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II ZR 228/63 - Bundesgerichtshof (Berufungsinstanz Schiffahrt)
Datum uitspraak: 05.07.1965
Kenmerk: II ZR 228/63
Beslissing: Urteil
Language: Duits
Rechtbank: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Afdeling: Berufungsinstanz Schiffahrt

Leitsatz:

Wirft auf dem Rhein ein nach Reiften des Schleppstranges in gefährlicher Lage ins Treiben gekommener Kahn Anker, um zum Anhalten zu kommen oder wenigstens seine Geschwindigkeit herabzusetzen, so kann der Verlust oder die Beschädigung des Ankers auch dann nicht als Havarie-grosse-Maßnahme anerkannt werden, wenn der Schiffer wegen des ungeeigneten Ankergrundes mit dem Verlust oder der Beschädigung des Ankers rechnet.

Urteil des Bundesgerichtshofes vom 5. Juli 1965

 II ZR 228/63 

(Schiffahrtsgericht St. Goar/Schiffahrtsobergericht Köln).


Zum Tatbestand:

Auf der Binger Reede drehte der der Klägerin gehörende Schleppzug, bestehend aus Schleppboot D und den nebeneinander auf der einzigen Länge gekoppelten Kähnen D und O, letzterer mit der Beklagten gehörenden Gütern beladen, nach Übernachtung vom linken Ufer zur Fortsetzung der Talfahrt um. Als die Anhänge fast quer zum Strom lagen, brach der Schleppstrang von O. Da das Ende des Schleppstranges in die Schraube des Bootes geriet, wurde auch der auf D stehende Schleppdraht losgeworfen. Als die beiden Kähne in Querlage auf das Binger Loch zutrieben, wurde auf ihnen der Klippanker geworfen.
D lief zunächst auf den „Mühlstein" bei km 529 auf. Als die Kähne wieder frei kamen und mit dem Kopf auf Strom gerieten, wurden auch die Stockanker gesetzt. Auf Notsignale hin gelang es herbeigeeilten Schleppern noch rechtzeitig, Drähte zu übergeben und die Schiffe oberhalb von km 530 zu halten. An O waren neben anderen Schäden Anker und Ketten schwer beschädigt worden. Bei der Dispache wurde festgestellt, daß von den Schäden an Ankern und Ketten, sofern diese als Havarie-grosse anzuerkennen sein würden, ein Anteil von 6500,- DM auf die Beklagte als Ladungseigentümerin entfiel.
Die Klägerin verlangt die Zahlung dieses Betrages, weil es sich um eine ganz außergewöhnliche Maßnahme zur Rettung von Schiff und Ladung aus einer unmittelbaren, schweren gemeinsamen Gefahr im Sinne von § 78 Abs. 3 BSchG gehandelt habe. Die Maßnahme habe auch Erfolg gehabt, weil dadurch Zeit bis zum Eingreifen der Schlepper gewonnen und ein Auffahren auf die Lochbänke vermieden worden sei. Die Schiffer seien sich darüber klar gewesen, daß Anker und Ankergeschirr in Anbetracht der felsigen Strecke bis zum Binger Loch beschädigt würden. Diese vorsätzliche Beschädigung allein zu Lasten des Schiffseigners gehen zu lassen, sei nicht zumutbar.
Die Beklagte meint, daß es sich um einen bestimmungsgemäßen Gebrauch der Anker und um eine nautisch gebotene Maßnahme nicht außergewöhnlicher Art gehandelt habe. Es sei auch nicht üblich, derartige Ankerschäden als Havarie-grosse-Kosten zu verrechnen. Das Schiffahrtsgericht in St. Goar hat der Klage statt gegeben, das Schiffahrtsobergericht Köln hat sie jedoch abgewiesen. Die Revision blieb erfolglos.

Aus den Entscheidungsgründen:

Nach § 82 Nr. 1 BSchG gehört das Kappen von Ankern und Ankerketten zur grossen Haverei. Daraus darf freilich nicht der Schluß gezogen werden, daß nur in diesem Falle der Verlust oder die Beschädigung von Ankern und Ankerketten in grosser Haverei zu verrechnen wäre. Denn § 82 BSchG enthält nur eine beispielhafte Aufzählung von Fällen der grossen Haverei (BGHZ 28, 285, 289). Aus " 82 Nr. 1 BSchG kann kein Argument dafür gewonnen werden, daß sonstige Fälle des Verlustes oder der Beschädigung von Ankern und Ankerketten keinen Havarie-grosse-Vergütungsanspruch auslösen könnten. Ein solcher wäre im vorliegenden Falle dann gegeben, wenn die Voraussetzungen der allgemeinen Regel der grossen Haverei in § 78 Abs. 1 BSchG gegeben wären. Diese liegen aber nicht vor.Wie allgemein anerkannt ist, liegt eine vorsätzliche Schadenzufügung im Sinne des § 78 Abs. 1 BSchG nur vor, wenn ein auf einem freiwilligen Entschlug des Schiffers beruhendes Opfer gebracht wird; der dem Schiff oder (und) der Ladung zugefügte Schaden muss durch eine außerordentliche Maßnahme herbeigeführt sein. Werden Schiffsteile oder Schiffsgeräte zur Rettung aus gemeinsamer Gefahr verwendet, so kann von einer außerordentlichen Maßnahme dann gesprochen werden, wenn sie zu einem anderen Zweck eingesetzt werden als dein, der ihrer Bestimmung entspricht. Werden dagegen die Gegenstände ihrer Bestimmung gemäß gebraucht, so wird ihre Verwendung in einer Gefahrenlage weder dadurch zur Havarie-grosse-Maßnahme, daß bei dieser bestimmungsgemäßen Verwendung mit ihrem Verlust oder ihrer Beschädigung mit mehr oder weniger großer Wahrscheinlichkeit zu rechnen ist, noch dadurch, daß ihr Einsatz dem Zweck der Rettung dient oder diese tatsächlich herbeiführt (wie andererseits bei nicht bestimmungsgemäßem, außerordentlichem Gebrauch eines Gegenstandes die Anerkennung als Havarie-grosse-Magnahme nicht dadurch ausgeschlossen wird, daß diese Verwendung für die Rettung unerheblich ist).Der Anker eines Kahnes hat u. a. den Zweck, das stillliegende Fahrzeug festzuhalten, die Geschwindigkeit des in Fahrt befindlichen Kahnes zu vermindern und ihn zum Anhalten zu bringen. Die Revision wirft die Frage auf, ob ein Anker zum Verbrauch, nämlich zur Aufopferung bei gefährlichen Lagen bestimmt ist; mit Recht verneint sie diese Frage. Aber die Frage ist falsch gestellt. Richtig ist zu fragen: Ist der Anker eines Kahnes auch in einer Gefahrenlage seiner Zweckbestimmung entsprechend einzusetzen? Dient er seinem bestimmungsgemäßen Zweck, wenn er in gefahrvoller Lage dazu benutzt wird, um zur Beseitigung oder Verminderung der Gefahr den Kahn anzuhalten oder seine Fahrtgeschwindigkeit herabzusetzen? Wird diese Frage bejaht, so ist weiter zu fragen: Wird die vorbezeichnete Zweckbestimmung dadurch ausgeschlossen, dag der Anker auf ungeeigneten Ankergrund geworfen wird, mit seinem Verlust oder seiner Beschädigung daher zu rechnen ist? Bei richtiger Fragestellung kann die Antwort nicht zweifelhaft sein. Der Anker hat seinen Zweck, die Geschwindigkeit des Kahns zu vermindern und das Fahrzeug zum Anhalten zu bringen, nicht nur im normalen Schiffsverkehr zu erfüllen. Gerade dann, wenn der in Fahrt befindliche Kahn in eine Gefahrenlage gerät, wenn er insbesondere die Verbindung zu seinem Schlepper verliert und deshalb auf sich gestellt ist, tritt seine Zweckbestimmung ganz augenscheinlich zutage.Dem Anker haftet von Anfang an die Eigenschaft als Rettungsgerät an, als wesentliches Hilfsmittel des Kahns muß er nach nautischen Grundsätzen in Gefahrenlagen eingesetzt werden, die Möglichkeit seines Verlustes oder seiner Beschädigung in solchen Lagen liegt von vornherein im Risikobereich des Schiffes und kann nicht aus dem Gedanken der Gefahren- oder Schutzgemeinschaft von Schiff und Ladung gerechtfertigt werden.Mit Recht hat daher das Berufungsgericht die hier strittigen Schäden als zur besonderen Haverei gehörend (§. 78 Abs. 3 BSchG) angesehen.Kann demnach der Verlust oder die Beschädigung eines von einem in Fahrt befindlichen Kahn geworfenen Ankers regelmäßig nicht als auf einem selbständigen Havereiakt beruhend angesehen werden, so schließt das selbstverständlich nicht aus, daß ein solcher Schaden als Havarie-grosse-Folge zu vergüten ist, z. B. im Falle des § 82 Nr. 3 BSchG. Eine solche liegt aber hier nicht vor."