Jurisprudentiedatabank
Leitsatz:
Nautisch richtiges Verhalten bei der Aufnahme von Schiffen durch Vorspannboote auf der Gebirgsstrecke. Die Beibehaltung einer Geschwindigkeit von nicht mehr als 1 m/sec seitens eines aufzunehmenden Motorschiffes bei der Durchführung des Vorspannmanövers kann nicht als nautisch fehlerhaft angesehen werden.
Urteil des Bundesgerichtshofs
vom 21. Januar 1963
II ZR 173/61
Zum Tatbestand
Das bei der Klägerin versicherte Vorspannboot A" sollte im November 1952 bei einem Kauber Pegel von 394 cm in Höhe von Aßmannshausen das dem Beklagten zu 1 gehörende, vom Beklagten zu 2 geführte MS B" aufnehmen. Es erwartete zu diesem Zweck gestreckt liegend das weiter bergwärts fahrende Motorschiff, auf dem der Beklagte zu 2 kurz vor dem Unfall das Ruder dem Lotsen C" überlassen hatte, die Übergabe des Schleppstranges, die in einem seitlichen Abstand von etwa 5 m vom Steuerbordachterschiff des Schleppbootes zum Backbordvorderschiff des aufzunehmenden Motorschiffes erfolgen sollte, mißlang. Vielmehr gerieten beide Schiffe mit den vorgenannten Teilen so zusammen, dal3 das Schleppboot A" mit dem Vorderschiff nach Steuerbord herumfiel und in eine Querlage vor MS B" kam. Dabei wurde Boot A" vom MS B" unter Wasser gedrückt und kenterte.
Die von der Klägerin geltend gemachten Schadensersatzansprüche wurden im wesentlichen mit zu hoher Fahrgeschwindigkeit der MS B" begründet. Rheinschiffahrtsgericht und Rheinschiffahrtsobergericht hatten den Anspruch ursprünglich dem Grunde nach zur Hälfte für gerechtfertigt erklärt. Auf die Revision der Beklagten hatte der 1. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes mit Urteil vom 22. 9. 1956 - 1 ZR 10/55 - das vorinstanzliche Urteil aufgehoben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Rheinschiffahrtsobergericht als Berufungsgericht zurückverwiesen, das die Klage nach erneuter Verhandlung und Beweisaufnahme in vollem Umfang abgewiesen hat.
Die Revision der Klägerin, welche die Wiederherstellung des früheren Urteils erstrebte (Zuerkennung des Klageanspruchs zur Hälfte), blieb erfolglos.
Aus den Entscheidungsgründen:
a) Urteil des BGH vom 22. Sept. 1956:
Der Klägerin obliegt es, ein ursächliches Verschulden der Beklagten zu beweisen. Die Beklagten haben vorgetragen, B" habe seinen Kurs bis zum Aneinandergeraten beider Schiffe nicht verändert. Dieses Vorbringen sieht auch das Berufungsgericht nicht als widerlegt an. Bei der vom Leisten-Felsen ausgehenden, linksrheinisch gerichteten Strömung, die im angefochtenen Urteil festgestellt ist, muhte eine weitere Annäherung der 5 m voneinander entfernten Schiffe in der gegebenen Höhenlage (Hinterschiff A" - Vorderschiff B") unter allen Umständen verhindert werden. Dies hätte zwar - unter der Voraussetzung, daß A" nicht gleichzeitig Steuerbordruder gegeben hätte, wie die Beklagten unter Berufung auf die Aussagen des Lotsen C" behauptet haben - dadurch geschehen können, daß B" nicht seinen Kurs beibehalten, sondern Steuerbordkurs genommen hätte. In der Beibehaltung des Kurses des B" hat jedoch das Berufungsgericht mit Recht keinen nautischen Fehler der Schiffsführung des B" gesehen. Denn die Durchführung des Aufpackmanövers lag, wie die Revision zutreffend ausführt, bei A", wenn sich auch dessen Fahrweise, wie dem Berufungsgericht zugegeben ist, das aufzunehmende Schiff anzupassen hatte. Hat demnach kein schuldhaftes Verhalten der Schiffsführung des B" zu dem Aneinandergeraten der beiden Schiffe geführt, so könnte, wie auch das Berufungsgericht erkannt hat, ein ursächliches Verschulden der Schiffsführung des B" nur dann in Frage kommen, wenn sie durch fehlerhafte zu hohe Geschwindigkeit vor dem Ankommen des A" oder durch einen schuldhaft nautischen Fehler nach der Schiffsberührung das Abkommen des Schleppbootes unmöglich gemacht hätte.
Zunächst begegnet schon die Feststellung des Berufungsgerichtes, B" sei mit zu großer Geschwindigkeit gefahren, rechtliche Bedenken. Im angefochtenen Urteil sind weder Ausführungen darüber enthalten, mit welcher Geschwindigkeit über Grund B" tatsächlich fuhr, noch darüber, mit welcher er ohne Verstoß gegen nautische Erfahrung hätte fahren dürfen. Bereits dieser Mangel müßte zur Aufhebung des Urteils führen (wird ausgeführt).
Sollte das Berufungsgericht nach erneuter Verhandlung nicht feststellen können, daß B" zur Zeit des Unfalls einen größeren Vorausgang als 1 m/sec besaß, so bedarf es der Prüfung, ob bei den gegebenen Strömungsverhältnissen die Beibehaltung einer solchen Geschwindigkeit bei der Durchführung des Vorspannmanövers überhaupt als nautisch fehlerhaft angesehen werden kann. Darüber hinaus unterliegt aber die Ansicht des Berufungsgerichts, daß bei geringerer Geschwindigkeit das Kentern vermieden worden wäre, durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Zwar hat der Tatrichter, ohne an die Beweislast gebunden zu sein (RGZ 155, 39 BGH NJW 1951, 405), noch § 287 ZPO festzustellen, ob ein Handeln oder Unterlassen das Schadensereignis verursacht hat. Dabei hat jedoch das Gericht seine für die Annahme des ursächlichen Zusammenhangs maßgebenden Erwägungen darzulegen (BGHZ 6, 62); seine auf Grund des festgestellten Tatbestandes gezogenen Schlußfolgerungen müssen im Rahmen des dem Gericht eingeräumten freien Ermessens logisch begründet sein und dürfen den Denkgesetzen und Erfahrungssätzen nicht widersprechen. Sofern das Gericht keine eigene Sachkunde hat, muh es sich eines Sachverständigen bedienen. Will es dem Sachverständigen nicht folgen, so muh es seine Ansicht einleuchtend begründen. Ob hiernach die Grenzen freien Ermessens überschritten sind, hat das Revisionsgericht nachzuprüfen (RGZ 76, 174).
Die Ausführungen, mit denen das Berufungsgericht anscheinend den ursächlichen Zusammenhang der angeblich zu hohen Geschwindigkeit des B" mit dem Kentern des Schleppbootes hat feststellen wollen, stehen in Widerspruch mit den Erwägungen, die im angefochtenen Urteil bei der Erörterung über daß Maß des beiderseitigen Verschuldens angestellt werden (wird ausgeführt).
Für die Annahme eines ursächlichen Zusammenhangs reicht die bloße Wahrscheinlichkeit nicht aus; vielmehr muh das Gericht zu der Überzeugung gekommen sein, daß das Schadensereignis mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit nicht eingetreten wäre, wenn die Schiffsführung des B" den im angefochtenen Urteil angenommenen nautischen Fehler nicht gemacht hätte (BGHZ 2, 138).
Aus dem Zusammenhang der Ausführungen ergibt sich, daß der Sachverständige nicht erst dann den Unfall für unvermeidlich hielt, als A" quer vor B" tag, sondern bereits in dem Zeitpunkt, als das Heck des A" an das Vorderschiff des B" geriet. Weiterhin ist der Sachverständige der Ansicht, das Vorspannboot wäre auch dann von dem aufzunehmenden Schiff nicht mehr freigekommen, wenn B" überhaupt keine Vorausfahrt mehr gehabt hätte. Diese Ansicht ist nicht von der Hand zu weisen, wenn man berücksichtigt, daß der Bug des Motorschiffs als Drehachse wirkte, um die linksrheinisch gerichtete Strömung den über den Steven des B" hinausreichenden Teil des Schleppbootes nach Steuerbord drückte. Die Druckspuren, die der Steven des B" beim Kentern des Schleppbootes hervorrief und die sich um das ganze Unterwasserschiff des A" herumzogen, ergeben, daß A" mit 16 m seiner Gesamtlänge von 25 m vor dem Steven des B" lag. Es liegt nahe, daß in dieser Lage das Vorspannboot durch die starke, linksrheinisch gerichtete Strömung auch dann mit seinem Bug nach Steuerbord bis zur Querlage gedrückt werden muhte, wenn B" überhaupt keine Fahrt über Grund mehr mochte. Denn, wie das Berufungsgericht, dem Sachverständigen folgend, ausführt, ist durch das Aneinanderkommen der beiden Schiffe bei A" ein loses Ruder" entstanden, wodurch das Schleppboot seine Manövrierfähigkeit einbüßte, das Drehen des Ruders nach Backbord also ohne Erfolg bleiben muhte.
Sollte ein ursächlicher Zusammenhang der Maschinen- und Ruderbedienung durch den Lotsen C" mit dem Kentern des Schleppbootes nicht festgestellt werden können, so braucht nicht geprüft zu werden, ob der Beklagte zu 2 dem Lotsen das Ruder überlassen durfte. Andernfalls erscheint es angebracht, über die Frage, ob dem Lotsen auch die Maschinenbedienung überlassen werden kann, eine gutachtliche Äußerung der für den Lotsendienst zuständigen amtlichen Stelle herbeizuführen.
b) Urteil des BGH vom 21. Jan. 1963:
Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Es sei kein Beweis dafür erbracht worden, daß die Geschwindigkeit des MS B" vor dem Ankommen des Schleppbootes A" so groß gewesen sei, daß sie als nautisch fehlerhaft bezeichnet werden könne. Es spreche alles dafür, daß sie im Zeitpunkt des Aneinandergeratens der beiden Fahrzeuge eher weniger denn mehr als 1 m/sec (= 3,6 km/h) betragen habe. In ausführlicher Würdigung des Ergebnisses der Beweisaufnahme hält es das Berufungsgericht sogar für durchaus glaubhaft, daß der Vorausgang des B" in diesem Augenblick nicht größer als 2,5 km/h (etwa 0,7 m/sec) gewesen sei. Die Beibehaltung einer Geschwindigkeit von nicht mehr als 1 m/sec bei der Durchführung des Vorspannmanövers könne nicht als nautisch fehlerhaft angesehen werden.
Das Berufungsgericht verweist sodann auf die Gutachten dreier Sachverständiger, wonach die starke Strömung allein auch ohne Vorausgang von B" genügt haben würde, um das Schleppboot unter Wasser zu drücken. Nach dem weiteren Gutachten der Versuchsanstalt für Binnenschiffbau in Duisburg habe zwar die Geschwindigkeit von B"; von etwa 10,5 km/h gegenüber dem Wasser genügt, das Schleppboot zum Kentern zu bringen; der Versuchsanstalt sei es aber nach ihrer Äußerung nicht möglich gewesen, die Grenze zu ermitteln, bis zu der die Geschwindigkeit gegenüber dem Wasser hätte reduziert werden müssen, um den Unfall zu verhindern.
Die Revision meint, das Berufungsgericht habe den Sachverständigen D" mißverstanden. Wenn dieser eine Herabsetzung der Geschwindigkeit gegenüber dem Wasser von etwa 10 km/h auf 5 km/h verlangt habe, so habe sich dies auf eine entsprechende Abdrosselung der Geschwindigkeit bis zur Strangübergabe bezogen, aber nicht eine Beibehaltung dieser Geschwindigkeit eingeschlossen.
Das hat das Berufungsgericht nicht verkannt. Der Sachverständige hat bei seiner mündlichen Vernehmung ausgeführt: Ich bin der Meinung, daß eine Strangübergabe bei einer Geschwindigkeit gegenüber dem Wasser von etwa 10 km/h ein nautischer Fehler ist. Es mühte die Geschwindigkeit nach meiner Auffassung so weit herabgesetzt werden, daß die Geschwindigkeit gegenüber dem Strom bei dem aufzunehmenden Schiff etwa 5 km/h beträgt." Danach hat der Sachverständige die Ansicht vertreten, B" habe im Augenblick der Strangübergabe nicht nur keinen Vorausgang haben dürfen, sondern sich treiben lassen müssen. Ohne Rechtsfehler ist das Berufungsgericht dieser Ansicht im Hinblick auf die Art und Weise des von A" eingeleiteten Vorspannmanövers nicht gefolgt.
Die Revision will weiter der Schiffsführung von B" zum Verschulden anrechnen, daß B" seine Geschwindigkeit nicht so weit vermindert habe, daß er in Höhe von A" keinen Vorausgang mehr gehabt hätte. Damit setzt sich die Revision in Widerspruch zu der Feststellung im angefochtenen Urteil, dass beim Vorspannmanöver das aufzunehmende Fahrzeug üblicherweise einen gewissen Vorausgang beibehalte. Durch seinen geringen Vorausgang hat sich B" der Fahrweise des Vorspannbootes angepal3t; die Schiffsführung von B" durfte darauf vertrauen, daß A" das Vorspannmanöver unter Beachtung der nautischen Sorgfaltspflicht ausführte.