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Leitsatz:
B. Schäden an der Ruderanlage, zu denen erfahrungsgemäß Turnmanöver leicht führen können, sind demjenigen zuzurechnen, der den Unfall schuldhaft herbeigeführt und zu dem anschließenden Turnmanöver Anlaß gegeben hat. Für die Frage der adäquaten Verursachung ist es ohne Bedeutung, daß bei der Entstehung der Turnschäden Fehler der Besatzungen des festsitzenden oder des turnenden Fahrzeugs mitgewirkt haben, sofern nicht alle nautischen Regeln und Erfahrungen in gröblicher Weise außer acht gelassen sind.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 9. Juli 1964
(Rheinschiffahrtsgericht St. Goar - Rheinschiffahrtsobergericht Köln)
Zum Tatbestand:
Es wird Bezug genommen auf den unter A) dargestellten Tatbestand. In dem vorliegenden Rechtsstreit II ZR 5/63 hatte der Kläger als Eigner des MS F" Klage gegen die Eignerin des MS A" sowie gegen dessen Schiffsführer erhoben und den Ersatz aller Schäden verlangt, der dem MS F", das sich vor dem Stilliegen an der Seite von E" im Schlepp eines anderen MS M" befunden hatte, durch die Kollision mit Kahn H" und durch das Festkommen auf dem Clemensgrund entstanden war.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat der Klage nur zum Teil stattgegeben, nämlich soweit es sich um die durch die Anfahrung von H" erlittenen Schäden handelt. Das Rheinschiffahrtsobergericht hat die Klage in vollem Umfang dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Die Revision der Beklagten war erfolglos.
Aus den Entscheidungsgründen:
Abgesehen von der zum großen Teil bereits in der Sache II ZR 3/63 gegebenen Begründung nahm der Bundesgerichtshof in dieser Sache zusätzlich u. a. folgenden Standpunkt ein:
Die Beschädigung der Ruderanlage von F' ist nach der Ansicht des Rheinschiffahrtsobergerichts im Gegensatz zu der Auffassung des Rheinschiffahrtsgerichts ebenso wie der bei der Kollision mit A' entstandene Schaden den Beklagten zuzurechnen. Im angefochtenen Urteil ist ausgeführt: Es könne dahingestellt bleiben, ob die Beschädigung der Ruderanlage schon in der Unfallnacht beim Antreiben der noch miteinander verbundenen Fahrzeuge ,E' und F' auf den Clemensgrund erfolgt ist oder erst am nächsten Tag während der an beiden Schiffen mehrfach durchgeführten Turnmanöver. Erfahrungsgemäß könnten Turnmanöver leicht zu Schäden solcher Art führen und seien daher dem zuzurechnen, der den Unfall schuldhaft herbeigeführt und damit auch zu den anschließenden Turnmanövern Anlaß gegeben hat. Dabei sei für die Frage der adäquaten Verursachung ohne Bedeutung, ob bei der Entstehung der Turnschäden Fehler der Besatzungen des festsitzenden Schiffes oder des turnenden Fahrzeuges mitgewirkt haben, es sei denn, daß diese Fehler gegen alle nautischen Regeln und Erfahrungen schon die ersten Anforderungen an ein vernünftiges, gewissenhaftes Turnmanöver gröblich außer acht gelassen haben. Von solchen Fehlern könne hier keine Rede sein.
Das ist richtig. Was die Revision hiergegen vorbringt, vermag den ursächlichen Zusammenhang nicht in Frage zu stellen. Die Beklagten haben weiter vorgetragen, ein Teil der Schäden sei erst am 9. August 1957 aufgenommen worden, während der Unfall sich am 8. November 1956 ereignet habe; das spreche dafür, daß zum mindesten die Bodenschäden außerhalb der Haftung der Beklagten blieben. Die Revision rügt, das Berufungsgericht sei hierauf nicht eingegangen. Die Rüge ist unbegründet. Der Vortrag ist nicht schlüssig. Es ist nicht einzusehen, warum die Beklagten für die Bodenschäden nur deshalb nicht haften sollten, weil die Schadenstaxe erst längere Zeit nach dem Unfall aufgenommen worden ist. Daß die Schäden nicht durch das Festkommen auf dem Clemensgrund entstanden seien, haben die Beklagten nicht behauptet.
Die Revision rügt, der Schleppzug M' sei unter Verstoß gegen § 80 Nr. 3 RhSchPVO zu lange noch im Nebel weitergefahren. Diese Rüge enthält einen unzulässigen Angriff gegen die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts. Die Revision hat übersehen, daß ein Zurückfallenlassen des Schleppzuges wegen des damit verbundenen großen Risikos bei dem schnell hereinbrechenden Nebel nicht in Frage kam; denn der Schleppzug und insbesondere F' befanden sich in unmittelbarer Nachbarschaft des Clemensgrundes. Ohne Rechtsfehler nimmt das Berufungsgericht an, der Schleppzug habe bei dem hereinbrechenden Nebel die Anlehnung an den schweren ,C'-Schleppzug suchen dürfen.
Aus dem gleichen Grunde scheidet ein Verstoß gegen die Verpflichtung aus, beim Anhalten das Fahrwasser so weit wie möglich freizumachen (§ 80'' Nr. 4 RhSchPVO). Ein weiteres Beigehen zum rechten Ufer war wegen des ,C'-Schleppzuges nicht möglich. Für eine etwaige Talfahrt ist nach der Feststellung des Berufungsgerichts noch genügend Platz verblieben.
Die Revision meint, es sei nicht recht verständlich, warum in diesen Situationen § 67 RhSchPVO (Liegeplatz beim Stilliegen) nicht anwendbar sein soll. Sie hat übersehen, daß bei unsichtigem Wetter nicht Abschnitt VII (§§ 67 ff), sondern Abschnitt VIII (§ 80 ff) RhSchPVO anzuwenden ist. Während im Falle des Anhaltens bei unrichtigem Wetter das Fahrwasser nur so weit wie möglich" freizumachen ist, geht die Verpflichtung zur Freimachung des Fahrwassers bei der Auswahl des Liegeplatzes viel weiter.
Die Revision sieht ein ursächliches Verschulden der Besatzung von F' darin, daß sie den Schleppdraht zu M' abgeworfen habe. Im angefochtenen Urteil ist ausgeführt, für das Abwerfen dieses Stranges habe ein sehr begründeter Anlaß vorgelegen. Nachdem nämlich die Meerdrähte bereits einmal durch - wie man annehmen muhte - Anziehen des im Nebel unsichtbaren MS ,M' gerissen waren, habe man sich einer solchen Gefahr nicht ein zweites Mal aussetzen wollen. Neben dem großen Kahn ,E' habe man sich einstweilen völlig sicher gefühlt; daß dieser selbst schon seinen Halt verloren habe, habe man nicht gewußt. Das Abwerfen des Stranges sei sachgemäß gewesen; man habe auch keine Bedenken zu haben brauchen, an E' erneut festzumachen; von dem Bruch der Kabelkette dieses Kahns habe man wegen des dichten Nebels nichts wissen können.
Die Revision will die Rechtfertigung, die das Berufungsgericht für das Abwerfen des Stranges gibt, damit ausräumen, daß sie behauptet, die von F' verwendeten Meerdrähte seien zu schwach gewesen und deshalb gerissen; wären sie nicht gerissen, hätte keine Veranlassung zum Abwerfen des Stranges bestanden.
Damit kann die Revision, die auch hier im wesentlichen in das ihr verschlossene Gebiet der Beweiswürdigung übergreift, nicht gehört werden. Das Berufungsgericht hat auf Grund der Beweisaufnahme festgestellt, daß die Verwendung von 18 oder 16 mm starken Drähten bei einem so kleinen Kanalschiff (Kempenaar) völlig ausgereicht habe; bei einem kräftigen Anziehen des schleppenden Fahrzeuges könne der beste Laufdraht reißen. Im angefochtenen Urteil ist hierbei nicht auf die Beweislast abgestellt, wenn auch, wie der Revision zuzugeben ist, der dieser Feststellung vorhergehende Satz zu dem Mißverständnis Anlaß geben könnte. Für die Behauptung der Revision, der Kläger habe unstreitig die Meerdrähte nicht aufbewahrt, also schuldhaft dieses Beweismittel vernichtet, fehlt es an der Bezeichnung eines entsprechenden Vortrages in den Tatsacheninstanzen.
Hiernach kann das Abwerfen des Stranges durch die Besatzung von F' nicht als schuldhafte Maßnahme angesehen werden."