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Leitsatz:
Das Hineinfahren mit einem schweren, über 200 m langen Schleppzuges im dichten Nebel und das darin auszuführende Aufdrehmanöver bergen weitaus größere Gefahren In sich als ein Abwerfen und Kopfvorländen von 2 leeren, auf zweiter Länge hängenden Kähnen.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 11. März 1971
II ZR 50/69
(Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort; Rheinschiffahrtsobergericht Köln)
Zum Tatbestand:
Das beladene MS A stieß bei dichtem Nebel und mit eingeschaltetem Radargerät auf der Bergfahrt, etwa bei Grau-Rheindorf, mit dem Bug gegen das Backbordhinterschiff des über Steuerbord aufdrehenden Kahnes H. Dieser leere Kahn fuhr backbords auf 2. Länge eines Talschleppzuges, dessen Schleppboot E der Beklagten zu 1 gehört und vom Beklagten zu 2 geführt wurde.
Die Klägerin, die aufgrund rechtskräftigen Urteils an die Kahneignerin 52 000,- DM gezahlt hat, macht einen Ausgleichsanspruch gegen die Beklagten in Höhe von 3/4 des genannten Betrages geltend, da der Schiffszusammenstoß überwiegend vom Beklagten zu 2 verschuldet worden sei. Sie hat Klage auf Zahlung von 39 000,- DM abzüglich der von den Beklagten bereits gezahlten 12 000,- DM erhoben.
Die Beklagten meinen, daß sie nach den von dem Senat in dem Vorprozeß zur Sorgfaltspflicht eines auf dem Rhein im dichten Nebel mit Radar fahrenden Schiffes aufgestellten Grundsätzen allenfalls ein Mitverschulden des Beklagten zu 2 in Höhe von 1/4 zu vertreten hätten.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat die Klage dem Grunde nach zu 1/2, das Rheinschiffahrtsobergericht zu T/a für gerechtfertigt erklärt. Die Revision der Beklagten blieb erfolglos.
Aus den Entscheidungsgründen:
Das Berufungsgericht ist der Auffassung, daß sowohl der Beklagte zu 2 als auch die Führung des MS A die Kollision schuldhaft verursacht haben. Es bewertet das Verschulden des Beklagten zu 2, dem es grobe Fahrlässigkeit vorwirft schwerer als das der Führung des Bergfahrers. Die Talfahrt habe zumindest ab km 657 erkennen können, daß unterhalb km 658,5 dichter Nebel stehe. Der Beklagte zu 2 habe deshalb den Schleppzug vor km 658,5 anhalten müssen. Sollte, was nicht mit letzter Sicherheit auszuschließen sei, die Strecke zwischen km 657 und 658,5 wegen anderer Fahrzeuge im Revier für ein Aufdrehmanöver des ganzen Schleppzuges nicht ausgereicht haben, so hätte der Beklagte zu 2 die Anhänge zweiter Länge abwerfen und kopfvor landen lassen müssen. Wenn er statt dessen mit dem schweren, etwa 210 m langen Schleppzug in den dichten Nebel hineingefahren sei und sodann mitten Im Nebel aufgedreht habe, so sei darin ein grober Verstoß gegen das ausdrückliche Verbot des § 80 Nr. 2 RheinSchPVO 1954 und gegen die Vorschrift des § 46 Abs. 1 RheinSchPVO 1954 zu sehen. Demgegenüber sei das schuldhafte Verhalten der Führung des MS A weniger schwer zu bewerten. Ihr sei lediglich vorzuwerfen, daß sie die Fahrt nicht sofort eingestellt, sondern zunächst nur verringert habe, als sie den Schleppzug auf dem Radarschirm in einer Entfernung von 800 m erkannt habe. Zum Anhalten sei sie deshalb verpflichtet gewesen, weil sie auf dem Radarschirm weiter wahrgenommen habe, daß die Schiffahrt oberhalb im Begriff gewesen sei, die Fahrt einzustellen, und sie deshalb mit einem Aufdrehmanöver des von ihr in seinen Dimensionen nicht erkannten Schleppzugs habe rechnen müssen.Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Nachprüfung stand.Das gegenteilige Vorbringen der Revision verkennt, daß das Hineinfahren mit dem schweren, etwa 210 m langen Schleppzug in den dichten Nebel und das darin auszuführende Aufdrehmanöver zumindest weitaus größere Gefahren in sich bargen als ein Abwerfen und Kopfvorländen der beiden leeren, auf zweiter Länge hängenden Kähne innerhalb der geraden und übersichtlichen Stromstrecke ab km 657.Der Revision kann auch insoweit nicht gefolgt werden, als sie entlastende Gesichtspunkte für die Bewertung des Verschuldens des Beklagten zu 2 aus dem Verhalten des MS A nach dem Erkennen des Schleppzugs auf dem Radarschirm dieses Schiffes entnehmen will. Selbst wenn der Beklagte zu 2, wie die Revision meint, darauf hätte vertrauen dürfen, daß mit Radar fahrende Gegenkommer In entsprechender Entfernung" anhalten würden, um dem Schleppzug ein gefahrloses Aufdrehen zu ermöglichen, so durfte er keineswegs die Augen vor dem Umstand verschließen, daß in dem dichten Nebel auch Nichtradarfahrer verhalten oder unter Beachtung der Vorschrift des § 80 Nr. 3 RheinSchPVO 1964 langsam zu Berg kommen konnten und durch ein Hineinfahren des Schleppzugs in die Nebelzone, insbesondere durch ein Aufdrehmanöver in dieser Zone in leichtfertiger Weise gefährdet wurden.Ebensowenig sind die Rügen der Revision begründet, mit denen sie sich gegen die Ausführungen des Berufungsgerichts zum Verschulden der Führung des MS A wendet. Dabei kann dahinstehen, ob die Bedenken des Berufungsgerichts gegen die strengen Anforderungen des Senats an die Sorgfaltspflichten eines auf dem Rhein im dichten Nebel mit Radar fahrenden Schiffes (BGHZ 46, 210) begründet sind, insbesondere ob diese Anforderungen weiterhin im vollen Umfange aufrechterhalten bleiben können. Denn die allgemeinen Erörterungen des Berufungsgerichts zu diesem Punkte haben seine Erwägungen zur Frage des Verschuldens der Führung des MS A nicht zum Nachteil der Beklagten beeinflußt.Wenn es das schuldhafte Fehlverhalten des Bergfahrers weniger schwer als die leichtfertige Handlungsweise des Beklagten zu 2 bewertet hat, so ist diese im wesentlichen auf dem Gebiete tatsächlicher Würdigung liegende Beurteilung aus Rechtsgründen ebensowenig zu beanstanden wie die weitere Erwägung des Berufungsgerichts, daß das Ausgleichsbegehren der Klägerin Im Hinblick auf die unterschiedliche Schwere des Verschuldens der Führung des MS A und des Beklagten zu 2 dem Grunde nach zu 3/3 gerechtfertigt ist (§§ 840, 426 Abs. 1, § 254 Abs. 1 BGB, § 92 BSchG, § 736 Abs. 1 HGB)."