Jurisprudentiedatabank

II ZR 271/95 - Bundesgerichtshof (Berufungsinstanz Schiffahrt)
Datum uitspraak: 16.12.1996
Kenmerk: II ZR 271/95
Beslissing: Urteil
Language: Duits
Regeling: § 644 HGB, § 77 BinSchG
Rechtbank: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Afdeling: Berufungsinstanz Schiffahrt

Leitsätze:

1) Der Anspruch auf Schadensersatz wegen des Todes eines Reisenden bei der Beförderung auf See oder auf Binnengewässern umfaßt auch die Beerdigungskosten. (Leitsatz des BGH) Auf die spezifischen Haftungsvoraussetzungen des nationalen Rechts kommt es bei der Ausfüllung von Lücken, die das Athener Abkommen (nur) zum Haftungsumfang läßt, nicht an. Für die Anwendung des § 644 HGB und der darin in Bezug genommenen Bestimmungen über die Beförderung von Reisenden und ihrem Gepäck auf See nach dem Athener Abkommen und die entsprechende Anwendung nach § 77 BinSchG ist allein entscheidend, daß das deutsche Recht in vergleichbaren Fällen auch einen Anspruch auf Ersatz der Beerdigungskosten gewährt.

2) Beförderer nach Art. 1 Nr. 1 a der Anlage zu § 644 HGB (Athener Abkommen) ist auch derjenige, der eine Beförderungsleistung unentgeltlich oder lediglich aus Gefälligkeit übernimmt, z. B. Geschäftsfreunde zu einem Schiffsausflug einlädt. 

Zum Tatbestand:

Der verstorbene Ehemann der Klägerin nahm am 10. Juli 1992 auf Einladung der Streithelferin an einer Schiffsfahrt mit PMS P teil. Eigner des Schiffs war der Beklagte. Die Streithelferin hatte es für eine Rundfahrt mit Geschäftsfreunden gechar­tert, wobei streitig ist, ob dies mit oder ohne Besatzung erfolgte. Gesteuert wurde PMS P von dem Schiffsführer M, der bei der Streithelferin im Umschlagsbereich be­schäftigt war und ausnahmsweise mit der Schifffsführung betraut wurde, weil an die­sem Tage kein anderer Schiffer zur Verfü­gung stand. Bei einer Talfahrt auf dem Rhein kam es zu einer Kollision mit dem ebenfalls zu Tal fahrenden TMS D bei der PMS P sank und der Ehemann der Klägerin ums Leben kam. Mit ihrer Klage hat die Klägerin die Bestattungskosten sowie einen Schmer­zensgeldanspruch ihres Ehemannes geltend gemacht; sie hat ferner die Feststellung be­gehrt, dar der Beklagte auch zum Ersatz weiterer und künftiger unfallbedingter Schäden verpflichtet sei. Das Rheinschiffahrtsgericht hat den Zahlungsantrag dem Grunde nach für ge­rechtfertigt erklärt und die verlangte Fest­stellung getroffen. Das Berufungsgericht hat die Berufung des Beklagten zurückge­wiesen. Auch die Revision hatte keinen Erfolg.

Aus den Entscheidungsgründen:

„ I. Nach Ansicht des Berufungsgerichts, dessen Urteil auszugsweise in ZfB 1996, 44 (s. Sammlung Seite 1593) veröffentlicht ist, findet das Klagebegehren seine Grund­lage in den §§ 3, 4 a, 77 BinSchG i.V.m. §§ 664, 485 HGB. Schiffsführer M sei jeden­falls im Verhältnis zu Dritten als eine Per­son der Schiffsbesetzung anzusehen (§ 3 BinSchG). Die Vorschrift sei hier zwar nicht unmittelbar anwendbar, weil zwischen dem Schiffsführer und dem Beklagten kein Dienstverhältnis bestanden habe, sie gelte jedoch wegen der Gleichheit der Interessen­lage entsprechend. Andernfalls könnten den geschädigten Passagieren keine durchsetz­baren Schadensersatzansprüche zustehen, da ihr Verhältnis zur Streithelferin ein blo­ßes Gefälligkeitsverhältnis sei. Außerdem hafte der Beklagte aus § 77 BinSchG i.V.m. §§ 664, 485 HGB. Zwischen ihm und der Streithelferin sei ein Beförderungsvertrag zustande gekommen, in dessen Schutz­bereich die Passagiere einbezogen worden seien. Nach dem Ergebnis der Beweisauf­nahme stehe fest, dar die Kollision durch ein schuldhaftes Verhalten des Schiffs­führers M verursacht worden sei. Er habe TMS D an Steuerbord über­holt und dann versucht, das Tankschiff nach Backbord zu passieren. II. Das hält revisionsgerichtlicher Nach­prüfung zwar nicht in allen Punkten stand. Der Senat tritt dem Berufungsgericht jedoch darin bei, dar der Beklagte der Klägerin nach den §§ 77 BinSchG, 664 HGB i.V.m. § 4 a BinSchG persönlich zum Schadens­ersatz verpflichtet ist.

1. Der Beklagte war zwar nicht Beförde­rer im Sinne des § 664 HGB, er war aber ausführender Beförderer.

a) Beförderer ist nach Art. 1 Nr. 1 Buchst. a der Anlage zu § 664 HGB eine Person, durch oder für die ein Beförderungsvertrag geschlossen worden ist, ohne Rücksicht darauf, ob sie die Beförderung auch tatsäch­lich durchgeführt hat. In der hier vorliegen­den Fallgestaltung hat die Streithelferin, ähnlich einem Reiseveranstalter, ihren Ge­schäftsfreunden eine Schiffsfahrt angebo­ten. Sie wurde damit zum Beförderer im Sinne des § 664 HGB. Dar sie für diese Reise keine Vergütung erhalten hat und dar die von ihr eingeladenen Gäste gegen sie keinen durchsetzbaren Anspruch auf Erfül­lung gehabt haben dürften, steht nicht ent­gegen. Der in Art. 1 Nr. 2 der Anlage zu § 664 HGB definierte Beförderungsvertrag ist allerdings im Grundsatz ein Werkvertrag; so wird es auch in den weitaus meisten Fäl­len liegen. Notwendig ist dies aber nicht. Das im Athener Übereinkommen von 1974, dessen Regelungen die Anlage zu § 644 HGB in das deutsche Recht eingefügt hat, verlangte Vertragsverhältnis zwischen Rei­sendem und Beförderer will lediglich aus­schließen, dar schon die bloße Duldung oder Kenntnis von der Mitfahrt einer Per­son (etwa bei blinden Passagieren) zur Anwendung des Vertragswerkes führt (vgl. Herber, Das neue Haftungsrecht der Schiff­fahrt, 1989, S. 160). Für einen Beför­derungsvertrag in diesem Sinne genügt es deswegen, dar die Beförderungsleistung auf vertraglicher Grundlage erfolgt, mag sie auch unentgeltlich oder lediglich aus Ge­fälligkeit übernommen sein (vgl. Herber aaO, S. 161; Prüßmann/Rabe, Seehandels­recht, 3. Aufl. 1992, Anm. II C 2 vor § 664 HGB). Im Streitfall lassen sich derartige rechtsgeschäftliche Bindungen schon des­halb nicht verneinen, weil die Gäste der Streithelferin durch Annahme der Einla­dung zum Schiffsausflug niemals auszu­schließende Risiken für Leib und Leben eingingen. Darüber hinaus läßt das Beru­fungsgericht außer acht, dar zwischen der Streithelferin und ihren Geschäftsfreunden oder den von ihnen vertretenen Unterneh­men bereits rechtliche Beziehungen bestan­den und die Einladung zur Rundreise dem­gemäß der Kontaktpflege und Werbung diente. Bei dieser Zielrichtung und Einbet­tung der von der Streithelferin veranstalte­ten Schiffsreise in den Gesamtkomplex der Geschäftsverbindungen liegt die Annahme nur geduldeter Mitnahme der Geschäfts­freunde ohne rechtlichen Bindungswillen seitens der Streithelferin fern.

b) Der Beklagte, von dem die Streit­helferin PMS P gechartert hatte, war - im Außenverhältnis ebenfalls haftender - ausführender Beförderer. Dafür reicht es hin, dar er die tatsächliche und rechtliche Verfügungsgewalt über das Schiff behielt (Prüßmann/Rabe, Art. 1 der Anl. zu § 664 HGB Anm. A 1 b). Dies wäre zwar bei der vom Beklagten behaupteten reinen Schiffs­miete (sog. „bare boat charter") nicht der Fall gewesen (vgl. Herber aaO, S. 168 f.; Schubert, Die Haftung für Reisende und ihr Gepäck auf Schiffen 1981, S. 68 f.). Das Berufungsgericht stellt aber in tat­richterlicher Würdigung ohne Rechtsfehler fest, dar der mit der Streithelferin abge­schlossene Vertrag die Beförderung ihrer Gäste zum Gegenstand hatte. Hieraus folgt entgegen der Meinung der Revision auch, dar nicht die Streithelferin, sondern der Beklagte Schiffsführer M die Führung von PMS P anvertraut hat. Dabei konn­te das Berufungsgericht sich - was es in seinem den Prozeßbeteiligten bekannten Urteil vom selben Tage im Parallelverfahren 3 U 215/94 (ZfB 1996, 43) noch näher be­gründet hat - auf eine Reihe unstreitiger Umstände stützen; insbesondere, dar eine förmliche Übergabe an die Streithelferin unterblieben ist, eine Regelung aller bei der Übertragung vollständiger Verfügungsge­walt auf den Mieter regelungsbedürftigen Fragen wie Informationen über den aktuel­len Inhalt des Schiffsattestes und die Versi­cherung des Schiffes unterlassen wurde und dar die Beteiligten in ihrer Vertragspraxis bis dahin stets nur eine Vercharterung von PMS P mit Besatzung kannten. Dar der am 10. Juli 1992 eingesetzte Schiffs­führer M zugleich - in anderen Tätigkeitsbe­reichen - Angestellter der Streithelferin war, fiel demgegenüber nicht entscheidend ins Gewicht (vgl. auch BGHZ 25, 244, 249 f.).

2. Das Berufungsgericht hat, von der Revision unangefochten, festgestellt, dar den Schiffsführer M an der Kollision und dem Untergang von PMS P ein Ver­schulden traf, und hat dessen Verschulden stillschweigend auch beim Anspruch aus §§ 77 BinSchG, 664 HGB dem Beklagten zugerechnet. Diese Auffassung ist frei von Rechtsirrtum. Als ausführender Beförderer haftet der Beklagte nach Art. 2 Abs. 1, 3 Abs. 1 Satz 2 der Anlage zu § 664 HGB für das Verschulden seiner in Ausübung ihrer Verrichtungen handelnden Bediensteten oder Beauftragten. Der Streitfall gibt keine Veranlassung, sich mit dem Inhalt dieser - von den Fassungen der §§ 485 HGB und 607 HGB abweichenden - Begriffe im ein­zelnen auseinanderzusetzen (siehe dazu Herber aaO, S. 165; Prüßmann/Rabe, Art. 2 der Anl. zu § 664 HGB Anm. B 3 a). Unter den vorliegenden Umständen war Schiffs­führer M, wenn nicht Bediensteter, so doch weisungsabhängiger Gehilfe des Beklagten und damit dessen Beauftragter (vgl. dazu Herber aaO, S. 165). 3. Gegen den Umfang des von den Vor­instanzen zugebilligten Schadensersatzes wendet sich die Revision nicht. Näherer Betrachtung bedürfen auch nur die eben­falls zuerkannten Beerdigungskosten. § 664 HGB und die darin in Bezug genom­menen Bestimmungen über die Beförde­rung von Reisenden und ihrem Gepäck auf See nach dem Athener Übereinkom­men enthalten keine Regelungen über Art und Umfang des zu leistenden Schadens­ersatzes oder die anspruchsberechtigten Personen. Dies sollte dem jeweils anwendbaren na­tionalen Recht überlassen bleiben (Herber aaO, S. 166 f.; Schubert aaO, S. 66 f.). Nach deutschem Recht maßgebend sind somit in erster Linie die §§ 249 ff. BGB. Regelmä­ßig kann hiernach nur der selbst in seinen Rechten oder Rechtsgütern Verletzte Scha­densersatz verlangen. Eine Ausnahme bilden u. a. die Be­erdigungskosten; sie hat der zum Scha­densersatz Verpflichtete gemäß § 844 Abs. 1 BGB demjenigen zu erstatten, der die Kosten der Beerdigung tragen muß. Die Vorschrift gilt allerdings nicht allgemein, sondern - abgesehen von hier nicht in Betracht kommenden Verweisungen (§§ 618 Abs. 3 BGB, 62 Abs. 3 HGB) oder in­haltsgleichen Bestimmungen anderer Ge­setze (§§ 5 Abs. 1 Satz 2 HPflG, 10 Abs. 1 Satz 2 StVG, 35 Abs. 1 Satz 2 LuftVG, 28 Abs. 1 Satz 2 AtomG, 7 Abs. 1 Satz 2 ProdHaftG, 86 Abs. 1 Satz 2 ArzneimittelG) - grundsätzlich nur für Ansprüche aus un­erlaubter Handlung nach den §§ 823 ff. BGB, zu denen § 664 HGB schon we­gen seiner systematischen Stellung nicht gehört. Das ins deutsche Recht übernommene Athener Übereinkommen unterscheidet aber nicht zwischen vertraglichen und deliktischen Ansprüchen, es regelt viel­mehr die Haftung des Beförderers oder ausführenden Beförderers gegenüber Reisenden selbständig und dem Grunde nach auch abschließend (Art. 2 f., 11 der Anlage zu § 664 HGB) Auf die spezifischen Haftungsvoraus­setzungen des nationalen Rechts kann es deshalb bei der Ausfüllung von Lücken, die das Athener Übereinkommen (nur) zum Haftungsumfang läßt, nicht ankommen. Entscheidend ist allein, ob das deutsche Recht in vergleichbaren Fällen auch einen Anspruch auf Ersatz der Beerdigungskosten gewährt. Diese Frage ist zu bejahen. Entsprechen­des gilt, wie der Senat im Urteil vom heuti­gen Tage in der Parallelsache II ZR 266/95 weiter ausgeführt hat, für das von der Klä­gerin ebenfalls verlangte Schmerzensgeld (§ 847 Abs. 1 BGB) sowie für etwaige Ansprüche der Klägerin wegen entgange­nen Unterhalts (§ 844 Abs. 2 BGB)." Der Anspruch auf Schadensersatz wegen der Körperverletzung eines Reisenden bei der Beförderung auf See oder auf Binnengewässern um­faßt auch den Ersatz immaterieller Schäden (Schmerzensgeld). (Leitsatz des BGH) Urteil des Bundesgerichtshofs vom 16.12.1996 - 1I ZR - 266/95 - (Rheinschiffahrtsobergericht Köln)

Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1997 - Nr.20 (Sammlung Seite 1659 ff.); ZfB 1997, 1659 ff.