Jurisprudentiedatabank
Leitsätze:
1) Ein im Hang ausgeschorener Anhangkahn und seine Bewegung müssen von dem Gegenfahrer, insbesondere bei Dunkelheit, mit größter Aufmerksamkeit beachtet werden.
2) In der Rheinschiffahrtpolizeiverordnung fehlt eine Vorschrift darüber, daß vom Steuerstuhl aus jederzeit erkennbar sein muß, ob die Positionslichter brennen oder nicht.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 18. März 1968
II ZR 38/66
(Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort, Rheinschiffahrtsobergericht Köln)
Zum Tatbestand:
Das der Klägerin gehörende leere TMS P kam abends bei Dunkelheit, auf seiner Backbordseite mit dem leeren Tankkrahn V gemehrt, zu Tal und begegnete steuerbords bei km 786 dem rechtsrheinisch zu Berg kommenden Schleppboot L, wobei beiderseits geblinkt wurde. TMS P behielt nach der Begegnung das Blinken bei und suchte auch dem der Beklagten zu 1) gehörenden, vom Beklagten zu 2) geführten zu Berg fahrenden beladenen TMS E steuerbords zu begegnen, weil man diesen - nach der Behauptung der Klägerin - für einen weiteren Anhang des Bergzuges gehalten hatte. Der Beklagte zu 2) beabsichtigte seinerseits, mit E den Bergzug steuerbords zu überholen. Unmittelbar am linken Ufer kam es zur Kollision, indem V das TMS E am Steven backbordseits traf und sich P zwischen den Räumen 1 und II 7 m über E schob. Nach dem Unfall, bei dem alle 3 Fahrzeuge erheblich beschädigt wurden, brannte auf E zwar das grüne, nicht aber das rote Positionslicht. Beide TMSchiffe hatten Radar eingeschaltet.
Die Parteien halten sich gegenseitig für den Unfall und die entstandenen Schäden verantwortlich.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat den Anspruch der Klägerin zur Hälfte dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und die Klage im übrigen abgewiesen. Berufung und Revision beider Parteien blieben erfolglos.
Aus den Entscheidungsgründen:
Das Rheinschiffahrtsobergericht geht davon aus, daß der Talzugführer wegen des Fehlens des roten Positionslichtes und der Nichterkennbarkeit des grünen Positionslichtes in der Stromkrümmung jedenfalls zunächst irrig angenommen hat, das entgegenkommende Bergfahrzeug sei der letzte Anhang des L-Bergschleppzuges, da es nicht selten vorkomme, daß ein Anhangkahn zumal im Hang aus dem Kurs seines Schleppzuges ausschere. Im angefochtenen Urteil wird aber zutreffend ausgeführt, daß der Talzugführer seinen Irrtum selbst mitverschuldet habe. Ein im Hang ausgeschorener Anhangkahn und seine Bewegung müssen von dem Gegenfahrer insbesondere bei Dunkelheit mit größter Aufmerksamkeit beobachtet werden. Das verkennt die Revision der Klägerin. Es kann deshalb keine Rede davon sein, daß das Berufungsgericht dem Fehler rückschauender Betrachtungsweise unterlegen sei, wenn es dem Talzugführer vorwirft, er habe unterlassen, das Fernglas zu benutzen, und deshalb nicht erkannt, daß der Bergfahrer das Überhollicht (§ 43 Nr. 1 b RhSchPVO mit Bild 36) zeigte, das ohne weiteres als Einzelfahrer habe erkennen lassen. Ohne Rechtsfehler legt das angefochtene Urteil dem Talzugführer ferner zur Last, er habe auch im weiteren Verlauf es an der nötigen Sorgfalt fehlen lassen; denn sonst hätte er erkennen müssen, daß der vermeintliche Anhangkahn sich immer weiter zum linken Ufer bewegte, statt in den Kurs des Bergzuges beizugehen, und daß sich der Abstand des „Anhangkahnes" zu den Fahrzeugen des Bergschleppzuges dauernd verringerte, was im Radarbild erkennbar war. Zutreffend ist auch die Ansicht des Berufungsgerichts, der Talzugführer hätte mehrmals Achtungssignal geben müssen, um den nicht zweifelsfrei erkannten Bergfahrer zur Klarstellung seiner Kursabsichten zu veranlassen. Diese Vorsichtsmaßregel war durch die Sorgfaltspflicht eines ordentlichen Schiffers geboten.
Nach alledem hat der Talzugführer schuldhaft gegen die Vorschriften der §§ 4, 39 Nr. 1 RhSchPVO verstoßen.
Mit Recht hat das Rheinschiffahrtsobergericht angenommen, daß der Führer von E den Zusammenstoß schuldhaft mitverursacht habe.
Die Revision der Beklagten meint, das Fehlen des roten Positionslichts sei für den Zusammenstoß nicht ursächlich geworden; denn da man auf dem Talzug das Überhollicht von E infolge Unaufmerksamkeit nicht erkannt habe, hätte man auch das rote Seitenlicht nicht bemerkt. Dem kann nicht zugestimmt werden. Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß das helle rote Positionslicht viel deutlicher sichtbar ist als das „weiße, gewöhnliche" Überhollicht. In dunkler Nacht bei klarer Luft, wie im vorliegenden Fall, ist für das erstere eine Sichtbarkeit auf etwa 2 km, für das letztere eine solche auf etwa 1 km vorgeschrieben (§ 1 Buchstabe n RhSchPVO). Zutreffend hat daher das Berufungsgericht angenommen, das Fehlen des roten Positionslichtes habe den Irrtum des Talzugführers, ihm komme ein Anhangkahn des Bergzuges entgegen, mit herbeigeführt.
Das Fahren bei Nacht ohne das rote Positionslicht verstößt gegen § 28 RhSchPVO. Fällt das Licht während der Fahrt aus und kann es nicht mit der Geschwindigkeit ersetzt werden, die mit Rücksicht auf andere Verkehrsteilnehmer erforderlich ist, so darf das Schiff nicht weiterfahren, sondern muß unter Freimachen des Fahrwassers sofort anhalten. Das verkennt die Revision der Beklagten.
Im angefochtenen Urteil wird das Verschulden des Führers von E darin gesehen, daß er die infolge langer Benutzung schlechte und stark verbrauchte Birne nicht rechtzeitig vor dem Ausbrennen gegen eine neue ausgewechselt habe. Dem tritt der erkennende Senat bei.
Trotz der außerordentlichen Bedeutung der Positionslichter für die Verkehrssicherheit fehlt in der Rheinschiffahrtpolizeiverordnung eine Vorschrift darüber, daß vom Steuerstuhl aus jederzeit erkennbar sein muß, ob die Positionslichter brennen oder nicht. Daß bei dem heutigen Stand der Technik eine entsprechende Vorrichtung getroffen werden kann, ist klar. Sie ist besonders dort einfach herzustellen, wo vom Steuerstuhl aus wenigstens die abgeblendete Seite der Positionslampen sichtbar ist. Auch die Straßenverkehrszeichen sind häufig so eingerichtet, daß von der Rückseite der Zeichen aus durch ein kleines blaues Licht festgestellt werden kann, ob die Zeichen beleuchtet sind. Solange derartige Sicherheitsvorrichtungen auf Schiffen nicht bestehen, muß der Schiffsführer die Gefahr, daß die Birne während der Fahrt ausbrennt, auf das mindestmögliche Maß herabsetzen.
Eine Birne in übermäßig langer Brenndauer so lange beizubehalten, bis sie ausbrennt, ist mit der Ausrüstungsvorschrift des § 10 Nr. 1 RhSchPVO nicht vereinbar. Mit Recht hat das Berufungsgericht in dem Unterlassen des rechtzeitigen Auswechseln der verbrauchten Birne einen Verstoß des Führers von E gegen § 9 BSchG gesehen, der die Schadensersatzpflicht der Beklagten nach §§ 92, 114 BSchG, § 736 HGB, §§ 823, 840 BGB herbeigeführt.