Jurisprudentiedatabank
Leitsatz:
Zur Frage der zulässigen Schräglage eines Schiffes beim Anlegen an Dalben und zur Schadensersatzpflicht eines Schiffsführers im Falle eines Dalbenbruches.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 23. Oktober 1975
II ZR 45/74
(Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort; Rheinschiffahrtsobergericht Köln)
Zum Tatbestand:
Der Beklagte wollte im Dezember 1965 mit seinem von ihm geführten und beladenen TMS M (1258 t Tragfähigkeit) bei sehr hohem Wasserstand an der rechtsrheinisch bei Düsseldorf, in starkem Hang gelegenen Löschstelle der Klägerin anlegen. Dabei brach der obere Dalben, teils an der Stromsohle, teils etwas darunter ab. Das Schiff geriet gegen die Löschbrücke, beschädigte sie und knickte außerdem den unteren Dalben der Löschstelle ab.
Die Klägerin verlangt Schadensersatz in Höhe von über 218000,- DM, weil der Beklagte den Kopf des Schiffes, nachdem dieses mit der Backbordseite (an einem unterhalb der Schiffsmitte befindlichen Punkt) an dem oberen Dalben gelegen habe, zum Ufer hin gestreckt habe. Infolge des Gewichts des beladenen Fahrzeugs, auf dessen Steuerbordseite noch die starke Strömung gedrückt habe, habe der Dalben brechen müssen.
Der Beklagte bestreitet ein Verschulden. Er sei mit seitlichem Abstand von 20 m vorsichtig an die Löschanlage herangefahren und habe nach Setzen des Steuerbordbugankers das Schiff langsam beigehen lassen. Als es mit leichter Schräglage gegen den oberen Dalben gelegen habe, sei die Maschine mit halber Kraft zur Verminderung des Druckes des Schiffes gefahren. Der plötzliche Bruch der Dalbenpfosten sei dort erfolgt, wo sie bei einer 1965 erfolgten Reparatur fehlerhaft geschweißt worden seien. Sie hätten auch aus einem durch Alterung und Temperaturabfall zur Versprödung neigenden Stahl bestanden.
Rheinschiffahrts- und Rheinschiffahrtsobergericht haben der Anspruch dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Auf die Revision des Beklagten ist das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur anderweiten Entscheidung an Jas Berufungsgericht zurückverwiesen worden.
Aus den Entscheidungsgründen:
„...
Nach Ansicht des Berufungsgerichts hat der Beklagte durch nautisches Fehlverhalten die Schäden an der Löschstelle der Klägerin verursacht. Im einzelnen hat das Berufungsgericht ausgeführt:
TMS M habe zunächst mit einer Backbordschräglage von 7° an dem oberen Dalben gelegen. Das sei nicht zu beanstanden, da eine derartige Schräglage einem üblichen Anlegemanöver entspreche. Sodann sei es jedoch - und zwar vor dem Bruch des Dalbens - zu einer Vergrößerung der Schräglage gekommen. Das ergebe sich aus den Gutachten der Sachverständigen Dr. G. und B., nach deren Ansicht der Dalben nicht bei unveränderter Schräglage des Schiffes bei 7°, sondern nur bei Veränderung dieser Schräglage gebrochen sein könne. Dann sei der Unfall aber zwingend darauf zurückzuführen, daß der Beklagte entweder die Schräglage seines Fahrzeuges über 7° hinaus absichtlich vergrößert habe oder der Anker des TMS M schon bei 7° durchgegangen sei. Hingegen sei der Umstand, daß der Dalben geschweißt und die Schweißung bzw. der hier verwendete Stahl nach dem Gutachten des Materialprüfungsamtes nicht in Ordnung gewesen sei, für den Unfallverlauf nicht ursächlich gewesen. Allerdings lasse sich nicht ausschließen, daß ein gesunder Dalben, der nach den Gutachten Dr. G. und B. bei einer Schräglage des TMS M von 29° bzw. 31° gebrochen wäre, dem Druck des Schiffes so viel länger standgehalten hätte, daß bei Veränderung der Ruderstellung und vollem Drehen des Motors ein Aufstrecken noch möglich gewesen wäre. Indes sei zu beachten, daß der Beklagte derartige Versuche erst vorgenommen habe, als der Dalben gebrochen gewesen sei. Ihn treffe auch ein Verschulden an dem Bruch des Dalbens. Sofern die Vergrößerung der Schräglage des TMS M auf einem absichtlichen Schwenken des Kopfes zum Ufer hin beruhen sollte, wäre das nautisch falsch gewesen, weil für derartige Drehungen und dadurch auftretende Belastungen keine Dalben gebaut seien, was jeder Schiffsführer wissen müsse. Sollte hingegen der Anker des TMS M durchgegangen und aus diesem Grunde dessen Schräglage vergrößert worden sein, so sei nach den Gutachten der Sachverständigen Dr. G. und B. davon auszugehen, daß die Ankerkette zu steil gestanden habe, sich deshalb der Ankerschaft habe heben und dadurch die Haltekraft des Ankers habe verringern müssen. Das hätte sich durch Fieren der Ankerkette, gegebenenfalls durch Setzen eines zweiten Ankers vermeiden lassen. Auch hätte dem Beklagten klar sein müssen, daß bei einem Durchgehen des Ankers eine Drehbewegung am Schiff auftreten konnte, die zu einer Vergrößerung seiner Schräglage mit der Folge eines Bruchs des Dalbens führen mußte.
Das angefochtene Urteil hält schon deshalb einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand, weil die Feststellungen des Berufungsgerichts nicht genügen, um ein ursächliches Verschulden des Beklagten auch für den Fall anzunehmen, daß er die anfängliche Schräglage seines Fahrzeugs absichtlich vergrößert hat.
Nach den Ausführungen des Berufungsgerichts mußte TMS M eine Schräglage von etwa 22° einnehmen, damit vom Kopf des Fahrzeugs aus ein Draht an Land gebracht werden konnte. Sollte der Beklagte sein Schiff bis zu einer derartigen Lage gedreht haben, so kann darin allein kein ursächliches Verschulden an dem Bruch des Dalbens gesehen werden. Denn, wie dem angefochtenen Urteil - zu Lasten der beweispflichtigen Klägerin - zu entnehmen ist, wäre ein gesunder Dalben erst bei einer Schräglage des TMS M von 31° gebrochen. Daß der Beklagte sein Fahrzeug in einer derartige Lage gebracht hat, ist aber nicht festgestellt. Erst dann könnte ihm aber vorgeworfen werden, den Bruch des Dalbens durch ein absichtliches Vergrößern der Schräglage des TMS M verschuldet zu haben.
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