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Leitsätze:
Dem Schiffseigner oder dem Schiffer kann die konstruktiv fehlerhafte Ausgestaltung einer elektrisch-hydraulischen Ruderanlage (hier: unzureichender Schutz eines Stromverteilerkastens gegen überkommendes Wasser infolge Wellenschlags) grundsätzlich nicht zum Vorwurf gemacht werden, wenn die Anlage von einem Fachunternehmen geliefert und eingebaut sowie von der Schiffsuntersuchungskommission (und/oder einer anerkannten Klassifikationsgesellschaft) geprüft und nicht beanstandet worden ist.
Nr. 15 TTB betrifft nicht die Kosten, die zwecks Errettung von Schiff und Ladung aus einer gemeinsamen Gefahr (große Haverei) von einem Beteiligten aufgewendet werden.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 24. April 1989
II ZR 208/88
(Schiffahrtsgericht Mannheim, Schifffahrtsobergericht Karlsruhe)
Zum Tatbestand:
Zur Durchführung eines von der Klägerin versicherten Gasöltransports von Vlissingen nach Karlsruhe trat das den Beklagten gehörende TMS „Hehlen" imApril 1985 unter Führung des Beklagten zu 2, bei nordwestlichem Wind von 6 bis 7 Bft und starkem Wellengang die Fahrt an, bei der schon nach 1,5 km die hydraulische Ruderanlage ausfiel.ln einzelne Räume des sich quer zum Wind legenden Schiffes drang Wasser ein, so daß sich der Beklagte zu 2 veranlaßt sah, die Hilfe von zwei Schleppern anzunehmen, die das Schiff nach Vlissingen zurückbrachten.
Unstreitig beruhte der Ausfall der 1983 von einem Fachunternehmen auf elektrisch hydraulischen Betrieb umgebauten und von der Schiffsuntersuchungskommsiion (SUK) abgenommenen Ruderanlage auf einem Kurzschluß in einem Verteilerkasten der elektrischen Leitung. Der Verteilerkasten befand sich im Ruderquadrantenkasten, der mit lose liegenden Platten abgedeckt war, die mehrere kleine Öffnungen enthielten, durch die während der Fahrt Wasser, das infolge Wellenschlags auf das Hinterschiffsdeck gespült war, in den Quadrantenkasten und dort in den Verteilerkasten gelangte.
Die Klägerin verlangt Erstattung des als Beitrag der Ladung zu den Kosten der großen Haverei bezahlten Betrages von ca. 74700,-- DM und eines weiteren an einen Sachverständigen gezahlten Betrages von etwa 1720,-- DM mit der Begründung, daß die Beklagten die Gefahr für Schiff und Ladung schuldhaft herbeigeführt hätten, da sie die ungenügende Sicherung des Verteilerkastens gekannt, zumindest aber hätten erkennen können oder müssen. Das Schiff sei bei Antritt der Reise fahruntüchtig gewesen.
Die Beklagten bestreiten dieses Vorbringen und verweisen auf die positive Beurteilung der SUK und des Germanischen Lloyd.
Das Schiffahrtsgericht hat die Klage abgewiesen, das Schiffahrtsobergericht hat ihr stattgegeben. Auf die Revision der Beklagten hat der Bundesgerichtshof die Sache unter Aufhebung des Berufungsurteils an das Berufungsgericht zur anderweiten Entscheidung zurückverwiesen.
Aus den Entscheidungsgründen:
„1. Entgegen der Ansicht der Revision fehlt es im Streitfall nicht an einer Abrede zwischen der Rechtsvorgängerin der Klägerin und den Beklagten dahin, daß diese verpflichtet sind, beim Vorliegen eines Verschuldens im Sinne von § 79 Abs. 2 BinSchG den Havarie-grosse-Beitrag der Ladung zurückzuzahlen.
...
2. Ohne Erfolg muß die Rüge der Revision bleiben, das angefochtene Urteil beruhe auf einem Verstoß des Berufungsgerichts gegen § 551 Nr. 7 ZPO. Zwar hat sich dieses nicht mit dem Einwand der Beklagten auseinandergesetzt, daß der Klageforderung Nr. 15 Abs. 4 Buchst. a) der dem Frachtverhältnis zugrundeliegenden Tankschiff-Transportbedingungen des Bundesverbandes der deutschen Binnenschiffahrt (TBB) entgegenstehen, wonach „der Frachtführer nicht für Schäden haftet, die aus Gefahren odr Unfällen der See oder anderer schiffbarer Gewässer entstehen". Dennoch greift die Rüge nicht durch. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist § 551 Nr. 7 ZPO aus prozeßwirtschaftlichen Gründen nicht heranzuziehen, wenn — wie hier — das nicht erörterte Verteiding rnittel zur Abwehr der Klage ungeeignet ist (BGHZ 39, 33, 339; BGH, Urt. v. 26. Januar 1983 — IV b 351/81, NJW 1983, 2318, 2320). Nr. 15 Abs. 4 TTB entspricht wörtlich § 608 Abs. 1 Nr. 1 bis 7 HGB und ist ersichtlich dieser Vorschrift nachgebildet. Diese gilt aber nur für Schäden aus Verlust oder Beschädigung der Güter, jedoch nicht für sonstige Schäden der Ladungsbeteiligten (Prüßmann/ Rabe, Seehandelsrecht 2. Aufl. § 608 Anm. A 3). Dafür, daß der Anwendungsbereich der Nr. 15 Abs. 4 TTB weiter gehen, insbesondere die Regelung in Buchst. a) auch den Ladungsbeitrag zur großen Haverei betreffen soll, besteht kein Anhalt. Im Gegenteil macht der sonstige Inhalt von Nr. 15 TTB, der mit § 606 Satz 2, § 607, § 108 Abs. 2 und 3 sowie § 609 HGB nahezu wörtlich übereinstimmt, deutlich, daß die Vorschrift insgesamt nur die Haftung des Frachtführers für Schäden aus Verlust oder Beschädigung der Güter im Auge hat. Hierfür spricht außerdem Nr. 12 TTB, die ausdrücklich festlegt, daß „Havarie und Havarie-grosse nach den Vorschriften des Deutschen Binnenschiffahrts-Gesetzes geregelt werden". Überdies mußte eine Anwendung der Nr. 15 Abs. 4 Buchst. a) TTB vorliegend auch daran scheitern, daß als „Gefahren der See oder anderer schiffbarer Gewässer" jedenfalls solche Wind- und Wasserverhältnisse nicht anzusehen sind, die, wie sich aus den Ausführungen des Berufungsgerichts ergibt, für das Gebiet der Westerschelde nicht ungewöhnlich sind, ferner bereits bei Antritt der Reise des TMS „Hehlen" in Vlissingen vorgelegen haben und denen ein fahrtüchtiges Schiff widerstehen konnte (vgl. auch Prüßmann/Rabe a. a. 0. Anm. B 1; Schaps/Abraham, Seerecht 4. Aufl. Seehandelsrecht § 608 Rn. 10).
3. Nicht zu folgen ist ferner der Auffassung der Revision, § 79 Abs. 2 BinSchG sei bei einem Besatzungsverschulden nicht anwendbar. Das Gegenteil ergibt sich bereits aus § 79 Abs. 3 BinSchG.
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4. Zu Unrecht zieht die Revision die Ansicht des Berufungsgerichts in Zweifel, TMS „Hehlen" sei bei Antritt der Reise fahruntüchtig gewesen. Ein solcher Fall ist gegeben, wenn ein Schiff nicht fähig ist, die gewöhnlichen Gefahren der geplanten Reise zu bestehen (Senatsurt. v. 21. April 1975 — II ZR 164/73') LM § 8 BinnSchG Nr. 3; Senatsurt. v. 15. Oktober 1979 — II ZR 80/ 772) LM a. a. 0. Nr. 5). Hier hat das Berufungsgericht diese Unfähigkeit zutreffend damit begründet, daß die Ruderanlage des TMS „Hehlen" „schon nach einer Fahrtstrecke von nur 1,5 km durch Kurzschluß ausgefallen ist".
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5. Das Berufungsgericht hat dem Beklagten zu 2 vorgeworfen, die Gefahr verschuldet zu haben, in die TMS „Hehlen" und dessen Ladung durch den Ausfall der Ruderanlage alsbald nach Antritt der Reise geraten sind. Insoweit hat es für entscheidend gehalten:
Dem Beklagten zu 2 seien die Lage, die Beschaffenheit und die Art der Abdeckung des Ruderquadrantenkastens sowie die geringe Abflußmöglichkeit von dort eingedrungener Wassermengen durch die wenigen Bodenlöcher gekannt gewesen, desgleichen die Anordnung des Verteilerkastens für dieselektrischhydraulische Ruderanlage. Ferner sei für ihn bei Fahrtantritt im Hinblick auf die Witterungsbedingungen und das bei der Fahrt auf der Westerschelde durch Wellenschlag an Deck gelangende Wasser erkennbar gewesen, daß der Verteilerkasten durch in den Ruderquadrantenkasten eindringendes Wasser unter Wasser gesetzt werde, dadurch ein Kurzschluß bewirkt werden und zum Ausfall der Ruderanlage und damit zu einer Notlage für das Schiff führen könne.
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Mit diesen Ausführungen des Berufungsgerichts läßt sich, wie die Revision mit Erfolg rügt, ein Verschulden des Beklagten zu 2 im Sinne des § 79 Abs. 2 BinSchG nicht begründen.
a) Nach dem Schiffsattest der SUK vom 20. März 1979 war die TMS „Hehlen" zur Fahrt auf den Bundeswasserstraßen der Fahrtbereiche 2 bis 4 (vgl. zu diesen Bereichen § 1.02 Bin- SchUO 1977) zugelassen. Davon umfaßte der Fahrtbereich zwei Reviere, denen, wie das Berufungsgericht ausgeführt hat, das der Westerschelde entspricht. Das macht übrigens nunmehr auch die Binnenschiffs-Untersuchungsordnung vom 17. März 1988 — BGBl. 1238 deutlich. Sie zählt in ihrer Anlage 1 die Bundeswasserstraßen der Zonen 1 und 2 auf. Von ihnen sind die der Zone 2 mit jenen des Fahrtbereiches 2 des § 1.02 Bin- SchUO 1977 identisch. Zugleich entsprechen ihnen nach der Anlage 2 der BinSchUO 1988 die „Wasserstraßen der Zone 2 im Gebiet der Europäischen Gemeinschaften außerhalb der Bundesrepublik Deutschland'', zu denen nach dem Inhalt der Anlage die Westerschelde gehört.
b) Nach § 1.08 Nr. 1 der RheinSchPV 1983, der BinSchStrO 1971 (vgl. auch § 1.08 Nr. 1 BinSchStrO vom 1. Mai 1985) und der MoselSchPV 1984 müssen Fahrzeuge so gebaut und ausgerüstet sein, daß die Sicherheit der Schiffahrt gewährleistet ist und die Verpflichtungen aus den einzelnen Polizeiverordnungen erfüllt werden können. Diese Voraussetzungen liegen nach § 1.08 Nr. 3 dieser Verordnungen vor, wenn das Fahrzeug mit einem Schiffsattest (Schiffszeugnis) versehen ist, außerdem Bau, Ausrüstung und Besatzung des Fahrzeuges den Angaben des Attests (Zeugnisses) entsprechen und dieses nach den Vorschriften der einschlägigen Untersuchungsordnungen betrieben wird. Ist das der Fall, so können Eigner und Besatzung grundsätzlich darauf vertrauen, daß die Konstruktion des Schiffes keine Fehler aufweist, die es fahruntauglich machen könnten (Bemm/Kortendick, Rheinschiffahrtspolizeiverordnung 1983 § 1.08 Rn. 8).
c) Hier liegt es nun so, daß Lieferung und Montage der elektrisch- hydraulischen Ruderanlage des TMS „Hehlen" durch ein Fachunternehmen für Schiffselektrik und Schiffselektronik erfolgt sind und die Anlage sodann von der SUK am 13. September 1983 untersucht, gebilligt sowie das Schiffsattest entsprechend ergänzt worden ist. Außerdem hat der Germanische Lloyd am 4. April 1985 die Ruderanlage besichtigt. Auch von ihm ist die Anordnung des lediglich spritzwassergeschützten Verteilerkastens nahe am Boden des Ruderquadrantenkastens nicht beanstandet worden.
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d) Zieht man diese Gesichtspunkte in Betracht, so kann dem Beklagten zu 2 entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht vorgeworfen werden, die Gefahr eines möglichen Kurzschlusses im Verteilerkasten nicht erkannt zu haben. Dieser brauchte als Miteigner und Schiffsführer des TMS „Hehlen" nicht klüger und kenntnisreicher zu sein als die den Umbau der Ruderanlage planenden und durchführenden Mitarbeiter eines Fachunternehmens (vgl. auch Senatsurt. v. 29. Oktober 1979 — II ZR 127/773) LM § 58 BinnSchG Nr. 10) oder die besonders fachkundigen Prüfer der SUK oder des Germanischen Lloyd. Hinzu kommt, daß die SUK noch nach dem Unfall in einem Schreiben vom 4. Februar 1986 an den Versicherer des TMS „Hehlen" ausgeführt hat, daß die Ruderanlage des Schiffes den Bestimmungen entsprochen habe.
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6. Das Berufungsgericht hat im Zusammenhang mit der Frage eines Verschuldens des Beklagten zu 2 außerdem ausgeführt, daß dieser die Reise mit TMS „Hehlen" angetreten habe, obwohl das Schiff kaum Freibord aufgewiesen und dieser unter 30 cm gelegen habe, wie er nach demSchiffsattest für Fahrten im Fahrtbereich 2 vorgeschrieben gewesen sei. Es meint, schon deshalb und wegen der herrschenden Witterungsverhältnisse hätte sich der Beklagte zu 2 die Frage stellen müssen, ob er den Antritt der Reise bis zu einer Besserung der Wetterlage nicht aufschieben solle, zumal bei einem praktisch fehlenden Freibord nicht unerhebliche Wassermengen an Deck und von dort in den Schiffskörper gelangen konnten (wie es jedenfalls nach dem Ruderausfall bei TMS „Hehlen" auch geschehen ist und den Beklagten zu 2 nach seinem Bericht vom 21. April 1985 an den Schiffsversicherer veranlaßt hat, Schlepperhilfe in Anspruch zu nehmen). Indes hat das Berufungsgericht diesen Punkt nicht weiter verfolgt, offenbar wegen seiner oben (eingangs Nr. 5) wiedergegebenen Ausführungen. Das wird es nunmehr nachholen und insbesondere prüfen müssen, wie ein sorgsamer Schiffsführer sich verhalten hätte und ob danach ein Verschulden des Beklagten zu 2 im Sinne des § 79 Abs. 2 BinSchG anzunehmen ist. Dabei wird es zu beachten haben, daß — entgegen der von der Revision in der Revisionsverhandlung dargelegten Ansicht — die TTB, insbesondere deren Nr. 15, keine 'Freizeichnung des Schiffers oder des Frachtführers von der Haftung für ein nautisches Verschulden vorsehen, durch das eine gemeinsame Gefahr für Schiff und Ladung herbeigeführt worden ist (vgl. auch oben nr. 2). Die Parteien werden in der neuen Berufungsverhandlung Gelegenheit haben, ihrerseits zur Freibordfrage vorzutragen, wozu nach einer von den Beklagten erhobenen Verfahrensrüge mangels eines entsprechenden Hinweises seitens des Berufungsgerichts im ersten Berufungsverfahren kein Anlaß bestanden haben soll."
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1989 - Nr.2 (Sammlung Seite 1269 ff.); ZfB 1989, 1269 ff.