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II ZR 181/67 - Bundesgerichtshof (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Datum uitspraak: 07.07.1969
Kenmerk: II ZR 181/67
Beslissing: Urteil
Language: Duits
Rechtbank: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Afdeling: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Leitsätze:

1) Zulässigkeit der Aufnahme des Verfahrens in der Revision durch einen Konkursverwalter.

2) Beurteilung der Revision in Fragen der Beweiswürdigung.

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 7. Juli 1969

II ZR 181/67

(Rheinschiffahrtsgericht DuisburgRuhrort, Rheinschiffahrtsobergericht Köln)

Zum Tatbestand:

Im Oktober 1964 gegen 19.40 Uhr stießen das der Klägerin zu 1 gehörende, auf der Bergfahrt befindliche MS A bei Rhein-km 759,8 mit einem Talschleppzug, nämlich dem der früheren Beklagten zu 1 gehörenden, vom Beklagten zu 2 geführten TMS Ad sowie dessen backbords gemehrten Anhang TSK E, zusammen, wobei alle 3 Schiffe beschädigt wurden. Die Klägerinnen zu 2 und 3 hatten je 1 Partie der Ladung des MS A versichert. An die Stelle der Beklagten zu 1 ist der Konkursverwalter getreten. Wegen des an E entstandenen Schadens schwebt ein Parallelprozeß II ZR 193/67 (s. nächstes Urteil in dieser Sammlung).
Die Klägerinnen stellten Schadensersatzansprüche von insgesamt ca. 70 000,- DM und verlangen wegen dieses Betrages von dem Beklagten zu 1 Duldung der Zwangsvollstreckung in das TMS Ad. Sie behaupten, daß der Schleppzug entgegen der auf große Entfernung mit dem Blinklicht gegebenen Kursweisung keine Steuerbordbegegnung durchgeführt habe, sondern etwa 600 m vor der Begegnung in Schräglage geraten und mit Steuerbordkurs in die Steuerbordseite des MS A gefahren sei.
Die Beklagten bestreiten, daß A bei Annäherung des rechtsrheinisch fahrenden Schleppzuges ein Blinklicht gezeigt habe. Das Blinklicht habe A erst auf eine Entfernung von 2 Schiffslängen eingeschaltet, Backbordkurssignal mit dem Typhon gegeben und Kurs zum rechten Ufer genommen. Auf die kurze Entfernung habe der Talschleppzug den Kurs trotz Zurückschlagens von TMS Ad nicht mehr ändern können.
Beide Vorinstanzen haben die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt.
Nach Einlegung der Revision der beiden Beklagten, aber vor Eingang der Revisionsbegründung, ist über das Vermögen des früheren Beklagten zu 1 das Konkursverfahren eröffnet worden. Der Konkursverwalter hat das Verfahren insoweit aufgenommen, als die Klägerinnen „die dringliche Haftung des TMS Ad geltend" gemacht haben, und beantragt, die Klage auf Duldung der Zwangsvollstreckung abzuweisen. Die Revision beider Beklagten blieb erfolglos.

Aus den Entscheidungsgründen:

Gegen die Aufnahme des Verfahrens durch den Beklagten zu 1 in der Revisionsverhandlung bezüglich des Duldungsanspruchs und gegen die Zulässigkeit seiner Revision bestehen keine rechtlichen Bedenken (§ 11 KO, §§ 3, 4, Abs. 1 Nr. 3, § 102 Nr. 5 Abs. 2 BSchG; §§ 250, 295 ZPO; RGZ 78, 343).
Das Berufungsgericht hat auf Grund der eidlichen Aussage des Matrosen W. (MS A) festgestellt, daß der Schleppzug den ihm von dem Bergfahrer durch Einschalten des Blinklichts gewiesenen Weg nicht eingehalten und in der letzten Unfallphase Kurs auf den Bergfahrer genommen habe. Als Grund für dieses Verhalten nimmt das Berufungsgericht an, daß die Führung des Schleppzuges die rechtzeitige Kursweisung des Bergfahrers übersehen habe.
Rechtlich wirft das Berufungsgericht der Führung des Schleppzuges mithin einen Verstoß gegen § 4 RheinSchPolVO vor.
Gegen diese Ausführungen wendet sich die Revision mit einer Reihe von Verfahrensrügen. Diese sind nicht begründet.
Das Berufungsgericht hat bei der Burteilung der Glaubwürdigkeit der Bekundungen des Zeugen W. in Betracht gezogen, daß er erst knapp zwei Jahre nach dem Zusammenstoß vernommen worden ist und ein derartiger Zeitraum geeignet sein kann, Erinnerungslücken bei einem Zeugen entstehen zu lassen oder Zweifel an seiner Fähigkeit, sich sicher zu erinnern, hervorzurufen. Wenn es trotz dieser Bedenken der Schilderung des Zeugen in den für den Unfallhergang bedeutsamen Punkten geglaubt und ihr den Vorzug vor den Angaben der Besatzung des Schleppzuges und der Aussage der Zeugin Sch. (Ehefrau des Schiffsführers von TMS Ad) gegeben hat, so kann hierin allein keine Verletzung des § 286 ZPO gesehen werden.
Das Berufungsgericht legt die eidliche Aussage des Zeugen W. seinen Feststellungen deshalb zugrunde, weil für ihre Richtigkeit „ein höherer Grad objektiver Wahrscheinlichkeit" spreche als für die Angaben der Besatzung des Schleppzuges und der Zeugin Sch. Es stützt diese Auffassung im wesentlichen auf die Erwägung, daß das von W. geschilderte Verhalten der Führung des MS A unter den im Streitfall gegebenen Umständen nicht nur der üblichen Handlungsweise eines Bergfahrers entsprochen, sondern für die Führung des genannten Schiffes auch kein vernünftiger Anlaß bestanden habe, einen anderen Kurs als den der vorausfahrenden Bergfahrer einzuschlagen.
Auch diese Darlegungen des Berufungsgericht verstoßen nicht gegen § 286 ZPO. Sie gehen weder von falsch verstandenen Voraussetzungen für das Vorliegen eines Anscheinsbeweises aus noch beruhen sie auf nicht bestehenden Erfahrungssätzen; sie stehen ferner nicht in einem unlösbaren Widerspruch zu anderen Erwägungen des Berufungsgerichts. Sie bringen lediglich zum Ausdruck, daß das Berufungsgericht im Streitfall der Zeugenaussage, die mit dem gewöhnlichen oder natürlicherweise zu erwartenden Ablauf bestimmter Vorgänge übereinstimmt, den Vorzug vor Angaben gibt, welche das Verhalten eines Dritten völlig unverständlich erscheinen lassen.
Überdies berücksichtigt die Revision in diesem wie auch in anderem Zusammenhang nicht hinreichend, daß es für eine einwandfreie Würdigung der Sach- und Rechtslage durch das Berufungsgericht keineswegs eines ausdrücklichen Eingehens auf jedes einzelne Vorbringen der Parteien oder jede einzelne Zeugenaussage oder jedes einzelne Beweismittel und einer eingehenden Auseinandersetzung damit bedarf, sofern sich nur ergibt, daß eine sachentsprechende Beurteilung überhaupt stattgefunden hat (BGHZ 3, 162, 175). Letztere ist im Streitfall aber ohne weiteres dem Zusammenhang der Entscheidungsgründe zu entnehmen.
Das Berufungsgericht war nicht genötigt, ein Sachverständigengutachten darüber zu erheben, daß sich auf Grund der Beschädigungen des MS A der Schiffszusammenstoß nicht so abgespielt haben könne, wie ihn die Klägerin behauptet, insbesondere der Zeuge W. geschildert hat. Es konnte auf Grund eigener Sachkunde zu der Auffassung gelangen, daß aus den Beschädigungen des MS A im Hinblick auf die in der letzten Phase des Unfalls gesteuerten Kurse keine zuverlässigen Schlüsse auf den wirklichen Ablauf des Unfallhergangs möglich seien.
Das Berufungsgericht hat auch nicht, wie die Revision meint, bei der Würdigung des Beweisergebnisses übersehen, daß in einzelnen Punkten Widersprüche zwischen der Aussage des Zeugen W. und den Angaben des Schiffsführers von MS A vor der Wasserschutzpolizei bestehen. Wenn es trotzdem die Bekundungen des Zeugen W. zu dem eigentlichen Unfallhergang aus den bereits dargelegten Gründen für glaubhaft gehalten hat, so ist dies aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

Das Berufungsgericht hält eine schuldhafte Handlungsweise der Führung des MS A nicht für erwiesen. Es führt aus:

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme, insbesondere im Hinblick auf die Aussage des Zeugen W., könne nicht festgestellt werden, daß die Führung des Bergfahrers den festgelegten Kurs verlassen oder dem Talschleppzug verspätet einen anderen Kurs gewiesen habe oder einen der eigenen Weisung widersprechenden unklaren Kurs gefahren sei. Auch wäre es für Schiffsführer B. (MS A) zu riskant gewesen, wenn er den festgelegten Begegnungskurs verlassen hätte, um ein Hineinfahren in den Drehkreis des zunächst von ihm vermuteten Wendemanövers des Schleppzuges zu vermeiden. Schließlich habe er, als die Gefahr eines Zusammenstoßes erkennbar geworden sei, zurückgeschlagen, ohne mit dem Schiff zu verfallen.

Das Berufungsgericht hat, wenn auch in anderem Zusammenhang, ohne Rechtsverstoß ausgeführt, daß die Schilderung des Zeugen W. in den für den Unfallverlauf wesentlichen Punkten glaubhaft sei. Der Zeuge hat aber - übrigens in Übereinstimmung mit den Angaben des Schiffsführers B., auf die die Revision ihre Angriffe gegen die Verneinung eines Mitverschuldens der Führung des MS A durch das Berufungsgericht stützt - auf eine Entfernung von rund 600 m nur noch das rote Positionslicht des Schleppzuges gesehen. Der Schleppzug fuhr mithin spätestens von diesem Zeitpunkt an Steuerbordkurs. Die Steuerbordschräglage des Schleppzuges deutete Schiffsführer B., wie ihm nach den Ausführungen des Berufungsgerichts nicht zu widerlegen ist, zunächst aber dahin, daß der Schleppzug über Steuerbord aufdrehen wolle. Diese Annahme kann B. nicht zum Vorwurf gemacht werden. Der Schleppzug konnte bei einer Entfernung von 600 m ohne Gefährdung des MS A aufdrehen; ferner konnte der entgegen der Kursweisung des Bergfahrers nach Steuerbord gerichtete Kurs des Schleppzuges der Führung des MS A den Schluß auf ein derartiges Manöver nahelegen, zumal der Schleppzug zu diesem Zeitpunkt unstreitig kein Blinklicht (§ 39 Nr. 2 RheinSchPolVO) zeigte. Schiffsführer B. brauchte deshalb zunächst kein Achtungsignal (§§ 4, 24 Nr. 1 a RheinSchPolVO) oder ein Schallzeichen nach § 38 Nr. 4 RheinSchPolVO zu geben.
Hiernach erweisen sich die Revision des Beklagten zu 2 und die Revision des Beklagten zu 1 bezüglich des Antrages der Klägerin auf Duldung der Zwangsvollstreckung in das Schiff Ad als unbegründet. Sie waren daher durch Teilurteil (§301 ZPO) zurückzuweisen, da das Verfahren bezüglich des persönlichen Anspruchs gemäß § 114 BSchG unterbrochen bleibt (§§ 12, 146 Abs. 3 KO)."