Jurisprudentiedatabank
Leitsätze:
1) Die Vorschrift des § 50 Nr. 3 Satz 1 RhSchPolVO (Verhalten bei der Ausfahrt aus einem Hafen) räumt der durchgehenden Schiffahrt in gewissem Umfang die Vorfahrt vor den von der Uferseite her kommenden Schiffen ein. Berg- und Talfahrt sind jedoch gehalten, die Ausfahrt durch Fahrtverminderung oder Kursänderung zu unterstützen.
2) Ob ein Schiff als Bergfahrer, Talfahrer oder Querfahrer anzusehen ist, beurteilt sich nicht nach der Abgabe oder Nichtabgabe eines Kurssignals, sondern nach dem Kurs, den ein Schiff tatsächlich fährt.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 20. Oktober 1969
II ZR 39/68
(Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort; Rheinschiffahrtsobergericht Köln)
Zum Tatbestand:
Das der Klägerin gehörende TMS M kollidierte, als es den linksrheinischen Hafen Köln-Niehl II zu einer Talreise verlassen hatte, mit dem zu Berg kommenden, dem Beklagten zu 1 gehörenden und vom Beklagten zu 2 geführten TMS F.
Die Klägerin verlangt Ersatz ihres Schadens von ca. 80 000,- DM und behauptet, daß der Beklagte zu 2 kurz vor dem Unfall dem Matrosen P. das Ruder des TMS F überlassen und unter Deck gegangen sei, obwohl er gewußt habe, daß P. keine genügende Erfahrung für eine vorübergehende Führung des Schiffes besessen habe. P. habe den Weg für eine Backbordbegegnung gewiesen, das Ausfahrtmanöver jedoch nicht durch rechtzeitige Herabsetzung der Geschwindigkeit seines Schiffes und durch eine Kursänderung nach Steuerbord unterstützt.
Die Beklagten bringen vor, daß TMS M ohne Abgabe eines Signals und ohne Rücksicht auf die durchgehende Schiffahrt aus dem Hafen gefahren sei. Das Rheinschiffahrtsgericht hat die Klage abgewiesen, das Rheinschiffahrtsobergericht hat ihr dem Grunde nach zu 2/3 stattgegeben. Die Revisionen beider Parteien blieben erfolglos.
Aus den Entscheidungsgründen:
Nach § 50 Nr. 3 Satz 1 RheinSchPolVO ist die Ausfahrt aus einem Hafen, die, wie im Streitfall, nicht durch eine Signaleinrichtung geregelt ist, nur gestattet, wenn das Manöver ausgeführt werden kann, ohne daß andere Fahrzeuge gezwungen sind, unvermittelt ihre Geschwindigkeit zu vermindern oder ihren Kurs zu ändern. Die genannte Vorschrift räumt mithin der durchgehenden Schiffahrt in gewissem Umfange die Vorfahrt vor den von der Uferseite her kommenden Schiffen ein (BGH VersR 1969, 846, 847). Berg- und Talfahrt sind jedoch gehalten, die Ausfahrt durch Fahrtverminderung oder Kursänderung zu unterstützen, sofern sie diese Manöver rechtzeitig durchführen können und die eigene Fahrt hierdurch nicht wesentlich behindert wird (Kählitz, Das Recht der Binnenschiffahrt, Bd. II, § 50 RheinSchPolVO Anm. III 4 i. V. m. § 47 RheinSchPolVO Anm. IV 4; vgl. auch BGH VersR 1968, 744, 745).
Die Revision der Beklagten irrt, wenn sie meint, TMS M sei infolge der Nichtabgabe eines Ausfahrtsignals kein Talfahrer, sondern ein Querfahrer (§ 49 Nr. 1 RheinSchPolVO) gewesen, mithin könne im Streitfall auch keine Kursweisung des TMS F nach § 38 Nr. 1 und 2 RheinSchPolVO vorgelegen haben, da eine solche Weisung nur einem Talfahrer gegeben werden könne. Ob ein Schiff als Bergfahrer, Talfahrer oder Querfahrer anzusehen ist, beurteilt sich nicht nach der Abgabe oder Nichtabgabe eines Kurssignals (das übrigens im Rahmen des § 50 Nr. 3 RheinSchPolVO nicht zwingend vorgeschrieben ist), sondern nach dem Kurs, den ein Schiff tatsächlich fährt. Im Streitfall verlief der Kurs des TMS M, wie den Feststellungen des Berufungsgerichts über die Fahrweise dieses Schiffes zu entnehmen ist, nach der Hafenausfahrt stromabwärts. Das Schiff war demnach Talfahrer. Hieran änderte sich auch nichts dadurch, daß das Schiff in Schrägfahrt den Übergang zum anderen Ufer machte (vgl. BGH VersR 1965, 334; 1969 321, 322), um die von dem Bergfahrer verlangte Backbordbegegnung durchführen zu können.
Alle weiteren Angriffe der Revision gehen von der - unrichtigen - Annahme aus, TMS M habe nach der Hafenausfahrt eine Querfahrt vorgenommen. Auf sie braucht deshalb nicht eingegangen zu werden, zumal P., was die Revision übersieht, auch bei Vorliegen einer vom linken zum rechten Ufer führenden Querfahrt des TMS „Matthias Burmester" die gleichen Unterstützungsmanöver hätte vornehmen müssen (§ 49 Nr. 1 i. V. m. § 47 Nr. 1 Satz 1 RheinSchPolVO).
Der Revision der Klägerin kann insoweit nicht beigetreten werden, als sie meint, die Nichtabgabe des Ausfahrtsignals sei für den Zusammenstoß nicht ursächlich gewesen. Dem Zusammenhang der Erwägungen des Berufungsgerichtes ist zu entnehmen, daß P. ein solches Signal im Falle der Abgabe gehört und sodann die vom Berufungsgericht geforderten Manöver eingeleitet hätte. In dem letzterwähnten Punkte geht das Berufungsgericht ersichtlich von der Aussage des P. vor der Wasserschutzpolizei aus, wonach er noch nach dem Passieren der Hafenausfahrt durch TMS M angenommen habe, das Schiff wolle zu Berg und nicht zu Tal fahren. Auch berührt es entgegen der Auffassung der Revision nicht die Frage des Ursachenzusammenhangs, wenn P. bei umsichtiger Beurteilung der Verhältnisse den Unfall auch ohne Wahrnehmung eines Ausfahrtssignals hätte verhindern können. Die Revision beachtet in diesem Zusammenhang nicht die Feststellung des Berufungsgerichts, wonach durch die Nichtabgabe des Ausfahrtsignals zunächst eine unklare Lage geschaffen wurde, in der P. sodann fehlerhaft gehandelt hat.
. . . . Das Berufungsgericht hat das Bestehen eines Ursachenzusammenhangs zwischen der (auch) von dem Beklagten zu 2 zu vertretenden Unterbemannung des TMS F und dem Schiffszusammenstoß verneint. Hiergegen wendet sich die Revision der Klägerin zu Unrecht. Ein nicht gegebenes Ausfahrtsignal hätte auch ein zweiter Matrose auf TMS F nicht wahrnehmen können. Wenn die Revision weiter vorbringt, der - fehlende - zweite Matrose wäre sicher besser als der Matrose P. zur vorübergehenden Bedienung des Ruders von TMS F geeignet gewesen, so kann sie mit diesem Vorbringen nicht durchdringen, weil es nicht zwingend ist. Schließlich wendet sich die Revision ohne Erfolg gegen die Ansicht des Berufungsgerichts, daß der Beklagte zu 2 für das Verhalten des Matrosen P. nicht einzustehen habe. Für die Frage der Haftung des Beklagten zu 2 kam es insbesondere darauf an, ob P. zur vorübergehenden Führung des TMS F geeignet war (§ 2 Nr. 2 RheinSchPolVO). Das hat das Berufungsgericht mit einer in einzelnen Punkten vielleicht mißverständlich, sinngemäß aber dahin zu verstehenden Begründung bejaht, daß P. fast neun Jahre in der Binnenschiffahrt tätig gewesen, über zwei Jahre an Bord des TMS F gefahren sei und der Beklagte zu 2 während langer Zusammenarbeit den Eindruck gewonnen habe, P. könne ein Schiff zuverlässig führen. Gegen diese tatrichterliche Würdigung läßt sich aus Rechtsgründen nichts einwenden."