Jurisprudentiedatabank
Leitsatz:
Die nach § 823 BGB begründete Haftung des Schiffseigner-Schiffers eines Sportmotorbootes ist auch bei bloß nautischem Verschulden nicht auf Schiff und Fracht beschränkt, sondern unbeschränkt.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 4. Mai 1961
II ZR 173/59
Zum Tatbestand:
Der Beklagte fuhr Mitte Juni gegen 21.00 Uhr aus einem Verbindungskanal kommend auf einem Berliner See bei wolkenlosem Himmel und stillem Wasser mit seinem Sportmotorboot (9 m lang, 1,5 m breit, 50 PS) bei einer soeben auf 12 km/h erhöhten Geschwindigkeit in eine Gruppe einiger Schwimmer, die in den See 30 m von der Kanalmündung und 30 bis 35 m vom Südufer des Sees entfernt hinausgeschwommen waren. Die Klägerin erlitt dabei durch die Schraube des Motorbootes Verletzungen an beiden Beinen. Beim Beklagten wurde ein Blutalkoholgehalt von 1,4 zur Unfallzeit festgestellt.
Die Klägerin verlangt unter Anerkennung eines eigenen Mitverschuldens von einem Drittel Schmerzensgeld, eine Schmerzensgeldrente und die Feststellung, daß der Beklagte zum Ersatz allen weiteren Schadens zu verpflichtet sei.
Das Schiffahrtsgericht verurteilte den Beklagten zur Zahlung von Schmerzensgeld von 1000DM, einer Schmerzensgeldrente von 360 DM jährlich und zu der begehrten Feststellung, dies jedoch nur zur Hälfte. Das Schiffahrtsobergericht verurteilte den Beklagten zur Zahlung eines einmaligen Schmerzensgeldes von 8000 DM und gab dem Feststellungsantrag in der beantragten Höhe (2/3) statt. Die Revision des Beklagten war erfolglos.
Aus den Entscheidungsgründen:
Das Berufungsgericht bejaht eine Schadensersatzpflicht des Beklagten, weil dieser durch Fahrlässigkeit bei der Führung seines Motorbootes die Verletzungen der Klägerin verursacht habe. Es stellt fest, zur Unfallzeit seien, obwohl die Sonne bereits um 20.31 Uhr untergegangen sei, die Sichtverhältnisse noch so gewesen, daß die Schwimmer auf eine Entfernung von mindestens 25 m erkennbar gewesen seien, zumal sie sich nicht im Schatten am Ufer stehender Bäume befunden hätten. Wenn der Beklagte die Schwimmer nicht wahrgenommen habe, beruhe dies darauf, daß der vorangegangene Alkoholgenuß seine Sehfähigkeit beeinträchtigt habe. Aber selbst wenn unterstellt werde, der zur Unfallzeit herrschende Helligkeitsgrad habe nur 2 Lux betragen und es unmöglich gemacht, auch bei normaler Sehfähigkeit Schwimmer auf 25 oder 30 m Entfernung zu erkennen, treffe den Beklagten ein Schuldvorwurf. Da ihm bekannt gewesen sei, daß an der Unfallstelle auch abends gebadet werde, habe er seine Geschwindigkeit bei der Ausfahrt aus dem Kanal nicht erhöhen dürfen, um so weniger, als er damals zur Führung des Bootes ungeeignet gewesen sei. Hätte er seine Geschwindigkeit den ihm bekannten Umständen angepaßt, wäre der Unfall vermieden worden. Daß die von ihm eingehaltene Geschwindigkeit nicht schlechthin verboten sei, sei unerheblich.
Wenn die Revision meint, das Einhalten einer ganz geringen Geschwindigkeit sei dem Beklagten nicht zumutbar gewesen, da hierbei der Schiffsverkehr zum Erliegen kommen müsse, übersieht sie, daß der Beklagte nur die kurze Strecke langsam zu fahren brauchte, bis er die Badestelle hinter sich hatte. Das war nicht nur zumutbar, sondern dazu war er zur Vermeidung eines Unfalls verpflichtet, da er von der Badestelle Kenntnis hatte, und zwar auch dann, wenn, wie das Berufungsgericht hierbei zu seinen Gunsten unterstellt, das Baden an dieser Stelle überhaupt nicht erlaubt war und dazu noch bis in den gewöhnlichen Bereich des Schiffahrtsverkehrs ausgedehnt wurde. Da dem Beklagten bekannt war, daß in dieser Weise Verbotsbestimmungen ständig übertreten wurden, kann er sich zu seiner Entschuldigung nicht darauf berufen, bei Beachtung des Verbots wäre ein Unfall vermieden worden und hierauf habe er vertrauen dürfen (BGH VersR 58, 484, 611).
Daß die Klägerin das Bewußtsein gehabt habe, wenn sie wie andere an der Unfallstelle bade, könne sie durch ein Boot gefährdet werden, weil dessen Führer ohne die notwendige Aufmerksamkeit oder zu schnell fahre, kann den Ausführungen des Berufungsgerichts nicht entnommen werden. Dazu kommt, daß nach der nunmehr im Urteil des Vl. Zivilsenats vom 14. März 1961 VI ZR 189/59 (NJW 1961, 655) vertretenen Auffassung, der sich der erkennende Senat anschließt, selbst die bewußte Inkaufnahme der Gefahr durch den Geschädigten grundsätzlich nicht zu einem Haftungsausschluß führt, sondern unter dem Gesichtspunkt des § 254 BGB zu würdigen ist.
Das Berufungsgericht führt weiter aus, auch die Klägerin treffe eine Mitschuld an dem Unfall, da sie unter Verstoß gegen § 2 der Berliner Polizeiverordnung vom 3. Mai 1934, der eine Störung des Schiffahrtsbetriebs verbiete, in den Bereich des Schiffahrtsverkehrs hinausgeschwommen sei.
Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht angenommen, daß das überwiegende Verschulden, das nach § 254 gleichfalls abzuwägen ist, den Beklagten treffe, und dem entsprechend die Schadensteilung vorgenommen. Soweit die Revision weiter gewisse Umstände zu Lasten der Klägerin unterstellen will, verkennt sie, daß der Beklagte die das Mitverschulden begründenden Tatsachen zu beweisen hat.
Obgleich der Schaden der Klägerin infolge fehlerhafter Führung des Motorbootes durch dessen Eigentümer selbst entstanden ist, lehnt das Berufungsgericht es ab, die Haftung des Beklagten gemäß § 4 Abs. 2 Satz 2 BinnSchG auf Schiff und Fracht zu beschränken. Das Berufungsgericht hat seine Ansicht damit begründet, daß das Motorboot des Beklagten kein Schiff im Sinne des § 1 des BinnSchG sei, da es ausschließlich der Erholung und sportlichen Betätigung diene.
Es kann dahingestellt bleiben, ob die Rechtsansicht des Berufungsgerichts bedenkenfrei ist (vgl. dagegen Vortisch-Zschucke, BSchG 2. Aufl. § 1 Anm. 2e, 5b; ferner RGZ 51, 330, 334; BGHZ 3, 34, 43; BGH NJW 52, 1135) und die Revisionsangriffe im übrigen begründet sind. Denn die Entscheidung erweist sich im Ergebnis aus anderen Gründen als richtig (§ 565 Abs. 3 ZPO).
Die unbeschränkte persönliche Haftung des Beklagten ergibt sich aus dem Zweck, den der Gesetzgeber verfolgte, als er die Haftung des Schiffers, der gleichzeitig Schiffseigner ist, für nautisches Verschulden regelmäßig auf Schiff und Fracht beschränkte (§ 4 Abs. 2 Satz 2 BinnSchG). Diese Haftungsbeschränkung bedeutet eine weitgehende und ganz vereinzelte Ausnahme von dem sonst allgemeingültigen Rechtsgrundsatz, daß edermann für eigenes Verschulden voll einzutreten habe. Anlaß zu dieser Ausnahme bot dem Gesetzgeber, wie der Senat in seinem Urteil BGHZ 33, 234 bereits dargelegt hat, die Erwägung, daß es ungerecht sei, den Schiffer, der sein Schiff selbst führe, für nautisches Verschulden unbeschränkt haften zu lassen, während die Schiffahrtsgesellschaften, die ihr Schiff durch einen angestellten Schiffer steuern ließen, nach § 4 Abs. 1 Nr. 3 BinnSchG nur mit Schiff und Fracht hafteten. Maßgegebend waren demnach soziale Erwägungen, die darin ihre Rechtfertigung finden, daß das Schiff nach dem Bild, das die Binnenschiffahrt im Jahre 1895 bot, in der Regel einen erheblichen Wert darstellte und die Haftung mit dem Schiff für den Schiffseigner-Schiffer schon eine erhebliche Belastung mit sich brachte. Als soziales Leitbild des Eigenschiffers hatte der Gesetzgeber den Partikulierschiffer vor Augen, der häufig mit seiner Familie an Bord seines Schiffes wohnt und ohne Bindung an einen bestimmten Ort auf allen erreichbaren Wasserstraßen jede Gelegenheit zur Ausführung von Schiffahrtsgeschäften wahrnimmt (vgl. Vortisch-Zschucke, Binnenschiffahrtsrecht, § 4 Anm. 9a). Ihm konnte sogar die Haftung mit Schiff und Fracht schon die Lebensgrundlage entziehen, so daß eine soziale Rücksichtnahme auf ihn, insbesondere im Vergleich mit den Schiffahrtsunternehmen, die Beschränkung seiner Haftung geboten erscheinen ließ, auch wenn ein allgemeiner Rechtssatz dadurch zu einem Teil preisgegeben wurde und dem Eigenschiffer gegenüber dem angestellten Schiffer, der noch § 7 BinnSchG für nautisches Verschulden unbeschränkt haftet, eine Vorzugsstellung eingeräumt wurde.
Die Frage, ob die ausnahmsweise Haftungsbeschränkung auch dem Eigner eines Sportmotorbootes zugutekommen sollte, stellte sich bei den damaligen Binnenschiffahrtsverhältnissen nicht. Sie ist jetzt auf Grund des Sinns und Zwecks, den der Gesetzgeber mit der Haftungsbeschränkung verfolgte, verneinend zu beantworten. Die sozialen Erwägungen, die für § 4 Abs. 2 S. 2 BinnSchG entscheidend waren, treffen für den Eigner eines Sportmotorbootes nicht zu. Da es rechtlich geboten ist, Ausnahmebestimmungen nicht über die Grenzen des sie tragenden und rechtfertigenden Sinn- und Zweckgehalts hinaus anzuwenden, scheidet eine Haftungsbeschränkung für den Eigentümer jedenfalls eines Sportmotorbootes, der sein Boot selbst führt, im Bereich der Haftung nach § 823 BGB aus, ohne Rücksicht darauf, ob das Boot im Einzelfall Sportzwecken dient. Daß es sich bei dem Boot des Beklagten typenmäßig um ein Sportmotorboot handelt, ist nach dem Vorbringen des Beklagten, der es als Autoboot von 9 m Länge und 1,5 m Breite mit einem 50 PS Motor bezeichnet, nicht zweifelhaft. Das Berufungsgericht hat infolgedessen im Ergebnis mit Recht davon abgesehen, § 4 Abs. 2 Satz 2 BinnSchG anzuwenden.