Jurisprudentiedatabank
Leitsatz:
Zeigt ein Schleppboot die blaue Seitenflagge, so ist damit der Kurs für den gesamten Schleppzug festgelegt und daher nach Lösung der Schleppverbindung ein selbständiges Ausscheren eines Anhangs nach Steuerbord unzulässig. Auch wenn ein Anhang aus dem Schleppzug ausscheidet, darf er den vorher vom Schleppzug gewiesenen Kurs nicht ändern, bis die auf diesen Kurs festgelegten Schiffe, z. B. entgegenkommende Talfahrer, den gesamten Schleppzug passiert haben.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 1. Dezember 1966
(Rheinschiffahrtsgericht Mannheim, Rheinschiffahrtsobergericht Karlsruhe)
Zum Tatbestand:
Der der Beklagten zu 1 gehörende, vom Beklagten zu 2 geführte beladene Kahn S als vierter und letzter Anhang eines rechtsrheinischen Bergschleppzuges löste unterhalb der Neckarmündung die Schleppverbindung, um auf die linksrheinische Seite zu seinem Bestimmungplatz hinüberzusemmen. Der Schleppball wurde dabei nicht sofort, sondern erst später heruntergenommen. Wegen der von dem Schleppboot gesetzten blauen Seitenflagge passierte das zu Tal fahrende fast unbeladene MS A der Klägerin den Bergschleppzug Steuerbord an Steuerbord. Wegen des nach dem linken Ufer hinüberlaufenden S richtete MS A seinen Kurs immer mehr linksrheinisch. Dennoch kam es zum Zusammenstoß, bei dem beide Fahrzeuge beschädigt wurden.
Die Klage auf Schadenersatz wurde von den Vorinstanzen in vollem Umfang dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Die Revision der Beklagten blieb erfolglos.
Aus den Entscheidungsgründen:
Durch das Zeigen der blauen Seitenflagge hatte das Rhenus-Boot den Kurs seines ganzen Schleppzuges zur Begegnung mit dem Talfahrer A an der Steuerbordseite festgelegt (§ 38 Nr. 3, § 27 Nr. 1, § 2 Nr. 4 RhSchPVO). Als diese Festlegung erfolgte, befand sich der Kahn S noch in Schleppverbindung; denn MS A fuhr etwa in Höhe des Rhenus-Bootes, als der Kahn vor dem Loswerfen des Stranges zur Strommitte ausscherte. Der Kahn S, durfte daher den festgelegten Kurs nicht ändern (§ 37 Nr. 3 RhSchPVO); schon sein Ausscheren nach Steuerbord verstieß gegen das Kursänderungsverbot. Die Festlegung des Kurses des Kahns blieb bestehen, als der Kahn unter den vorliegenden Umständen die Schleppverbindung löste. Dahinstehen kann, ob der Kahnführer nicht gegen seine nautische Sorgfaltspflicht dadurch verstoßen hat, daß er den Strang loswarf, bevor die Vorbeifahrt von A an dem Schleppzug beendet war. Jedenfalls mußte der Kahn, wenn er aus dem Schleppzug ausschied, den Talfahrer an seiner Steuerbordseite vorbeifahren lassen.
Ohne Rechtsfehler hat das Berufungsgericht ein Mitverschulden des Schiffsführers von A als von den Beklagten nicht bewiesen angesehen. Es hat seiner Auffassung u. a. die Aussage des unbeteiligten Schiffsführers von MS P zugrunde gelegt. Nach dessen Bekundung fuhr der Talfahrer A, als der Kahn den gelben Schleppzugball herunternahm, bereits auf der Höhe des dritten Anhangs des Schleppzuges und war an den Kahn so nahe herangekommen, daß eine Kursänderung von A nach Steuerbord, um hinter dem nach linken Ufer gierenden Kahn vorbeizukommen, nicht mehr möglich war."