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Leitsätze:
1) Der Risikoausschluß in der Versicherungspolice für den Fall, dass das versicherte Schiff „nicht gehörig bemannt ist", findet keine Anwendung, wenn der Schiffseigner die erforderliche Mannschaft gestellt und alles zur Aufrechterhaltung einer gehörigen Bemannung getan hat.
2) Das Schiff bleibt auch dann „gehörig bemannt", wenn einzelne Besatzungsmitglieder ohne Befehl des Schiffsführers das Schiff in Bewegung setzen, zur ordnungsmäßigen Führung außerstande sind oder sich niemand an Bord befindet.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 4. Juli 1966
II ZR 139/64
(Landgericht Frankfurt/Main, Kammer für Handelssachen)
Zum Tatbestand:
Das bei der Beklagten kaskoversicherte Tankmotorschiff der Klägerin war mit einem anderen Motorschiff zusammengestoßen, wobei beide Schiffe erheblich beschädigt wurden. Der Zusammenstoß beruhte allein auf dem Verschulden des Matrosen J., der in stark alkoholisiertem Zustand ohne Verständigung des an Bord befindlichen Schiffsführers, aber mit Unterstützung des Matrosen B. das Tankmotorschiff von seinem Liegeplatz rheinabwärts in Bewegung gesetzt hatte. Die Beklagte versagte den Versicherungsschutz gemäß § 4 c der Allgemeinen Bedingungen der Versicherungspolicen, weil das Schiff „nicht gehörig bemannt" gewesen sei.
Die Klägerin verlangt Ersatz des selbst erlittenen und des am anderen Schiff entstandenen Schadens.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Die mit Einverständnis der Klägerin eingelegte Sprungrevision der Beklagten wurde zurückgewiesen.
Aus den Entscheidungsgründen:
Das Reichsgericht hat bereits in seiner Entscheidung RGZ 102, 111, 113 ausgeführt, § 4 c Flußkaskopolice besage nach Sinn und Zweck nur, daß seitens des versicherten Schiffeigners die erforderliche Mannschaft gestellt und alles sonst Sachdienliche getan werden muss, um eine gehörige Bemannung des Schiffes aufrechtzuerhalten. Dem ist zuzustimmen. Die Klausel will den Versicherungsschutz ausschließen, wenn die Gefahr des Eintritts des Versicherungsfalls dadurch besonders groß wird, daß für die Führung des Schiffs von vornherein nicht einmal das nötige und entsprechend ausgebildete Personal bereitsteht, gleichviel, ob dies auf ein Verschulden des Schiffseigners oder des Schiffsführers (vgl. § 8 BSchG) zurückzuführen ist oder nicht.
Das Schiff war hier mit dem Schiffsführer und mindestens zwei Matrosen besetzt und damit standen für den Schiffsbetrieb, wie die Beklagte nicht bezweifelt, die nötigen Personen nach Art und Größe des Schiffs sowie der Befähigung der Mannschaft für Dienstleistungen zur Verfügung. Wenn einzelne Besatzungmitglieder das Schiff ohne Befehl des Schiffsführers in Bewegung setzten und dabei zur ordnungsmäßigen Führung außerstande waren, so lag eine unberechtigte und fehlerhafte Führung des Schiffes vor, das an sich „gehörig bemannt" war. Es kommt für den Risikoausschluß des § 4 c Flußkaskopolice nicht darauf an, ob die nach Lage des Falles zum ordnungsmäßigen Schiffsbetrieb nötigen und auch verfügbaren Personen im Zeitpunkt des Versicherungsfalles tatsächlich eingesetzt gewesen sind (z. B. ein nötiger Ausguckposten gestellt ist).
Das Schiff kann sogar auch dann „gehörig bemannt" sein, wenn sich niemand an Bord befindet (z. B. der mit der Bewachung des festgemachten Schiffes beauftragte Matrose weggegangen ist; vgl. RGZ 102, 111, 113).
Es bedarf daher keiner Erörterung, ob der Risikoausschluß auch deshalb nicht eingreifen kann, weil das Schiff ohne Wissen und Wollen des Schiffsführers in Bewegung gesetzt worden ist und dadurch einen Schiffsunfall erlitten hat („Schwarzfahrt" der Besatzung; vgl. Hamburg, HansRGZ 1937 B Sp. 419, 423; Ritter, ADS § 58 A. 23: meuternde Besatzung). Ebenso ist nicht zu entscheiden, ob aus § 187 VVG eine Beschränkung der Vertragsfreiheit dahin zu entnehmen ist, daß die im § 4 c Flußkaskopolice vorgesehene Ausdehnung des Haftungsausschlusses auf die während der Reise eintretende Fahruntüchtigkeit unzulässig ist (so Hamburg aaO Sp. 421 ; a. M. Prölss, VVG § 132 A. 2)."