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Leitsätze:
Zu den Verpflichtungen eines Lotsen in der Radarfahrt, wenn er selbst kein Radarschifferzeugnis besitzt.
Binnenlotsen haften entsprechend § 21 Abs. 3 SeelotsG im Verhältnis zu dem Eigner des gelotsten Schiffes oder einem anderen Auftraggeber nur für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 20. Februar 1989
II ZR 26/88
(Rheinschiffahrtsgericht Mannheim; Rheinschiffahrtsobergericht Karlsruhe)
Zum Tatbestand:
Das bei der Klägerin kaskoversicherte und beladene, vom beklagten Lotsen geführte MS „Walküre" fuhr auf dem Oberrhein bei Nebel und einer Sichtweite von nur 200 m zu Tal. Der Beklagte fuhr mit Hilfe des Radargerätes, hatte jedoch nicht das Radarschifferzeugnis, das zwar der Schiffsführer besaß, der seinerseits aber kein Rheinschifferpatent für die Strecke oberhalb Mannheim hatte. Als sich neben dem Beklagten und dem Schiffsführer noch ein Matrose und ein Schiffsjunge im Steuerhaus aufhielten, machte MS „Walküre" plötzlich einen Hauer nach Steuerbord, geriet aus dem Kurs und stieß mit dem Steven hart gegen ..den unteren Molenkopf der Einfahrt in den Karlsruher Ölhafen.
Die Klägerin verlangt vom Beklagten Zahlung von etwa 183400,— DM. Damit macht sie wegen eines etwaigen Mitverschuldens des Schiffsführers nur ca. 2/3 des mit etwa 295 100,— DM bezifferten Schadens der Interessente des Schiffes, der Ladung und des Hafeneigentümers — aus übergegangenem und abgetretenem Recht - geltend. Der Beklagte habe die Fahrt ohne Radarschifferzeugnis und in Kenntnis, daß der Schiffsführer kein Rheinschifferpatent für die Oberrheinstrecke gehabt und diese nicht gekannt habe, fortgesetzt und infolgedessen die Orientierung verloren. Der Beklagte bestreitet jedes Verschulden. DerSchiffsführer habe ihn über das Fehlen des Rheinschifferpatents für die Oberrheinstrecke nicht unterrichtet. Er selbst aber habe dem Schiffsführer mitgeteilt, kein Radarschifferzeugnis zu besitzen.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat ein Verschulden des Beklagten und des Schiffsführes im Verhältnis 2 :1, das Rheinschiffahrtsobergericht dagegen im Verhältnis 1 :2 bejaht. Die Klage wurde vom Berufungsgericht dem Grunde nach zu 1/2 für gerechtfertigt erklärt. Der Bundesgerichtshof hat die Klage auf Revision der Beklagten unter Zurückweisung der Revision der Klägerin in vollem Umfang abgewiesen.
Aus den Entscheidungsgründen:
„...
1. Der Beklagte hat die Sachbefugnis der Klägerin hinsichtlich bestimmter Schadenspositionen bestritten.
...
a) Die Klägerin klagt „aus § 67 VVG sowie aus abgetretenem Recht ihrer Versicherungsnehmerin, der Schiffsgemeinschaft ‚Walküre-. Zu deren Schaden gehört zweifellos der Nutzungsverlust während der Reparatur des MS „Walküre". Auch war der Habeschaden der Matrosen Z. und L. nach Nr. 23 der Geschriebenen Bedingungen der Kasko-Police von der Klägerin mitversichert. Soweit die Klägerin Ersatz für diese Schäden von dem Beklagten fordert, bestehen deshalb gegen ihre Sachbefugnis keine Bedenken. Anders liegt es, was den Ladungsanteil in Höhe von 2909,64 DM an den Havariegrosse-Kosten angeht.
...
b) Abweisungsreif ist außerdem ein weiterer Betrag von 1976,67 DM (= % von 2965 DM) gewesen.
c) im übrigen hätte das Rheinschiffahrtsobergericht aus seiner Sicht die Formel des Grundurteils wie folgt fassen müssen: „Der Klageanspruch ist dem Grunde nach bis zur Höhe von 1/3 des streitigen Unfallschadens gerechtfertigt" (vgl. Senatsurt. v. 13. Januar 1986 — II ZR 36/85, VersR 1986, 546, 547).
2. a) Das Rheinschiffahrtsobergericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß durch den Abschluß des Lotsenvertrages zwischen der Eigentümerin des MS „Walküre" und dem Beklagten ein Dienstvertrag oder jedenfalls ein dienstvertragsähnliches Verhältnis zustandegekommen ist (vgl. BGHZ 59, 242, 246 ff.). Danach ist der Beklagte zunächst verpflichtet gewesen, den Schiffsführer des Fahrzeugs während der Reise zu beraten (vgl. § 14 Nr. 1 der Lotsenordnung für den Rhein zwischen Basel und Mannheim/Ludwigshafen v. 15. Juni 1956 — BGBI.II 705; BGHZ a.a.O. S. 248; Senatsurt. v. 21. Mai 1973 — II ZR 66/711) LM BinnSchStrO 1966 Nr. 3 = VersR 1973, 814, 815). Darüber hinaus kennzeichnet den Streitfall die Besonderheit, daß nach den Feststellungen des Rheinschiffahrtsobergerichts der Schiffsführer des MS „Walküre" zumindest während der (zuerst nach optischer Sicht durchgeführten) Talfahrt den Beklagten darauf hingewiesen hat, daß er kein Rheinschifferpatent für die Oberrheinstrecke besitzt. Auf Grund dieser Erklärung veränderte sich der Pflichtenkreis des Beklagten nach § 14 Nr. 3 der erwähnten Lotsenordnung dahin, daß er „zum verantwortlichen Schiffsführer im Sinne des §2 der Rheinschiffahrtspolizeiverordnung" geworden ist. Nach dieser Vorschrift — an deren Stelle inzwischen § 1.02 RheinSchPV 1983 getreten ist — war nunmehr er für die Befolgung der Polizeiverordnung verantwortlich (§2 Nr. 3 RheinSchPV 1954; §1.02 Nr. 5 RheinSchPV 1983). Der 'Beklagte durfte deshalb bei unsichtigem Wetter „nur dann mit Radar fahren, wenn sich eine Person, die das Zeugnis nach der Verordnung über die Erteilung von Radarschiffer-Zeugnissen für den Rhein besitzt, und eine zweite Person, die mit der Verwendung von Radar in der Schiffahrt hinreichend vertraut ist, ständig im Steuerhaus aufhalten" (§6.32 Nr. 2 Satz 1 RheinSchPV 1983). Das war, wie das Rheinschiffahrtsobergericht zu Recht angenommen hat, nicht der Fall. Zwar ist der Schiffsführer des MS „Walküre", der das Radarschifferzeugnis besessen hat, nach den Ausführungen des Rheinschiffahrtsobergerichts im Steuerhaus anwesend gewesen, ohne aber als Radarbeobachter tätig zu sein, also ohne die für eine sichere Radarfahrt notwendige ständige Beobachtung und Auswertung des Radarbildes vorzunehmen. Damit hat er sich nicht im Sinne von § 6.32 Nr. 2 Satz 1 RheinSchPV 1983 im Steuerhaus „aufgehalten" (vgl. Senatsurt. v. 19. Dezember 1988 — II ZR 29/882). Schon deshalb hätte der Beklagte gemäß § 6.30 Nr. 2 RheinSchPV 1983 die Fahrt einstellen müssen, als er sie wegen des stärker werdenden Nebels nach optischer Sicht nicht mehr ohne Gefahr fortsetzen konnte (vgl. BGHZ 61, 235, 237 = VersR 1974, 134, 135; Senatsurt. v. 13. Janaur 1986 — II ZR 55/87, VersR 1986, 546). Zudem hätte er beachten müssen, daß der Schiffsführer des MS „Walküre" kein Rheinschifferpatent für die Oberrheinstrecke innegehabt und auch sonst kein Anhalt bestanden hat, daß dieser die für eine Radarfahrt notwendige gründliche Strekkenkenntnis besessen hat. Ohne eine solche Kenntnis war er aber auch bei vorhandenem Radarschifferzeugnis als Radarbeobachter nicht einsetzbar (vgl. Senatsurt. v. 19. Dezember 1988 — II ZR 29/882)
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b) Somit ist dem Rheinschiffahrtsobergericht zuzustimmen, daß der Beklagte als nautisch verantwortlicher Führer des MS „Walküre" eine unzulässige Radarfahrt vorgenommen (Verstoß gegen §6.30 Nr. 2, § 6.32 Nr. 2 RheinSchPV 1983) und damit auch seine Pflichten aus dem mit der Eigentümerin des MS „Walküre" geschlossenen Lotsenvertrag schuldhaft verletzt hat.
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c) Wegen der verbotenen Fortsetzung der Fahrt des MS „Walküre" streitet gegen den Beklagten ein Anscheinsbeweis dahin, daß hierdurch der Unfall verursacht worden ist (vgl. Senatsurt. v. 20. September 1973 — II ZR 137/723), LM RheinschiffahrtspolizeiVO v. 24.12. 54 Nr. 63, und v. 13. Januar 1986 — II ZR 55/87, VersR 1986, 546). Diesen hat der Beklagte nicht erschüttern können. Seinen Vortrag, der „Hauer" des MS „Walküre" könne auch durch eine Grundberührung des Schiffes veranlaßt worden sein, hat das Rheinschiffahrtsobergericht für unbewiesen angesehen.
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3. Das Rheinschiffahrtsobergericht hat zu der Schwere des Verschuldens des Beklagten keine eingehenderen Ausführungen gemacht. Jedoch ist aus dem Zusammenhang seiner Darlegungen in Verbindung mit der Würdigung des Verhaltens des für die Sicherheit seines Fahrzeugs verantwortlichen Schiffsführers sowie der Abwägung des beiderseitigen Verschuldens zu entnehmen, daß es — entgegen dem Vorbringen der Klägerin und der Ansicht des Rheinschiffahrtsgerichts — ein grobes Verschulden des Beklagten nicht angenommen hat. Insoweit ist ein Rechtsfehler nicht erkennbar. Auch die Revision der Klägerin hat einen solchen nicht aufzeigen können.
4. Nach Ansicht des Rheinschiffahrtsobergerichts ist ein „Haftungausschluß" des Beklagten nicht gegeben. Dagegen wendet sich dessen Revision im Ergebnis mit Erfolg.
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Nach der Ansicht des Senats haften Binnnenlotsen dem Eigentümer des gelotsten Schiffes oder einem anderen Auftraggeber analog §21 Abs. 3 des Gesetzes über das Seelotswesen (SeelotsG) i.d.F. der Bekanntmachung vom 13. September 1984 — BGBl. 1 1213 nur insoweit, als ihnen Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit zur Last fällt.
§21 Abs. 3 SeelotsG lautet:
„Für einen in Ausübung der Lotstätigkeit verursachten Schaden ist der Seelotse dem Reeder des gelotsten Schiffes oder einem anderen Auftraggeber nur insoweit zum Ersatz verpflichtet, als ihm Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit zur Last fällt. Ist für einen Schaden, den der Seelotse in Ausübung der Lotstätigkeit einem Dritten zugefügt hat, neben dem Seelotsen auch der Reeder oder andere Auftraggeber verantwortlich, so ist in ihrem Verhältnis zueinander der Reeder oder andere Auftraggeber zum Ersatz verpflichtet, soweit nicht dem Seelotsen Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit zur Last fällt."
Die Vorschrift ist durch Gesetz vom 25. April 1984 — BGBl. 1 618 auf Vorschlag des Verkehrsausschusses des Deutschen Bundestags (vgl. BT-Drucks. 10/925 S. 3) in das Seelotswesengesetz eingefügt worden. Den Vorschlag hat der Ausschuß damit begründet, daß „die bei der Lotsentätigkeit in Betracht kommenden wirtschaftlichen Werte die Leistungsfähigkeit des einzelnen Lotsen bei weitem übersteigen und auch eine Haftpflichtversicherung zu wirtschaftlich tragbaren Prämien nicht möglich erscheint". Ferner ist er davon ausgegangen, daß die Haftung des Seelotsen gegenüber Dritten durch ein geplantes Zweites Seerechts-Änderungsgesetz der Höhe nach begrenzt werden soll (was inzwischen geschehen ist — vgl. Art. 1 Nr. 4 des für die Bundesrepublik Deutschland am 1. September 1987 in Kraft getretenen Übereinkommens von 1976 über die Beschränkung der Haftung für Seeforderungen — BGBl. 1986 II 787, 1987 II 407 in Verbindung mit §§485, 487 c HGB n.F.), „so daß es hier im Außenverhältnis bei der Haftung auch für leichte Fahrlässigkeit verbleiben kann". Diese Überlegungen treffen auch für die Binnenlotsen zu. Ihre bisherige Haftungslage ist ebenfalls als unbefriedigend anzusehen. Auch bei ihnen besteht bei der Ausübung der Lotstätigkeit wegen der vielfach großen Werte der die Binnenwasserstraßen befahrenden Fahrzeuge und ihrer Ladung sowie der möglichen hohen Personenschäden ein wirtschaftliches Risiko, das die Leistungsfähigkeit des einzelnen Lotsen bei weitern übersteigt, ferner in den Lotsgebühren kein angemessenes Äquivalent finden kann (so betrug zum Unfallzeitpunkt das Streckenentgelt für die Lotsung eines beladenen Motorschiffes von lffezheim nach Mannheim 124 DM — vgl. VO über die Entgelte für die Leistungen der Binnenlotsen auf der Bundeswasserstraße Rhein zwischen Iffezheim und Mannheim vom 24. Oktober 1983, VkBI. S. 572) und wegen der nur noch relativ kleinen Zahl der Lotsen sowie der möglichen hohen Schäden nicht zu wirtschaftlich tragbaren Prämien versicherbar erscheint, auch wenn nach dem Vortrag der Klägerin, „die Kaskoversicherer nach dem Kriege bestrebt" gewesen sein sollen, die Lotsen zu einer Gruppen-Haftpflichtversicherung zu bewegen, welche diese allerdings schon damals wegen der Prämienhöhe abgelehnt haben. Diese Gesichtspunkte haben offenbar den Gesetzgeber veranlaßt, bei Erlaß des 2. Seerechtsänderungsgesetzes vom 25. Juli 1986 — BGBl. I 1120 — mit dessen Art. 2 Nr. 1 die neu eingeführte Regelung des §487c Abs 2 HGB (Festlegung eines bestimmten Haftungshöchstbetrages für Ansprüche wegen des Todes oder der Verletzung von Reisenden eines Schiffes gegen einen an Bord tätigen Lotsen) gleichzeitig auf die Binnenlotsen auszudehnen (vgl. §4a Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 BinSchG). Ferner sieht das am 4. November 1988 auch von der Bundesrepublik Deutschland unterzeichnete Straßburger Übereinkommen über die Beschränkung der Haftung in der Binnenschiffahrt (CLNI) abgedruckt in TranspR 1989, 36 — in seinem Art. 1 Abs. 3 vor, daß auch ein Lotse, sofern der Schiffseigentümer für dessen Verhalten haftet (vgl. §3 Abs. 1 BinSchG), sich wie dieser auf die in dem Übereinkommen vorgesehene summenmäßige Haftungsbeschränkung berufen kann. Diese Regelung deutet ebenfalls in Richtung einer haftungsrechtlichen Gleichbehandlung von See- und Binnenlotsen. Eine solche ist um so mehr geboten, als keine sachlichen Gründe erkennbar sind, die voneinander abweichende Regelungen als vertretbar erscheinen ließen. Der Senat hält es daher für erforderlich, in entsprechender Anwendung des §21 Abs. 3 SeelotsG das haftungsrechtliche Innenverhältnis zwischen einem Binnenlotsen und dem Schiffseigentümer oder einem anderen Auftraggeber ebenso zu behandeln, wie es die Vorschrift für die Seelotsen bereits vorsieht.
5. Danach können mangels eines groben Verschuldens des Beklagten die Urteile der Vorinstanzen nicht aufrechterhalten werden, soweit sie den Klageanspruch dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt haben. Vielmehr ist dieser abzuweisen. Das gilt entsprechend §21 Abs. 3 Satz 2 SeelotsG in Verbindung mit § 3 Abs. 1 BinSchG auch für die mit der Klage geltend gemachten Schäden Dritter, wie der Matrosen Z. und L. sowie der Hafeneigentümerin."
Anmerk. d. Redaktion
1) s. ZfB 1973, 304
2) s.o. vor diesem Urteil
3) s. ZfB 1974, 17
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1989 - Nr.3 (Sammlung Seite 1256 ff.); ZfB 1989, 1256 ff.