Jurisprudentiedatabank
Leitsatz:
Zur Darlegungs- und Beweislast des Verfrachters im Rahmen der §§ 606, 608 HGB (hier: bei geringen Sackrißschäden).
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 9. Februar 1978
II ZR 14/76
(Landgericht Hamburg; Oberlandesgericht Hamburg)
Zum Tatbestand:
Von einer Partie von 7700 Säcken Kakaobohnen, deren Beförderung die Beklagte übernommen hatte, wiesen 46 Säcke beim Löschen Risse auf.
Die Klägerin macht aus abgetretenem Recht den daraus entstandenen Schaden von ca. 1900 fl gegen die Beklagte geltend.
Die Beklagte macht geltend, daß ein so geringer Prozentsatz von 0,6 % der beförderten Säcke auch bei sorgsamster Ladungsbehandlung unvermeidlich sei. Die vereinzelt an Jutesäcken auftretenden fehlerhaften Stellen im Gewebe oder an den Nähten könnten bei Übernahme der Säcke nicht erkannt werden. Alle Maßnahmen zur Überwachung der Lade- oder Löschvorgänge seien demgegenüber wirkungslos. Wegen der Unvermeidlichkeit solcher Schäden sei es üblich, derartige Ladungsschäden hälftig zwischen Verfrachter und Empfänger zu verteilen. Nach Regel 16 Abs. 4 der Konossementsbedingungen (KB) müsse der Schaden auch nach dem Basis-Cif-Wert abgerechnet werden, der unter dem von der Klägerin zugrundegelegten gemeinen Wert der Güter im Bestimmungshafen liege.
Beide Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Die Revision der Beklagten blieb erfolglos.
Aus den Entscheidungsgründen:
„...
Der Teilverlust der Ladung ist in der Zeit zwischen ihrer Annahme und ihrer Ablieferung durch die Beklagte eingetreten. Deshalb hat sich diese, die nach § 607 HGB auch das sogenannte kommerzielle Verschulden ihrer Leute und der Schiffsbesatzung im gleichen Umfange wie eigenes Verschulden zu vertreten hat, zu entlasten (§ 606 Satz 2 HGB). Hierzu muß sie zunächst die Schadensursache aufklären (BGH, Urt. vom 20. März 1956 - 1 ZR 153/54, LM § 606 HGB Nr. 2). Schon daran fehlt es. Insbesondere ergibt sich insoweit nichts aus dem Vorbringen der Beklagten über den regelmäßigen Eintritt prozentual geringfügiger Sackrißschäden bei Seetransporten oder über die Möglichkeit des Vorhandenseins von für den Ladungsoffizier nicht erkennbaren unzulänglichen Stellen im Gewerbe oder in den Nähten von Jutesäcken. Diese Umstände mögen bewirkt haben, Sackrißschäden geringen Umfangs oftmals für unvermeidbar anzusehen, sie besagen jedoch nichts über die jeweilige Schadensursache im Einzelfall. Ebenso kann zu diesem Punkt der Vortrag der Beklagten über die bei ihr übliche sorgfältige Behandlung von Gütern in Jutesäcken nichts wesentliches beitragen, zumal auch dann Ursache der vorliegend aufgetretenen Sackrisse eine im Einzelfall unsachgemäße Ladungsbehandlung gewesen sein kann, was im Schadenszertifikat auch ausdrücklich angenommen wird („rude manutention"). Zuzustimmen ist dem Berufungsgericht, soweit es meint, es stelle kein unbilliges oder unmögliches Verlangen dar, wenn man der Beklagten zumute, die Schadensursache genau aufzuklären. So war es nach dem angefochtenen Urteil durchaus möglich, die eingerissenen oder aufgeplatzten Säcke beim Löschen der Partie auszusortieren, ferner bei einer Untersuchung des Sackmaterials sowie aus der Lage der beschädigten Säcke im Staublock Rückschlüsse auf die Schadensursache zu ziehen.
...
Nun ist es richtig, daß sich der Verfrachter bei Ladungsschäden nicht stets nach § 606 Satz 2 HGB entlasten muß. Vielmehr sieht § 608 HGB für bestimmte Fälle eine von der Vorschrift des § 606 Satz 2 HGB abweichende Beweislastregelung vor. Danach wird - soweit die in § 608 Abs. 1 HGB aufgeführten Fälle hier interessieren - beim Vorliegen von Schäden, die nach den Umständen des Falles aus Gefahren der See oder aus Handlungen oder Unterlassungen des Abladers oder des Eigentümers des Gutes, seiner Agenten oder Vertreter entstehen konnten - vermutet, daß der Schaden aus dieser Gefahr entstanden ist. Allerdings greift diese Vermutung zu Gunsten des Verfrachters erst ein, wenn er beweist, daß einer der genannten Fälle gegeben war (Gramm, Das neue Deutsche Frachtrecht § 608 Anm. II l a; Prüssmann, Seehandelsrecht § 608 Anm. C 1; Schaps/Abraham, Das deutsche Seerecht 3. Aufl. Bd. II § 608 Anm. 4; Schlegelberger/Liesecke, Seehandelsrecht § 608 Rnr. 10; Wüstendörfer, Neuzeitliches See¬handelsrecht 2. Aufl. S. 276). Die Beklagte hätte daher darlegen - und gegebenenfalls beweisen - müssen, daß während der Reise des MS U von Douala nach Amsterdam eine Seegefahr bestanden hat oder daß der in Verlust geratene Teil der Kakaobohnen in für ihren Transport unzulänglichen Säcken abgefüllt war. Das ist nicht geschehen, so daß § 608 HGB, wie das Berufungsgericht mit Recht angenommen hat, nicht anwendbar ist. Auch hilft hier - entgegen der Ansicht der Revision - der Beklagten kein Anscheinsbeweis weiter. Es gibt keinen Erfahrungssatz dergestalt, daß ein eingerissener Jutesack eine nicht einwandfreie Stelle im Gewebe oder in den Nähten gehabt haben muß, und zwar auch dann nicht, wenn man dem Vorbringen der Beklagten folgt, daß bei der Seebeförderung von Gütern in Jutesäcken üblicherweise etwa 0,6 °%o der Säcke aufplatzen oder reißen.
Was die Höhe des von der Beklagten gemäß § 606 Satz 2, § 607 Abs. 1 HGB zu leistenden Schadensersatzes angeht, so hat das Berufungsgericht in rechtlich einwandfreier Weise ausgeführt, daß es keine feststehende Übung gibt, wonach der Verfrachter Sackrißschäden geringen Umfangs nur zur Hälfte zu ersetzen braucht. Weiter ist das Berufungsgericht der Meinung, daß es der Beklagten nach § 529 Abs. 2 ZPO a.F. verwehrt sei, sich gegenüber der Schadensberechnung der Klägerin (anhand des gemeinen Werts der Güter im Bestimmungshafen) auf Regel 16 Abs. 4 KB zu berufen.
...
Die genannte Regel, gegen deren Wirksamkeit keine grundsätzlichen Bedenken bestehen (vgl. hierzu das Senatsurteil v. 9. 2. 1978 - II ZR 220/75), gibt der Beklagten im Falle des Verlustes oder der Beschädigung von Gütern, die sie befördert hat, das Recht, von dem geschädigten Ladungsbeteiligten zu verlangen, bei der Schadensberechnung nach ihrer Wahl entweder von dem gemeinen Wert der Güter im Bestimmungshafen auszugehen oder der Berechnung deren gemeinen Wert am Verschiffungsort (zuzüglich gezahlter Fracht und bestimmter Unkosten) zugrundezulegen. Dieses Recht steht der Beklagten jedoch zeitlich nicht unbeschränkt zu. Da der geschädigte Ladungsbeteiligte (bzw. ein hinter ihm stehender Transportversicherer) ein berechtigtes Interesse daran hat, alsbald zu wissen, anhand welcher gemeiner Werte der Güter der Schaden berechnet werden soll und welche Schadensbeträge er danach von der Beklagten verlangen kann, ist diese nach Treu und Glauben verpflichtet, von ihrem Wahlrecht innerhalb angemessener Zeit Gebrauch zu machen. Unterläßt sie das, so verliert sie dieses Recht. Das muß um so mehr gelten, wenn sie - wie hier - eine bestimmte im Rahmen der Regel 16 Abs. 4 KB liegende Schadensberechnung seitens des geschädigten Empfängers über einen längeren Zeitraum widerspruchslos hinnimmt. Dann kann sie nicht erstmals im Berufungsrechtszug damit kommen, daß sie nach Regel 16 Abs. 4 KB auch eine andere Schadensberechnung fordern kann. Dieser Einwand ist nunmehr verwirkt.
...“