Jurisprudentiedatabank
Leitsatz:
Der das Schiff im übrigen selbst führende Schiffseigner haftet für einen eigenen nautischen Fehler auch dann nur mit Schiff und Fracht, wenn ihm für die zu befahrende Strecke das Patent fehlt und er deshalb vorübergehend die Führung des Schiffes einem Lotsen übertragen hat.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 22. Mai 1980
II ZR 27/79
(Rheinschiffahrtsgericht Kehl; Rheinschiffahrtsobergericht Karlsruhe)
Zum Tatbestand:
Zwischen dem zu Berg fahrenden MS Ha der Klägerin und dem dem Beklagten zu 1 gehörenden, vom Beklagten zu 2 belotsten MS H kam es bei der Begegnung in der rechten Hälfte des Fahrwassers etwa bei Rhein-km 337 zum Zusammenstoß. MS H ging wegen der erlittenen Schäden wenig später auf elsässischer Seite unter und wurde als Wrack bald darauf verschrottet. Die Klägerin verlangt Schadensersatz in Höhe von ca. 39300,- DM, weil der Talfahrer die Weisung des Bergfahrers MS Ha, an der Backbordseite vorbeizufahren, zu spät befolgt habe, bei unklarer Lage aber Schallzeichen habe geben müssen. Auch der Beklagte zu 1, der kein Rheinschifferpatent für die Strecke oberhalb Mannheim besitze, den Gegenkommer jedoch vom Steuerstuhl aus mit dem Fernglas beobachtet habe, hafte persönlich, da er das Fehlverhalten des Beklagten zu 2 nicht korrigiert hätte.
Die Beklagten wenden ein, daß der Bergfahrer ihrem Schiff nicht genügend Raum zur Backbordbegegnung zum rechten Ufer hin gelassen habe. Der Beklagte zu 1 beruft sich auf die Beschränkung seiner Haftung auf Schiff und Fracht, die beide jedoch durch die Kollision verloren gegangen seien.
Beide Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Auf die Revision der Klägerin wurde der Klageanspruch gegen den Beklagten zu 2 dem Grunde nach zu 1/5 für gerechtfertigt erklärt. Im übrigen blieb die Revision erfolglos.
Aus den Entscheidungsgründen:
„...
Hingegen ist zuzugeben, daß das Berufungsgericht das Verhalten der Führung des Talfahrers nicht erschöpfend beurteilt hat. Dieser ist nämlich vorzuwerfen, daß sie es unter Verletzung ihrer allgemeinen Sorgfaltspflicht (§ 1.04 RheinSchPolVO) unterlassen hat, den offenbar unaufmerksamen Bergfahrer durch die Abgabe eines langen Tons („Achtung") oder einer Folge sehr kurzer Töne („Gefahr eines Zusammenstoßes") mit dem Typhon zu einem Abgehen von dem rechten Ufer zu veranlassen. Die Notwendigkeit hierfür ergab sich daraus, daß infolge der zum rechten Ufer gerichteten Fahrweise des Bergfahrers die Lage unklar und dieser über Funk nicht ansprechbar war, als die Entfernung zwischen den beiden Fahrzeugen noch etwa 300 m betrug. Daß bei einer solc hen Entfernung der Bergfahrer noch rechtzeitig hätte nach Steuerbord ausweichen können und das im Falle eines Schallzeichens auch geschehen wäre, haben die Beklagten nicht bestreiten können.
Wegen dieses Fehlers ist der Beklagte zu 2, der - unbestritten - zum Unfallzeitpunkt MS H verantwortlich geführt hat (vgl. auch § 14 Nr. 3 der Lotsenordnung für den Rhein zwischen Basel und Mannheim/Ludwigshafen vom 15. Juni 1956 - BGBI. II 705), gemäß § 1.04 RheinSchPolVO, § 823 BGB zum Ersatz des Kollisionsschadens der Klägerin verpflichtet. Allerdings braucht er diesen wegen des festgestellten nautischen Fehlverhaltens des Bergfahrers nur zu 1/5 zu ersetzen. Insoweit bedarf die Sache keiner erneuten Beurteilung durch das Berufungsgericht, weil alle für die Schuldverteilung (§ 254 BGB) wesentlichen Umstände bereits feststehen und der Senat sie deshalb selbst vornehmen kann. Er hält eine Schuldverteilung von 4/5 (MS Ha) zu 1/5 (MS H) für angemessen, weil dem Bergfahrer, welcher der eigenen Kursweisung zuwider nicht vom rechten Ufer abgegangen ist und damit dem Talfahrer keinen geeigneten Weg für die verlangte Backbordbegegnung frei gelassen hat (Verstoß gegen § 6.04 Nr. 1 RheinSchPolVO), ein grobes Verschulden vorzuwerfen ist, wogegen den Beklagten zu 2 nur ein einfaches Verschulden trifft, weil er in der von dem Bergfahrer herbeigeführten unklaren Lage kein Schallzeichen gegeben hat.
Eine Haftung des Beklagten zu 1 für den streitigen Schaden kommt hingegen auch nicht teilweise in Betracht. Zwar hat er als Schiffseigner für das schuldhafte Verhalten des Beklagten zu 2 einzustehen (§ 3 Abs. 1 BinnSchG). Indes haftet er insoweit nicht persönlich, sondern nur mit Schiff und Fracht (§ 4 Abs. 1 Nr. 3 BinnSchG). Beide sind aber, was unbestritten ist, infolge der Kollision verloren gegangen. Richtig ist, daß die Regelung des § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 Nr. 3 BinnSchG die persönliche Haftung des Schiffseigners im Falle eines e i g e n e n Verschuldens nicht berührt (§ 4 Abs. 2 Satz 1 BinnSchG). Jedoch läßt sich auch damit ein Schadensersatzanspruch gegen den Beklagten zu 1 nicht begründen, selbst wenn man zu Gunsten der Klägerin davon ausgeht, daß der Beklagte zu 1, obwohl er die Führung des Schiffes dem Beklagten zu 2 übertragen hatte, dessen Fehler (Nichtabgabe eines Schallzeichens) hätte korrigieren müssen und das schuldhaft unterlassen hat:
Nach § 4 Abs. 2 Satz 2 BinnSchG haftet - abweichend von § 4 Abs. 2 Satz 1 BinnSchG - der Schiffseigner, der selbst das Schiff führt, für einen durch die fehlerhafte Führung des Schiffes entstandenen Schaden nicht persönlich, sondern nur mit Schiff und Fracht, sofern ihm keine bösliche Handlungsweise zur Last fällt. Hätte demnach der Beklagte zu 1 als Schiffer des MS „Hollandia" die Kollision durch Nichtabgabe eines Schallzeichens mitverschuldet, so würde er der Klägerin nur mit Schiff und Fracht (und weil beide verloren sind überhaupt nicht) haften. Das kann nicht anders sein, wenn er die Führung des Schiffes wegen Fehlens des Patents für die zu befahrende Strecke einem Lotsen übertragen hat, trotzdem aber, wie die Klägerin meint, bei einem Fehler des Lotsen selbst nautische Maßnahmen treffen soll. Legt man ihm damit insoweit trotz vorübergehender Abgabe der Schiffsführung praktisch die Pflichten eines Schiffers auf, so ist es nur gerecht und billig, ihn auch dann im Fall einer Pflichtverletzung haftungsmäßig wie einen Schiffseigner-Schiffer zu behandeln.
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