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Leitsätze:
1) § 20 Abs. 1 Satz 1 ADS ist unwirksam, soweit die Vorschrift den Versicherer bei einer gefahrerheblichen unrichtigen Anzeige des Versicherungsnehmers auch für den Fall von der Pflicht zur Leistung freistellt, dass den Versicherungsnehmer kein Verschulden trifft.
2) Der Versicherungsnehmer hat für ein Verschulden des Kapitäns auch dann nicht nach § 33 Abs. 1 Satz 1 ADS einzustehen, wenn dieser zugleich Verfrachter ist oder das von ihm geführte Schifffbereedert.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 28. April 1980
(Landgericht Köln; Oberlandesgericht Köln)
Zum Tatbestand:
Das panamaische MS „J" hatte auf einer Reise von Bremen nach Vigo (Spanien) Panzer- und Flugzeugersatzteile an Bord, die von der Klägerin, die mit gebrauchten Heeresgütern handelt, bei der Beklagten (Quote 20 %) und weiteren Mitversicherern in Höhe von ca. 15680000,- DM versichert worden waren. 2 Tage nach der Abreise wurde die Schiffsbesatzung in Rettungsbooten im Englischen Kanal von einem Fährschiff gesichtet und aufgenommen. Das Schiff war nach Angabe des Kapitäns gesunken. Die Klägerin verlangt von der Beklagten Zahlung eines Betrages von 20 % der Versicherungssumme, ca. 3 136 000,- DM.
Die Beklagte hält den Versicherungsvertrag für unwirksam, weil ihm kein versicherbares Interesse zugrundegelegen habe. Zwischen der Klägerin und dem Adressaten der Güter, dem spanischen Heeresministerium, habe kein rechtsgültiger Kaufvertrag bestanden. Vermutlich hätten die Güter in ein Spannungsgebiet weiterbefördert werden sollen, wofür das Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft keine Ausfuhrgenehmigung erteilt habe. MS „J" sei im Kanal nicht gesunken, sondern habe nur die Besatzung gewechselt. Ferner sei die Klassifikationsangabe („1. Klasse") im Versicherungsantrag falsch gewesen. Die Klägerin müsse sich etwaige Unredlichkeiten des Kapitäns und des zwischen ihr und dem spanischen Heeresministerium eingeschalteten Zeugen V. zurechnen lassen.
Das Landgericht hat der Klage durch Teilurteil zunächst in Höhe von 750 000,- DM stattgegeben. Das Berufungsgericht hat den Anspruch insoweit dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Die Revision der Beklagten blieb erfolglos.
Aus den Entscheidungsgründen:
Nach der Ausfuhrgenehmigung des Bundesamtes für gewerbliche Wirtschaft vom 10. September 1976 durfte die Klägerin die Panzer- und Flugzeugersatzteile nach Spanien (Empfänger: Heeresministerium) exportieren. Den hierzu erforderlichen Transport der Ersatzteile konnte sie demnach wirksam versichern. Hingegen würde einer solchen Versicherung kein versicherbares Interesse im Sinne von § 2 Satz 1 der - auf Grund des Versicherungsvertrages heranzuziehenden - Allgemeinen Deutschen Seeversicherungs-Bedingungen (ADS) zugrunde gelegen haben, wenn die Klägerin die für den Export der Ersatzteile nach § 17 Abs. 1 AußenwirtschaftsVO notwendige Ausfuhrgenehmigung unter Vorspiegelung eines nur scheinbar mit dem spanischen Heeresministerium abgeschlossenen Vertrags erschlichen hätte. Das hat die Beklagte nach den Ausführungen des Berufungsgerichts aber nicht beweisen können.
Nach Nr. 1.1.1 ADS Güterversicherung 1973 trägt der Versicherer alle Gefahren, denen die Güter während der Dauer der Versicherung ausgesetzt sind (vgl. auch § 28 Satz 1 ADS), ausgenommen die in Nr. 1.1.2 ADS Güterversicherung 1973 aufgezählten Gefahren. Zu den letzteren gehören nicht die Gefahren des Untergangs des Schiffes, des Seeraubs, des Diebstahls, der Veruntreuung seitens des Kapitäns oder der Besatzung. Liegt daher ein solches Ereignis vor, so ist der Versicherungsfall gegeben. Hier hat - nach den Ausführungen des Berufungsgerichts - den Verlust der mit MS J" verschifften Ersatzteile entweder ein Untergang oder eine „Entführung" des Schiffes oder eine Unredlichkeit des Kapitäns oder der Besatzung verursacht. Da jede dieser Schadensmöglichkeiten zu den von der Beklagten und ihren Mitversicherern nach Nr. 1.1.1 ADS Güterversicherung 1973 zu tragenden Gefahren zu rechnen ist, konnte das Berufungsgericht auch ohne weitere Aufklärung des Sachverhalts den Eintritt des Versicherungsfalls bejahen, mag die Klägerin auch ein bestimmtes Gefahrereignis nicht bewiesen haben (vgl. auch Ritter/Abraham, Das Recht der Seeversicherung 2. Aufl. Bd. 1 § 28 Anm. 9). Soweit demgegenüber die Revision meint, jedenfalls liege bei einer Unredlichkeit des Kapitäns des MS „J" kein Versicherungsfall vor, weil dessen Handlungsweise der Klägerin zuzurechnen sei und es damit an der Unfreiwilligkeit des den Güterverlust begründenden Ereignisses fehle, verkennt sie nicht nur, dass eine - etwaige - Unredlichkeit des Kapitäns des MS „J" (wie noch in anderem Zusammenhang näher auszuführen sein wird) nicht zu Lasten der Klägerin geht. Vielmehr übersieht sie auch, dass sogar in der Verwirklichung einer von dem Versicherer zu tragenden Gefahr durch den Versicherungsnehmer selbst grundsätzlich der Eintritt des Versicherungsfalls zu sehen ist, wie bereits die Vorschrift des § 33 Abs. 1 Satz 1 ADS („Der Versicherer ist von der Verpflichtung zur Leistung frei, wenn der Versicherungsnehmer den Versicherungsfall vorsätzlich oder fahrlässig herbeiführt") deutlich macht (vgl. auch Ritter/Abraham aaO § 28 Anm. 8 sowie das Senatsurteil vom 15. Juni 1970 - II ZR 108/69, LM SchRG Nr. 2 = VersR 1970, 935). Ferner hilft zu diesem Punkt der Revision nicht die Beweisregelung in Nr. 7.2 Satz 1 ADS Güterversicherung 1973 weiter, da vorliegend die Frage eines Verlustes als Folge einer nicht versicherten Gefahr keine Rolle spielt.
Entgegen der Ansicht der Revision gibt § 33 ADS für eine Leistungsfreiheit der Beklagten nichts her. Zwar würde nach § 33 Abs. 1 Satz 1 ADS die Leistungspflicht der Beklagten entfallen, wenn die Klägerin den Verlust der Panzer- und Flugzeugersatzteile schuldhaft herbeigeführt hätte. Das aber hat die Beklagte nicht behaupten können. Danach kommt eine Anwendung des § 33 Abs. 1 Satz 1 ADS wegen eines eigenen Verschuldens der Klägerin nicht in Betracht. Das muss auch die Revision hinnehmen. Jedoch meint sie, die Vorschrift komme zum Zuge, weil der Kapitän des MS „J" zugleich Reeder/Verfrachter gewesen sei und deshalb sein von der Beklagten behauptetes unredlichen Verhalten (das mangels Prüfung durch das Berufungsgericht im Revisionsrechtszug zu unterstellen sei) zu Lasten der Klägerin gehe. Außerdem sei der Klägerin im Rahmen des § 33 Abs. 1 Satz 1 ADS zuzurechnen, dass der Zeuge V. als ihr Erfüllungsgehilfe gegenüber der Beklagten mit MS „J" ein nicht hochseetaugliches Schiff mit einer notorisch unzuverlässigen Besatzung ausgesucht habe.
Hierzu ist zu bemerken:
a) Es ist allgemein anerkannt, dass bei der Güterversicherung der Versicherungsnehmer ein Verschulden des Kapitäns nicht zu vertreten hat (vgl. Ritter/Abraham aaO § 33 Anm. 42 und 45; Hagen, Seeversicherungsrecht S. 36/37; Karstaedt, Grundsätzliche Fragen der Drittzurechnung in den Allgemeinen Deutschen Seeversicherungsbedingungen S. 98; vgl. auch § 820 Nr. 6 HGB; § 33 Abs. 3 ADS). Der Kapitän ist weder Repräsentant noch Erfüllungsgehilfe des Versicherungsnehmers. Er ist von diesem nicht dazu eingesetzt, an seiner Stelle die notwendige laufende Betreuung der versicherten Güter vorzunehmen oder eine Schadensverhütungspflicht desselben zu erfüllen, wobei offenbleiben kann, ob den Versicherungsnehmer überhaupt nach § 33 ADS eine Schadensverhütungspflicht trifft (bejahend: RGZ 123, 320, 323; Ritter/Abraham aaO § 33 Anm. 12; Schlegelberger, Seeversicherungsrecht S. 6; Enge, VersR 1965, 309; verneinend: OLG Hamburg, VersR 1969, 558, 559; Karstaedt aaO S. 16 m.w.N.; vgl. auch BGHZ 11, 120, 122/123; 42, 295, 300; 43, 88, 94, wonach § 61 VVG - der in § 33 Abs. 1 Satz 1 ADS wörtlich übernommen ist, vgl. Bruck, Materialien zu den Allgemeinen Deutschen Seeversicherungs-Bedingungen Bd. 1 S. 134 - keine Schadensverhütungspflicht des Versicherungsnehmers begründet). Vielmehr gehört der Kapitän zum Kreis der Personen, die mit der Beförderung der Güter befasst, dabei regelmäßig jeder Möglichkeit der Aufsicht oder der Einwirkung seitens des Versicherungsnehmers entzogen sind und gegen deren Verschulden die Versicherung schützen soll. Daran ändert sich nichts, wenn der Kapitän zugleich Reeder/Verfrachter ist, wie es hier nach der Behauptung der Beklagten der Fall gewesen sein soll. Insoweit wird allerdings von Ritter/Abraham aa0 § 33 Anm. 45 bemerkt, dass der „Güterversicherte das Verschulden seines Verfrachters, also regelmäßig des Reeders, zu vertreten" hat, weil er ihm die versicherte Unternehmung anvertraut" habe und sich seiner „auch zur Erfüllung der Schadensverhütungspflicht bediene". Dem ist schon deshalb nicht zuzustimmen, weil sich der Güterversicherte des Verfrachters, den er oftmals nicht selbst auswählt, zum Transport der Güter bedient und nicht zur Erfüllung - etwaiger - Pflichten aus dem Versicherungsverhältnis. Dessen Verschulden gehört daher, wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat, zu dem versicherten Beförderungsrisiko (ebenso Karstaedt aaO S. 97).
b) Nach dem Vortrag der Beklagten in den Vorinstanzen hat der Kapitän des MS „J“ kurze Zeit vor der Schadensreise aus betrügerischen Gründen zwei Container mit Tabak vernichtet. Daraus folgt entgegen der Ansicht der Revision jedoch nicht, dass der Zeuge V. Kenntnis von einem solchen Verhalten des Kapitäns gehabt oder für die Reise ein Schiff mit notorisch unzuverlässiger Besatzung ausgesucht hat. Auch geben der Sachvortrag der Beklagten in den Vorinstanzen, die von beiden Seiten vorgelegten Unterlagen und die Aussage V’s vor dem Landgericht nichts dafür her, dass er für die Beförderung der Panzer- und Flugzeugersatzteile ein seeuntüchtiges Fahrzeug ausgewählt habe. Auf das alles brauchte daher das Berufungsgericht nicht weiter einzugehen, zumal es in einem Schreiben des spanischen Heeresministeriums an die Klägerin vom 11. September 1976 heißt, dass die Ersatzteile auf MS „J" zu verschiffen seien, und außerdem Major G. von diesem Ministerium dem Landgericht mitgeteilt hatte, dass das Ministerium MS „J" nach vorheriger Zuziehung des Bureau Veritas und der von diesem angegebenen guten Klassifizierung akzeptiert habe. Fehlt es demnach schon an irgendwelchen Anhaltspunkten für ein schuldhaftes Verhalten des Zeugen V., so braucht auf die Frage, ob die Klägerin dafür nach § 33 Abs. 1 Satz 1 ADS einzustehen hätte, nicht eingegangen zu werden.
Eine Leistungsfreiheit der Beklagten ergibt sich schließlich auch nicht aus § 20 Abs. 1 ADS.
a) Nach den Ausführungen des Berufungsgerichts war die Klassifikationsangabe „1. Klasse" in dem Versicherungsantrag der Klägerin richtig. Ob die hiergegen gerichteten Angriffe der Revision begründet sind, kann unerörtert bleiben. Denn auch wenn man mit der Beklagten von der Unrichtigkeit dieser Angabe ausgeht, folgt daraus nicht, dass sie von der Verpflichtung zur Leistung gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 ADS frei geworden ist. Das wäre nur dann der Fall, wenn die Klägerin insoweit ein Verschulden treffen würde, was schon im Hinblick darauf zu verneinen ist, dass - nach den Feststellungen des Berufungsgerichts - das Register des Bureau Veritas MS „J" zum Zeitpunkt der Schadensreise als zur ersten Klasse gehörig ausgewiesen hat, außerdem der Klägerin der handschriftliche Zusatz in dem Klassezeugnis der genannten Klassifikationsgesellschaft vom 6. April 1976 „Doubling Plates in bottom to be replaced before 16th of April 1976 - class confirmed Lisbon 25. 9. 75" und dessen nicht rechtzeitige Befolgung seitens der Reederei nicht bekannt war.
Nun sieht allerdings § 20 Abs. 1 Satz 1 ADS die Leistungsfreiheit des Versicherers auch dann vor, wenn der Versicherungsnehmer die unrichtige Anzeige eines für die Übernahme der Gefahr erheblichen Umstands nicht verschuldet hat (Ritter/Abraham aa0 § 20 Anm. 32; Schlegelberger aa0 § 20 Anm. 11 4). Jedoch ist in dieser Regelung, die vom gesetzlichen Leitbild des § 809 Abs. 2 HGB, § 17 Abs. 2 VVG abweicht, eine den Geboten von Treu und Glauben widersprechende unangemessene Benachteiligung des Versicherungsnehmers zu sehen, die wegen Verstoßes gegen § 242 BGB unwirksam ist. Denn sie lässt den schuldlosen Versicherungsnehmer ohne jeden Schutz. Sie kann nicht, wie Ritter/Abraham aa0 meinen, damit gerechtfertigt werden, dass der Versicherungsnehmer, weil er durch die unrichtige Angabe mitgewirkt habe, dass der Versicherer sich von dem Umfang der Gefahr ein falsches Bild gemacht hat, jedenfalls die Folgen tragen müsse. Insoweit würde als angemessener Ausgleich für diesen - objektiven - Fehler des Versicherungsnehmers eine Regelung genügen, die derjenigen In § 20 Abs. 3 ADS für einen ähnlich liegenden Sachverhalt vergleichbar ist, nämlich, dass der Versicherer eine der höheren Gefahr entsprechende Prämie erhalten soll.
b) Soweit sich die Beklagte auf die Nichtanzeige von gefahrerheblichen Umständen durch die Klägerin berufen hat, fehlt es schon an jedem Beweis für die nunmehr von der Revision ins Feld geführte notorische Unzuverlässigkeit der Besatzung des MS „J". Ferner hat die Beklagte nicht dartun können, dass der Klägerin die Bedenken bekannt waren oder bekannt hätten sein müssen, welche in dem von der Beklagten vorgelegten Rechtsgutachten des spanischen Professors Ga. gegen die Wirksamkeit des zwischen der Klägerin und dem spanischen Heeresministerium geschlossenen Kaufvertrags dargelegt werden. Im Falle einer schuldlos unterbliebenen Anzeige des Versicherungsnehmers bleibt aber die Leistungspflicht des Versicherers bestehen (§ 20 Abs. 2 Satz 2 ADS)."