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Leitsätze:
1) An die Voraussetzungen, unter denen die kreuzende Kursänderung zulässig ist, sind strenge Anforderungen zu stellen, da das Gesetz das Verbot der Kursänderung nicht darauf abstellt, ob eine Kollisionsgefahr tatsächlich besteht, sondern darauf, ob das Entstehen einer solchen Gefahr möglich ist.
2) Den unter dem frischen Eindruck des Unfallgeschehens stehenden, für ihn ungünstigen Angaben des Schiffsführers kommt regelmäßig auch dann besondere Bedeutung zu, wenn die Angaben bei einer polizeilichen Vernehmung gemacht worden sind.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 19. Februar 1968
II ZR 167/65
(Rheinschiffahrtsobergericht Karlsruhe)
Zum Tatbestand:
Die bei dem Kläger versicherten Tankmotorschiffe H1 und H5 fuhren längsseits gemeert linksrheinisch bei km 477 zu Tal. Der Schleppzug wurde von dem Schiffsführer E. von H5 geführt, und zwar von dem steuerbords gekoppelten H1 aus, da sich der Schiffsführer Sch. von H1 wegen eines Motorschadens auf H5 befand. Vor und hinter dem Schleppzug fuhren weitere Talfahrer. Rechtsrheinisch kam das dem Beklagten zu 1 gehörende, vom Beklagten zu 2 geführte MS M mit blauer Seitenflagge zu Berg. Nachdem es den vor dem Talschleppzug fahrenden Talfahrer passiert hatte, zog der Beklagte zu 2 die Flagge ein, um mit Steuerbordkurs den Übergang zum linksrheinischen Ufer zu machen. Der Hansa-Schleppzugführer, der das Übergangsmanöver sofort erkannte und auch annahm, daß M an Backbord vorbeifahren wollte, holte seine blaue Seitenflagge nicht ein und nahm nach Abgabe des Schallzeichens, „zweimal kurz", Kurs nach Backbord zum linken Ufer. Ein darauf vom Beklagten zu 2 gegebenes Steuerbordsignal wurde vom H-Führer wiederum mit Backbordsignal beantwortet. Den drohenden Zusammenstoß versuchte der Beklagte zu 2 durch Abdrehen nach Backbord zu vermeiden. M stieß jedoch mit dem Steuerbordvorschiff gegen das Steuerbordvorschiff von H1, wodurch beide Schiffe erheblich, außerdem H5 geringfügig beschädigt wurden. Danach geriet M gegen das inzwischen hinter dem Schleppzug bis auf etwa 50 m aufgekommene, ebenfalls zu Tal fahrende MS D, wodurch beide Schiffe beschädigt wurden.
Der Kläger verlangt Schadensersatz, weil M das Fahrwasser fehlerhaft gewechselt und das Backbordsignal des Schleppzuges nicht beachtet habe. Die Beklagten sehen in der Mißachtung der Kursweisung des Bergfahrers die alleinige Unfallursache.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat die Klage zu 2/5 dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und sie im übrigen abgewiesen. Das RheinschiffahrtsoWgericht hat sie ganz abgewiesen. Auf die Revision der Klägerin ist das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur anderweiten Entscheidung an das Berufungsgericht zur3ckverwiesen worden.
Aus den Entscheidungsgründen:
Nach § 37 Nr. 2 RhSchPVO dürfen beim Begegnen Fahrzeuge, deren Kurse jede Gefahr eines Zusammenstoßes ausschließen, ihren Kurs nicht in einer Weise ändern, die die Gefahr eines Zusammenstoßes herbeiführen könnte. Da der Bergfahrer M rechtsrheinisch, der Hansa-Talzug linksrheinisch fuhren, schlossen ihre Kurse jede Gefahr eines Zusammenstoßes aus. Der Bergfahrer änderte seinen Kurs, als er sich anschickte, den Übergang zum linken Ufer zu machen. Es ist daher zu prüfen, ob diese Kursänderung die Gefahr eines Zusammenstoßes herbeiführen konnte. Die gesetzliche Regelung will verhindern, daß ein Fahrzeug den Kurs eines anderen Fahrzeuges schneidet und hierdurch eine Kollisionsgefahr entstehen kann. Eine solche Gefahr kann dann entstehen, wenn ein Fahrzeug in nicht ausreichender Entfernung von dem Gegenfahrer dessen Kurs kreuzt. Kommt es zu einem Zusammenstoß, so muß das den Kurs ändernde Fahrzeug beweisen, daß durch die Kursänderung keine Gefahr entstehen konnte; denn nur unter dieser Voraussetzung ist die Kursänderung erlaubt. Da die Kollisionsgefahr bei sich kreuzenden Kursen insbesondere davon abhängt, in welcher Entfernung vom Gegenfahrer das Fahrzeug seinen Kurs geändert hat, hat das kreuzende Fahrzeug die Beweislast auch für diese Entfernung. Das Gesetz stellt ferner das Verbot der Kursänderung nicht darauf ab, ob eine Kollisionsgefahr tatsächlich besteht, sondern darauf, ob das Entstehen einer solchen Gefahr möglich ist. Im Interesse der Verkehrssicherheit ist es daher geboten, stenge Anforderungen an die Voraussetzungen zu stellen, unter denen die kreuzende Kursänderung zulässig ist.
Das Berufungsgericht hat die Distanz zwischen dem Bergfahrer und dem Talschleppzug bei Beginn des Oberganges des Bergfahrers mit „jedenfalls über 250 m, und zwar ca. 300 m" angenommen und sich dabei auf Zeugenaussagen berufen. Der Beklagte zu 2 hat selbst bei seiner polizeilichen Vernehmung die Entfernung mit ca. 200 m angegeben, sein Matrose R. hat das bestätigt. Damit hat sich das Berufungsgericht, wie die Revision zutreffend rügt, nicht auseinandergesetzt. Den unter dem frischen Eindruck des Unfallgeschehens stehenden, für ihn ungünstigen Angaben des Schiffsführers kommt regelmäßig auch dann besondere Bedeutung zu, wenn die Angaben bei einer polizeilichen Vernehmung gemacht worden sind. Auch erscheint es nicht ausgeschlossen, daß das Berufungsgericht bei seiner Feststellung von einer unrichtigen Verteilung der Beweislast ausgegangen ist.
Allein die Tatsache, daß eine Sekundenrechnung angestellt werden muß, deutet darauf hin, daß die Möglichkeit der Gefahr eines Zusammenstoßes nicht ausgeschlossen werden konnte. Die Annahme des Berufungsgerichts, ein leichter Steuerbordkurs des Talzuges hätte ausgereicht, um die Begegnung weisungsgemäß und ohne Gefahr durchzuführen, ist mangels ausreichender und einwandfreier Feststellungen nicht nachprüfbar, so daß das angefochtene Urteil keinen Bestand haben kann. Unerheblich für die Entscheidung ist, ob der Übergang an der Unfallstelle üblich ist und ob der nachfolgende Bergfahrer den Bergfahrer M überholen wollte.
Hat TMS Meine nach § 37 Nr. 2 RhSchPVO verbotene Kursänderung vorgenommen, so hat sie von dem ihr nach § 38 zustehenden Kursweisungsrecht einen falschen Gebrauch gemacht. Das entbindet zwar den Talfahrer von seiner nach § 39 Nr. 1 RhSchPVO bestehenden Pflicht, die Kursweisung zu befolgen, läßt aber sein Verschulden in einem wesentlich milderen Licht erscheinen, zumal er, wenn auch ohne genügende objektive Grundlage, glaubte, er könne nach § 40 Nr. 1 Abs. 3 RhSchPVO von dem Bergfahrer die Begegnung an Steuerbord verlangen.
Das Berufungsgericht hat zwar recht, daß einem Schiffsführer grundsätzlich kein Vorwurf daraus gemacht werden kann, wenn er gemäß dem Gebot des § 37 Nr. 3 RhSchPVO den in §§ 38 ff. festgelegten Kurs beibehält, daß er im Gegenteil grundsätzlich verpflichtet ist, diesem Gebot Folge zu leisten. Hier liegt jedoch ein Ausnahmefall nach § 5 RhSchPVO vor. Im Verlauf der Annäherung der beteiligten Fahrzeuge erkannte der Bergfahrer, daß der Talfahrer der Kursweisung nicht folgen werde und schließlich mit seinem schwerfälligen Schleppzug auch nicht mehr folgen konnte, während es dem wendigeren Bergfahrer noch möglich war, die bei Beibehaltung seines Kurses unfehlbar drohende Kollision durch Backbordkurs zu vermeiden. Der Bergfahrer ist auch zuletzt nach Backbord ausgewichen, jedoch erst dann, als es schon zu spät war. Bei den besonderen Umständen des Falles hätte er schon nach dem ersten Backbordsignal des Talfahrers Backbordruder geben müssen. Sein Verhalten ist nicht unter dem Gesichtspunkt des Manövers des letzten Augenblicks gerechtfertigt, da ihm die immer drohender sich entwickelnde Gefahrenlage durch die Backbordsignale des Talzuges klar zum Bewußtsein gebracht wurde. Mit Recht hat das Rheinschiffahrtsgericht unter diesen Umständen dem Bergfahrer vorgeworfen, es habe sein Kursweisungsrecht mit Gewalt erzwingen wollen.
Nach alledem war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.