Jurisprudentiedatabank
Leitsatz:
Birgt der Kapitän eines Schiffes von einem in Seenot befindlichen Fahrzeug Besatzungsmitglieder oder andere Personen ab, so kann der Reeder des Hilfe leistenden Schiffes seine durch das Rettungsmanöver veranlassten Aufwendungen von dem Reeder des anderen Fahrzeugs ersetzt verlangen.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 25. November 1976
II ZR 201/74
(Landgericht Hamburg; Oberlandesgericht Hamburg)
Zum Tatbestand:
Als die von der Beklagten bereederte „HH" in der südlichen Nordsee zu kentern drohte, übernahm die der Klägerin gehörende, zu Hilfe geeilte „S" auf Bitten des Kapitäns der „HH" dessen 5jährigen Sohn und 2 Besatzungsmitglieder. Wegen des hohen Seegangs konnte die „S" das hierzu eingesetzte Rettungsboot nicht an Bord hieven und schleppte es zunächst achteraus. Das Boot schlug jedoch voll Wasser und zerbrach. Die Klägerin verlangt für die geleistete Hilfe insgesamt etwa 69 000,- DM (Gegenwert für Rettungsboot, Funkkosten, Zeitverlust und Kraftstoffverbrauch!).
Die Beklagte bestreitet, dass der Kapitän einen rechtsgeschäftlichen Auftrag für die Bergung der genannten Personen erteilt habe. Die Vorschriften über die Geschäftsführung ohne Auftrag oder über die Bergung und Hilfeleistung in Seenot seien nicht anwendbar.
Das Landgericht hat der Klage zum größten Teil - außer den Kosten für Zeitverlust und Kraftstoffverbrauch - entsprochen. Das Berufungsgericht hat der Klage dem Grunde nach stattgegeben. Die Revision der Beklagten blieb erfolglos.
Aus den Entscheidungsgründen:
„...
Zunächst kann der Revision nicht gefolgt werden, soweit sie meint, die Bestimmungen über die Bergung und Hilfeleistung in Seenot (§§ 740 ff. HGB) regelten auch die Ansprüche des Lebensretters auf See abschließend, so dass daneben die Vorschriften über die Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 677 ff. BGB) nicht anwendbar seien. Die genannten Bestimmungen betreffen die Rettung eines in Seenot geratenen Schiffes oder der an Bord befindlichen Sachen (§ 740 Abs. 1 HGB). Mit der Rettung von Menschenleben befassen sie sich nur insoweit, als sich jemand bei Gelegenheit des Unfalls, der den Anlass zur Bergung oder Hilfeleistung gibt, der Rettung von Menschenleben unterzieht. Dazu bestimmte § 750 HGB (in der bis zum Inkrafttreten - 6. April 1973 - des Seerechtsänderungsgesetzes vom 21. Juni 1972 - BGBI. 1 996 ff. geltenden und hier noch anzuwendenden Fassung), dass der Lebensretter einen billigen Anteil an dem Lohn beanspruchen kann, die den Personen zusteht, welche das Schiff oder die an Bord befindlichen Sachen gerettet haben, und dass die geretteten Personen selbst keinen Berge- oder Hilfslohn zu entrichten haben. Danach betraf (und betrifft - vgl. § 751 HGB n. F.) diese Regelung nur den Lohn des - unter den weiteren Voraussetzungen des § 750 HGB a. F. tätig gewordenen - Lebensretters, hingegen nicht die Frage des Ersatzes seiner Aufwendungen. Mit Recht wird deshalb im Schrifttum angenommen, dass die Bestimmungen über die Bergung und Hilfeleistung in Seenot dem Anspruch des Lebensretters auf Aufwendungsersatz aus dem Gesichtspunkt der Geschäftsführung ohne Auftrag nicht entgegenstehen (Abraham, Das Seerecht 4. Aufl. S. 259/260; Prüssmann, Seehandelsrecht § 750 Anm. 1; Schaps/Abraham, Das deutsche Seerecht 3. Aufl. Bd. II § 750 Anm. 16; Wüstendörfer, Neuzeitliches Seehandelsrecht 2. Aufl. S. 419; vgl. auch die Ausführungen in der bei Schaps/Abraham aaO. abgedruckten Denkschrift zu Art. 9 des Brüsseler Übereinkommens zur einheitlichen Feststellung von Regeln über die Hilfeleistung und Bergung in Seenot vom 23. September 1910 - BGBI. 1913, 66). Sicher gehört die Rettung von Menschen, die sich in Seenot befinden, zu den gesetzlichen (Art. 11 Abs. 1 des vorerwähnten Brüsseler Übereinkommens; § 5 Abs. 1 der Verordnung über die Sicherung der Seefahrt vom 12. Dezember 1956 - BGBI. II 1579) wie auch zu den sittlichen Pflichten eines jeden Kapitäns. Allein das Bestehen einer derartigen Pflicht rechtfertigt es noch nicht, demjenigen, der andere - oftmals unter erheblicher Gefahr für das eigene Fahrzeug oder die eingesetzte Ausrüstung - aus Seenot gerettet oder zu retten versucht hat, keinen Anspruch auf Ersatz seiner notwendigen Aufwendungen zu gewähren und ihn lediglich auf einen billigen Anteil an dem Berge- oder Hilfslohn des Sachretters zu verweisen, zumal diesem ein Anspruch hierauf nur bei einem Erfolg seiner Dienste zusteht (§ 741 Abs. 1 HGB) und auch dann wegen bestimmter von ihm veranlasster Umstände ganz oder teilweise versagt werden kann (§ 742 Abs. 1, § 748 Abs. 1 HGB; vgl. jetzt allerdings § 751 Abs. 2 HGB n. F.).
Ferner kann der Revision nicht zugestimmt werden, soweit sie der Ansicht ist, die Vorschriften über die Geschäftsführung ohne Auftrag seien hier zumindest deshalb nicht anwendbar, weil nicht die Klägerin, sondern nur der Kapitän der „S" als Geschäftsführer im Sinne der §§ 677 ff. BGB in Betracht komme; außerdem habe dieser mit seiner Rettungsaktion kein Geschäft der Beklagten besorgt, als „Geschäftsherr" komme - jedenfalls auf hoher See - nur der Gerettete in Betracht.
...
Da es für jeden die Seefahrt Betreibenden selbstverständlich ist, dass sein Schiff anderen Fahrzeugen oder Personen, die sich in Seenot befinden, jede zumutbare Hilfe leistet, ist in aller Regel davon auszugehen, dass ein Kapitän, der Rettungsmaßnahmen unter Einsatz des ihm anvertrauten Schiffes durchführt, hierbei mit Zustimmung seines Reeders und auch für diesen handelt. Darüber hinaus verkennt die Revision in diesem Zusammenhang ganz allgemein die Stellung, die der Kapitän eines Seeschiffes während der Reise innehat. Er ist der vom Reeder bestellte Führer des Fahrzeugs (vgl. § 2 Abs. 1 SeemannsG), somit in dieser Stellung dessen Repräsentant. Als solcher besitzt er nicht nur ein weitreichende rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht (vgl. §§ 527 ff. HGB). Vielmehr repräsentiert er den Reeder auch bei den das Schiff oder die Reise betreffenden Handlungen tatsächlicher Art, zu denen auch der Einsatz des Fahrzeugs zur Rettung von in Seenot geratenen Personen zu rechnen ist. Aus dieser Sicht ist deshalb ebenfalls eine Tätigkeit des Reeders im Sinne der Vorschriften über die Geschäftsführung ohne Auftrag zu bejahen, wenn der Kapitän das ihm von diesem anvertraute Schiff zu Rettungszwecken verwendet.
...
Es mag sein, dass der Retter von in Seenot sich befindenden Personen, ein „Geschäft" der Geretteten führt. Das schließt aber nicht aus, dass er zugleich ein Geschäft desjenigen besorgt, der zur Rettung dieser Personen verpflichtet ist. Eine solche Pflicht obliegt auch dem Reeder, dessen Schiff in Seenot gerät. Sie folgt bereits daraus, dass er für die Sicherheit aller Personen zu sorgen hat, die sich mit seinem Wissen an Bord seines Schiffes aufhalten. Im Sorgebereich der Beklagten befanden sich aber nicht nur die beiden von der „S" übernommenen Besatzungsmitglieder der „HH", sondern auch der fünfjährige Sohn des Kapitäns dieses Fahrzeugs.
...
Demnach hat das Berufungsgericht zu Recht den Klageanspruch dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt, soweit es um den Verlust des Rettungsbootes der „S" und die mit dem Abbergen zusammenhängenden Funkkosten dieses Fahrzeugs geht.
...“