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II ZR 45/60 - Bundesgerichtshof (-)
Datum uitspraak: 26.10.1961
Kenmerk: II ZR 45/60
Beslissing: Urteil
Language: Duits
Rechtbank: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Afdeling: -

Leitsatz:

In der Binnenschifffahrt besteht nicht die grundsätzliche Rechtspflicht, dem Gegenfahrer „einen klaren Bug" zu zeigen, d. h. in der Nacht das eigene rote Backbordlicht sichtbar zu machen, da es, wie z. B. bei starken Linkskrümmungen, stets von den Umständen des Einzelfalles abhängt, ob bei nautisch fehlerfreier Fahrweise das rote Licht für den Gegenfahrer sichtbar ist. Blinkt ein Bergfahrer nicht, so gibt er damit eindeutig die Weisung des Vorbeifahrens an seiner Backbordseite. Hat ein Talfahrer Zweifel, ob ihn ein nichtblinkender Bergfahrer erkannt hat, so kann er zur Klarstellung Steuerbordsignal oder Achtungssignale geben. Keinesfalls darf er selbst Backbordsignal geben (außer in Fällen des § 40 Nr. 1 oder des §5 RhSchPVO) oder eigenmächtig Backbordkurs einschlagen.

 

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 26. Oktober 1961 

(Rheinschifffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort - Rheinschifffahrtsobergericht Köln)

II ZR 45/60

Zum Tatbestand:

In der Höhe von Alsum lagen an einem Oktobertage gegen 18.30 Uhr auf beiden Stromseiten zahlreiche Fahrzeuge vor Anker. Linksrheinisch überholte das beladene MS „A" der Klägerin (685 t, 360 PS) zu Berg den Schlepper „D" an dessen Backbordseite, der den Kahn „E" im Anhang hatte. MS „A" war selbst gerade backbords vom Boot „F" mit 2 Anhangkähnen überholt worden, die vor ihm von der linken zur rechten Stromseite hinüberwechselten. In diesem Augenblick kam aus der dortigen Linkskrümmung das beladene, der Beklagten zu 1 gehörende, vom Beklagten zu 2 geführte MS „B" (821 t, 600 PS) zu Tal, an dessen Seite der wesentlich kleinere Kahn „C" (500 t) gemehrt war. Auf ein Sirenensignal von „B", dessen Bedeutung streitig ist, antwortete „A" mit einem Steuerbordsignal. Nach einem weiteren, unstreitigen Backbordsignal von „B" kollidierten „A" und „B" Steven auf Steven und wurden beide beschädigt. „A" wurde auf Grund gesetzt. Alle Fahrzeuge hatten die vorgeschriebenen Lichter gesetzt.

Die Klägerin verlangt Ersatz des an „A" entstandenen Schadens, weil der Unfall durch das vorschriftswidrige Verhalten des nicht weisungsberechtigten Talfahrers herbeigeführt worden sei. Die Beklagten bestreiten und haben wegen des angeblich fehlerhaften Verhaltens des klägerischen Schiffsführers in einem Parallelprozess II ZR 46/60 Klage gegen die Klägerin und ihren Schiffsführer erhoben.

Das Rheinschifffahrtsgericht hat die vorliegende Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Das Rheinschifffahrtsobergericht hat den Anspruch dem Grunde nach nur zur Hälfte als gerechtfertigt anerkannt. Der Bundesgerichtshof hat beide Urteile teilweise abgeändert und der Klage dem Grunde

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Feststellungen des Berufungsgerichts rechtfertigen den Schluss, dass - beiderseits ordnungsgemäßen nautischen Verhaltens vorausgesetzt - das Fahrwasser unzweifelhaft hinreichenden Raum für die Vorbeifahrt gewährte, so dass das Begegnen nach § 38 Nr. 1 RhSchPolVO gestattet war. Gleichzeitig ergibt sich aber hieraus, dass der Kurs beider Fahrzeuge nach §§ 37 Nr. 3, 38 festgelegt werden musste und nach Festlegung nicht geändert werden durfte.

Verhalten des Talfahrers „B":

Da die Voraussetzungen des § 40 Nr. 1 Abs. 3, wie auch das Berufungsgericht feststellt, nicht vorlagen, hatte nach § 38 Nr. 1 „A" dem „B" den Weg zu weisen. „A" wies nach § 38 Nr. 2 den Weg zur Vorbeifahrt an Backbord bereits dadurch, dass sie kein Zeichen (Blinklicht, § 38 Nr. 3b) gab. Die Weisung des Bergfahrers wurde dadurch bekräftigt, dass dieser ein in etwa 250 m Entfernung gegebenes akustisches Signal des Talfahrers, das nach der Feststellung des Berufungsgerichts ein Steuerbordsignal war, mit einem Steuerbordsignal erwiderte. Jedenfalls von diesem Augenblick an musste bei der Schiffsführung von „B", obwohl sie infolge der Stromkrümmung das rote Licht des Bergfahrers nicht sehen konnte, jeder Zweifel darüber beseitigt sein, dass sie an Backbord von „A" vorbeizufahren hatte. Mit Recht bezeichnete es das Berufungsgericht als grob fehlerhaft, wenn auf „B" dieses Signal nicht gehört wurde, da man auf der belebten Reede und ganz besonders in der Dunkelheit für ordnungsgemäßen Empfang der akustischen Kursweisung des Bergfahrers sorgen musste. Dies gilt erst recht, wenn man vom Standpunkt der Schiffsführung von „B" ausgeht, sie habe ein Achtungssignal gegeben, da sie gerade dann sorgfältigst darauf zu achten hatte, wie „A" auf dieses Signal reagierte. Obwohl für „B" nach der Feststellung des Berufungsgerichts auf der Steuerbordseite genügend Raum war, wich er nicht nach Steuerbord aus, sondern blieb in der Mitte des Begegnungsraumes, ja er nahm sogar kurz vor der Begegnung noch den Kurs nach Backbord. In der Nichtachtung der Weisung des Bergfahrers liegt ein klarer, schwerer Verstoß der Schiffsführung von „B" gegen § 39 Nr. 1.

Verhalten des Bergfahrers „A":

1) Das Berufungsgericht meint, der Bergfahrer hätte die schwierige Situation, in der sich der Talfahrer bei Dunkelheit unter den gegebenen Umständen befand, bedenken müssen. Die erhebliche Linkskrümmung des Stromes habe das Erkennen des Kurses des Gegenfahrers sehr erschwert; die stark belegte Reede sei voller Lichter gewesen; von „A" sei nur das grüne Licht zu sehen gewesen; es hätte leicht so erscheinen können, als habe „A" dem „F"-Schleppzug folgen wollen, der gerade unter Abgabe von Blinkzeichen von der linken zur rechten Seite hinübergewechselt sei. Deshalb habe „A" dem Talfahrer klaren Bug zeigen müssen, um jedes Missverständnis über die eigenen Kursabsichten auszuschließen; außerdem habe „A" dem Talfahrer so viel Spielraum zum gefahrlosen Passieren lassen müssen, als nach den Umständen möglich gewesen sei; denn ein Durchfahrtsraum, der bei Tage gerade genügen möge, sei in der Dunkelheit und unter den hier gegebenen erschwerten Umständen noch keineswegs ausreichend gewesen, zumal der Talfahrer angesichts der rechtsrheinischen Ankerlieger nicht zu weit in den erheblichen Hang zum rechten Ufer habe abgedrängt werden dürfen.

2) Die Revision ist der Ansicht, eine Rechtspflicht, dem Gegenfahrer einen „klaren Bug" zu zeigen, bestehe nicht. Es verstoße gegen das Gesetz, dem Gegenfahrer einen Kurs zu zeigen, der in Wirklichkeit nicht gefahren wird oder gefahren werden soll. Bei dem Risiko, das eine Nachtfahrt gerade für den Talfahrer in sich schließe, müsse dieser sich äußerster Sorgfalt befleißigen und insbesondere davon ausgehen, dass der entgegenkommende Bergfahrer seiner Kursweisungspflicht genüge, er also die Begegnung an Backbord vorschreibe, wenn er kein Blinklicht zeige. Die vom Bergfahrer gezeigten Positionslichter seien in einer Stromkrümmung niemals ein ausreichendes Erkenntnismittel. Die Meinung des Berufungsgerichts, ein verhältnismäßig geringes Ausweichen von „A" nach Steuerbord hätte genügt, um das rote Backbordlicht für den Talfahrer sichtbar zu machen, sei daher unerheblich, überdies aber auch unrichtig.

3) Die Revisionsangriffe vermögen nichts daran zu ändern, dass die Schiffsführung von „A" ein ursächliches Mitverschulden an dem Unfall trifft.

a) Zwar ist der Revision zuzugeben, dass in der Binnenschifffahrt eine grundsätzliche Rechtspflicht, dem Gegenfahrer einen klaren Bug zu zeigen, d. h. ihm bei Nacht das eigene rote Backbordlicht sichtbar zu machen, nicht aufgestellt werden kann, da es stets von den Umständen des Einzelfalles abhängt, ob bei nautisch fehlerfreier„ Fahrweise das rote Licht für den Gegenfahrer sichtbar ist oder nicht. So kann bei einer starken Linkskrümmung der die Innenseite der Biegung einhaltende Talfahrer das rote Licht des Bergfahrers, der ebenfalls auf der Innenseite einen vorspringenden Grund zu umfahren hat, auch dann nicht sehen, wenn der Bergfahrer einen nautisch völlig einwandfreien Kurs fährt. Ausschlaggebend kann allein sein, ob die von den begegnenden Schiffen gefahrenen Kurse, d.h. die von ihnen eingeschlagenen Fahrtwege (BGH VersR 1959, 609 a. E.), den Vorschriften entsprechen.
Würde dem Sichtbarwerden des roten Backbordlichts die ausschlaggebende Bedeutung beizumessen sein, die ihm das Berufungsgericht zumisst, so wäre die in § 28 b (mit Bild 2 der Anlage 6) getroffene Regelung über die Sichtbarkeit der Seitenlichter unverständlich. Nach dieser Regelung bestreichen das rote und grüne Seitenlicht jeweils links- bzw. rechtswendig einen Bogen von 112° 30’, und zwar von vorn bis 22° 30’ hinter der Querlinie; der Sichtbarkeitswinkel endet also nach vorn mit der verlängerten Längsachse des Schiffes, die Kegel des roten und grünen Lichts überschneiden sich nach vorn nicht.
Damit können sich, wie bereits ausgeführt, insbesondere bei Stromkrümmungen trotz richtiger Fahrweise der begegnenden Schiffe Situationen ergeben, bei denen das rote (oder grüne) Licht nicht sichtbar ist.

Blinkt der Bergfahrer, so gibt er die Weisung des Vorbeifahrens an seiner Steuerbordseite; blinkt er nicht, so gibt er damit ebenso eindeutig die Weisung des Vorbeifahrens an seiner Backbordseite. In dem einen wie dem anderen Fall hat der Bergfahrer zusätzlich akustisches Signal nach § 38 Nr. 4 zu geben, wenn zu befürchten ist, dass seine Absicht von dem Talfahrer nicht verstanden worden ist. Der Talfahrer, der die Weisung des Bergfahrers nicht befolgt, kann sich zur Rechtfertigung seines verkehrswidrigen Verhaltens grundsätzlich nicht darauf berufen, dass er gemeint habe, der Bergfahrer habe ihn nicht erkannt. Vielmehr kann und muss er darauf vertrauen, dass der Bergfahrer das Revier ebenso sorgfältig beobachtet wie er selbst. Hat er Zweifel, ob ihn der nicht blinkende Bergfahrer erkannt hat, so kann er entweder zur Klarstellung selbst Steuerbordsignal geben (wie es nach der Feststellung des Berufungsgerichtes hier geschehen ist) oder ein Achtungssignal (wie es der Schiffsführer von „B" gegeben zu haben behauptet). Keinesfalls darf er selbst Backbordsignal geben (es sei denn, er ist nach § 40 Nr. 1 weisungsberechtigt oder es liegt der hier fast nie in Frage kommende Ausnahmefall des § 5 vor) oder eigenmächtig Backbordkurs einschlagen.

b) Vergeblich greift jedoch die Revision die Ansicht des Berufungsgerichts an, der Bergfahrer habe dem Talfahrer so viel Raum zum gefahrlosen Passieren lassen müssen, wie nach den Umständen möglich war. Das Weisungsrecht des Bergfahrers ist verordnet worden, nicht um ihn gegenüber dem Talfahrer zu bevorzugen, sondern um Klarheit zu schaffen; es legt dem Bergfahrer ein hohes Maß von Verantwortung auf (Wassermeyer, Der Kollisionsprozess in der Binnenschifffahrt, 2. Aufl., S. 176; Kählitz, Verkehrsrecht auf Binnenwasserstraßen II, RhSchPolVO § 38 Anm. 5). Bei Nacht in einer Stromkrümmung erfordert es die Sorgfaltspflicht eines ordentlichen Schiffers (§ 7 BSchG, § 4 RhSchPolVO), dass er den erschwerten Sichtverhältnissen dadurch Rechnung trägt, dass er auch seinerseits rechtzeitig entsprechend der von ihm gegebenen Weisung den Fahrtweg einschlägt, der ein gefahrloses Passieren ermöglicht; denn nur wenn beide auf gleichen Kurs sich entgegenkommenden Schiffe entsprechend der Weisung des Bergfahrers ausweichen, ist die Gewähr dafür gegeben, dass sich die Vorbeifahrt reibungslos vollzieht.

Wäre „A" rechtzeitig nach Steuerbord ausgewichen, so hätte die Schiffsführung von „B" keinen Anlass gehabt, zuletzt noch nach Backbord auszuweichen, statt nach Steuerbord zu gehen. Mit Recht hat das Berufungsgericht ein ursächliches Verschulden der Schiffsführung von „A" angenommen.

Die Schadensersatzpflicht der Beklagten zu 1 und 2 beruht auf den §§ 3, 4, 92, 114 BSchG, § 736 HGB bzw. § 823 BGB, ihre gesamtschuldnerische Haftung auf § 840 BGB. Das Berufungsgericht hat bei der nach § 736 HGB (hinsichtlich der Beklagten zu 1), § 254 BGB (hinsichtlich des Beklagten zu 2) vorzunehmenden Abwägung Schuld und Ursächlichkeit auf beiden Seiten gleich hoch bewertet und hiernach die Klage nur zur Hälfte dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Darin liegt eine Verkennung der überragenden Bedeutung des Weisungsrechts des Bergfahrers, das die Schiffsführung von „B" durch ihr eigenmächtiges Handeln in grobfahrlässiger Weise verletzte, denn die Weisung zur Backbordbegegnung war durch Nichtblinken und Steuerbordsignal völlig eindeutig und klar gegeben worden. Demgegenüber fällt es nicht so sehr ins Gewicht, dass die Schiffsführung von „A" es pflichtwidrig unterließ, rechtzeitig den Kurs nach Steuerbord zu nehmen. Da der Sachverhalt geklärt ist, hatte der Senat die Abwägung selbst vorzunehmen (§ 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO). Das ursächliche Verschulden von „B"  ist mit ¾, das von „A mit  ¼  zu bewerten.