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II ZR 51/90 - Bundesgerichtshof (-)
Datum uitspraak: 04.03.1991
Kenmerk: II ZR 51/90
Beslissing: Urteil
Language: Duits
Rechtbank: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Afdeling: -

Leitsatz:

Die allgemeine Sorgfaltspflicht gebietet, daß Schiffsführer auf dem Rhein die an Bord vorhandenen technischen Einrichtungen (hier: Sprechfunkgerät) auch ohne ausdrückliche gesetzliche Verpflichtung benutzen, wenn damit die Gefährdung von Menschenleben, das Entstehen von Sachschäden oder Behinderungen der Schiffahrt vermieden werden können.

Urteil des Bundesgerichtshofs

vom 4.3.1991

 II ZR 51/90

(Rheinschiffahrtsobergericht Köln)

 

Zum Tatbestand:


Am 19. April 1986 kam es auf dem Rhein in unmittelbarer Nähe des Fiskushafens in Emmerich zu einem Zusammenstoß zwischen dem Kabinenschiff „L" und dem von dem beklagten Schiffseigner geführten MS „V". „L" wurde mittschiffs vom Steven des MS „V" getroffen und erlitt Schäden, die von der klagenden Versicherung beglichen worden sind.
MS „V" hatte am Unfalltag auf der Bergfahrt zur Erledigung von Zollformalitäten in Emmerich am rechtsrheinischen Steiger 2 neben zwei weiteren Motorschiffen festgemacht. Etwa 50 m stromauf lag an der Landebrücke 1 ein Päckchen von vier Schiffen. Gegen 8.45 Uhr setzte MS „V" seine Fahrt auf dem Strom zu Berg fort. Nachdem MS „V" das talfahrende MS „S" steuerbord an sterbord passiert hatte, lief das Kabinen schiff „L" aus dem Fiskushafen in der Ab: sieht aus, den Strom talwärts zu befahren. Die Entfernung zwischen dem Steiger 2 und der Ausfahrt des Fiskushafens beträgt 250-300m. Die Schiffsführung des Kabinenschiffs, die einen Ausguck auf dem Vorschiff aufgestellt hatte, fragte während des Auslaufens zweimal über Funk an, ob Schiffsverkehr im Revier durch das beabsichtigte Manöver gefährdet werden könne. Der Beklagte hörte diese Anfrage nicht, weil er sein Sprechfunkgerät (Kanal 10) nicht in Betrieb hatte, sondern es erst unmittelbar vor der Kollision einschaltete. Beide Schiffsführer konnten den Zusammenstoß nicht mehr vermeiden, als sie sich erstmals sahen.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat der Schadensersatzklage dem Grunde nach zur Hälfte stattgegeben und sie im übrigen abgewiesen. Die hiergegen eingelegten Berufungen beider Parteien hatten keinen Erfolg. Mit seiner Revision erstrebt der Beklagte die Abweisung der Klage in vollem Umfang.

Aus den Entscheidungsgründen:


"Die Revision ist nicht begründet. Die Auffassung des Berufungsgerichts, daß der Beklagte schuldhaft die ihm beim Ablegen obliegenden Pflichten verletzt, dadurch den Schiffszusammenstoß mit herbeigeführt und für den entstandenen Schaden dem Grunde nach zur Hälfte einzustehen hat, hält rechtlicher Nachprüfung stand.
1. Das Berufungsgericht hat den Beklagten für verpflichtet erachtet, vor dem Ablegen vom Steiger 2 das an Bord des MS „V" befindliche Sprechfunkgerät einzuschalten. Hiergegen wendet sich die Revision ohne Erfolg.
Ein Schiffsführer auf dem Rhein hat, soweit sein Schiff mit einem Sprechfunkgerät ausgerüstet ist, dieses Hilfsmittel in Betrieb zu halten. Dies gilt nicht nur für die in der RheinschiffahrtspolizeiVO 1983 ausdrücklich genannten Fälle des Fahrens bei unsichtigem Wetter oder der Radarfahrt (§ 4.06 Nr. 1 lit.b in Verbindung mit §§ 6.30 Nr. 6, 6.32 Nr. 5), sondern allgemein und findet auch ohne ausdrückliche Bestimmung seine Rechtfertigung in der in § 1.04 RheinschifffahrtspolizeiVO 1983 normierten allgemeinen Sorgfaltspflicht. Sie gebietet, daß an Bord vorhandene technische Einrichtungen auch ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung zu benutzen sind, soweit damit die Gefährdung von Menschenleben, das Entstehen von Sachschäden oder Behinderungen der Schiffahrt vermieden werden können (vgl. auch Steffen in RGRK-BGB 12. Aufl., § 823 Rdn. 340).
Für das Seeschiffahrtsrecht hat der Senat bereits früher ausgesprochen, daß die Pflicht zum aktiven Einsatz solcher an Bord vorhandener technischer Einrichtungen auch ohne entsprechende gesetzliche Regelung oder seemännische Übung besteht . . .
Begründet hat er dies mit der allgemeinen Sorgfaltspflicht . . .
Dieser für das Seeschiffahrtsrecht entwikkelte Rechtsgrundsatz gilt . . . erst recht auf dem Rhein, der wegen der hohen Verkehrsdichte von zu Berg und zu Tal fahrenden Schiffen besondere Gefahren für die Schifffahrt mit sich bringt. Solche technischen Einrichtungen sind jedoch nicht nur aktiv einzusetzen, sie müssen auch in Betrieb gehalten werden, soweit es um den Empfang von Warnmitteilungen geht. Für über Sprechfunk gegebene Warnungen liegt dies auf der Hand. Denn sie können ihren Zweck nur dann erfüllen, wenn sie den gefährdeten anderen Verkehrsteilnehmer erreichen. Der Pflicht zum aktiven Einsatz des Sprechfunkgerätes entspricht diejenige zur Gewährleistung der Empfangsbereitschaft. Die allgemeine Sorgfaltspflicht bezweckt nicht nur, die von dem eigenen Schiff ausgehenden Gefahren zu vermeiden, sondern gebietet, alle Vorkehrungen zu treffen, die allgemein dazu geeignet sind, die Gefährdung von Menschenleben, die Beschädigung von Schiffen, Uferanlagen und anderen Einrichtungen und die Behinderung der Schiffahrt zu verhindern. Diese Pflicht schließt ein, daß auch derjenige Schiffsführer, der sich ordnungsgemäß verhält, nach Möglichkeit daran mitwirkt, daß die durch verkehrswidriges Verhalten anderer Verkehrsteilnehmer entstehenden Gefahren sich nicht verwirklichen. Hierzu hat er die ihm an Bord zu Gebote stehenden Wahrnehmungsmöglichkeiten auszuschöpfen.
Von diesem Grundsatz hat sich das Berufungsgericht leiten lassen. Die hiergegen vorgebrachten Bedenken der Revision, die auf die fehlende Pflicht, ein Sprechfunkgerät mitzuführen, und, darauf abheben will, daß die Benutzung dieser Geräte Unklarheiten bei der Navigation auf dem Rhein zur Folge haben könne, greifen nicht durch. Ob es heute zum Standard von Binnenschiffen auf dem Rhein gehört, daß sie mit Funkgeräten ausgerüstet sind — soweit Radargeräte installiert sind, ist die Mitführung eines Sprechfunkgerätes ohnehin vorgeschrieben (§ 4.06 Nr. I lit.b Rheinschiffahrtspolizei- VO 1983) — kann imentscheiden bleiben. Es geht allein um die Frage, ob ein sorgfältiger Rheinschiffer die ihm zu Gebote stehenden Erkenntnisquellen ausschöpft. Dies ist aus den oben angeführten Gründen zu bejahen und begegnet auch nicht etwa deswegen durchgreifenden Bedenken, weil die Benutzung des Sprechfunkgerätes zu Unklarheiten bei der Navigation führen könnte. Der gegenteiligen Ansicht der Revision kann nicht gefolgt werden. Bereits die RheinschiffahrtspolizeiVO 1983 schreibt nämlich die Benutzung von zwei verschiedenen Beobachtungsebenen vor. Die Schiffsführer von maschinengetriebenen Fahrzeugen haben zu gleicher Zeit (§4.01 Nr, 2 aaO) sowohl akustische (Glocke bzw. Typhon) wie optische Signale (Lichtzeichen) abzugehen und auszuwerten. Die zusätzliche Beachtung des Sprechfunkverkehrs kann schon deswegen nicht zu den von der Revision befürchteten Gefahren führen, weil der Verordnungsgeher sogar für den Fall der Radarfahrt, bei der Ablenkungen des Schiffsführers noch größere Auswirkungen haben können als bei klaren Wetterverhältnissen, die Abgabe von Schallzeichen und die Benutzung des Sprechfunks nebeneinander angeordnet hat (§ 6.32 Nrn. 4 und 5 RheinschiffahrtspolizeiVO 1983) und auch dann die optische Beobachtungsebene in Form der Auswertung des Radarechos hinzutritt.
Anders als der Senat dies in der Entscheidung BGHZ 65, 304, 308 für den damaligen Fall angenommen hat, besteht hier kein Grund, einen schuldhaften Pflichtenverstoß des Beklagten zu verneinen. Durch die beiden genannten Entscheidungen, deren letzte auch Eingang in die Kommentarliteratur zur RheinschiffahrtspolizeiVO 1983 gefunden hat (Bemm/Korterdick § 1.04 aaO Rdn. 43), war bereits mit hinreichender Deutlichkeit für die Praxis dargelegt, daß auch ohne gesetzliche Verpflichtung oder seemännische Übung die allgemeine Sorgfaltspflicht gebietet, alle an Bord befindlichen technischen Einrichtungen zu benutzen, um Gefahren rechtzeitig zu erkennen und ihnen zu begegnen.
2. In revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise hat das Berufungsgericht die tatsächlichen Umstände festgestellt, die gerade im vorliegenden Fall zu einer passiven Benutzung des Sprechfunkgerätes nötigten. Die Unfallstelle weist nämlich besondere Gefahren auf, weil sie nicht nur stark befahren ist, sondern weil Bergfahrer am rechtsrheinischen Ufer festmachen, beim Ablegen aber die Talfahrt zu queren haben, um wieder die für die hier vorgeschriebene Begegnung backbord an backbord zu befahrende linksrheinische Stromseite zu erreichen. Außerdem hat das Berufungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt, daß beiden unfallbeteiligten Schiffsführern die Sicht durch die an der Landungsbrücke festgemachten Schiffspäckchen versperrt oder zumindest sehr erschwert war und sich die Ausfahrt aus dem Fiskushafen nur in einer für ein Binnenschiff geringen Entfernung von 250-300 m von der Ablegestelle des MS „V" befand.
Dagegen ist nicht festgestellt, worauf sich die Revision in mehrfacher Hinsicht stützt, daß das Kabinenschiff „L" mit hoher Geschwindigkeit und rücksichtslos aus dem Hafen ausgefahren sei. Den hieran geknüpften Folgerungen fehlen die tatsächlichen Grundlagen, die Revision setzt unzulässig ihre eigene tatsächliche Würdigung an die Stelle derjenigen des Berufungsgerichts.
Schließlich kann die Revision auch nicht mit der Rüge durchdringen, daß eine etwaige Inbetriebnahme des Sprechfunkgerätes durch den Beklagten den Schiffsunfall nicht vermieden hätte. Das Berufungsgericht hat festgestellt, daß die Schiffskollision durch den Einsatz des Sprechfunkgerätes mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vermieden worden wäre. Es hat dabei auch den Vortrag, daß es vor dem Unfall zu einem Funksprechverkehr zwischen den Schiffsführern des Kabinenschiffs „L" und des MS „S" gekommen sei, nicht übersehen. Vielmehr hat es in revisionsrechtlich unangreifbarer Weise bei seiner Würdigung der urkundenbeweislich verwerteten Bußgeldund Verklarungsakten nicht die Überzeugung gewinnen können, daß von MS „S" eine Warnung an den Schiffsführer des Kabiennschiffs „L" gegeben worden ist. Diese weder Denk- noch Erfahrungssätzen widersprechende, alle Umstände des Falles in Betracht ziehende Würdigung muß die Revision hinnehmen.
3. Vergeblich macht die Revision ferner geltend, die dem Beklagten von dem Beru- fungsgericht angelastete Nichtabgabe von Schallzeichen nach § 6.14 RheinschiffahrtspolizeiVO 1983 habe sich auf das Unfallgeschehen nicht ausgewirkt. Eine Vorwarnung über Funk seitens des MS „S" an die Schiffsführung des Kabinenschiffs „L" ist — wie ausgeführt — vom Berufungsgericht nicht festgestellt worden. Dagegen hat es ohne Rechtsfehler ausgesprochen, daß angesichts der zeitlichen und räumlichen Nähe der beiden unfallbeteiligten Schiffe das von dem Beklagten abgegebene Abfahrtssignal den Kapitän des Kabinenschiffs „L" rechtzeitig hätte warnen und von einem Auslaufen aus dem Hafen abhalten können.
4. Schließlich ist auch das Ergebnis der grundsätzlich dem Tatrichter vorbehaltenen Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensbeiträge revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Gerade wenn — wie es die Revision mit Recht für geboten hält — in erster Linie auf das Maß der Verursachung abgehoben wird (Sen. Urt. v. 4. März 1963 — II ZR 68/61, NJW 1963, 1447, 1449; BGH, Urt. v. 29. Januar 1969 — 1 ZR 18/67, NJW 1969, 790; BGH, Urt. v. 30. Januar 1982 — III ZR 110/80, NJW 1983, 622), ist die von dem Berufungsgericht vorgenommene Abwägung nicht nur möglich, sondern sogar naheliegend. Die Kollision zwischen den beiden Schiffen wäre vermieden worden, wenn die Schiffsführer von der Annäherung des jeweils anderen Schiffs zu einer Zeit Kenntnis erlangt hätten, als noch eine erfolgreiche Reaktion möglich war, also ehe ein Sichtkontakt bestand. Das hätte nicht nur durch die Abgabe von Schallzeichen beim Ablegen, sondern auch durch Abhören des Funkverkehrs sichergestellt werden können. Da der Schiffsführer „T" des Kabinenschiffs „L" sich immerhin um eine Klärung der Situation im Bereich der Einfahrt in den Rhein bemüht und bezüglich des zu Tal fahrenden MS „S" damit auch Erfolg gehabt hat, läßt es Rechtsfehler nicht erkennen, daß das Rheinschiffahrtsobergericht die schuldhafte Vorfahrtsverletzung des Schiffsführers „St" durch das sorglose und nach seinen eigenen Angaben durch besondere Eile erklärte Verhalten des Beklagten als aufgewogen angesehen hat."

Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1991 - Nr.14 (Sammlung Seite 1328 ff.); ZfB 1991, 1328 ff.