Jurisprudentiedatabank
Leitsätze:
1) Ein festgefahrenes Schiff muß dafür sorgen, daß hierdurch keine Gefahrenlage für die übrige Schiffahrt entsteht.
2) Adäquater Ursachenzusammenhang zwischen nautisch fehlerhafter Handlungsweise eines festgefahrenen Schiffes und Schäden, die ein dadurch in Gefahr geratenes Schiff infolge fälschlicher Entschlüsse seiner eigenen Führung erleidet.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 11. Juli 1974
II ZR 31/73
(Rheinschiffahrtsgericht Mannheim; Rheinschiffahrtsobergericht Karlsruhe)
Zum Tatbestand:
Das dem Beklagten gehörende und von ihm geführte MS M geriet auf der Talfahrt auf dem Oberrhein am elsässischen Ufer bei km 326,2 auf Grund und blieb stehen. Während sich das ihm folgende, der Klägerin gehörende MS W näherte, fiel MS M in Querlage, wobei das Vorschiff zur badischen Seite drehte. MS W schlug darauf mit der Maschine zurück und ließ beide Buganker fallen. Nachdem es MS M in langsamer Fahrt mit grasenden Ankern passiert hatte, wollte es über Backbord aufdrehen, um die Anker zu lichten. Zuvor verfiel jedoch sein Hinterschiff zur badischen Seite, geriet auf die Kribben bei km 326,7 und blieb dort liegen. Infolge der erlittenen Lecks hatte es Wassereinbruch. Außerdem wurde durch einen Brand im Maschinenraum ein Teil des Fahrzeugs zerstört.
Die Klägerin verlangt Ersatz des Unfallschadens in Höhe ca. 195 000,- DM und behauptet, daß MS M infolge falschen Kurses festgefahren und durch die Manöver während der Annäherung von MS W in den Talweg geraten sei.
Der Beklagte sieht die Ursache der Havarie in dem Setzen der Buganker auf MS W und in dessen fehlerhaftem Aufdrehmanöver nach der Vorbeifahrt an MS M. Die Besatzung von MS W habe auch nichts gegen den Wassereinbruch und den Brand getan.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt, das Rheinschiffahrtsobergericht hat sie abgewiesen. Auf die Revision der Klägerin ist der Klageanspruch zur Hälfte für gerechtfertigt erklärt worden.
Aus den Entscheidungsgründen:
Der Fehler ist, wie sich bereits aus den Angaben des Beklagten im Verklarungsverfahren ergibt, darin zu sehen, daß er den Übergang von der elsässischen zur badischen Seite des Stromes 50 m zu spät angesetzt hat, dadurch mit seinem Fahrzeug außerhalb des Fahrwassers geraten und dort festgekommen ist. Dem läßt sich nicht, wie der Beklagte meint, entgegenhalten, daß "mit Rücksicht auf die bekannten und wechselnden Fahrwasserverhältnisse auf dem Oberrhein die Festfahrung eines Talfahrers nichts Ungewöhnliches darstelle". Denn die Grenzen des Fahrwassers muß ein Schiffer jedenfalls kennen, so daß er schuldhaft handelt, wenn er durch einen verspäteten Kurswechsel außerhalb des Fahrwassers gerät.
Danach kann es aber nicht zweifelhaft sein, daß den Beklagten jedenfalls auch insoweit ein Vorwurf trifft, als er es nicht vermieden hat, nach dem Festfahren nicht durch Maschinenmanöver in den Kurs des bereits nahe herangekommenen und gerade zur Vorbeifahrt ansetzenden MS W zu geraten.
Nach dem angefochtenen Urteil ist der Talfahrer durch die Bewegung von MS M zum badischen Ufer hin veranlaßt worden, beide Buganker zu werfen. Trotzdem, so meint das Berufungsgericht, hafte der Beklagte nicht für den Schaden, der der Klägerin durch das nachfolgende Festkommen des MS W auf der linksrheinischen Kribben entstanden sei. Denn zwischen diesem Schaden und den Fehlern des Beklagten bestehe kein adäqater Ursachenzusammenhang (wird ausgeführt).
Die Revision wendet sich gegen diese Ausführungen insoweit ohne Erfolg, als das Berufungsgericht in dem Verhalten der Führung des MS W nach der Vorbeifahrt dieses Fahrzeugs an MS M eine schuldhafte Handlungsweise sieht. Hingegen hält das angefochtene Urteil den Angriffen der Revision nicht stand, soweit es einen adäquaten Ursachenzusammenhang zwisehen den nautischen Fehlern des Beklagten und dem durch das Festkommen des MS W auf den linksrheinischen Kribben der Klägerin entstandenen Schaden verneint.
Zwar ist es richtig, daß das Hinterschiff des MS W nach dem elsässischen Ufer hin verfallen, somit das Fahrzeug von der Strömung nach Steuerbord gedreht worden ist. Ferner trifft es zu, daß MS W sodann trotz voller Maschinenkraft mit dem Hinterschiff auf die elsässischen Kribben geraten ist. Daraus folgt entgegen der Ansicht der Revision jedoch nicht, daß die Feststellung des Berufungsgerichts, die Fahrwasserbreite habe für ein Aufdrehen des MS W über Steuerbord voll ausgereicht, unhaltbar ist und den Denkgesetzen widerspricht. Denn der Umstand, daß ein nach Steuerbord verfallendes und damit aus der Gewalt seiner Führung geratenes Fahrzeug in einer Drehbewegung auf den Kribben hängenbleibt, zwingt nicht zu der Annahme, daß an dieser Stelle das Aufdrehen über Steuerbord mit dem von seiner Führung beherrschten Fahrzeug nicht möglich gewesen sei.
Das Berufungsgericht gründet seine Ansicht, die Führung des MS W habe durch ihr Verhalten nach der Vorbeifahrt an MS M einen „so außergewöhnlichen Fehler begangen, daß sich die Schadensfolgen dem Beklagten nicht mehr zurechnen lassen", offenbar auf den Satz des Sachverständigen, es sei „unerklärlich", warum MS W seine Buganker etwas nach elsässisch habe bringen wollen mit dem Vorhaben, über Backbord zu wenden, anstatt sofort über Steuerbord aufzudrehen.
In einer derartigen Lage hat die Schiffsführung keine lange Zeit zu ruhiger Uberlegung und Entscheidung. Begeht sie dabei einen Fehler, so ist das in der Regel nichts Außergewöhnliches, auch wenn der Fehler bei einer späteren, ruhigen Betrachtung „unerklärlich" erscheinen mag. Allein damit kann deshalb der adäquate Ursachenzusammenhang zwischen dem nautisch falschen Verhalten, das ein Schiff in eine gefährliche Lage bringt, und den Schäden, die dadurch entstehen, daß seine Führung nunmehr einen Fehler begeht, nicht verneint werden. Der Senat vermag daher nicht der Ansicht des Berufungsgerichts zu folgen, es fehle an einem adäquaten Ursachenzusammenhang zwischen der nautisch fehlerhaften Handlungsweise des Beklagten und den geltend gemachten Schäden.
Danach kann die Abweisung der Klage keinen Bestand haben. Ihr kann allerdings - dem Grund nach - auch nicht in vollem Umfang stattgegeben werden, da die Führung des MS W wegen ihres Entschlusses, ihr Fahrzeug nicht, wie es die Sachlage eindeutig gebot, sofort über Steuerbord aufzudrehen, ein Mitverschulden an der Havarie dieses Fahrzeugs trifft. Dieses Mitverschulden hat, wie den vom Berufungsgericht wiedergegebenen Ausführungen des Sachverständigen zu entnehmen Ist, ein erhebliches Gewicht. Ihm steht allerdings eine schuldhafte Handlungsweise des Beklagten gegenüber, durch die erst die gefährliche Lage geschaffen worden ist, in der sodann MS „Waibel 8" durch einen Fehler seiner Führung zu Schaden gekommen ist. Deshalb erscheint es angemessen, das Mitverschulden der Führung des MS W nicht schwerer zu bewerten als das schuldhafte Verhalten des Beklagten.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat in den Gründen seines Urteils ausgeführt, daß es die Frage, „ob dem Schiffer des MS W nach dem Festkommen hinsichtlich der nach Wassereinbruch und Ausbruch des Feuers zu treffenden Maßnahmen ein Vorwurf zu machen ist", dem Betragsverfahren vorbehalte. Das war zulässig. Es ist in der Rechtsprechung seit langem anerkannt, daß die Entscheidung über das mitwirkende Verschulden dem Betragsverfahren überlassen werden darf, sofern feststeht, daß das mitwirkende Verschulden nicht zum Haftungsausschluß führt, somit jedenfalls ein Anspruch des Geschädigten bleibt (BGHZ 1, 34: Baumbach/Lauterbach, ZPO 31. Aufl. § 304 Anm. 3 C). Nichts anderes kann gelten, wenn es um die Frage geht, ob das Gericht die Entscheidung über den Einwand mitwirkenden Verschuldens bei der Entstehung einzelner Schäden dem Betrags-erfahren vorbehalten darf. Notwendig ist nur, daß es klar ist, für welche Schadensposten der Einwand mitwirkenden Verschuldens in das Betragsverfahren verwiesen worden ist. Das muß aber nicht für jede einzelne Schadensposition in dem Urteil über den Grund des Anspruchs ausdrücklich ausgeführt werden. Vielmehr genügt es, wenn dieses Urteil die Schäden hinreichend kennzeichnet, gegen die noch im Betragsverfahren der Einwand mitwirkenden Verschuldens geltend gemacht werden darf. Das ist hier nach dem Zwischenurteil des Rheinschiffahrtsgerichts bei allen Schäden der Fall, die erst dadurch entstanden oder vergrößert worden sind, daß die Führung von MS W schuldhaft jede Maßnahme zur Rettung ihres Fahrzeugs aus der Brandgefahr unterlassen haben soll. Hinsichtlich dieser Schäden kann es daher in dem nunmehr durchzuführenden Betragsverfahren noch zu einer für die Klägerin gegenüber der Entscheidung des Senats nachteiligen Schadensteilung im Rahmen der §§ 92 BinnSch a. F., 736 Abs. 1 HGB kommen."