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Leitsatz:
Die Regelung des § 644 Satz 1 HGB, wonach bei fehlender Angabe des Verfrachters im Konnossement der Reeder als Verfrachter gilt, erstreckt sich nicht auf den Frachtvertrag.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 23. November 1978
II ZR 27/77
(Landgericht Hamburg; OLG Hamburg)
Zum Tatbestand:
Die Klägerin war konnossementsmäßig legitimierte, in Rotterdam ansässige Empfängerin einer Ladung Kartoffeln, die von der Beklagten zu 1, die ihren Sitz in Hamburg hat, mit einem gecharterten dänischen Schiff im Auftrag der Befrachterin, einer Handelsfirma in Beirut, von Ägypten nach England transportiert wurden. Bei der Löschung ergab sich, daß die Kartoffeln - angeblich wegen 'zu hoher Aufstapelung der Säcke und wegen zu geringer Belüftung während der Reise - beschädigt waren und 237 Säcke fehlten.
Die Klägerin verlangt - aus eigenem und abgetretenem Recht der Befrachterin - von der Beklagten zu 1 und deren persönlich haftenden Gesellschaftern, den Beklagten zu 2 und 3, Schadensersatz.
Die Beklagten bestreiten den deutschen Gerichtsstand, wobei sie sich auf den Frachtvertrag in Verbindung mit den Konnossementsbedingungen berufen, nach denen dänische Gerichte zu entscheiden hätten, da - wegen Nichtangabe des Verfrachternamens in den Konnossementen - die dänische Reederei des Schiffes anstelle der Beklagten zu 1 als Verfrachterin gelte. Die Schäden an den Kartoffeln müßten auch schon vor dem Laden vorhanden gewesen sein.
Beide Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Auf die Revision der Beklagten wurde das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an die Berufungsinstanz zurückverwiesen.
Aus den Entscheidungsgründen:
„...
Entgegen der Ansicht der Revision ist ohne Belang, daß im Streitfall die Konnossemente den Namen des Verfrachters nicht angeben. Zwar gilt nach § 644 Satz 1 HGB der Reeder als Verfrachter, wenn in einem vom Kapitän oder einem anderen Vertreter des Reeders ausgestellten Konnossement der Name des Verfrachters nicht enthalten ist. Auch kann zugunsten der Beklagten unterstellt werden, daß nicht nur die von ihnen vorgelegten Konnosemente, sondern das in den Händen der Klägerin befindliche Konnossement ebenfalls von einem Vertreter der dänischen Reederin des MS „A" unterzeichnet sind. Jedoch folgt daraus nicht die internationale Zuständigkeit der dänischen Gerichte für den vom Berufungsgericht zuerkannten - frachtvertraglichen - Schadensersatzanspruch. Denn die Vorschrift des § 644 Satz 1 HGB berührt nicht die Stellung der Beklagten zu 1 unter dem Frachtvertrag:
Das Konnossement ist für das Rechtsverhältnis zwischen dem Verfrachter und dem Empfänger der Güter maßgebend (§ 656 Abs. 1 HGB; vgl. auch. § 446 Abs. 1 HGB*). Hingegen ändert oder modifiziert es nicht die rechtlichen Beziehungen zwischen dem Befrachter und dem Verfrachter, wie § 656 Abs. 3 HGB ausdrücklich klarstellt (vgl. auch § 446 Abs. 2 HGB). Das Konnossement verbrieft die Verpflichtung des Verfrachters, die zur Beförderung übernommenen Güter an den durch die Urkunde legitimierten Empfänger auszuliefern (vgl. § 648 Abs. 1, § 653 HGB). Den daraus resultierenden Auslieferungsanspruch des letzteren, der in Inhalt und Wirksamkeit von dem Frachtvertrag unabhängig ist (vgl. Canaris in Großkomm. HGB § 363 Anm. 44), kann dieser praktisch aber nur dann mit Erfolg geltend machen, wenn er weiß, welche Person der aus der Urkunde verpflichtete Verfrachter ist, Deshalb sieht § 643 Nr. 1 HGB vor, daß der Name des Verfrachters im Konnossement anzugeben ist. Fehlt er, so greift § 644 Satz 1 HGB ein, so daß dann der Reeder, dessen Vertreter ein solches Konnossement ausgestellt hat, als Verfrachter gilt. Die Vorschrift ist demnach, wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat, eine Schutzbestimmung für den legitimierten Ladungsempfänger (ebenso Prüssmann, Seehandelsrecht § 644 Anm. A. 1.) Hingegen läßt sich ihr nicht entnehmen, daß sie auch im Rahmen des Frachtvertrages gelten, somit dort der Reeder bei Nichtangabe des Verfrachternamens im Konnossement ebenfalls als Verfrachter fingiert werden soll. Diese Ansicht wird allerdings im Schrifttum vertreten (vgl. Gramm, Das neue Deutsche Seefrachtrecht, S. 159; Schaps/Abraham, Das Seerecht, 4. Aufl., § 644 HGB, Rnr. 3; Schlegelberger/Liesecke, Seehandelsrecht, § 644 Rnr. 3). Indes wird dabei übersehen, daß, wie bereits eingangs dieses Absatzes ausgeführt, das Konnossement und der Frachtvertrag zwei völlig getrennte Rechtsverhältnisse darstellen. Auch bedarf der Befrachter, der - im Gegensatz zum Empfänger - den von ihm mit der Beförderung der Güter beauftragten Verfrachter stets kennt, zu seinem Schutze keines fingierten Verfrachters.
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Aus der - unverändert gebliebenen - Verfrachterstellung der Beklagten zu 1 folgt aber nicht nur die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte für den streitigen frachtvertraglichen Schadensersatzanspruch, sondern auch, daß sie nach § 606 Satz 2 HGB für den Schaden haftet, der durch Verlust oder Beschädigung der Güter in der Zeit von der Annahme bis zur Ablieferung entstanden ist, sofern sie nicht beweist, daß der Verlust oder die Beschädigung auf Umständen beruht, die durch die Sorgfalt eines ordentlichen Verfrachters nicht abgewendet werden konnten; auch hat sie nach § 607 Abs. 1 HGB ein Verschulden ihrer Leute oder der Besatzung des MS in gleichem Umfange zu vertreten wie eigenes Verschulden.
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Die Beklagten haben im erstinstanzlichen Verfahren unter Beweisantritt (Sachverständigengutachten) behauptet, daß „gesunde, frische Kartoffeln den Transport bei der hier vorgenommenen Stauung unbeschädigt überstanden hätten" und die Behauptung im Berufungsrechtszug sinngemäß wiederholt. Dieses Vorbringen geht der Sache nach dahin, daß die Beschädigung der Ladung bereits bei deren Übernahme vorhanden gewesen oder durch einen verborgenen Mangel verursacht worden sei, sie hingegen nicht auf den behaupteten Staufehlern beruhe, die nach dem Vortrag der Klägerin auch die angeblich mangelhafte Belüftung bewirkt haben sollen. Das Vorbringen betrifft demnach die Frage der Schadensverursachung, den Zeitpunkt der Schadensentstehung und die Frage der Entlastung der Verfrachterseite. Deshalb hätte das Berufungsgericht darauf eingehen und, soweit notwendig, den angebotenen Beweis erheben müssen. Da das nicht geschehen ist, bedarf die Sache weiterer tatsächlicher Prüfung.
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