Jurisprudentiedatabank
Leitsatz:
Über den Haftungsausschluss beim Schleppvertrag und die Voraussetzungen für den stillschweigenden Abschluss eines Turnvertrages. Die Haftungsbeschränkung des § 4 Abs. 2 S. 2 BinnenschifffahrtsG gilt nur für den Schiffer, der Alleineigentümer des von ihm geführten Schiffes ist.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 27. Oktober 1960
II ZR 5/59
Zum Tatbestand:
Die Klägerin ist Eignerin des Kahnes A, der sich auf einer Reise von Ruhrort nach Neuwied als einziger Anhang des Motorschleppers B befand. Dieser Motorschlepper gehört der Beklagten zu 1, einer Erbengemeinschaft bestehend aus den Beklagten D, E und F, von denen E, der Beklagte zu 2, den Motorschlepper am fraglichen Tage führte. Der Schleppzug war an einem Novemberabend bei km 673,3 rechtsrheinisch außen auf zwei Kribben, stromwärts der Buhnenstreichlinie, vor Anker gegangen. Am anderen Morgen wurde bei dichtem Nebel festgestellt, dass der Kahn durchgegangen war und etwas schräg mit dem Kopf nach Backbord gegen den Grund zwischen den Kribben lag. Nach Kürzung des Schleppdrahtes auf 40 m zog der Schlepper B den Kahn A aus seiner Lage. Dabei lief der Kahn über den Strom nach Steuerbord und kollidierte mit einem linksrheinisch vor Anker liegenden Boot C. Die Klägerin hat den an C entstandenen Schaden ersetzt, nimmt Regress gegen die Beklagten D, E und F und verlangt gleichzeitig Ersatz des an Kahn A entstandenen Schadens.
Das Rheinschifffahrtsgericht hat die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Das Rheinschifffahrtsobergericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Auch die Revision war erfolglos.
Aus den Entscheidungsgründen:
Auch wenn unterstellt wird, dass der Beklagte nach der Schilderung des Kahnführers von dem Festsitzen des Kahnes habe ausgehen dürfen, ist die Fahrlässigkeit des Beklagten rechtsfehlerfrei festgestellt. Dann wäre möglicherweise ein erstes hartes Anziehen, um den vermeintlich festgefahrenen Kahn loszubekommen, zu rechtfertigen gewesen. Da aber das Achterschiff des Kahnes Frei schwamm und nach der rechtlich bedenkenfreien Feststellung im angefochtenen Urteil auch das Vorderschiff bei Anziehen des Bootes ohne jede Schwierigkeit abgegangen ist, so hätte der Schlepper, nachdem das Vorderschiff des Kahns nach Steuerbord abgegangen war, nicht ungeachtet der Wahrschau der Kahnbesatzung weiterhin hart darauf losfahren dürfen und erst recht nicht mit dem Kurs nach dem linksrheinischen Ufer. Das ist aber nach der Feststellung des Berufungsgerichts selbst dann noch geschehen, als der Kahn im Strom lag.
Die Beklagten haften hiernach gemäß §§ 3, 4, 92, 114 BSchG, §§ 735, 738 HGB (vgl. hierzu RGZ 171, 97) und § 823 BGB. Diese Haftung der Beklagten ist auch nicht durch Parteivereinbarung ausgeschlossen worden, wie das Berufungsgericht ohne Rechtsirrtum annimmt. Die von den Beklagten behauptete ausdrückliche Vereinbarung eines Haftungsausschusses ist im angefochtenen Urteil rechtsfehlerfrei als nicht bewiesen angesehen worden. Hierauf ist die Revision auch nicht zurückgekommen. Das Berufungsgericht hält auch einen stillschweigend vereinbarten Haftungsausschluss, der nach Schifffahrtsbrauch anzunehmen wäre, wenn ein Turnvertrag zwischen den beiden Schiffsführern geschlossen worden wäre, nicht für gegeben.
Das Berufungsgericht hat sich im Rahmen seiner tatrichterlichen Beweiswürdigung gehalten, wenn es den stillschweigenden Abschluss eines Turnvertrages nach den ganzen Umständen abgelehnt hat. Entscheidend ist dabei zu berücksichtigen, dass die beiden Schiffe in Schleppverbindung standen. Mit Recht hat bereits das Rheinschiffahrtsgericht angenommen, dass es sich bei den Maßnahmen des Schleppbootes um Dienstleistungen handelt, die durch den Schleppvertrag miterfasst wurden. Dasselbe hat auch das Berufungsgericht gesagt, wenn es ausführt, das Boot sei auf Grund des Schleppvertrages verpflichtet gewesen, seinem Anhangkahn Hilfe zu leisten. Dies würde jedenfalls selbst dann gelten, wenn der Kahn mit dem Bug im Sand so geringfügig festgefahren wäre, dass er durch einfaches, wenn auch verstärktes Anziehen ohne Hin- und Herbewegen des Bootes freigekommen wäre. Der Schleppvertrag als Werkvertrag, der auf die Verbringung eines mit einer schlepperfremden Besatzung bemannten Schiffes vom Abgangsort zum Ablieferungsort gerichtet ist (BGH VersR1957,286), begründet eine besondere Obhutspflicht des Schleppers, die geeignet ist, die Herbeiführung des versprochenen Erfolges zu sichern. Danach hat in den vielfachen Gefahrenlagen, die während der Schleppfahrt vom Abgangs- zum Bestimmungsort eintreten können, der Schlepper seinem Anhang Beistand zu leisten. Diese Beistandsleistung einschließlich des damit verbundenen Risikos ist regelmäßig durch den Schlepplohn abgegolten. Nur dann, wenn der Schlepper zur Erfüllung seiner Obhutspflicht außergewöhnliche Maßnahmen ergreifen muss die nach Treu und Glauben als durch die vereinbarte Vergütung nicht abgegolten angesehen werden können, kann die Frage des Abschlusses eines stillschweigenden besonderen Vertrages neben dem bestehenden Schleppvertrag überhaupt auftauchen (vgl. hierzu für das Seerecht § 742 Abs. 3 HGB; für das Binnenschifffahrtsrecht Vortisch-Zschucke, BSchG 2. Aufl. § 93 Anm. 5 b; ferner Mittelstein, das Recht der Binnenschifffahrt S. 387). Ein einfaches Abziehen vom Grund, mag dieses auch mit verstärkter Schleppkraft erfolgen, kann als eine außergewöhnliche, durch die vereinbarte Vergütung nicht gedeckte Maßnahme nicht anerkannt werden. Nach der gegebenen Sachlage haben daher der Erstrichter und das Berufungsgericht mit Recht den stillschweigenden Abschluss eines Turnvertrages und damit die Anwendung der für diesen geltenden Regeln abgelehnt.
Der Beklagte zu 2 haftet gemäß § 823 BGB unbeschränkt, obwohl er unstreitig Miteigentümer des Motorschiffes ist. Denn als solchem kommt ihm die Haftungsbeschränkung des § 4 Abs. 2 S. 2 BSchG nicht zugute. Das ergibt sich aus folgenden Erwägungen:
In dem Regierungsentwurf zum Binnenschifffahrtsgesetz war eine dem § 4 Abs. 2 Satz 2 entsprechende Bestimmung, nach der der Schiffseigner-Schiffer für nautisches Verschulden nicht unbeschränkt, sondern nur mit Schiff und Fracht haftet, nicht enthalten. Erst in den Kommissionsverhandlungen (Drucks. des Reichstags, 9. Legislaturperiode, III. Session 1894/95, Nr. 253, S. 1073) wurde ein entsprechender Antrag einstimmig angenommen. Zur Begründung war geltend gemacht worden, es sei ungerecht, den einzelnen Schiffer, der sein Schiff selbst führe, für nautisches Verschulden unbeschränkt haften zu lassen, während die Schifffahrtsgesellschaft, die ihr Schiff durch einen Angestellten steuern ließ, nur mit Schiff und Fracht hafte. Der Regierungsvertreter hatte demgegenüber darauf hingewiesen, der Grundsatz, dass jedermann für sein Verschulden persönlich hafte, habe sonst allgemeine Geltung, und es erscheine bedenklich, diesen Grundsatz zugunsten eines einzelnen Berufsstandes zu durchbrechen, so sehr man auch geneigt sei, die Bedürfnisse dieses Standes zu berücksichtigen; die beanstandete Ungleichheit beruhe eben darauf, dass der Schiffseigner, der sein Schiff selbst führe, zugleich Schiffer sei und als solcher der Haftung des § 7 unterliege; der Antrag führe seinerseits zu einer anderen, viel weniger zu rechtfertigenden
Rechtsungleichheit zwischen den verschiedenen Schiffern, nämlich zwischen demjenigen, dem das Schiff gehöre, das er führe, und demjenigen, welcher für ein fremdes Schiff als Schiffer angestellt sei: Während der Erstere auch bei eigenem Verschulden nur mit seinem Schiff haften solle, werde der letztere unbeschränkt ersatzpflichtig gemacht, obgleich er sich in einer wirtschaftlich doch noch weniger günstigen Lage befinde als der Eigenschiffer. Wie diese Verhandlungen zeigen, war der Grund für diese ungewöhnliche Haftungsbeschränkung des Schiffseigner-Schiffers die soziale Erwägung der Gleichstellung mit den Schifffahrtsgesellschaften. Eine Rechtfertigung kann darin gesehen werden, dass das Schiff immerhin in der Regel einen ganz erheblichen Wert darstellt und daher die Haftung mit dem Schiff für den Schiffseigner-Schiffer sich schon als erhebliche Belastung darstellt. Ist aber der Schiffer nur Miteigentümer, vielleicht sogar nur zu einem kleinen Bruchteil, so würde die Beschränkung seiner eigenen Haftung auf diesen Miteigentumsanteil ihn gegenüber allen anderen Schiffern, die unbeschränkt haften, noch weit mehr bevorzugen als dies schon bei dem Schiffsführer der Fall ist, der Alleineigentümer des Schiffs ist. Eine solche Vorzugsstellung ist nicht gerechtfertigt. Was von einem Schiffer, der Bruchteils-Eigentümer eines Schiffes ist, gilt, muss erst recht von einem solchen gelten, der Miteigentümer eines im gesamthänderischen Eigentum einer Erbengemeinschaft stehenden Schiffes ist: er ist nicht „der Schiffseigner" (§ 4 Abs. 2 S. 2); der Schiffseigner ist vielmehr die Erbengemeinschaft. Die Bestimmung des § 4 Abs. 2 Satz 2 kann daher entsprechend ihrem Charakter als Ausnahmebestimmung (der - in anderem Zusammenhang - auch vom Reichsgericht in RGZ 68, 180 betont wird) nicht ausdehnend auf den Schiffer ausgedehnt werden, der nur ein Miteigentümer nach Bruchteilen oder Gesamthänder ist (ebenso Vortisch-Zschucke, BSchG 2. Aufl. § 4 Anm. 9 d).