der Abfassung der ABH mitgewirkt haben. Auch ist es unerheblich, ob bei der Festsetzung des Entgelts berücksichtigt wurde, daß der Frachtführer ständige Bewachung schuldet oder ob irrtümlich davon ausgegangen wurde, daß er bei fliegender Bewachung seiner Sorgfaltspflicht genüge.
Demnach ist das Berufungsgericht mit Recht zu dem Ergebnis gekommen, daß die in Nr. 24 Abs. 2 ABH enthaltene Haftungsbegrenzung insoweit unwirksam ist, als die Haftung auch bei grobem Verschulden des Unternehmers oder eines leitenden Angestellten beschränkt sein soll."