Jurisprudentiedatabank
Leitsatz:
Zur Wirksamkeit einer Konnossementsklausel, die bei einem Ladungsschaden - nach Wahl des Verfrachters - für die Schadensberechnung den gemeinen Wert der Güter im Bestimmungshafen oder am Verschiffungsort (zuzüglich gezahlter Fracht und bestimmter Unkosten) für maßgebend erklärt.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 9. Februar 1978
II ZR 220/75
(Landgericht Hamburg; Oberlandesgericht Hamburg)
Zum Tatbestand:
Beim Löschen einer Ladung Kakaobohnen wiesen eine Anzahl von insgesamt 7500 Säcken Risse und Nässeschäden auf. Die Klägerin macht die Schäden gegen den Verfrachter, die Beklagte, aus abgetretenem Recht geltend, wobei sie die Höhe nach dem gemeinen Handelswert der Ware im Bestim¬mungshafen auf etwa 11 250 hfl. berechnet hat.
Die Beklagte meint, der Schaden sei nur nach dem niedrigeren Handelswert im Verschiffungshafen gemäß der Regel 16 Abs. 4 der Konnossementsbedingungen (KB) zuzüglich Fracht und Nebenkosten zu ersetzen.
Die Vorinstanzen haben diese Klausel für wirksam angesehen und die Klage insoweit abgewiesen. Die gegen den abweisenden Teil des Berufungsurteils eingelegte Revision der Klägerin wurde zurückgewiesen.
Aus den Entscheidungsgründen:
„...Nach § 662 Abs. 1 HGB können bei Ausstellung eines Konnossements „die Verpflichtungen des Verfrachters aus: § 559 (See- und Ladungstüchtigkeit), § 563 Abs. 2 und §§ 606 bis 608 (Schadensersatzpflicht), §§ 611, 612 (Schadensermittlung), § 656 (Beweisvermutung des Konnossements) und § 660 (Haftungssumme) durch Rechtsgeschäft im voraus nicht ausgeschlossen oder beschränkt werden". Da die Vorschrift die §§ 658, 659 HGB nicht erwähnt, außerdem die Bestimmungen des Internationalen Übereinkommens zur Vereinheitlichung von Regeln über Konnossemente vom 25. August 1924 (RGBI. 1939 II 1049 - Haager Regeln) eine den §§ 658, 659 HGB entsprechende Regelung nicht enthalten - anders nunmehr Art. 4 § 5 Buchst. b) der Haager Regeln in der Fassung des von der Bundesrepublik Deutschland bisher nicht ratifizierten Anderungsprotokolls vom 23. Februar 1968 (Haager-Visby Regeln) -, werden diese nicht als zwingendes Recht angesehen (Prüssmann, Seehandelsrecht § 658 Anm. A 1 und B 1; Schaps/Abraham, Das deutsche Seerecht 3. Aufl. Bd. II § 658 Anm. 7; Schlegelberger/Liesecke, Seehandelsrecht § 658 Rnr. 2 und § 662 Rnr. 10). Allerdings scheinen Wüstendörfer (Neuzeitliches Seehandelsrecht 2. Aufl. S. 286/287) und die amtliche Begründung des Gesetzes zur Änderung von Vorschriften des Handelsgesetzbuchs über das Seefrachtrecht vom 10. August 1937 - RGBI. 1 891 (Reichs- und Preußischer Staatsanzeiger 1937 Nr. 186) in Abschnitt II 3a) einen gewissen zwingenden Umfang der §§ 658, 659 HGB anzunehmen, um eine mittelbare Beeinflussung der an sich nach § 662 Abs. 1 HGB unabdingbaren Haftungsgrenze des § 660 HGB zu verhindern (vgl. auch Götz, Das Seefrachtrecht der Haager Regeln nach angloamerikanischer Praxis S. 185f.). Indes bedarf die Frage, ob die §§ 658, 659 HGB in die Regelung des § 662 Abs. 1 HGB einzubeziehen sind, für die Entscheidung des Streitfalls keiner weiteren Erörterung. Denn nach der Vorschrift des Art. 5 des vorerwähnten Gesetzes vom 10. August 1937 in Verbindung mit Art. 2 der zu diesem Gesetz ergangenen Durchführungsverordnung vom 5. Dezember 1939-RGBI. 1 2501 gilt § 662 HGB u. a. nicht „für Konnossemente, die nicht Verschiffungen nach einem Hafen des deutschen Reiches betreffen und die weder innerhalb des deutschen Reiches noch innerhalb des Gebiets eines Staates ausgestellt sind, der dem am 25. August 1924 in Brüssel unterzeichneten Übereinkommen zur Vereinheitlichung von Regeln über Konnossemente beigetreten ist". Um derartige Konnossemente handelt es sich aber hier....Erklärt eine Konnossementsklausel für die Schadensberechnung im Falle des Verlustes oder der Beschädigung von Gütern deren gemeinen Wert am Verschiffungsort (zuzüglich gezahlter Fracht und bestimmter Unkosten) für maßgebend, so liegt darin im allgemeinen keine Regelung, die den geschädigten Ladungsbeteiligten in nicht hinnehmbarer Weise benachteiligt. Sicher weicht eine solche Klausel, die beispielsweise auch in Regel XIV Nr. 2 des - im Jahre 1940 unter Mitwirkung von Verladerkreisen neu gefaßten - Deutschen Einheitskonnossements enthalten ist, von der Schadensbemessung nach den §§ 658, 659 HGB ab. Jedoch sucht sie wie diese Vorschriften einen wirtschaftlich vertretbaren und praktikablen Ausgleich zwischen Ladungs- und Verfrachterinteressen zu finden, insbesondere aber Streitigkeiten über den Wert der verlorenen oder beschädigten Güter sowie über einen etwaigen entgangenen Gewinn zu vermeiden. Dabei bewirkt sie, daß der Geschädigte in der Regel das bekommt, was erforderlich ist, um die Aufwendungen für einen Erwerb der (verlorenen oder beschädigten) Güter am Verschiffungsort und deren Transport auszugleichen. Auch enthält die Klausel keine „dem gesamten deutschen Frachtrecht unbekannte Regelung". So stellen für die Schadensberechnung beim Verlust oder der Beschädigung von Gütern § 85 EVO auf deren Börsen-(Markt-)preis am Versandort § 54 ADSp auf den gemeinen Wert am Ort der Übergabe an den Spediteur, § 35 KVO auf den Fakturenwert und § 23 CMR auf den Wert der Güter am Ort der Übernahme zur Beförderung ab. Diese Bestimmungen machen es deutlich, daß eine Konnossementsklausel im allgemeinen nicht schon deshalb als unsachgemäß anzusehen ist, weil sie die Schadensbemessung unter Abweichung von den Vorschriften der §§ 658, 659 HGB nach dem gemeinen Wert der Güter am Verschiffungsort (zuzüglich gezahlter Fracht und bestimmter Unkosten) regelt.Besondere Umstände können im Einzelfall allerdings zu einer gegenteiligen Beurteilung führen. So könnte die Klausel dann nicht mehr hinnehmbar sein, wenn der teilweise Ausschluß bestimmter Unkosten des geschädigten Ladungsbeteiligten von der Ersatzpflicht des Verfrachters zu einem für den ersteren untragbaren Ergebnis führt. Die Frage bedarf hier jedoch keiner Vertiefung, weil der vorgetragene Sachverhalt in dieser Richtung nichts hergibt.Der Revision kann auch nicht gefolgt werden, soweit sie meint, jedenfalls müsse Regel 16 Abs. 4 KB deshalb für unwirksam angesehen werden, weil sie der Beklagten ein Wahlrecht für die Schadensberechnung einräume (entweder anhand des gemeinen Werts der Güter im Bestimmungshafen oder anhand dieses Werts am Verschiffungsort zuzüglich gezahlter Fracht und bestimmter Unkosten) und es ihr damit gestatte, sich die jeweils für sie günstigste Schadensbemessung zum Nachteil des geschädigten Ladungsbeteiligten herauszusuchen. Daß der gemeine Wert der Güter im Bestimmungshafen geringer als am Verschiffungsort (zuzüglich gezahlter Fracht und bestimmter Unkosten) ist, wird im allgemeinen nur dann der Fall sein, wenn die Ladungsbeteiligten die Güter im Verschiffungsland zu teuer erworben haben oder wenn während der Reise ein Preisverfall eingetreten ist. Derartige Vorgänge gehören jedoch in den Risikobereich der Ladungsbeteiligten und nicht in den des Verfrachters....“