Jurisprudentiedatabank
Leitsätze:
1) Es ist kein unzulässiges Beiseitedrücken eines überholenden Bergfahrers, wenn der Talfahrer den nach nautischen Regeln für ihn erforderlichen Kurs einschlägt und damit den überholenden Bergfahrer veranlaßt, das Überholen abzubrechen.
2) Der Begegnende hat das Vorrecht vor dem Überholenden.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 9. Oktober 1967
II ZR 156/65
(Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort; Rheinschiffahrtsobergericht Köln)
Zum Tatbestand:
Die Klägerin verlangt Schadensersatz von ca. 90 000 DM wegen eines Schadens, den ihr Kahn G bei einer Kollision mit dem Schubverband R, dessen Ausrüsterin die Beklagte zu 1 und dessen Schiffsführer der Beklagte zu 2 waren, erlitten hat.
Am Unfalltage fuhr Boot S mit den beladenen Kähnen D auf erster und G auf zweiter Länge ganz rechtsrheinisch bei Rees zu Berg und wurde steuerbords von dem der Streithelferin zu 1 gehörenden MS W überholt. Linksrheinisch zu Berg fuhr der Schleppzug O mit den beladenen Kähnen M, K, T und B und wurde auf Backbordseite von dem der Streithelferin zu 2 gehörenden MS Ra, mit einem auf langem Strang fahrenden Kahn L im Anhang, überholt. Der Schubverband kam in der Linksbiegung etwas unterhalb km 836 in der üblichen Schwalbenschwarzform mit 4 Leichtern ä 70 m lang zu Tal (Gesamtlänge 140 m, Gesamtbreite 27,50 m) und wollte zwischen MS Ra und MS W, das sich in Höhe von Boot S befand, passieren. Dabei geriet der Schubverband jedoch mit dem achteren Steuerbordleichter gegen W und (leicht) gegen D, sodann mit dem vorderen Teil des gleichen Leichters steuerbords gegen den Bug von G. Der Leichter riß ab. Die Klägerin und ihre Nebenintervenientinnen sehen die Unfallursache allein darin, daß der Schubverband infolge falscher Steuerung und unzureichender Steuerfähigkeit in der Flußkrümmung in den Hang verfallen und in eine starke Schräglage geraten sei.
Die Beklagten bestreiten dies und führen die Kollision nur auf das fehlerhafte Verhalten der Bergfahrt, insbesondere der, beiden Überholer MS W und MS Ra. Alle 3 Instanzen haben die Klage in vollem Umfang dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt.
Aus den Entscheidungsgründen:
Mit Recht ist das Berufungsgericht der Ansicht, der richtige Kurs des leeren Schubverbandes wäre gewesen, schon von weit oben her in dem Zeitpunkt, als er seinen Kurs für die Vorbeifahrt an den Bergfahrern habe bestimmen müssen, wegen des Hangs und des Seitenwindes die Innenseite der starken Linkskrümmung möglichst nahe anzuhalten. Diese Pflicht bestand insbesondere mit Rücksicht auf die rechtsrheinische Bergfahrt, die einer Kollisionsgefahr unmittelbar ausgesetzt war, wenn der Talzug mehr als unvermeidbar im Hang und Seitenwind verfiel. Der Talfahrer ist daher einen falschen Kurs gefahren, als er in dem genannten Zeitpunkt seinen Fahrtweg in der Mitte des Fahrwassers fortsetzte, was dazu führte, daß es ihm, als er verspätet den richtigen Kurs einschlug, trotz scharfen Anhaltens des MS Ra nicht mehr möglich war, beim Aufstrecken seinen Steuerbord-Achterleichter vor dem Zusammenstoß mit der Bergfahrt zu bewahren. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts kann sich der Talfahrer zu seiner Entschuldigung nicht darauf berufen, daß in der ersten Phase des Unfallgeschehens der Ravel-Bergzug soweit aus dem- linken Ufer fuhr, daß nur eine Durchfahrtsbreite von 40 m zur rechtsrheinischen Bergfahrt vorhanden war. Der Talfahrer konnte und mußte nach nautischer Erfahrung damit rechnen, daß ihm die linksrheinische Bergfahrt entsprechend ihrer sich aus § 38 Nr. 1 RhSchPVO (für das überholende MS Ra zusätzlich aus §§ 37 Nr. 1, 42 Nr. 1 S. 1 RhSchPVO) ergebenden Pflicht rechtzeitig Platz machen werde, wenn er den für ihn nautisch gebotenen Kurs einschlug. Er mußte möglichst frühzeitig den richtigen Kurs nehmen, um die Bergfahrer, insbesondere das MS Ra, das nach der Feststellung im angefochtenen Urteil zum O-Schleppzug einen Seitenabstand von 25 bis 35 m innehielt, über seinen Kurs klar ins Bild zu setzen, damit, diese die erforderlichen Maßnahmen (nahes Beigehen, Zurückfallenrassen) rechtzeitig ergriffen hätten. Es ist kein unzulässiges Beiseitedrücken eines überholenden Bergfahrers, wenn der Talfahrer den nach nautischen Regeln für ihn erforderlichen Kurs einschlägt und damit den überholenden Bergfahrer veranlaßt, das Überholen abzubrechen. Denn der Begegnende hat das Vorrecht vor dem Überholenden (BGH VersR 1960, 594). Der Talfahrer hätte daher schon vor der Begegnung mit dem Boot O mit seinem 27,5 m breiten Verband in leichter Schräglage in der linken Fahrwasserhälfte hart an der Fahrwassermitte fahren müssen. Dann wäre für alle Bergfahrer, insbesondere für Ra, die Situation von vornherein klar gewesen. Es hätte sich dann der im linksrheinischen Fahrwasser geringere Hang auf den in leichter Schräglage befindlichen Schubverband nicht so stark auswirken können, das Verfallen bis fast an die Grenze des rechtsrheinischen Fahrwassers und damit die Kollision mit W und G wären vermieden worden.
Für seinen Navigationsfehler hat der Talfahrer einzustehen.
Es spielt in diesem Rechtsstreit keine Rolle, daß, wie in den Urteilen vom 23. Oktober 1967 II ZR 144, 145/65 dargelegt, die Schiffsführung von Ra ein höheres und die von W ein gleiches Verschulden wie den Talfahrer trifft. Dies ist nur für die Ausgleichspflicht unter den schuldigen Schiffen von Bedeutung. Der Führung des Kahns G ist, wie das Berufungsgericht zutreffend ausführt, ein fehlerhaftes nautisches Verhalten nicht vorzuwerfen. Der Klägerin haften die Beklagten als Gesamtschuldner nach § 92 BSchG, §§ 735, 739 Abs. 2 HGB, §§ 4 Abs. 1, 114 BSchG, §§ 823 Abs. 1, 840 Abs. 1 BGB."